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»Dafür könnten die mir die Füße küssen«

SPIEGEL-Redakteur Richard Kiessler über den Nahost-Reisenden Hans-Jürgen Wischnewski *
aus DER SPIEGEL 34/1983

Im kriegsversehrten Libanon ist mit einem sozialdemokratischen Oppositionspolitiker aus der Bundesrepublik kein Staat zu machen. Aus dieser Erkenntnis nennt Antonius Eitel, Bonns Botschafter in Beirut, den Nahost-Reisenden Hans-Jürgen Wischnewski beharrlich »Herr Minister«.

Das schmückt ungemein. Der Minister außer Diensten wird im gepanzerten Mercedes, mit Stander, Sirenengeheul und bewaffneter Eskorte, durch Beiruts vom Bürgerkriegsschutt kaum befreite Straßen gelotst.

»Man merkt hier gar nicht«, stellt Wischnewski befriedigt fest, »ob man Regierung oder Opposition ist.«

Man ist, Allah sei es geklagt, Opposition. Wischnewski ist nur noch Kundschafter, kein Verhandlungspartner: Er wurde vom SPD-Vorstand auf die Reise geschickt, um Erkenntnisse für ein neues Nahost-Konzept der Partei und der Sozialistischen Internationale (SI) zu sammeln.

Doch der VIP-Tourismus lindert die Entzugserscheinungen, die der Genosse daheim im kargen Abgeordnetenzimmer erleiden muß. Man wird wahrgenommen hier draußen in der arabischen Welt: Drei Stunden ist Wischnewski bei Syriens Präsident Hafis el-Assad, der mit ihm, auf dem Boden kniend, eine eigens herbeigeschaffte Reliefkarte der Krisenregion studiert. »Ein cleverer Kerl«, findet Wischnewski, »das setzt natürlich Maßstäbe.«

Da mag Libanons Staatschef Amin Gemayel nach anfänglichem Zögern nicht zurückstehen: Er hat anderthalb Stunden Zeit für Wischnewski. In Bagdad allerdings wartet der Nahost-Reisende vergebens auf eine Audienz beim irakischen Präsidenten Saddam Hussin.

Dafür erübrigt Jordaniens König Hussein in Amman, leger im offenen Hemd, 45 Minuten für den deutschen Freund. Warum? Wischnewski: »Der war schon bei mir zu Hause.« Bei Erftstadt-Liblar hatte sich vor Jahren der Hubschrauber Seiner Majestät im dichten Nebel verflogen und mußte unweit von Wischnewskis Haus, mitten in einer Müllkippe, landen.

Solche gemeinsamen Erinnerungen kann Israels schroffer Premier Menachem Begin nicht mit seinem Gast teilen. Reichlich kühl - hinterher wird es »sachlich« genannt - verläuft das 80-Minuten-Gespräch in Begins Jerusalemer Amtszimmer am Donnerstag voriger Woche.

»Ich weiß wirklich nicht«, hatte sich Wischnewski am Morgen beim Frühstück gewundert, »was in Begin gefahren ist, daß er mich plötzlich sehen will.« Es ist wohl weniger das Bedürfnis, Entgegenkommen zu zeigen. Eher schon Neugier, einen »würdigen Gegner«, so Israels auflagenstärkste Zeitung »Jediot Ascharonot«, in Augenschein zu nehmen, der drei Wochen lang in acht Ländern des Nahen Ostens mit Leuten redet, die selten oder nie miteinander sprechen.

Was sich der deutsche Oppositionspolitiker und der israelische Regierungschef »ohne Schnörkel« (Wischnewski) zu sagen haben, kennzeichnet die gegensätzlichen Positionen. Der eine ist demonstrativ von Jordanien aus über die Allenby-Brücke durch das von Israel besetzte Westjordanien eingereist und findet die expansionistische Siedlungspolitik »sehr deprimierend«.

Der andere verteidigt vehement das »Recht der Juden, in Judäa und Samaria zu siedeln«. Er wolle ja, so Begin, mit den arabischen Staaten verhandeln. Wischnewski: »Sie werden wegen der Siedlungspolitik in der arabischen Welt keinen Verhandlungspartner finden.«

Da habe, berichtet ein Teilnehmer, Israels Premier nur mit Mühe die Beherrschung behalten. »Wir beide sind zu abgeklärt«, sagt Wischnewski hinterher, »um zu glauben, daß der eine den anderen überzeugen könnte.«

An der Hand abzählen, welche Könige und Staatspräsidenten man gesehen hat, mit den Großen der Welt auf vertrautem Fuße stehen - das ist ganz nach Wischnewskis Geschmack, so ist sein politisches Stilempfinden: wohltemperierte Männergespräche führen, auch wenn man nicht einer Meinung ist; sich zusammensetzen, »um die Dinge in Ordnung zu bringen«. Seinen Ruf als Übermittler pflegt er seit Jahren. Er bringt komplexe Vorgänge auf simple Formeln - Weltpolitik am Stammtisch.

In dröhnendem Französisch empfiehlt er den libanesischen Falangisten, sie sollten sich mit ihren drusischen Feinden im Schuf, der Bergkette nahe Beirut, »doch mal beim Bier zusammensetzen«. Doch solche Art der Konfliktbewältigung widerspricht traditionellem Cliquendenken. »Der Kampf soll weitergehen«, sagt Pierre Gemayel, Vater des derzeitigen Staatschefs und Gründer der Falange-Partei, »der Stärkere wird gewinnen.«

Noch während Wischnewski Kontakt zu den Führern der Bürgerkriegsparteien sucht, bekommt er in Beirut Frontberührung: Schußwechsel auf der Straße zwischen den Leibwächtern des Schiiten-Führers Nabih Berri und vorbeifahrenden christlichen Falange-Kämpfern; zwei Auto-Bomben explodieren am selben Tag; auf das Aka-Hospital im Palästinenserlager Schatila wird ein Anschlag verübt, es gibt Tote und Verletzte.

Der Beiruter Flughafen liegt unter dem Granatfeuer drusischer Milizen, die sich im Schuf seit Tagen blutige Scharmützel mit der schwächlichen libanesischen Armee liefern. Als Wischnewski in der Lounge auf den Weiterflug nach Amman wartet, schlagen auf dem Rollfeld zwei Granaten ein.

Wischnewski und seine Begleiter suchen Zuflucht im Vorraum der nächstgelegenen Toilette. Der Flughafen wird, wieder einmal, geschlossen.

Wischnewski muß im gepanzerten Auto nach Amman reisen, auf verschlungenen Umwegen durchs Bekaatal, um nicht in die Schießereien zu geraten. Die

drusischen und syrischen Posten an der Straße nach Damaskus salutieren, die verfeindeten Fatah-Milizen der PLO mustern den Konvoi aus ihren Sandsackverhauen. Nur einmal hallen irgendwo ein paar Mörsergeschosse wider. »Alles in Ordnung«, freut sich Wischnewski.

Die Granaten auf dem Flugplatz aber nimmt der Libanon-Fahrer dem Drusen-Führer Walid Dschumblat persönlich übel. Der ist nämlich mit seiner »Sozialistischen Fortschrittspartei« Mitglied der Sozialistischen Internationale und, als SI-Vizepräsident, einer der Stellvertreter Willy Brandts. Ein solcher Abschiedssalut sei, so Wischnewski, unter Genossen gelinde gesagt »unanständig«.

Doch in Amman schmeichelt der gerissene Dschumblat seinem Gast, der endlich die ersehnte Vermittlerrolle spielen darf. Gemeinsam setzen der Führer der Moslem-Sekte und der deutsche Sozialdemokrat am Sonntag voriger Woche ein Telegramm an Libanons Präsidenten Gemayel auf: Für Feuereinstellung und Wiedereröffnung des Flughafens verlangt der Druse Garantien für seine Anhänger im Schuf-Gebirge.

Daß da längst andere Vermittler am Werk sind, Saudi-Arabien, Jordanien, die Amerikaner, schert Wischnewski nicht. Er übermittelt den Erpressungsversuch des Drusen über die amtlichen Telexleitungen des Bonner Auswärtigen Amtes nach Beirut.

Tatsächlich schweigen tags darauf die Mörser, kann Beirut seit Mittwoch voriger Woche wieder angeflogen werden. Mit Sozialismus, diese Erkenntnis dämmert Wischnewski später, habe der Clan-Führer Dschumblat »soviel gemeinsam wie ein Maikäfer«.

Wie es weitergehen soll in diesem erbitterten Stellungskrieg der bewaffneten Religionsgemeinschaften, weiß auch Wischnewski nicht. Die fremden Truppen müßten raus, vielleicht Uno-Soldaten rein, die Beteiligten sollten doch endlich selbst miteinander reden. Er mag nicht ausschließen, daß es mit seiner friedenstiftenden Rolle womöglich nicht so weit her ist. »Vielleicht muß ich am Ende sagen«, sinniert er schon mal, »mir fällt auch nichts ein.«

In solchen Momenten wird dem Minister a. D. schmerzlich bewußt, wie verhängnisvoll es doch ist, daheim in die Opposition geraten zu sein. Überall fragen die Gesprächspartner nach Kanzler Helmut Kohl: Ob der etwa, mit seiner Reise nach Israel Ende August, eine neue Nahost-Politik einläuten wolle?

Vorsorglich ist Wischnewski von Hans-Dietrich Genschers Auswärtigem Amt gebeten worden, den arabischen Freunden zu versichern, auch die neue Regierung stehe in der »Kontinuität« der bisherigen Nahost-Politik.

Aber die Freunde hegen Zweifel. Und Sozialdemokrat Wischnewski müht sich, dem christdemokratischen Kanzler ein guter Sonderbotschafter zu sein: Im Araberlager redet er trotz allem »nicht schäbig über Kohl«. Das sei doch, lobt er sich selbst, sehr verdienstvoll. Wischnewski: »Dafür könnten die mir in Bonn die Füße küssen.«

Und wenn es doch eine Wende in der Bonner Nahost-Politik gibt, schon bei der Israel-Visite des Kanzlers? Für diesen Fall hat Wischnewski Zukunftspläne: »Wenn der mit Begin durch dick und dünn geht, lasse ich mich als arabischer Kaufmann nieder und bin in fünf Jahren ein reicher Mann.« _(Mit dem Bonner Botschafter in Israel, ) _(Niels Hansen. )

Mit dem Bonner Botschafter in Israel, Niels Hansen.

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