Otto Köhler DANKBARKEIT UND FREUNDSCHAFT
Die Fackel erloschen, das Haupt gramgebeugt, trauergewandet und tränenvergießend -- in solch erbarmenswertem Zustand präsentierte sich am vergangenen Dienstag Millionen »Bild«-Lesern jene sonst so stolze Dame, die als Statue im New Yorker Hafen Amerikas Freiheit verkörpert. Neben diesem Bild-Schrecken auf der ersten »Bild«-Seite fragte eine dick unterstrichene Schlagzeile auf rotem Grund unheilschwanger: »Amerika, was ist aus dir geworden?«
Die US-Regierung hatte etwas getan, was die »Bild«-Redakteure zuerst »nicht glauben wollten, weil es ungeheuerlich schien«. Geschehen ist das Ungeheuerliche trotzdem. »Bild« trägt daran keine Schuld. »Bild« hat stets die Amerikaner gemahnt, das Rechte zu tun und das Falsche zu lassen. Nicht aus Feindschaft gegen Amerika. Sondern aus immer betonter Freundschaft.
Denn schon 1962 wiederholte »Bild": »Wir wiederholen: Wir sind keine Anti-Amerikaner. Im Gegenteil: Wir empfinden Dankbarkeit und Freundschaft für die USA.«
Richtig heftig war diese Freundschaft ein Jahr zuvor ausgebrochen: Mit einer der größten Schlagzeilen seiner sechzehnjährigen Geschichte fragte »Bild": »Wird Deutschland jetzt verkauft?« »Bild« hatte ganz todsicher erfahren, daß die Vereinigten Staaten »ihre Deutschland-Politik aufweichen« wollten.
Freund USA hörte auf Freund »Bild« und verkaufte Deutschland nicht. Auf dieser festen Vertrauensgrundlage baute »Bild« seine Freundschaft zu den Vereinigten Staaten weiter aus.
Als Erhard 1964 nach den USA fuhr, wünschte ihm »Bild« »Härte« mit auf den Weg: »Es genügt nicht, daß nur die Amerikaner etwas von der Entspannung merken. Wir Europäer müssen sie auch merken. Mauer und Stacheldraht müssen weg!« Widrigenfalls sollten die Sowjets für ihre Sicherheit fürchten: »Wer dem von Präsident Johnson kürzlich ausgesprochenen sowjetischen Sicherheitsbedürfnis entsprechen will, muß Deutschland wiedervereinigen.«
1965 schien es dagegen um die bundesdeutsche Sicherheit geschehen. Denn »Bild« verlangte auf rotem Grund: »Die Amerikaner müssen einsehen: Unsere Sicherheit darf kein Tauschobjekt für eine Annäherung zwischen Moskau und Washington sein.« Grund dieses Verlangens: Washington hatte den Sowjets einen Vertrag angeboten« der unter anderem die Weitergabe von Atomwaffen an die Bundesrepublik verhindern mußte. Tatsächlich entdeckte »Bild« alsbald eine »Welle der Deutschfeindlichkeit« in den USA. Der Beweis: Eine Fernsehserie, in der gefangene Amerikaner Schabernack mit dem dümmlichen Kommandanten eines deutschen Gefangenenlagers treiben.
Im Dezember 1965 stand dank »Bild« zwar einmal ein »neuer deutsch-amerikanischer Frühling« ins Maus. Adventlich hatte »Bild« den Amerikanern zugerufen: »Enttäuscht die Deutschen nicht!« -- Und siehe, drei Tage vor Weihnachten konnten »Bild«-Redakteure künden: »In Washington herrscht die Meinung vor: Bonns Wunsch nach Mitsprache in Atom-Fragen ist berechtigt.«
Als dann aber der Kalender Frühling machte« hatte sich für »Bild« auf die deutsch-amerikanische Freundschaft schon längst wieder Eis gelegt: Fettgedrucktes nahm den Frühling zurück: »USA überspielen Bonn -- das Verständnis für die Deutschen wird in Washington immer geringer -- Amerika nimmt immer weniger Rücksicht auf die Nöte und Interessen Bonns.« Grund für den Frost-Einfall: Die Amerikaner hatten über den Verkauf eines Kunstfaserwerkes an die »Zone« verhandelt.
Im Herbst des gleichen Jahres 1966 brachte »Bild« nicht nur den Lehrsatz »Unsere Musterknaben-Politik gegenüber den USA hat uns nichts eingebracht« an den Tag, sondern auch ein familiäres Ereignis -- aus der Freundschaft mit den USA war irgendwann eine Ehe geworden. »Die Amerikaner haben uns verschaukelt. Ihr Verhältnis zu den Russen ist ihnen heute offenbar wichtiger als die Ehe mit uns.«
Das erklärte unversehens alle Sorgen von »Bild« um Amerika: gekränkte Liebe einer treuen Ehefrau, die fürchtet, daß »der Ehegemahl mit einer anderen ins Bett steigt. Scheidung? »Bild": »Die offene Kritik an Amerika ist überfällig.«
Heute denkt »Bild« schon an ein lesbisches Verhältnis mit der Dame, die in die deutsch-amerikanische Ehe eingebrochen zu sein scheint, dieser roten Matka. Genüßlich unterstreicht es fett die Meinung eines US-Senators, die USA sollten nur ja die Deutschen gern haben, »sonst wird eines Tages eine deutsche Regierung aus Enttäuschung über den Westen versuchen, auf eigene Faust das bestmögliche Geschäft mit der Sowjetunion zu machen«.
Was aber war dann das wahrhaft »Ungeheuerliche«, das »Bild« am vergangenen Dienstag den Schreckensschrei entfahren ließ: »Wenn das so weitergeht, dann muß die Freiheitsstatue im New Yorker Hafen Trauerflor tragen«? Na ja, so sprach die enttäuschte Hoffnung der eifersüchtigen Frau« die einen möglichen Streitgegenstand zwischen Ehemann und Rivalin entschwinden sieht -- die USA hatten sich geweigert, der moskaumüden Lieblingstochter Stalins Asyl zu gewähren.
»Amerika, was ist aus dir geworden?« »Bild« denkt an Dich. Und Du? Ach.