WIEDERGUTMACHUNG Dann duck' ich mich
Das sollen sie uns in Bonn mal nachmachen!« trumpfte in Wien der füllige Fraktionsführer der österreichischen Sozialdemokraten, Dr. Bruno Pittermann, auf. In den Klubräumen der SPÖ-Fraktion im kreideweißen Parlament am Ring mokierte sich Pittermann nicht nur über »Bonn«, sondern auch über die Österreichische Volkspartei (ÖVP) und ihren Wahlslogan: »Machen wir''s den Deutschen nach.« Diesen Spruch hatte die ÖVP nach Adenauers Septembersieg an die Innsbrucker Litfaß-Säulen geklebt, um im Tiroler Wahlkampf für sich zu werben.
Die selbstgefälligen Worte Pittermanns bezogen sich auf die erhebliche Reduzierung der jüdischen Wiedergutmachungs-Forderungen an Österreich. In zäher Verhandlungstaktik nach alter Wiener Schule ist es der schwarz-roten Regierung gelungen, die Ablösungssumme für das sogenannte »Erb-lose jüdische Vermögen in Österreich« auf 50 Millionen Schilling
(acht Millionen Mark) herabzudrücken. Ursprünglich hatten die jüdischen Weltorganisationen, 22 an der Zahl, und ihr Verhandlungsführer Dr. Nahum Goldmann eine Milliarde Schilling (160 Millionen Mark) verlangt.
Im Dezember 1953 war es dann zum Krach gekommen. Goldmann hatte auf einer Pressekonferenz in London schwere Anklagen gegen Österreich erhoben: »Mit dem halben guten Willen, den Deutschland*) gezeigt hat, hätten wir längst eine Einigung erzielt.« Der jüdische Unterhändler bezifferte damals die Gesamtsumme der Ansprüche an Österreich etwas ungenau auf bis zu 100 Millionen Dollar (420 Millionen Mark), einschließlich zwölf
*) Nach dem Abkommen vom 10. September 1952 (verkündet am 20. März 1953) zahlt die Bundesrepublik Deutschland an den Staat Israel eine Wiedergutmachung von 3,45 Milliarden Mark. Diese Wiedergutmachung ist eine moralische Buße und enthebt die Bundesrepublik nicht der rechtlichen Verpflichtungen gegenüber den direkt geschädigten Juden. Die direkte Rückerstattung wird die Bundesrepublik Deutschland nach den Worten des Verhandlungsführers Dr. Nahum Goldmann »wahrscheinlich nochmals einen ähnlichen Betrag kosten.« Millionen Dollar für das erb-lose jüdische Vermögen.
Der Zorn Goldmanns hatte sich an einer Parlamentserklärung des Finanzministers Kamitz entzündet. Der hatte am 2. Dezember gefragt, wie die Juden auf einen Betrag von zwölf Millionen Dollar erb-losen Vermögens kämen, da der ganze ehemals jüdische Besitz in Österreich längst nicht ein Zehntel dieser Summe wert gewesen sei. Ebenso erbitternd wirkte ein Brief des Bundeskanzlers Raab an den jüdischen Verhandlungsausschuß, worin mitgeteilt wurde, Besprechungen über die erb-losen Vermögenswerte könnten frühestens sechs Monate nach Abschluß des österreichischen Staatsvertrages aufgenommen werden.
Das klang den Juden wie barer Hohn. Eine Pressekampagne gegen Österreich lief an. Goldmann kündigte an, er werde sich bei den westlichen Außenministern auf der Berliner Konferenz beschweren. Aber auch diese massive Drohung vermochte den Ballhausplatz nicht aus der Ruhe zu bringen. Man verfuhr nach dem Rezept der alten Hofräte der k. u. k. Monarchie, denen man nachsagt, daß sie gefährlichen Verwicklungen mit dem Wort »Goar net ignorieren« zu begegnen pflegten. Man tat nichts und wartete. Es hätte schiefgehen können, aber es ging nicht schief. Ein hoher Beamter des Ballhausplatzes übersetzte das Verhalten seiner Regierung in die Sprache allgemein-menschlicher Erfahrung: »Wenn jemand von mir unter Androhung von zehn Stockhieben die Brieftasche abverlangt und mir gleich fünf gibt, dann duck ich mich und warte auf die anderen - und behalte die Brieftasche.«
Die fünf Hiebe kamen nicht. Am 21. Februar gab Dr. Goldmann bekannt, die Organisationen hätten nicht in Berlin interveniert. Aber schon am 22. Januar hatte Israels Konsul in Wien, Arie Eschel, bei der Abschieds-Cocktailparty des britischen Hochkommissars Sir Harold Caccia, Österreichs Finanzminister, Dr. Reinhold Kamitz, angesprochen. Zwischen Whisky und Martini hißte Eschel ("nicht als Konsul, sondern als interessierter Privatmann") die Flagge des Parlamentärs: Man solle es doch wieder versuchen. Kamitz wollte und versprach, Kanzler Raab zu informieren. Damit war der Kontakt wieder aufgenommen.
Bundeskanzler Julius Raab machte den ersten Zug. Am 9. März billigte der Wiener Ministerrat seinen Vorschlag an Goldmann, innerhalb zweier Jahre 30 Millionen Schilling (4,8 Millionen Mark) als Vorschußzahlung bereitzustellen. Der Betrag soll der Wiener Jüdischen Gemeinde (nicht aber ausländischen Hilfsorganisationen) zu treuen Händen übergeben werden.
Außerdem will die Regierung jetzt auch den österreichischen Juden im Ausland - auch bei fremder Staatsbürgerschaft - entgegen dem internationalen Brauch Pensionen und Renten bezahlen.
Schon jetzt hat die Wiener Regierung erreicht,
* daß ihr Staatssäckel nicht über Gebühr belastet wird,
* daß die Hilfe wirklich notleidenden Opfern des Nationalsozialismus zukommt,
* daß kaum höhere Beträge aus Österreich heraus - und nach Israel gehen.
Der letzte Punkt ist - wie das westdeutsche Beispiel gezeigt hat - für die Wirtschaftsbeziehungen mit arabischen Staaten erheblich.
Ein sichtbares Ergebnis ist schon da. Der Handel zum Beispiel mit Syrien ist von 13,4 Millionen Schilling im Jahre 1950 auf rund 30 Millionen Schilling in den ersten neun Monaten 1953 gestiegen. Zahlreiche Aufträge sind von deutschen auf österreichische Firmen übertragen worden.
[Grafiktext]
Totalzerstörung
ca. 5 km Umkreis
Starke bis mittlere Schäden
ca. 11 km Umkreis
Leichte Schäden
ca. 16 km Umkreis
[GrafiktextEnde]