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Verkehr Dann dunn dat

Immer häufiger führen Aggressionen im Straßenverkehr zu gewaltsamen Entladungen. Jetzt gab es -- nach nächtlichen überhol-, Blend- und Bremsmanövern -- einen Toten: Der Maurer Schink wurde erschossen.
aus DER SPIEGEL 17/1972

Gemächlich, mit zwei Promille im Blut, chauffierte der Maurer Dieter Schink, 27, spätabends auf der Landstraße 61 heimwärts nach Mechernich. Neben ihm schlief sein Freund Andreas Kurth im Vollrausch. Zur selben Stunde, kurz vor 23 Uhr am vorletzten Sonntag, fuhr auch Herfried Ahrendt, 33, aus Euskirchen mit seiner Frau Rita nach Mechernich, zum Familienskat.

Hinter Satzvey, noch vor Katzvey in der Voreifel, überholte Kaufmann Ahrendt mit seinem Opel Commodore (EU -- J 753) mit zirka 100 km/h den Opel Manta (SLE -- AR 69) des Maurers -- ein Tritt aufs Gaspedal, den Schink offenbar persönlich nahm. Die Scheinwerfer voll aufgeblendet, setzte er nach. Ahrendt, durch den Reflex im Rückspiegel irritiert, stoppte alsbald, drohte seinem Verfolger mit einer Anzeige, bekam, so sagt er, nur auf Kölsch die Antwort: »Dann dunn dat«, und gab Schink die Vorfahrt.

Doch der ließ den rechten Fuß nun pendeln, mal Gas, mal Bremse, mal 50, mal 15 km/h, so Ahrendt, und stoppte schließlich seinerseits den anderen Opel. Die Kraft-Fahrer stiegen aus, Schink, 1,75 Meter, mit geballten Fäusten, Ahrendt, 1,70 Meter, mit einer 7,65iger Walther-Pistole. Der eine schlug, der andere schoß.

Schink starb auf der Straße -- teils Täter, teils Opfer wie manch andere von 51 getöteten Verkehrsteilnehmern in der Bundesrepublik täglich. Denn von den 18 685 Verkehrstoten im vergangenen Jahr wären gewiß noch viele am Leben, wenn Pferdestärken nicht in hemmungslose Angriffslust und bornierte Rechthaberei ausschlügen -- immer häufiger bis zur archaischen Selbstjustiz. Nicht mehr das Kraftfahrzeug allein dient neuerdings als Waffe im Straßen-Kampf, die Ausrüstung zum Abstrafen an Ort und Stelle liegt zusätzlich griffbereit.

In Wetzlar richtete ein 49jähriger Betriebsschlosser der Stadtwerke seinen Chef mit vier tödlichen Schüssen

nach einem Parkplatzstreit auf dem Betriebsgelände. In Hamburg ahndete ein 23jähriger Arbeiter vergessenes Blinken eines Kaufmanns mit einem Messerstich in die Brust. An der gleichen Verletzung mußte in Düsseldorf ein 19jähriger Fußgänger, der noch bei Gelb einen Zebrastreifen überquert hatte, sterben. weil sich ein 24jähriger Autofahrer über dieses Verhalten erregt hatte.

Nach einem Oberholmanöver in Nürnberg prügelten sich zunächst die Insassen beider Wagen, dann schoß ein 24jähriger Tankwart fünfmal. Zwei Männer wurden getroffen, einer tödlich. In Köln rächte sich ein Lkw-Fahrer an einem Pkw-Fahrer, weil der zu langsam gefahren sei, und schlug ihm mit einem Hammer ein Loch in den Kopf.

Als »unterentwickelte Verkehrsgesinnung« (Ex-Bundesrichter Heinrich Jagusch), als »explosive Freisetzung von Angriffslust bei libidinöser Frustration« (Psychologe Alexander Mitscherlich) oder als »Neid auf den bevorzugten Bruder«, als »kainitischer Urtrieb« (Psychotherapeut Leopold Szondi) sind die aggressiven Akte motorisierter Menschen umschrieben und motiviert worden.

Maurer Schink zum Beispiel fühlte sich offenbar von Ahrendts PS-stärkerem »Commodore« düpiert« obwohl der Manta dem schlafenden Freund gehörte. Bei solcher Motivation dürften selbst die häufig geforderten drakonischen Strafurteile potentielle Verkehrskriminelle schwerlich abschrecken.

Im Fall Ahrendt freilich ist bislang noch nicht einmal der Tathergang exakt geklärt. Ob der Kaufhausinhaber. der zur Sicherheit für eigene Geldtransporte eine Waffe führen durfte, in Notwehr geschossen hat, können Staatsanwaltschaft und Gericht vermutlich nur nach seinen eigenen Bekundungen und denen seiner Ehefrau beurteilen.

Ob der Millionär möglicherweise über das erforderliche Maß der Selbstverteidigung hinausgegangen ist, scheint noch schwieriger festzustellen. Aber auch eine solche Notwehrüberschreitung könnte Ahrendt nicht angelastet werden, wenn er »in Bestürzung, Furcht oder Schrecken«, so das Strafgesetzbuch, »über die Grenzen der Verteidigung hinausgegangen ist«.

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