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»Dann kann der Erich zu Hause bleiben«

Bonn und Ost-Berlin planen den größten deutsch-deutschen Handel seit Abschluß des Grundlagenvertrags: Erich Honecker ist, als Gegenleistung für einen neuen Bankkredit, zu weitreichenden Konzessionen bereit - von der Senkung des Mindestumtausches bis zum Verkauf von West-Zeitungen in der DDR. Ob die Vereinbarung den Besuch des SED-Generalsekretärs in der Bundesrepublik sichert, ist noch ungewiß: Moskau mauert. *
aus DER SPIEGEL 28/1984

Ausgerechnet das ZDF, der Haussender der regierenden Christdemokraten, brachte letzte Woche den Kanzler in böse Verlegenheit.

Ost-Berlin, so meldete Mainzelmann Peter Hopen am vergangenen Dienstagabend aus Bonn, sei bereit, einen neuen Kredit mit weiteren humanitären Konzessionen zu erkaufen.

Die Nachricht versetzte das Kanzleramt in Panik. Helmut Kohl gab Order, alles als Spekulation abzutun und in der Öffentlichkeit vor übertriebenen Erwartungen zu warnen.

Alle hielten sich an die Anweisung. Regierungssprecher Peter Boenisch spielte vor der Bundespressekonferenz die Meldung herunter. Kanzleramtsminister Philipp Jenninger gab in einem Interview mit der TV-Konkurrenz ARD weisungsgemäß zu Protokoll, niemand solle sich allzuviel Hoffnungen auf einen deutsch-deutschen Sommer machen. Und der Kanzler selbst beteuerte auf dem Flug nach Argentinien gegenüber mitreisenden Journalisten: »Alles, was Sie da lesen, ist falsch.«

Wütend teilten die Regierenden in Bonn Schuldzuweisungen aus. Urheber der Indiskretionen seien die Sozialdemokraten gewesen. Parteichef Willy Brandt und der Fraktionsvorsitzende Hans-Jochen Vogel hätten - von Ost-Berlin direkt mit Informationen gespickt - geplaudert. Dabei wußten Kohls Getreue im Kanzleramt schon seit Montagabend, wer ihr Bemühen um Diskretion zunichte gemacht hatte: Franz Josef Strauß. Der Bayer hatte am Montagnachmittag, bei der Klausurtagung der Bonner CSU-Landesgruppe im fränkischen Kloster Banz, seine Parteifreunde eingeweiht, und die hatten es dem ZDF-Mann Hopen gesteckt. Strauß war es auch, der die von ihm in Umlauf gesetzte TV-Nachricht besiegelte: Ungerührt bestätigte er, die DDR werde einen neuen Bankkredit bekommen, er sei zwar informiert, habe aber damit diesmal nichts zu schaffen.

Die Abwiegelei des Kanzlers ist verständlich. Denn er fürchtete, die vorzeitigen

Veröffentlichungen könnten den größten deutsch-deutschen Deal seit Abschluß des Grundlagenvertrages gefährden und die Regierung Kohl um ihren bislang wichtigsten politischen Zugewinn bringen.

Seit Wochen verhandelt Jenninger mit der DDR unter strengster Geheimhaltung über ein Geschäft, das die im Grundlagenvertrag 1972 verabredeten »gutnachbarlichen Beziehungen« ein großes Stück vorwärtsbringen soll.

Danach ist die DDR bereit: *___den 1980 auf 25 Mark heraufgesetzten Mindestumtasuch ____wieder auf 15 Mark abzusenken. Offen war letzte Woche ____noch, ob der Rabatt nur für Rentner oder für alle ____westdeutschen DDR-Besucher gelten soll; *___die West-Reisen von Ost-Bürgern in dringenden ____Familienangelegenheiten erheblich auszuweiten; *___in diesem Jahr weiteren 5000 DDR-Bewohnern die ____Übersiedlung in die Bundesrepublik zu erlauben. Die ____erste Ausreisewelle, mit der seit Januar 29 000 ____Menschen über die Grenze kamen, wurde von Ost-Berlin ____Ende Mai planmäßig gestoppt; *___für den grenznahen Besucherverkehr den gleitenden ____24-Stunden-Tag einzuführen. Bislang galt das Visum nur ____bis jeweils 24 Uhr.

Jenningers Ost-Berliner Gesprächspartner, die Staatssekretäre im Außenhandelsministerium Alexander Schalck-Golodkowski und Gerhard Beil sowie Herbert Häber, bis vor sieben Wochen Leiter der West-Abteilung im ZK der SED und inzwischen ins Politbüro aufgerückt, avisierten noch mehr. Sie ließen durchblicken, die DDR sei sogar willens, ihre Grenzen weiter zu öffnen: Auch die Großstädte Hamburg (1,6 Millionen Einwohner) und Hannover (550 000) könnten unter bestimmten Bedingungen künftig am kleinen Grenzverkehr teilhaben. Selbst über den Verkauf von West-Zeitungen in der SED-Republik - bislang undenkbar - lasse Ost-Berlin mit sich reden.

Nur bei einem Thema blieben die Genossen hart: Eine Herabsetzung des Reisealters für Westbesuche von DDR-Bürgern komme nicht in Frage.

Nicht einmal der Trouble um die Bonner Vertretung in Ost-Berlin, in die sich in den vergangenen Wochen nach und nach mehr als 50 DDR-müde Menschen geflüchtet hatten, brachte die SED-Unterhändler aus dem Konzept: Um guten Willen zu beweisen, zog die DDR einen Verhandlungspunkt vor und verkündete, mitten in der Krise um die Vertretung, sie werde den für den Berlin-Verkehr wichtigen Grenzübergang Staaken für weitere drei Jahre offenhalten. Ursprünglich sollte Staaken nach Fertigstellung der neuen Transit-Autobahn Hamburg-Berlin geschlossen werden.

Schalck-Golodkowski und Beil verlangten für die Zugeständnisse nur eine einzige Gegenleistung: Bonn müsse der DDR einen neuen Kredit von knapp einer Milliarde West-Mark genehmigen. Der Bankkredit soll nach dem Muster des ersten Milliardenkredits von 1983 abgesichert werden: durch die Abtretung von Ost-Berliner Ansprüchen aus der Transitpauschale.

Für so viel Entgegenkommen, von dem die Sozialliberalen während ihrer Zeit nur träumen konnten, hat SED-Chef Erich Honecker gute Gründe: Seit dem Comecon-Gipfel Mitte Juni in Moskau weiß er, daß die DDR, als potenter Verbündeter der Sowjets, künftig erheblich mehr für Moskaus verstärkte Rüstungsanstrengungen zahlen muß. Das aber könnte, falls sich Ost-Berlin nicht gutes Geld im Westen beschafft, über kurz oder lang auf die eigene Wirtschaft, vor allem auf den Lebensstandard der DDR-Bevölkerung durchschlagen - und die ohnehin grassierende Unzufriedenheit im Lande weiter verstärken.

Mit Honeckers geplanter Visite in der Bundesrepublik hat das neue deutschdeutsche Hoch, beteuern SED-Funktionäre, nur indirekt zu tun: Der Staatsratsvorsitzende möchte, wenn er tatsächlich wie geplant Ende September den kapitalistischen Westen besucht, das deutschdeutsche Allerlei vom Fuß haben. Er will lieber mit Helmut Kohl - von Staatsmann zu Staatsmann - über große Politik reden: über Frieden, Nachrüstung und Abrüstung.

Die Bonner jedoch sehen einen direkten Zusammenhang zwischen der Honecker-Visite und den derzeitigen Verhandlungen. »Wenn das Paket über die Rampe käme«, so ein Kohl-Vertrauter, »dann wäre die Atmosphäre für den Besuch bereinigt.« Wenn aber nicht, »dann gibt es einen solchen Kladderadatsch, dann kann der Erich gleich zu Hause bleiben«. Denn ohne die Mitbringsel sei der Besuch des Staatsratsvorsitzenden ohne Wert.

Scheitern könnte der Handel aber nur noch an Bonn. Das Politbüro stimmte letzte Woche im Prinzip zu. Doch der Kanzler mochte sich vor seiner Argentinienreise nicht endgültig festlegen. Kohl: »Solange ich weg bin, geschieht da gar nichts.«

Ob mit dem Plazet Kohls freilich auch Honeckers Herbstreise gesichert ist, steht dahin. Denn gegen sie gibt es nicht nur Widerstände im SED-Politbüro. Dort möchten noch immer Genossen, denen die Deutschlandpolitik des Generalsekretärs seit längerem suspekt ist - allen voran Ministerpräsident Willi Stoph, Verteidigungsminister Heinz Hoffmann und Staatssicherheitsminister Erich Mielke -, den Besuch am liebsten kippen.

Unterstützung erhalten die Abgrenzer aus Moskau. Denn auch den Sowjets ist Honeckers Kurs nicht geheuer. Sie setzen, seit Konstantin Tschernenko das Politbüro der KPdSU anführt, lieber auf Konfrontation zu Bonn.

Auf dem Comecon-Gipfel ließ Tschernenko gegenüber Honecker zwar offen, ob und wann der SED-Chef in die Bundesrepublik fahren soll. Doch er machte dem DDR-Oberen klar, daß die Visite abhängig sei von der allgemeinen Wetterlage zwischen Ost und West.

Die aber schätzt Moskau düster ein, und Bonn ist davon nicht ausgenommen: In einem auch im SED-Zentralorgan nachgedruckten Tass-Bericht über das Gipfeltreffen zwischen Honecker und Tschernenko wird der Bundesrepublik nicht nur vorgeworfen, sie verwandle sich derzeit »in eine Startrampe für nukleare Raketenwaffen der USA«. Die »Verstärkung der Kriegsvorbereitungen seitens der Nato« aktivierten auch die »extrem rechten, revanchistischen Kreise in der BRD«.

Demonstrativ veranstalteten die Sowjets Anfang Juli zwischen Rostock und Dresden in der DDR sowie in Polen und der CSSR Manöver, bei denen Sowjet-Soldaten einen Überraschungsangriff auf die Bundesrepublik probten. Auch die DDR muß zu der Kampagne gegen Bonn beitragen: Sie soll im Herbst das während des Krieges in Moskau von Exil-Deutschen gegründete »Nationalkomitee Freies Deutschland« reaktivieren, unter der Parole: Wir brauchen eine neue antifaschistische Front gegen den (west)deutschen Nachrüstungskurs.

Doch selbst wenn der Honecker-Besuch höheren Orts abgeblasen wird, machen die angepeilten Vereinbarungen, sowohl aus Ost-Berliner wie aus Bonner Sicht, einen Sinn: Sie könnten dazu beitragen, den Schaden, den beide aus der Konfrontation der Supermächte haben, in Grenzen und die innerdeutschen Beziehungen halbwegs stabil zu halten. Die erste Probe ihrer »Koalition der Vernunft« (Honecker) haben Kohl und Honecker schon bestanden - bei der Krise um die westdeutsche Vertretung in der DDR.

Der SED-Chef setzte gegen den heftigen Widerstand seines Sicherheitsapparats durch, daß selbst jene DDR-Flüchtlinge in der Vertretung, die als Angehörige der Nationalen Volksarmee oder Geheimnisträger unter verschärfter Strafandrohung standen, mit entsprechenden Zusicherungen der Ost-Behörden ausgestattet wurden und die westdeutsche Mission verlassen konnten. Honecker sicherte darüber hinaus zu, daß künftig keinem DDR-Bürger der freie Zugang zur Vertretung verwehrt und niemand bestraft werde, weil er das West-Haus in der Hannoverschen Straße aufgesucht habe.

Im Gegenzug machte die Bundesregierung in aller Öffentlichkeit unmißverständlich klar, daß die Vertretung nicht als Hintereingang in die Bundesrepublik dienen könne. Auch erklärte sich Bonn bereit, die Vertretung so umzubauen, daß eine Massenflucht in das Gebäude künftig ausgeschlossen scheint.

Zumindest für dieses Arrangement dürfen Kanzler und Staatsratsvorsitzender auf breite Zustimmung in ihren eigenen Reihen hoffen. Die Bonner erhielten in den vergangenen Wochen zahlreiche Briefe aus der DDR, in denen die Absender sich bitter über ihre Landsleute beklagten, die via Vertretung ihren schnellen Übertritt in den Westen erzwingen wollten. Während sie selbst, so der Tenor, seit Jahren zäh und geduldig um ihre Ausreise kämpften, würden jene, die es mit ihren Ellbogen versuchten, über einen roten Teppich rausgebracht.

Und selbst die Rechten im Westen halten still: Man müsse, da waren sich die Christsozialen letzte Woche in Banz einig, an alle 17 Millionen Brüder und Schwestern drüben denken und dürfe nicht für 50 alles aufs Spiel setzen.

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