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»DANN KOMMEN WIR EBEN WIEDER«

Von Siegfried Kogelfranz
aus DER SPIEGEL 13/1967

Der Bunker war aus Teak und Mahagoni und wirkte wie ein Warenhaus. Auf unbehauenen Stämmen der kostbaren Dschungelhölzer und auf Sandsackbarrieren hatte Oberst Garth von der Dritten Brigade der Vierten US-Infanterie-Division ("The Famous Fourth") Musterstücke der Beute ausgestellt, die seine Soldaten im Dickicht der Kriegszone C an der vietnamesischkambodschanischen Grenze gemacht hatten: alte deutsche Mauser-Gewehre, moderne Maschinenpistolen aus China, Kekse aus Kambodscha, Zündkerzen aus Jugoslawien, Fahrradrahmen aus Japan, eine Singer-Nähmaschine, Drucklettern, Reiswein, ein grünseidener BH und ein dazu passendes Höschen einer offenbar sehr zierlichen Vietnamesin.

Die Kostbarkeiten kamen aus Hütten, Höhlen und Bunkern der stärksten Festung, die Vietnams kommunistische Guerillas zwei Jahrzehnte lang unangefochten beherrscht hatten: aus dem von dichtem Dschungel bedeckten Niemandsland der Kriegszone C in der südvietnamesischen Provinz Tay Ninh.

Jetzt wurde die rote Festung geknackt. In der bisher größten Operation des Krieges, dem Unternehmen »Junction City«, zernierten 45 000 amerikanische und südvietnamesische Soldaten dieses Kerngebiet der Vietcong, in dem sich zeitweilig auch das militärische und politische Hauptquartier der Kommunisten für ganz Südvietnam befand. »Junction City« ist eine jener Operationen, von denen sich der amerikanische Oberbefehlshaber in Vietnam, General William ("Westy") Westmoreland, einen entscheidenden militärischen Durchbruch verspricht.

In dieser Woche will sich der General beim Kriegsrat auf der Pazifik-Insel Guam das O.K. des Präsidenten Johnson und noch mehr Truppen -- 600 000 statt der jetzigen 418 000 -- für seinen verschärften Krieg holen. Der Zustimmung seines obersten Kriegsherrn ist er sicher. Denn für Johnson drängt die Zeit. Der Präsident muß noch in diesem Jahr die Entscheidung in Vietnam erzwingen, will er 1968 aussichtsreich für eine neue Amtsperiode kandidieren.

Die Amerikaner in Saigon wollen Ho Tschi-minh durch die weitere Eskalation überzeugen, daß er »nicht nur den Krieg nicht gewinnen, sondern ihn auch nicht beliebig lange fortführen kann« (so US-Außenminister Rusk).

Die USA ziehen die Daumenschrauben daher immer schärfer an. Vorletzte Woche bombardierten sie erstmals Nordvietnams großes Stahl- und Chemiewerk in Thai Nguyen. Von der Guam-Konferenz wird die Freigabe der Mig-Flugplätze und bestimmter Zonen an der chinesischen Grenze für Bombenangriffe erwartet.

Gleichzeitig eskalieren die Verbündeten. Australien schickt eine Canberra-Bomberstaffel, Hubschrauber und Transportmaschinen nach Vietnam. Neuseeland verdoppelt sein kleines Expeditionskorps. Thailand. will 3000 Soldaten schicken -- 35 000 Freiwillige haben sich schon gemeldet.

Mit dieser bis Jahresmitte zumindest sechsfachen Obermacht über die roten Partisanen wollen die US-Militärs die Vietcong bis Ende 1267 auf die Stufe Eins des Partisanenkriegs, den lokalen Terror, zurückwerfen.

In den sogenannten SD-Operationen (search and destroy = suchen und zerstören) wie »Junction City« dringen die Amerikaner in das Kernland des Feindes vor. Es handelt sich um Gebiete, in denen sich die Partisanen bisher so sicher fühlten, daß sie um ihre Hütten zuweilen sogar Blumenbeete mit roten Sternen anlegten.

Mit Hunderten von Mannschaftswagen rückten die Amerikaner nach schwerem Bombardement hufeisenförmig bis ins Herz der Kriegszone C vor. Sie stießen zwar nur auf wenige Guerillas, denn die waren rechtzeitig nach Kambodscha entschlüpft. Aber sie zerstörten die Basis der Partisanen.

Die an der Operation beteiligten Einheiten fanden und vernichteten über 700 Bunker und Lager, davon fast hundert Basis-Camps. In ihnen lagerten Reisvorräte, die eine rote Division ein Jahr lang ernährt hätten.

»Das ist für uns auf. lange Sicht mehr wert als einige hundert tote Guerillas«, erklärte mir Brigadekommandeur Oberst Garth. »Wenn die Vietcong zurückkommen, finden sie keinen Reis und keine Munition mehr vor. Um neue Vorräte heranzuschaffen, brauchen sie Monate -- und tun sie es dennoch, dann kommen wir eben wieder.«

Die Amerikaner können schneller wiederkommen als zuvor. Wo bisher getarnte Dschungelpfade waren, gähnen jetzt riesige Bombenkrater. An strategisch wichtigen Stellen ist der Dschungel entlaubt. Flußufer sind freigehackt, ein engmaschiges Netz von freien Flächen wurde aus dem Wald gebrannt. Dort können Helikopter und sogar Transportflugzeuge landen. Der Dschungel ist kein Vietcong-Versteck mehr.

So wie die Kriegszone C zerniert wurde, geschah es vorher mit der Zone D und dem eisernen Dreieck bei Saigon, so geschieht es jetzt im Hochland, im zentralen Küstengebiet und im Mekong-Delta.

Dabei riskieren die US-Truppen größere Verluste als je zuvor: Der Höhepunkt der Operation »Junction City« Anfang März kostete die USA mit fast 1700 Toten und Verwundeten in einer Woche die bisher schwersten Opfer des Krieges. Für diesen Preis hoffen die amerikanischen Strategen in Saigon, dem Verhandlungsfrieden näherzukommen. Bis zum Herbst soll der Vietcong in ganz Vietnam keine große Basis, keinen Sammelpunkt für große Operationen und kein Rückzugsgebiet mehr haben.

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