»Dann müssen Behörden Brötchen backen«
Rund 100 000 Mark Kosten im Jahr für das öffentliche Klo am Marktplatz, so entrüstete sich Walter Ulbrich, Christdemokrat und Ratsherr in Ratingen bei Düsseldorf, »das ist zuviel": »Meine Frau und ich, wir machen's für die Hälfte.«
Aber noch ein anderer Gedanke kam dem Lokalpolitiker. Ob nicht, so fragte er bei der Stadtverwaltung an, in der Toilettensache wie auf anderen Gebieten statt der Beschäftigung »öffentlich Bediensteter« ein »Einsatz privater Unternehmer« geboten sei?
Das war die Zauberformel, mit der neuerdings landauf, landab Rettung beschworen wird: Privatisierung, Entkommunalisierung selbst dort, wo es nach Tradition und Selbstverständnis deutscher Beamtenschaft geradezu verboten sein müßte. Je heftiger Sparzwänge die Gemeinden bedrängen, je mehr Zweifel an der Wirksamkeit öffentlichen Dienstes wachsen, desto lauter wird die Forderung, städtische Aufgaben auf private Unternehmen zu verlagern -- die womöglich billiger und besser arbeiten.
Es stellt den Trend jüngster Jahre auf den Kopf -- denn eben noch klang es allenthalben und vor allem von links ganz anders, konnte Staat oder Städten gar nicht genug aufgehalst werden, galt es, die vorgeblich wahren Bedürfnisse des von Konsumterror und Profitgier gebeutelten Bürgers amtlich zu sichern.
Und Zweifel, ob künftig das Gemeinwohl dem privaten Soll und Haben unterliegen soll, erscheinen nicht abwegig. Denn was da mit abstraktem Vokabular umschrieben wird, berührt meist unmittelbar den Alltag der Bundesdeutschen. Was ist, wenn eine private Müllabfuhr der Rationalisierung und des Gewinns halber die Kehrichttonnen zwar entleert, aber dann am Straßenrand stehen läßt? Wer garantiert die Stromversorgung, wenn nicht mehr die Stadtwerke, sondern Meier & Co. dafür zuständig sind, daß die Suppe warm wird?
Wer wird sich noch die Straßenbahn leisten können, wenn ein privates Fuhrunternehmen dafür kostendeckende Preise fordert? Theater, Oper -- das wird dann, wenn die Kommunen sich zurückziehen, wirklich zum Kulturgut wohlhabender Kreise. Und wie wird es etwa den armen Alten ergehen, deren Heimplätze auf dem freien Markt gehandelt werden?
Kein Zweifel allerdings, daß auch in kommunaler Regie die Preise kräftig klettern und die Leistung oft zu wünschen übrig läßt, daß Schlendrian bedürftige Bürger trifft -- und alle dafür aufkommen müssen. Einig scheinen die Parteien denn auch zumindest in der
*Ballett. Toilettensäuberung, Müllabfuhr.
Vermutung zu sein, daß die totale Verwaltung noch keine paradiesischen Zustände beschert und vielfach weniger mehr bringen würde.
Öffentliche Versorgungsleistungen sollten, so fordert etwa die Bundes-CDU in ihrem jüngst präsentierten Entwurf eines Kommunalprogramms, »wo immer möglich privatisiert werden«. Der FDP-Bundesfachausschuß für Wirtschaft legte ein ähnliches Konzept vor, und auch unter Sozialdemokraten hat die Entkommunalisierungsdebatte begonnen: Beim Bau und beim Betrieb vieler städtischer Einrichtungen wären Privatfirmen, glaubt etwa Bonns Technologie-Staatssekretär Volker Hauff, »möglicherweise sehr viel leistungsfähiger« als die Kommunen.
Entlastung der Gemeinden von Aufgaben und Ausgaben -- das klingt verlockend in einer Zeit, in der manch eine Stadt schon »dem »De-facto-Bankrott' zutreibt« ("Süddeutsche Zeitung"). Die Kassen sind seit Monaten so leer, daß »wir nicht einmal mehr betteln gehen können«, gesteht Städtetag-Präside Bruno Weinberger: »Dazu haben wir schon zuviel Schulden.«
Nachdem die Gewerbesteuer-Einnahmen mancherorts um ein Drittel geschrumpft sind und das Einkommensteuer-Aufkommen unter das Vorjahres-Niveau gesunken ist, fühlen sich die Finanzverwalter in den Städten der Republik »übervorteilt und alleingelassen« (Haushaltsbericht der Stadt Karlsruhe). Und zugleich steigen die Personalkosten, die schon jetzt vielerorts 40 Prozent der laufenden Ausgaben ausmachen, ebenso wie die Zins- und Tilgungsverpflichtungen, die derzeit jede zwölfte Mark blockieren -- eine Zwangslage, in der sich Stadtväter, so ein Wiesbadener, fühlen wie jemand, »der bis zur Halskrause und an die Fingerspitzen eingegipst ist«.
Obendrein entfalten sich nun, zumal in den Ballungsräumen, Fehlentwicklungen, die sich schon in den sechziger Jahren ankündigten: Schulnöte und Verkehrsmiseren' steigende Kriminalitätsraten und stockende Stadtsanierung sowie eine Fülle bedrohlicher Einzelerscheinungen -- bis hin zur hohen Ausländerverdichtung etwa in Frankfurt, wo jedes dritte Kleinkind nicht Deutsch spricht.
Zwar bedrücken derlei Gefahren vor allem die großen Städte, aber sie könnten, warnt Frankfurts Oberbürgermeister Rudi Arndt, »morgen die Probleme von Marburg, Würzburg oder Bielefeld« sein »und übermorgen die von Frankenberg, Tutzingen oder Minden«. Und während Arndt schon den »Infarkt in den städtischen Zentren« nahen fühlt und der Hamburger Regent Hans-Ulrich Klose über die »Unregierbarkeit« großer Gemeinwesen meditiert, versuchen Stadtpolitiker seit Monaten, die Krise mit Gebührenerhöhungen oder mit dem Rotstift zu bannen.
Die einen lassen, wie in Duisburg, die Straßenlaternen früher abschalten; andere beschließen, wie in Berlin, die Beisetzung von zwei Särgen übereinander zu gestatten, um Land zu sparen: Stadtstaaten knapsen' ebenso wie die Flächenländer, trotz Lehrermangels am Schuletat -- Kürzungen, die häufig hilflos, bisweilen skurril anmuten und manchmal mehr Schaden stiften als Nutzen.
Wo Vorteil zu erwarten ist, wo Verschlechterung droht -- das ist auch in punkto Privatisierung noch heftig umstritten unter den notleidenden Kommunalpolitikern. Den meisten mangelt es an Detailkenntnis, erst recht an Erfahrung. Denn Westdeutschlands Verwaltungswissenschaftler haben gerade erst damit begonnen. Kosten und Nutzen verschiedener privater oder öffentlicher Formen des Bürger-Service präzise zu analysieren -- keine simple Sache angesichts des organisatorischen Flechtwerks in vielen Gemeinden.
Die Vielzahl städtischer Aktivitäten mutet oft unübersehbar an: Neben Ämtern, die unabweisbare gemeindliche Hoheits- und Dienstleistungsaufgaben erfüllten, gibt es -- in größeren Städten oft zu Hunderten -- Hilfsbetriebe, Unternehmen und andere Einrichtungen, deren kommunaler Charakter häufig nur historisch bedingt ist. Vom Aussichtsturm bis zum Zuchtbullen -- alles städtisch.
Die Kölner »Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung« kam bei dem Versuch, alle Kategorien gemeindeeigener Einrichtungen zu katalogisieren, schon in den sechziger Jahren auf nicht weniger als 200 Positionen -- vom Aussichtsturm bis zum Zuchtbullen in Stadtbesitz. Westdeutsche Kommunen unterhalten, so ergab die Untersuchung, Kühlhäuser und Wärmestuben. Brauereien und Weinberge, Skihügel und Schießstände, Bergwerke und Brausebäder, Kleingartenanlagen und Krematorien. In städtischen Diensten stehen Drahtseilbahnführer und Segelflugplatzwarte, Mütterberaterinnen und Friedhofsgärtner, Klofrauen und Kammermusiker, Freibankverkäufer und Asphaltaufbereitungsarbeiter.
Während die Rathauspolitiker ihr verfassungsmäßiges »Aufgabenerfindungsrecht« (Kommunal-Jargon) in den letzten Jahren reichlich nutzten, haben sie es, wie selbstkritisch der Städtetag verlautbarte, häufig »unterlassen. Aufgabenbestände zu überprüfen, ob sie reduziert oder im Einzelfall gänzlich aufgegeben werden könnten«.
Vielerorts aber existieren im Dschungel der städtischen Zuständigkeiten Einrichtungen, die auch ohne behutsame Güterabwägung und ohne Schaden für irgendwen abgeschafft werden können. Das Kölner Rechnungsprüfungsamt etwa fand heraus, daß die Kommune sich eine Stadtapotheke leistete, deren einzige Aufgabe darin bestand, als überflüssige -- Zwischenstation auf dem Wege vom Pharma-Handel zu den städtischen Krankenhäusern zu dienen. Und noch immer unterhalten bundesdeutsche Städte eigene Leihhäuser -- die zum Teil im 15. Jahrhundert gegründet worden sind, um das Volk vor Ausbeutung durch wucherische Geldgeber zu schützen.
In den letzten Jahren jedoch sind ausgerechnet die Zinssätze städtischer Leihämter der explodierenden Kosten wegen in nahezu wucherische Höhe emporgeschnellt, gerieten diese Häuser zugleich in die roten Zahlen. »Wer sich 100 Mark für rund zwölf Monate lieh, mußte nach einem Jahr rund 150 Mark zurückzahlen, wenn er sein Pfand wieder auslösen wollte«, berichtete ein Sprecher der Stadt Koblenz -- die ihr Leihamt mittlerweile geschlossen hat.
Ökonomischer Wandel hat auch andere Bereiche traditioneller Kommunal-Aktivitäten obsolet werden lassen -- von der Unterhaltung städtischer Schlachthöfe (SPIEGEL 44/1975) bis hin zur Veranstaltung von Messen: »Überspannter kommunaler Ehrgeiz im unverhüllten Wettbewerb mit anderen Messe- oder Ausstellungsstädten« könne, warnt der Ulmer Ex-Oberbürgermeister Theodor Pfizer, »Fehlinvestitionen in großem Ausmaß« bringen.
Spar-Chancen bieten sich insbesondere überall dort, wo städtische Bedienstete mit -- keineswegs hoheitlichen -- Aufgaben betraut sind, die auch von einer Vielzahl privater Firmen erfüllt werden könnten. Beispiel: die Garten- und Friedhofsämter.
Dortmunds Verwaltung etwa ist in diesem Jahr dazu übergegangen, die Pflege aller Grünanlagen privaten Gartenbaubetrieben zu übertragen; die Stadt rechnet nun mit jährlichen Einsparungen von mehr als einer Million Mark. In Mainz werden alle Friedhofsgräber von Privaten gebuddelt.
Saarbrückens Stadtverwalter haben zu schätzen gelernt, daß Gartenbaufirmen »anders als wir auch mal für eine Woche Unkrautjäten Hilfsarbeiter einsetzen können«. Aus ähnlichen Gründen lassen sich die Saarbrücker auch das Kassenpersonal für ihren Zoo und für den
»Deutsch-französischen Garten« von einem Privatunternehmen stellen: »Die freie Wirtschaft«, berichtet ein Verwaltungssprecher, »kann da Studenten oder Rentner hinsetzen, die sie nur während der Saison bezahlen muß. Das hat zu erheblichen Ersparnissen geführt.«
Millionbeträge könnten auch dann für andere, wichtigere Zwecke freigestellt werden, wenn mehr Gemeinden dem Beispiel Ludwigshafens folgten, das vor einem Jahr seine Stadtküche aufgelöst hat und seither Kindergärten und Horte von Privatküchen versorgen läßt. Und wenn mehr Städte als bisher den Abtransport herrenloser Autowracks per Vertrag Schrotthändlern übertragen (wie in Mainz geschehen) oder ihre defizitären Plakatierungsgesellschaften veräußern würden: In Wuppertal etwa kleistern derzeit 14 Privat-Kleber ein Pensum, für dessen Bewältigung wenige Monate zuvor noch 23 städtische Bedienstete nötig schienen.
»Mehr als die Hälfte« einsparen läßt sich, wie die Stadt Kiel bewiesen hat, auch bei kommunalen Dienstwagenparks: Seit Mitte der sechziger Jahre hat Kiel seine Fahrbereitschaft von zwölf Wagen mit Chauffeur auf drei reduziert. Eine Untersuchung hatte ergeben, daß die Fahrzeuge nur werktags von 10 bis 13 Uhr voll ausgelastet waren, sonst aber samt Fahrer zumeist pausierten. Seither gehen Kiels Beamte und Angestellte vormittags öfter mal mit der Taxe oder, gegen Kilometergeld-Erstattung, mit dem eigenen Wagen auf Dienstfahrt.
Vielerorts fragen sich Ratspolitiker neuerdings auch, warum eigentlich behördeneigene Gebäude unbedingt von behördeneigenen Kräften gereinigt werden massen. »Nach derselben Logik«, sinniert ein Rationalisierungsfachmann deS Hamburger Senats, »müßten auch die Brötchen für die Behördenkantinen von behördeneigenen Bäckern gebacken werden.«
Wieviel bei einer Privatisierung der Gebäudesäuberung gespart werden kann, hat unlängst die Stadt Worms berechnet. 1974 noch ließ sich die Verwaltung die Reinigung der »Kerschensteiner Schule« 285 500 Mark kosten. Die Vergütung für ein Unternehmen hingegen, das dort seit dem 1. Januar putzt, wird zum Jahresende lediglich rund 120 000 Mark ausmachen. In Dortmund, wo derzeit jedes fünfte städtische Gebäude privat gesäubert wird, spart der Kämmerer auf diese Weise fünf Millionen Mark -- jährlich.
Die privaten Reinigungsunternehmen erklären solche Kosten-Differenzen damit, daß ihr Putzpersonal -- durch straffe Aufsicht, moderne Maschinen und rationelles Teamwork -- es oftmals auf doppelt so hohe Quadratmeter-Leistungen wie behördliche Raumpflegerinnen bringt. Das Hamburger Senatsamt für den Verwaltungsdienst sieht des Sparwunders Gründe zudem darin, daß für die 8000 Mitarbeiter im Putzdienst das »notwendige Management in der öffentlichen Verwaltung« nicht zur Verfügung steht; sie werden, so das Amt, »am Rande mitgemanagt« -- von allen möglichen Ressorts:
* Finanzhehörde (Zuweisung von Mitteln, Lohnabrechnung), Organisationsamt (Verwaltung von Planstellen, Richtzahlen für die Reinigung),
* Personalamt (Tarifverträge, Einstellungsuntersuchungen),
* Betriebskrankenkasse (Krankenversicherung, Krankenbetreuung),
* Baubehörde (Auswahl von Maschinen und Pflegemitteln),
* Arbeits- und Sozialbehörde (Unfallverhütungsvorschriften),
* Innenbehörde (Führung der Personalstatistiken),
* Bezirksämter sowie Fachbehörden (Werbung, Einstellung, Kontrolle),
* Personalräte (Mitsprache bei Einstellung und Entlassung).
Würden die städtischen Gebäude Hamburgs (mit Ausnahme der Krankenhäuser) privat gereinigt, ließen sich jährlich mindestens 30 Millionen Mark einsparen -- eine Chance, die der sozialliberale Senat, wenn auch behutsam, nutzen will. SPD-Geschäftsführer Paul Busse: »Keine Putzfrau' die jetzt freiwillig ausscheidet, wird ersetzt.« Die Risiken bei der Reinigung sind allerdings auch gering: Es gibt hinreichend Konkurrenz auf dem freien Markt, die Kommunen können unter Unternehmern und Preisen wählen und seriöse Firmen, die Tariflöhne zahlen, bevorzugen. Solche Selektion aber, Voraussetzung sinnvoller Privatisierung, scheint auf manch anderem Gebiet kommunaler Dienstleistung nicht dauerhaft garantiert. So warnt etwa Duisburgs Oberstadtdirektor Ernst Caumanns davor, ausschließlich private Müll-Brigaden einzusetzen. Private Müllabfuhr:
»Stapelweise Anerkennung.«
»Bei einer Stadt mit 600 000 Einwohnern«, argumentiert der Verwaltungsmann, »müßte ein privates Unternehmen riesige Investitionen vornehmen, um die Entsorgung sicherzustellen. Von Konkurrenz kann dann wohl nicht mehr die Rede sein.« Dortmunds Hauptamtsleiter Heinz Luttmann weiß von der »Entwicklung in amerikanischen Städten« zu berichten, »wo die Preisentwicklung ins Uferlose« gegangen sei, nachdem die Kommunen erst einmal den eigenen Müllfuhrpark aufgelöst hatten und »private Unternehmen den Markt beherrschten«.
Zudem schätzen viele Kommunen die Möglichkeit, eigene Stadtreiniger notfalls als Mehrzweck-Männer einsetzen zu können: »In Katastrophenfällen und auch bei anderen unvorhersehbaren Ereignissen' zum Beispiel im Winterdienst«, erläutert Städtetag-Fachreferent Hans-Joachim Müller, bieten die Stadtreinigungstrupps eine »schnelle und gezielt einsetzbare« Eingreifreserve, ohne daß der Kommune »merkbare zusätzliche Kosten« entstehen.
Andererseits' gibt Müller zu, trägt »eine gewisse Schwerfälligkeit der kommunalen Verwaltung« dazu bei, daß »gegenüber einem Privatbetrieb überhöhte Kostenfaktoren« auftreten. Theo Wessendorf, Kämmerer der 15 000-Einwohner-Stadt Hückeswagen im Rhein-Wupper-Kreis, hat wie viele seiner Kollegen den Eindruck gewonnen, daß »privatwirtschaftliche Müllabfuhr kostengünstiger arbeiten kann«.
Vor allem Gemeinden unter 50 000 Einwohnern, die den Aufbau eines eigenen, kaum voll auszulastenden Müllfuhrparks scheuen, sind in den vergangenen Jahren denn auch dazu übergegangen, mit Städtereinigungsfirmen zu kooperieren; Privat-Entsorger fahren mittlerweile 47 Prozent des bundesdeutschen Hausmülls ab. »Bei uns«, berichtet Fritz Schulte, Geschäftsführer des Verbandes privater Städtereinigungsbetriebe, »stapeln sich die Anerkennungsschreiben von kleinen und mittleren Städten.«
Weil es sich um Haus- und nicht um Giftmüll handelt, nehmen es diese Kunden gern in Kauf, daß private Müllwerker zuweilen nicht ganz so sorgsam zu arbeiten scheinen wie ihre kommunalen Kollegen. »Manchmal stehen die Eimer nicht exakt auf dem alten Platz«, rügt Alois Wolters, Stadtdirektor von Wesel; er räumt aber ein: »Öffentlich Bedienstete haben dafür ja auch etwas mehr Zeit.«
Angesichts der Chancen, aber auch der Risiken externer Müllabfuhr liebäugeln defizitbedrängte Stadtväter mit Möglichkeiten, die finanziellen Privatisierungsvorteile zu nutzen, ohne sich in Abhängigkeit von Monopolbetrieben zu begeben. Als Vorbild bietet sich abermals das traditionell privatisierungsfreudige Kiel an: Dort werden seit der Jahrhundertwende rund 70 Prozent des Hausmülls privat transportiert -- nicht von einem Großbetrieb, sondern von zehn Einzelunternehmen. Ein anderes Modell haben sich Hamburgs Spar-Spezialisten von einer Wirtschaftsberatungsgesellschaft ersinnen lassen: Statt Privatisierung schlagen sie eine Ausgliederung der Müllabfuhr aus der Verwaltungsbürokratie vor -- genauer: die »Bildung einer selbständigen Betriebseinheit Stadtreinigung in der Rechtsform einer teilrechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts«. Die Planer glauben, daß eine Abtrennung dieses »geschlossenen Komplexes« von der schwerfälligen Staatsverwaltung ein »flexibleres Arbeiten« ermöglicht.
Ähnliches hat sich woanders bereits bewährt. So haben schon vor Jahren manche Städte und Landkreise etwa die Aufgabe der Industrieansiedlung auf eigens gegründete Gesellschaften übertragen: Abseits der holprigen Dienstwege, befreit von behördlicher Immobilität und von starren haushaltsrechtlichen Vorschriften konnten diese Unternehmungen häufig erfolgreicher arbeiten als ihre konventionell organisierten Konkurrenten.
Doch in jüngster Zeit erst haben sich bundesdeutsche Verwaltungswissenschaftler darangemacht, systematisch zu erforschen, mit welcher der vielen denkbaren Organisationsformen -- vom städtischen Eigenbetrieb über verselbständigte Einheiten bis hin zum privaten Unternehmen -- staatliche und kommunale Aufgaben jeweils am besten zu bewältigen wären.
So widmete Ende letzten Jahres die deutsche Sektion des »Internationalen Instituts für Verwaltungswissenschaften« ihre Mitgliederversammlung erstmals der Diskussion über die »Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch autonome Organisationen«; Ende September veranstaltete die Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer zum selben Thema ein Sonderseminar.
Hamburgs Regierung läßt derzeit -- wie der hanseatische Oberregierungsrat Rudolf Dieckmann den Seminaristen in Speyer berichtete -- neben der Stadtreinigung eine Reihe anderer Komplexe daraufhin untersuchen, ob sie nicht verselbständigt werden sollten, so
* die zersplitterte Verwaltung und Unterhaltung der 4500 städtischen Gebäude, für die sieben Bezirksämter und diverse Fachbehörden zuständig sind und mit der sich rund 2400 Architekten, Handwerker und Hausmeister befassen;
* den Bau und Betrieb der Sielanlagen und Klärwerke, um die sich derzeit in verschiedenen Ämtern insgesamt 1300 Bedienstete kümmern;
* die Wartung der fast 4000 Fahrzeuge von Feuerwehr, Polizei, Krankenhäusern und anderen Verwaltungsstellen, für die eine Vielzahl von Reparaturwerkstätten und Kraftfahrzeugparks unterhalten wird;
* die 15 allgemeinen Krankenhäuser, für die möglicherweise gleichfalls »in betrieblicher Hinsicht bessere Voraussetzungen durch eine gewisse Selbständigkeit zu erreichen wären« (Dieckmann).
»Die Privaten wollen nur die Rosinen.
Die Einrichtung von Betriebseinheiten nach Hamburger Art, die mit modernen Management-Methoden geführt werden und dennoch öffentlicher Kontrolle nicht entzogen sind, bietet sieh für viele jener Verwaltungsbereiche an, die nicht privatisiert werden können oder sollten -- und das sind, so scheint es, nicht wenige.
Problematisch wäre etwa eine Kommerzialisierung jener öffentlichen Leistungen, die der »Erfüllung des sozialstaatlichen Verfassungsauftrags« (Städtetag) dienen -- von der Jugendpflege bis zur Altenhilfe, vom Schulwesen bis zum Nahverkehr. Denn betriebswirtschaftliche Rentabilität wäre hier, wenn überhaupt, nur auf Kosten der sozial Schwächsten zu erreichen; zudem könnte sich mancher Vorteil als vordergründig erweisen.
Würden etwa die Nahverkehrsunternehmen wirklich privatisiert, also auch nicht subventioniert, wären groteske Preissprünge die Folge. Überdies aber würde der innerstädtische Verkehr bedrohlich belastet: Noch mehr Bus- und Trambahn-Kunden würden aufs Auto umsteigen. Und ohnehin fänden sich für derlei Zuschußunternehmen kaum Käufer. Kiels Bürgermeister Hans-Joachim Barow scherzt, er würde die Verkehrsbetriebe (Jahres-Minus: 11,3 Millionen Mark) »ja gern in Privathand überführen, aber dafür gibt es keinen Interessenten«; allenfalls lassen sich städtische Nachtbusse mancherorts durch Linientaxis ersetzen.
Als ebenso zweischneidig könnte sich beispielsweise die Privatisierung kommunaler Kulturaufgaben erweisen, von Volkshochschulen bis zu Museen. Sofern sich dafür überhaupt Interessenten fänden, würde eine Vervielfachung der Theater-Eintrittspreise, so der ehemalige hannoversche Oberstadtdirektor Martin Neuffer, den ohnehin begrenzten Kontakt mit der Kunst vollends »zu einem Privileg der reichen Leute« machen, Auf die Frage, ob Kunstförderung nicht überflüssig sei, hat Neuffer. derzeit NDR-Intendant, eine bündige Antwort: »Auch Blumen sind überflüssig, auch 5998- von 6000 mal Geschlechtsverkehr.«
Unwohlsein erfaßt viele Kommunalpolitiker auch bei dem Gedanken, die lebenswichtige Energieversorgung in Privathand zu geben: Sie fürchten, daß kommerzielle Versorger das Monopol mißbrauchen und die Kommunen obendrein mit den Stadtwerken ein »positiv einzusetzendes Instrument« der Stadtentwicklung verlieren würden (Städtetag).
Viele Stadtverwalter teilen zudem die Bedenken des ÖTV-Chefs Heinz Kluncker, der meint, die Privaten wollten sich »nur die Rosinen« heraussuchen: Ein Stromproduzent würde »vielleicht auch Wasser verkaufen, aber mit den Abwässern will er nichts zu tun haben. Dieses finanziell miese Geschäft bleibt den Gemeinden«.
So eindrucksvoll die Paradebeispiele aus dem Putzwesen und den Pfandämtern auch sind -- die Ansicht, bundesdeutsche Städte könnten »generell ihr Heil in der Privatisierung suchen«, ist für Fachleute wie den Wuppertaler Oberstadtdirektor Rolf Krumsiek (SPD) schiere »Illusion«; auch für Christdemokraten wie den Stuttgarter OB und Generalssohn Manfred Rommel ist Entkommunalisierung »keine Wunderwaffe«. Ob eine Leistung von der Stadt zu produzieren ist oder von Privaten, so doziert der Tübinger Staatsrechtler Theodor Eschenburg' dürfe »nicht länger eine Frage der Ideologie« sein -- den Ausschlag müsse jeweils die »Zweckmäßigkeit« geben.
Sachgerecht aber scheint in weiten Bereichen der Kommunalverwaltung weniger Privatisierung denn Rationalisierung. Verfehlt ist häufig nicht, daß Aufgaben von der Bürokratie erledigt werden, sondern wie dies geschieht: nach dem leistungsfeindlichen Reglement des öffentlichen Dienstrechts. So gilt noch immer, daß die Beförderungsmöglichkeit eines Stadtbediensteten mit der Anzahl seiner Untergebenen wächst -- mit der natürlichen Folge, daß kein Beamter dabei hilft, seine eigenen Karriere-Chancen wegzurationalisieren. Und immer noch hängt die Stellung eines Amtsleiters »weitgehend von der Höhe des Budgets ab, über das er verfügen kann« -- so daß nach Feststellung Speyerer Verwaltungswissenschaftler allerorten »vor Abschluß des Haushaltsjahres verbliebene Mittel überstürzt ausgegeben werden, um eine Reduzierung des Budgets in den nächsten Jahren zu vermeiden«.
Beide Mängel wiederum bedingen nahezu zwangsläufig, daß auch in den kommunalen Bürokratien überflüssig gewordene Ausgaben mit Hingabe kultiviert werden und selbst naheliegende Einsparungsmöglichkeiten ungenutzt bleiben. Und so wäre womöglich mit der seit Jahren überfälligen Reform des öffentlichen Dienstes den Städten auf vielen Gebieten eher gedient als mit Privatisierung -- so sinnvoll diese auch hier oder dort sein mag.
Die Reform wird weiter auf sich warten lassen, eine Ausgliederung kommunaler Betriebszweige hat ihre Grenzen: Westdeutschlands Stadtverwalter, so scheint's, werden auch fürderhin nach der Patentlösung suchen. Daß die Umschichtung vom Öffentlichen aufs Private in Gang kommt, steht gleichwohl außer Zweifel. Ungewiß sind nur die Folgen für den Bürger.
Selbst der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums' der kürzlich pauschal empfahl, Privatisierungsmöglichkeiten zu nutzen, räumte ein, »die Aufdeckung konkreter Fälle« sei »freilich keine leichte Aufgabe«. Und »wahrscheinlich«, meinen die Finanzgelehrten' sei das Problem »überhaupt nur dadurch zu lösen, daß stets neue Proben aufs Exempel gewagt werden«.