Das Buch vom Fürsten, das Buch vom Menschen
Das Stichwort ist gefallen. Der Machiavell-Schüler Herbert Wehner hat den Machiavell-Schüler Franz Josef Strauß einen »alternden Machiavellisten« genannt; alle beide Schüler des Uralt-Machiavell-Großmeisters Konrad Adenauer. Die Aura der Stadt Firenze leiht auch dem Vater aller Politologie neuen Glanz.
Rechtzeitig zur Medici-Ausstellung in Florenz läßt der Kölner Soziologe Rene König sein Machiavell-Buch aus dem Jahre 1941 neu auflegen. Im Palazzo Vecchio der Stadt Florenz ist plötzlich das Amtszimmer des Niccolo Machiavelli zu sehen, des bestallten Sekretärs für außen- und militärpolitische Fragen zwischen 1498 und 1512. Wer eine Ausstellung betreibt, will alles ganz genau wissen.
Ist auch das Zimmer des florentinischen Staatssekretärs nicht über jeden Zweifel erhaben, so doch das Gefängnis des Dominikanermönches Savonarola, des Priors von San Marco, ganz oben im Turm des Palazzo Vecchio, in dem sogenannten »Zimmerchen«. Dieser uns sehr viel liebere »Ajatollah« hatte sich 1494 zum Herrn der Stadt aufgeworfen, er wurde 1498 auf Wunsch des Borgia-Papstes Alexander VI. gehängt und anschließend verbrannt. Machiavelli hatte zwei seiner Predigten gehört, er fand ihn zwei Monate vor der Verbrennung »mit der Zeitströmung schwimmend und seine Lügen entsprechend färbend«.
Michelangelo, der Machiavelli 1529 als Befestigungskommissar nachfolgte; Leonardo da Vinci, auf dessen Plänen zur Ableitung des Arno und zur Belagerung Pisas der Kriegssekretär Machiavelli 1503 fußen konnte; Botticelli, der die Freundin des 1478 ermordeten Giuliano de'' Medici malte ("Primavera") und der den Savonarola verehrte; die berühmten Stadtherren Cosimo der Alte und Lorenzo der Prächtige; die Medici-Päpste Leo X. und Clemens VII.; der Leo-Neffe Lorenzo, dem der »Principe« gewidmet ist und dessen Tochter als Königin von Frankreich die »Bartholomäusnacht« anrichtete. Sie alle und ganz bestimmt Machiavelli selbst sind die großen Namen der Renaissance-Blüte des Stadtstaates Florenz, die 1527, mit der Verwüstung Roms durch die Heere Kaiser Karls V. ("Sacco di Roma"), zu Ende ging. Bis dahin, und seit Dante, dem Machiavelli als dem Schöpfer der florentinisch-italienischen Hochsprache eine Epistel widmete, war Florenz der kulturelle Mittelpunkt der Welt.
Einer fehlt in diesem Florentiner-Reigen, einer, den einzig der eingefleischte Florentiner Machiavell berühmt gemacht hat: Cesare Borgia, geboren 1475, gestorben 1507, Sohn des spanischen Papstes Alexander VI., Kardinal von seinem 18. bis zu seinem 23. Jahr. Er wurde, ein unerhörter Vorgang, 1498 in den weltlichen Stand zurückversetzt, um Soldat zu werden und eine Frau zu heiraten, wurde von Gnaden Ludwigs XII. »Herzog von Valentinois«, der Grafschaften Valence und Diois oberhalb Avignons, von Gnaden des päpstlichen Vaters »Duca di Romagna«, genannt »Il Valentino« oder »Valentinus« oder »Der Herzog Valentino«, zwischen 1499 und 1503 drei Jahre lang der Schrecken Mittelitaliens und auf Ewigkeit der Held des Buches »Il Principe«.
Was macht den florentinischen Staatssekretär, geboren 1469, gestorben 1527, zu einem der berühmtesten Schriftsteller, zu einem Inbegriff der Stadt Florenz wie vor ihm nur Dante?
Er ist modern als Schriftsteller, wie man den Hohenstaufen-Kaiser Friedrich II. den ersten modernen Menschen auf dem Thron genannt hat. Er ist altmodisch, insofern die Neuzeit jetzt zu Ende geht. Johann Gottlieb Fichte bescheinigt ihm »Züge echt heidnischer Ausgelassenheit und genialischer Gottlosigkeit«.
Andere waren so, er schrieb so. Dies teilte er seinem Gönner, dem Medici-Papst Clemens VII., in seiner dem Papst gewidmeten »lorentinischen Geschichte mit: So wie bis auf diese Zeit keine » » Meldung geschehen ist von Nepoten oder Verwandten irgendeines » » Papstes, so wird von nun an von solchen die Geschichte voll » » sein, bis wir sodann auch auf die Söhne kommen werden; und so » » ist dann den künftigen Päpsten keine Steigerung mehr übrig, » » als daß sie, so wie sie bisher diese ihre Söhne in » » Fürstentümer einzusetzen gesucht haben, denselben auch den » » päpstlichen Stuhl erblich hinterlassen. » S.125
Fichte meint dazu, die Päpste und die Großen der Kirche damals hätten ihr ganzes Wesen lediglich als ein »Blendwerk für den niedrigsten Pöbel« betrachtet. Gleichviel, dies war der Geist der Zeit, auf den Begriff gebracht von Machiavelli, dem wichtigsten Geschichtsschreiber seit dem Griechen Thukydides.
Wie wir alle von Clausewitz, so hat auch Clausewitz von Machiavell gelernt. Im Jahre 1809 schrieb er einen anonymen Brief an den damals 46jährigen Fichte, vorsichtig die Kriegsvorstellungen des Florentiners kritisierend. Vom Fürsten, dem obersten Gewalthaber, verlangt Machiavell, daß er einzig das Kriegswesen im Auge habe (was heute nicht mehr genügt, obwohl beide Kanzler-Konkurrenten der Bundesrepublik gewesene Verteidigungsminister sind). Der Fürst, oder oberste Machthaber, soll auf die Jagd gehen, teils um sich fit zu halten, teils um sein Auge in der Landschaft für kriegerische Zwecke zu schulen. Zu Zeiten des hervorragendsten Machiavell-Schülers, Friedrich von Preußen, der selbst nicht jagte, war das vielleicht noch von Nutzen.
Fichte schrieb über Machiavell angesichts der verfehlten und schmählichen Politik Preußens gegenüber Napoleon 1807. An Hand des Florentiners erwog er die Vorteile und Nachteile der Nichteinmischung und der bewaffneten Neutralität. Sein hochfliegender Geist erreichte, wie der Historiker Friedrich »einecke sagt, in dieser Arbeit »den Punkt der größten Erdennähe":« » Aber mit den Waffen in der Hand zuzusehen, wie der eine Teil » » unmäßig geschwächt werde, und der andere unmäßig wachse, » » diesem Fehler hinterher noch den zweiten hinzuzutun, daß man » » sie sich selbst vertragen lasse, so gut es gehen will, als ob » » wir gar nicht da wären, und nun hingehe, und sich ruhig » » entwaffne; dieser Gebrauch der bewaffneten Neutralität hat, » » außer allen von M(achiavell) dargelegten Fehlern der » » Neutralität noch diesen, daß er die Achtung für uns noch weit » » entscheidender verringert, und daß wir, durch die Kosten der » » Bewaffnung und der Erhaltung auf dem Kriegsfuße nur diese » » Verachtung uns erkauft haben. »
Da könnten denn, wenn es West-Berlin nicht gäbe, CDU und CSU zustimmen. Und auch Afghanistan und der Iran kämen zur Rede, da »ichte aus dem Machiavell seine beiden Leitsätze destilliert: 1. » » Der Nachbar, es sei, daß er dich als seinen natürlichen » » Alliierten gegen eine andere euch beiden furchtbare Macht » » betrachten müsse, ist stets bereit, bei der ersten » » Gelegenheit, da er es mit Sicherheit können wird, sich auf » » deine Kosten zu vergrößern. Er muß es tun, wenn er klug ist, » und kann es nicht lassen, und wenn er dein Bruder wäre.
» 2. Es ist gar nicht hinreichend, daß du dein eigentliches » » Territorium verteidigest, sondern auf alles, was auf deine » » Lage Einfluß haben kann, behalte unverrückt die Augen offen, » » dulde durchaus nicht, daß irgend etwas innerhalb dieser » » Grenzen deines Einflusses zu deinem Nachteile verändert » » werde, und säume keinen Augenblick, wenn du darin etwas zu » » deinem Vorteile verändern kannst; denn sei versichert, daß » » der andere dasselbe tun wird, sobald er kann, versäumst du es » » nun an deinem Teile, so bleibst du hinter ihm zurück. Wer » » nicht zunimmt, der nimmt, wenn andere zunehmen, ab. »
Man wird nicht sagen können, daß die Machthaber je anders gehandelt hätten. Aber Machiavelli schreibt es ihnen auf. Er betet an die Macht, geschult vielleicht an der Ohnmacht seines Vaterlandes Florenz.
Spricht er klar aus, was den Fürsten und obersten Machthaber angeht, so wird er höchst unklar, wenn er »das Volk«, »die Massen« beschreibt. Meist ist das Volk bei ihm Knetmasse in des Töpfers, des »Principe« Hand.
Er will die »Freiheit«, aber nur der einzelne kann einen Staat gründen. Der Staat, wie groß auch immer, ist Selbstzweck. Der Ehrgeiz des einzelnen, einen Staat zu gründen oder zu vergrößern, ist Selbstzweck.
Der Erfolg rechtfertigt jedes Mittel. Wer Gewalt braucht, um aufzubauen, verdient nicht Tadel, sondern Lob. Er soll seine Alleinherrschaft nur nicht vererben wollen (wie es später die beiden Napoleons versuchten). Und ob nun Volksherrschaft, Adelsherrschaft oder Alleinherrschaft, oder eine Mischung aus zweien oder dreien von »iesen, immer gilt: Alle, die über Politik schrieben, beweisen es« » und die Geschichte belegt es durch viele Beispiele, daß der, » » welcher einem Staatswesen Verfassung und Gesetze gibt, davon » » ausgehen muß, daß alle Menschen schlecht sind und daß sie » » stets ihren bösen Neigungen folgen, sobald sie Gelegenheit » » dazu haben. »
Hier ist der Machiavell schlicht verworren. Zwar kann Herrschaft nur dauern, wenn sie auf den Schultern »vieler« ruht, Adel oder Volk »der beides. Wohingegen: Viele Köpfe sind nicht dazu geeignet, » » Ordnung in ein Staatswesen zu bringen, weil sie bei der » » Verschiedenheit der Meinungen, die von allen Seiten geltend » » gemacht werden, das Beste für dieses nicht zu erkennen » » vermögen; ebensowenig können sie sich entschließen, von einer » » bestehenden Ordnung, die sie als gut erkannt haben, wieder » » abzugehen. »
Die Menschen sind wankelmütig und dumm, sie ändern sich nicht. Sie wählen immer den Mittelweg, den schädlichsten von allen. Sie verstehen weder ganz böse noch ganz gut zu sein. Sie arbeiten weniger aus eigenem Antrieb als unter Zwang.
Andererseits: »Ohne die Masse des Volkes zufriedenzustellen, kann man niemals ein dauerhaftes Staatswesen gründen.« In allen Gemeinwesen, sagt unser Politicus, gelangen nur 40 bis 50 S.127 Bürger in die leitenden Stellungen. Man muß sie entweder aus dem Wege räumen oder mit Ehrungen abfinden. Die pluralistische Demokratie, »one man, one vote«, konnte er sich noch nicht vorstellen.
Man versteht das Genie des Machiavell nicht, wenn man jede seiner Maximen wörtlich und für wahr nimmt. Schließlich war er der erste, der politische Maximen aus der Vergangenheit und aus der Gegenwart herauszufiltern suchte. Oft genug kann man sie einfach in ihr Gegenteil verkehren. ("Die Menschen schätzen Besitz viel höher als Ehrungen.")
Clausewitz hat somit recht und unrecht, wenn er die Philosophie des Machiavell für »manchmal etwas kindlich« erklärt. Wir Zwerge stehen auf den Schultern dieser Riesen und sehen deshalb weiter als sie. Der Florentiner war geschichtlich und politisch und schriftstellerisch und sogar als Stückeschreiber ein universal gebildeter Mensch, ohne Sinn allerdings für die bildenden Künste. Er war auch ein Mann der Praxis.
Hier sollten wir einen Irrtum, der Rene Königs neuaufgelegtes Machiavell-Buch
( Rene König: »Niccolo Machiavelli. Zur ) ( Krisenanalyse einer Zeitenwende«. Carl ) ( Hanser Verlag, München; 360 Seiten; ) ( 29,80 Mark. )
bis zur letzten Seite durchzieht, gleich ausräumen: Es ist falsch und unstatthaft, den Niccolo Machiavelli einen »gescheiterten Politiker« zu nennen.
Er diente der Republik Florenz 14 Jahre lang, von 1498 bis 1512. Die Politiker aus den begüterten Familien, die »Signori«, kamen und gingen, der beamtete Staatssekretär blieb.
Er war der engste Vertraute des 1502 auf Lebenszeit gewählten Gonfaloniere (eine Art Staatsoberhaupt) Soderini und fiel mit diesem, als die Medici 1512 zurückkehrten. Sein größter Erfolg war die Rückeroberung der Stadt Pisa, die er unermüdlich betrieb; sein größter »Mißerfolg«, daß er in wichtige Ämter nach seinem Sturz nicht mehr berufen wurde.
Zwar war Soderini kein herausragender Staatsmann wie zuvor Cosimo der Alte und Lorenzo der Prächtige; aber das konnte der Sekretär sich nicht auswählen, wenn er, wie er tat, die Macht suchte. Gab es irgendeine heikle Mission, sei es bei König Ludwig XII. von Frankreich, bei Kaiser Maximilian oder Papst Julius II., sei es auch bei dem Herzog Valentino, man bestellte ihn zum Sondergesandten. 52 Gesandtenberichte schrieb er als Mann vor Ort bei Cesare Borgia, seinem größten Bildungserlebnis.
Das Lob dieses Herzogs Valentino sang er seiner Signoria so lauthals, daß er, sehr zu Unrecht, verdächtigt wurde, von ihm bestochen worden zu sein -- und war doch nur von dessen Wesen und Erfolg geblendet, wie etwa der weiland französische Botschafter S.128 Francois-Poncet von Adolf Hitler. In des Machiavelli Worten: Cesare verstand, in Ehren böse zu sein. Er konnte eine böse Tat, wenn in ihr an sich Größe lag oder wenn sie in gewisser Hinsicht großherzig war, auch ausführen.
Die Eroberung der Stadt Pisa im Jahre 1509, 14 Jahre erfolglos betrieben, gelang hauptsächlich, weil Machiavelli die Aufstellung von Milizen ("battaglioni") betrieben und durchgesetzt hatte. Sie erwiesen sich 1512 vor Prato gegenüber spanischen Söldner-Heeren als wirkungslos, verheerten aber das Land um Pisa herum so gründlich, daß die Landbevölkerung die Städter mit ihrer Kriegsmüdigkeit ansteckte.
Riesige Schlachten, wie fünfzig Jahre später auf den für den Großherzog Cosimo I. verfertigten Gemälden von Vasari zu sehen, wurden hier nicht geschlagen, vielmehr die Stadt ausgehungert. Zum Instrukteur der Milizen war 1506 auf Betreiben Machiavellis jener höchst grausame und höchst treue Henker des Cesare Borgia berufen, Don Michelotto Corella, der auf Geheiß seines Herrn den Mann der Cesare-Schwester Lucrezia Borgia mit eigenen Händen erwürgt hatte.
Der Krieg gegen Pisa wurde 1509 ernsthaft betrieben, der Arno vor Pisa umgeleitet. Pläne dazu hatte 1503 das Rundum-Genie Leonardo da Vinci ausgearbeitet, der bis zu dessen Sturz dem Herzog Valentino als oberster Ingenieur gedient hatte. Mit Festungsbau und Pionierplänen waren damals die großen Maler und Bildhauer, mal hauptamtlich, mal nebenbei, beschäftigt. »Wo bleibt Valentino«, notiert sich Leonardo 1503.
Als die Medici 1512 in die Stadt zurückkehrten, verbannten sie auch den Machiavell. Unter dem (vermutlich falschen) Verdacht, sich gegen die Medici verschworen zu haben, wurde er vier Wochen eingesperrt, mit »Ratten, so groß wie Katzen, und Läusen, so groß wie Schmetterlinge«, viermal der Streckfolter unterworfen.
1527, angesichts der Heere des Kaisers Karl V., mußten die Medici wieder einmal die Stadt räumen, einer der ihren, Clemens VII., war Papst. Bei den Unruhen beschädigte ein Wurfgeschoß, hoch vom Palazzo Vecchio geschleudert, den David S.129 des Michelangelo auf der Piazza, damals noch das Original.
Die Medici, hauptsächlich der ehemalige Kardinal Giulio, jetzige Papst Clemens VII., hatten sich noch des Kriegssekretärs vor Pisa, des Messer Niccolo Machiavelli, entsonnen. Unter der nominellen Leitung des siebzehnjährigen Kardinals Ippolito de'' Medici wurde er der eigentliche Chef des Befestigungswesens, des »Amtes für die Mauern«.
Der Medici-Papst in Rom mischte sich ein. Er wollte den Hügel von San Miniato in den Festungsring einbezogen wissen, um die Grundstückspreise in dieser Gegend zu steigern. Machiavelli widersetzte sich.
Am 6. Mai 1527 wurde Rom von den Spaniern und deutschen Söldnern gestürmt und monatelang mit einer bis dahin unvorstellbaren Grausamkeit geplündert ("Sacco di Roma"). Am 16. Mai verließen die Medici und ihre Anhänger Florenz. Wieder fiel Machiavelli, diesmal von seiten der Republik, in Ungnade. Am 10. Juni wird sein Gesuch, wieder Sekretär der Außen- und Verteidigungspolitik zu werden, mit 555 gegen 12 Stimmen abgelehnt. Zwölf Tage später starb er, 57 Jahre alt.
Sein Nachfolger: Michelangelo. Den »höchstklugen Architekten« Michelangelo Buonarroti ernannte man 1529 zum Governatore und Procuratore der Festungswerke der Stadt. Man entsann sich nun auch wieder der Bürgerwehr des Machiavelli, der »battaglioni«.
Sehr leicht wird man die Kriegswissenschaft des Machiavell, der nie an einer Schlacht teilgenommen hat und der die Bedeutung der Artillerie nicht erkannte, mit dem Reichsarchivrat Martin Hobohm »ein sonderbares Produkt aus Genie und Dilettantismus« nennen dürfen (brachte der Führer Adolf Hitler mehr zuwege?).
Aber es fällt schwer, in ihm anno 1979, wie Rene König tut, einen ("sozial noch nicht verorteten«, mag stimmen) »kleinen Staatsangestellten« zu sehen, der zu den Machtträgern der Zeit keinen direkten Zugang hatte, einen wurzellosen Intellektuellen. Er war nicht so ganz wurzellos, er war Florentiner und Inhaber eines kleinen Landguts. Er hatte auch Zugang, obschon er nur ein einfacher Beamter war.
Wer, wenn nicht er, suchte den König von Frankreich zu überreden, das nach Pisa einberufene Konzil abzublasen oder wenigstens zu verschieben? Wer verhandelte mit dem ewig geldhungrigen Kaiser Maximilian über die geforderten 500 000 Dukaten?
Wer suchte die Absichten des gewalttätigen Papstes Julius zu ergründen? Wer war der Ohrenbläser, der Spion ("Mannerino") des auf Lebenszeit gewählten Gonfaloniere Soderini? Und wer, schließlich, sollte die Republik über die bösen Absichten des Herzogs Valentino ins Bild setzen? Wer gab aufgrund seiner Kenntnisse Rat?
Daß Florenz zu des Machiavell Zeit kaum noch eine Mittelmacht war, immer in Angst vor einer Rückkehr der mächtigen Familie Medici, immer in Angst, seinen französischen Absatzmarkt zu verlieren, immer voll Hoffnung auf den französischen Retter, sogar zu des Savonarola Zeiten; verschwenderisch in Kunstdingen, knauserig in der Rüstung, einem Aufeinanderprall der Großmächte keinesfalls gewachsen: dafür wird man nun wahrlich nicht diesen einzelnen Egon Bahr in Anspruch nehmen dürfen. »Gescheitert« ist er lediglich mit seinen erbarmungswürdigen Versuchen, wieder im Dienst seines oder irgendeines Vaterlandes eine Rolle zu spielen: zum Unglück seines Lebens, zum Glück seines Nachruhms.
Hatte er auch vielfältig dilettiert, mit Abhandlungen, Stücken und Gedichten, hatte er die seit Thukydides erste moderne Geschichtsschreibung vollbracht, so ging doch sein Nachruhm, wie bei dem Zeitgenossen Thomas Morus ("Utopia"), aus einer einzigen Schrift hervor.
Den Namen eines bis zu seinem Tode tätigen großen oder kleinen Beamten des Stadtstaates Florenz würde die Welt schwerlich kennen, den Historiker nur die Fachwelt. So aber gibt es, wie den »Utopisten«, den »Machiavellisten«, den Westentaschen-Machiavell etc. Und der Held dieses vergleichsweise schmalen Werkchens ist der Papst-Sohn Cesare Borgia.
Wie Machiavell den großen Cäsar ("verabscheuungswürdig") als den Verderber der römischen Freiheit verdammt, so hebt er diesen kleinen Cesare, der sich mit den Emblemen des Großen zu schmücken pflegte, in den Himmel. Gewiß war dieser Borgia-Sohn, S.130 zur Zeit seines Sturzes 28 Jahre alt, eine ungewöhnliche Figur, kein gewöhnlicher Räuber. Seinem Wahlspruch »aut Cäsar aut nihil« lebte er bis zum bitteren Ende nach.
Sein Vater, von Ludwig Huna bis zu Nazi-Zeiten in der romanhaften Borgia-Trilogie verhunzt, war nicht nur ein großer und würdiger Verbrecher, heiter und leutselig, sondern einer der fähigsten Diplomaten und Administratoren, derer sich die römische Kirche zu bedienen wußte.
Mag sein, daß er (wie auch sein Sohn Cesare) mit seiner Tochter Lucrezia geschlafen hat; niemand hat die Lampe gehalten.
( Als seine Favoritin Giulia Farnese, ) ( Schwester des späteren Reformpapstes ) ( Paul III., 1498 in die Hände der ) ( Franzosen fiel, löste er sie mit 3000 ) ( Dukaten aus und erwartete sie, wie ein ) ( jugendlicher Fant mit einem Degen ) ( gegürtet, vor den Toren Roms. 4000 ) ( Franzosen, brennende Fackeln in der ) ( Hand, lieferten die »Braut Christi« bei ) ( ihm ab. Das Schauspiel muß selbst ) ( diesem Papst zuviel gewesen sein. ) ( Seitdem fand sein Liebesleben nicht ) ( mehr öffentlich statt. )
Aber er mußte erleben, daß Cesare den geliebten Mann seiner Schwester Lucrezia, den aragonesischen Prinzen Alfonso, Herzog von Biscegli, umbringen ließ, daß er ihren Liebhaber, den bevorzugten Papstkämmerer Pedro Calderon ("Perotto"), unter der päpstlichen Soutane erstach. Interessen und Liebe überstanden jede Feuerprobe. Acht Wochen amtierte Lucrezia, spätere Herzogin von Ferrara, im Vatikan als eine Art weltliche Päpstin.
Cesare vermied es tunlichst, an der frugalen Tafel des Vaters zu speisen. Der hinwiederum sah nicht ein, warum er Kardinäle vergiften mußte, um ihr Vermögen einzuziehen -- bei einem ist das erwiesen --, wenn der Sohn dafür keine Kanonen kaufte.
Cesare war dazu bestimmt, dem Kirchenstaat das dem Papst nominell zustehende Gebiet der Romagna, hauptsächlich auf der Linie Faenza -- Forli -- Cesena -- Rimini -- Pesaro, zurückzuerobern. Der Vater übertrug ihm diesen Kirchensprengel als eine weltliche Herrschaft. Aber Cesare war abhängig von Frankreich (der spätere Henri IV. war der Urenkel von Cesares Schwager Jean d''Albret). Der Papst hingegen neigte Spanien und dem Hause Aragon zu. Beide Reiche, dem Machiavelli beneidenswert wegen ihrer Größe und ihres Zentralismus, prügelten sich auf dem Boden Italiens. Der Tod des Papstes am 18. August 1503, ob nun durch Gift oder nicht, verhinderte jedenfalls, daß der Konflikt zwischen Vater und Sohn noch aufbrach.
Machiavelli hat den Herzog Valentino oft und auf dem Höhepunkt der Macht erlebt. Cesare, Ende 1502, hatte große Teile der Romagna erobert und griff über nach Umbrien und in die Mark Ancona. Des Herzogs Condottieri, nun selbst in ihren kleinen Herrschaften gefährdet, rebellierten halbherzig, wurden aber von Cesare, der sich zum Schein mit ihnen versöhnt S.131 hatte, in die Küstenstadt Sinigaglia gelockt und ums Leben gebracht.
Zum Zeichen einer halben Unterwerfung verlangte der Valentino von der Stadt Florenz eine »condotta«, eine von ihm zu befehligende Truppe, die er im Dienste der Stadt zu benutzen sich verpflichten würde, 300 Mann. Naturgemäß erkannten die Florentiner den wahren Sinn dieser »condotta«, und so erfuhr ihr Sondergesandter ungemütliche Zeiten.
Er mußte als Gesandter nicht gerade befürchten, vergiftet oder erdrosselt zu werden. Cesares Spezialität war übrigens nicht die legendäre »Cantarella«, das Borgia-Gift, sondern, da er Schrecken verbreiten wollte, die spanische Garrotte. Nur hatte der Gesandte seiner Signoria, buchstäblich, nichts zu melden, weil er angesichts der einsamen Entschlüsse des Herzogs kaum irgend Nennenswertes erfuhr.
So mußte er sich mit dem ästhetischen Genuß begnügen, einen von Skrupeln absolut freien Könner am Werk zu sehen.
Schon seinen Gesandtschaftsberichten läßt sich nicht entnehmen, daß er die Taten und Untaten des Herzogs moralisch bewertet hätte. Im »Principe« werden sie geradezu glorifiziert.
Daß Cesare den ihm treu ergebenen Messer Ramiro de Lorqua hinrichten ließ, der in seinem Auftrag die Romagna befriedet hatte, hält der Verfasser des »Principe« für ein vorbildliches Meisterstück der Staatskunst: Der Fürst entlastet sich von befohlener Grausamkeit, indem er das Schwert, dessen er sich bedient hat, vor aller Augen zerbricht (seine Biographin Bradford
( Sarah Bradford: »Cesare Borgia. Ein ) ( Leben in der Renaissance«. Hoffmann und ) ( Campe, Hamburg; 388 Seiten; 36 Mark. )
bringt Gründe vor, die möglich erscheinen lassen, daß Messer Ramiro korrupt war oder seinen Herrn gar verraten hatte, aber das muß den Machiavelli-Ausdeuter nicht beschäftigen).
In seinem Bericht nach Florenz schreibt Machiavell im Dezember 1502: »Der Grund für seinen Tod ist nicht bekannt, außer daß es eben dem Fürsten so gefiel, der zeigt, daß er Männer nach seinem Willen und ihrem Verdienst erheben oder vernichten kann.«
Was den Machiavelli an Cesare Borgia bestochen hat, war die berechnende Kälte, der einsame Entschluß, die provozierende Schweigsamkeit, die totale Überraschung, die Verachtung für seine uneinigen Gegner: Eigenschaften, die wir vor vierzig Jahren in einem ungleich fataleren Zusammenhang kennengelernt haben. Und natürlich bewunderte der Kriegssekretär, der kein Miliz-Bataillon im Karree aufstellen konnte, den Machtmenschen und Gewalttäter, der auf seinem Höhepunkt über 9000 tüchtige Soldaten gebot.
Dabei ist schon dem Pasquale Villari, dem wichtigsten Biographen des Machiavell, aufgefallen, daß der Hymnus im »Principe« den Gesandtschaftsberichten nicht entspricht. Laut »Principe« hat Cesare den Hauptfehler gemacht, selber todkrank zu sein (von demselben Gift?), als sein Vater starb.
Der Gesandte hingegen äußert sich gegenüber dem Rat der Zehn in Florenz nahezu verächtlich über die vom Glück verlassene Papst-Waise: »Der Herzog läßt sich hinreißen von seinem Geist des Selbstvertrauens und glaubt, daß andere besser Wort halten werden als er selbst.«
Gemeint ist mit »andere« der gewaltige Papst Julius II. aus dem Hause Rovere, der Zwingherr des Michelangelo. Vor der Papstwahl hatte er Cesare schriftlich versprochen, ihn in die Stellung des Generalkapitäns der Kirche, als deren militärischer Befehlshaber also, wiedereinzusetzen.
Cesare glaubte ihm, weil er ihm glauben wollte, und tatsächlich blieb ihm auch nichts anderes übrig. Machiavelli hingegen meldete nach Florenz: »Es ist nicht anzunehmen, daß Julius II. die zehn Jahre Verbannung so rasch vergessen haben wird, die er unter Papst Alexander VI. zu erleiden hatte.« Der Kardinal Julius della Rovere hatte sich, weil seine Stellung in Rom unhaltbar wurde, 1494 zum König von Frankreich abgesetzt. Von dort meldete er dem Papst über das Auftreten Cesares am französischen Hof artige Dinge («... tritt liebenswürdig auf«, »Herzen aller gewonnen« etc.).
Die Historiker, wie auch der Gesandte Machiavelli, tadeln Cesare, weil er zu der einmütigen Papstwahl dieses Todfeindes mitgeholfen habe. In Wahrheit gab es für ihn keine Wahl, weil er nicht genug Kardinäle hatte, den Rovere-Papst zu verhindern.
Julius, soviel war bekannt, pflegte sein Wort zu halten. Aber den wortbrüchigen Wolf Cesare kannte er nur zu gut. Keiner, sagt der Menschenkenner Machiavelli, ist so geeignet, sein Wort zu brechen, wie einer, der im Ruf steht, es immer zu halten.
Julius finassierte. Vorerst konnte er den Valentino, der sich seine in Aufruhr befindliche Romagna zurückerobern wollte, noch gegen Venedig benutzen. Also wartete er zu.
Um die Romagna zu befrieden, brauchte Cesare nicht nur die Wiedereinsetzung in sein päpstliches Kommando, die der Papst ihm trotz schriftlicher Zusage vorenthielt, er mußte auch das Gebiet der Republik Florenz durchqueren.
Wieder wird Machiavelli am Ort des Geschehens tätig. Er hatte den Herzog noch auf dessen schurkischem Höhepunkt in Sinigaglia getroffen, als der sich gerade (Machiavelli: »Bewundernswerte Tat") seiner Unterführer S.133 entledigt hatte, und dem Rat der Zehn noch am gleichen Abend einen Kurier mit der Botschaft geschickt: »Meiner Meinung nach werden sie (die Überrumpelten) morgen früh nicht mehr am Leben sein.«
Nun traf er den »Sohn des Glücks« auch im Unglück. Die Signoria dachte nicht daran und konnte auch nicht daran denken, einem so unberechenbaren Mann den Durchmarsch nach Norden zu gestatten. Dazu Papst Julius gegenüber Machiavelli laut dessen Bericht an den Rat der Zehn: »Er (der Papst) sagte, es sei gut so, und er sei einer Meinung mit Euch.«
Dem Machiavell gegenüber benahm sich der Herzog so ähnlich wie Napoleon bei seinem letzten Zusammentreffen mit dem Gesandten Metternich: Er raste und tobte, wohl ahnend, daß die Partie verloren war. Sein früherer Bewunderer meldete dem Rat der Zehn nach Florenz: »Wenn der Mann des Herzogs kommt, können Eure Gnaden ihn achtlos behandeln und sich ihm gegenüber verhalten, wie es Euch gutdünkt.«
Allmählich wußte Julius sich stark genug, den gefährlichen Mann einzusperren. Valentino bewohnte zeitweilig dasselbe Zimmer, in dem er den Mann seiner Schwester Lucrezia hatte erdrosseln lassen. Der Papst ließ ihn zu den katholischen Majestäten nach Spanien schaffen, die ihm zu allem Überfluß noch den Mord an seinem jüngeren Bruder Juan, dem Herzog von Gandia, zur Last legten. Er entkam und fiel 1507 tapfer, nicht im Bett, sondern zu Pferde.
Man sieht nicht recht, wie Cesare zu einem beachtlichen Staat gekommen wäre, wenn sein Vater, im Alter von 72 Jahren gestorben, länger gelebt hätte.
All jene »Söhne des Glücks«, die Wallenstein, Napoleon, Hitler, kennen und lernen kein Maß. Cesares Mittel waren, wie der Renaissancekenner Jacob Burckhardt sagt, »überhaupt mit keiner völlig konsequenten Handlungsweise im großen verträglich«.
Machiavelli schrieb den »Principe« 1513 (etwa gleichzeitig Thomas Morus seine »Utopia"), sechs Jahre nach dem Tode Valentinos. Daß der Herzog sich nach der Papstwahl Julius'' II. nicht wie ein kühler Rechner, sondern teils wie ein zaudernd Kranker, teils wie ein vertrauensseliger Draufgänger verhalten hatte, mußte der Autor noch in Erinnerung haben -- kein Wort davon im »Principe«.
Kein Wort auch von den Fehlern, die Cesare unmittelbar nach des Vaters Tod gemacht hatte, als der Vier-Wochen-Papst Pius III. »ewählt wurde. Dazu die Lucrezia-Biographin Maria Bellonci: » » Prospero Colonna ließ ihm den Schutz Spaniens anbieten, wenn » » er nur seinen Einfluß in dem kommenden Konklave zugunsten » » Spaniens geltend machen wolle, und Cesare nahm an. Zur » » gleichen Zeit begab er sich in den Schutz der Franzosen und » » versprach, sie bei der Wahl des neuen Papstes zu fördern. » » Dieses Doppelspiel wurde alsbald erkannt, entfremdete ihm die » » Gemüter der Spanier und schuf ihm das Mißtrauen der » » Franzosen. »
Er war noch sehr krank. Aber das sind typische Günstlings-Fehler, die er sich zu Lebzeiten Alexanders hatte leisten können. Derart erreichte er, daß Spanien und Frankreich, die er doch gegeneinander ausspielen wollte, sich beide und gleichermaßen sagen mußten: Ein Verrat zuviel.
Der »Principe« ist eine Art »Fürstenspiegel«, wie sie dazumal im Schwange waren. Aber er ist weit mehr, weil Machiavell aus Geschehenem Regeln ableitet, oft reichlich krude Regeln aus gar nicht wirklich Geschehenem. So macht denn auch nicht die Systematik den Ruf des »Principe« aus, von seinem berühmten Stil einmal abgesehen, sondern sein Impetus.
Heiligt bei den Jesuiten noch der Zweck die Mittel, so bedarf es bei Machiavelli weder dieser Heiligung noch irgendeines Zweckes. Nackter Ehrgeiz, Machtstreben ohne irgendeinen überpersönlichen Zweck, erlaubt dem Aufsteiger jedes Mittel, das zum Erfolg führt, dies ist die Botschaft des »Principe«. Führt Betrug zum Siege, nun, dann muß man nicht Krieg führen.
Darum darf der Herzog Valentino im Buch, anders als in der von Machiavell bei Fuß beobachteten Wirklichkeit, kaum andere Fehler machen, außer eben den einen, zur Unzeit, beim Tode des päpstlichen Vaters, krank zu sein, wofür er nichts kann.
Darum wird er im Buch stilisiert und mythisch überhöht. Schließlich hatte er keine wirklichen Gegner und war erfolgreich nur mit dem Herrn Papa im Rücken. Der »Principe« gipfelt in einer Cesare-Apotheose, die zu der vom Gesandten genüßlich geschilderten Tristesse in einem so krassen Gegensatz steht wie das Buch »De l''Allemagne« der Madame de Stael zu ihren Tagebuch-Notizen.
Man muß das Werk eben nicht für ein Kunstwerk halten, »wie den David des Michelangelo«, wie Rene König das tut.
Nein, der »Principe« ist ein auf den Punkt getriebener Versuch, das Handeln der Menschen anhand eines exemplarischen Menschen zu durchdringen. Die Spannung ergibt sich aus der simplen Einsicht, daß die Welt nicht aus lauter Cesare Borgias besteht, und daß man gleichwohl für die Kenntnis politischen Handelns aus dieser nicht-gewöhnlichen Figur neue und kühne Ansichten in die Mechanik politischen S.134 Handelns und die Motivation der Handelnden gewinnen kann.
Sicher bedurfte es nicht eines Machiavell, um die politischen Führer handeln zu machen, wie sie tun. Aber gerade mit seiner (zu) grellen Beleuchtung hat er Konturen sichtbar gemacht, die zuzugeben oder auch nur zu erkennen der politisch Handelnde, sei es Schmidt oder Wehner, Strauß oder Adenauer, sich zu allen Zeiten sträubt: Wie James Burnham ("Die Machiavellisten") sagt: »Was auch immer die Wünsche der meisten Menschen sein mögen, so ist doch sicher, daß es nicht im Interesse der Machthaber liegt, die Wahrheit über das politische Verhalten bekannt werden zu lassen.«
Daß die Menschen nie ganz gut und nie ganz böse seien, ist eine Binsenweisheit, die schon Machiavellis Zeit- und Weggenosse Francesco Guicciardini ihm ganz unnütz entgegengehalten hat, denn das sagt der abgelegte Staatsschreiber ja selbst.
Es stimmt, Machiavell hat sich einen Helden erkoren, der grausamer, ruchloser und amoralischer war als die meisten seiner Zunftgenossen, komplett amoralisch. Er war, wenn man so will, »ganz böse«, und nicht mal böse und mal gut. Nur kommt es dem Machiavell darauf nicht an. Der Fürst soll zweckvoll handeln. Um seine persönliche Macht zu steigern, soll ihm jedes zweckvolle Mittel recht sein, dies steht im »Principe«. Und solche Menschen kennen wir ja zur Genüge und geben oder gaben ihnen gern den Beinamen »der Große«, wir wählen sie sogar.
Der Fürst soll keine unnütze Grausamkeit begehen, weil eine unnütze Grausamkeit sich schädlich auswirken kann. Er soll lieber Leute umbringen als Geld konfiszieren, weil man den Verlust seiner Lieben eher verschmerzt als den seines Vermögens (wohl kein eiserner Lehrsatz).
Er soll beispielsweise den Frauen nicht Gewalt antun. Dies tat Cesare, wie wir aus anderer Quelle wissen. Die Frau des venezianischen Kommandeurs Caracciolo hat er kidnappen lassen und sie zwei Jahre lang entweder geschändet oder für sich eingenommen ("erobert"), genau ließ sich das nicht feststellen. Gewiß hat diese Tat die stolze Republik Venedig nicht unberührt gelassen. Sie sann noch stärker auf Cesares Untergang. Die Entführung einer anderen Venezianerin scheiterte an der Drohung des Papst-Vaters mit dem Bannstrahl.
Warum wohl ist Friedrich der Große (der ja in unreifen Jahren einen »Anti-Machiavell« geschrieben hat) in Schlesien eingefallen und hat als getreuester Schüler des Florentiners keinen Verrat und keine Perfidie und wohl ja auch keine Barbarei gescheut? Um die Keimzelle für ein großes deutsches Reich und für ein von fremden Mächten unabhängiges Mitteleuropa zu legen?
Um die Menschen Schlesiens und seiner übrigen Besitzungen glücklicher zu machen? Doch wohl nicht. Er wollte schlicht auf Raub und Eroberung aus, um Ruhm zu ernten und seine Macht zu vergrößern.
So trachtet auch der Herzog Valentino danach, sich in Mittelitalien ein halbes Königreich zusammenzuraffen, mit dem er zu noch größeren Taten aufbrechen wollte. Denn der Selbstzweck des Machtmenschen heiligt jedes, auch das verruchte Mittel, es sei denn, er wird älter und verliert den Biß. Dann liegt er auf dem Sterbebett und sagt, besser hätte er weniger erobert.
Auch Bücher, nicht nur Menschen, leben von ihren Fehlern. Den Fehler des »Principe« kann man mit unbewaffnetem Auge ausmachen. Eben die Tugenden ("virtu"), die den Cesare nach oben trugen, mußten ihm auch zum Verhängnis werden, nachdem das Glück ("fortuna") in Gestalt seines Vaters ihn verlassen hatte.
Nietzsche pries den Cesare Borgia als Raubtier und Raubmenschen, als das gesündeste aller tropischen Untiere. Er hatte etwas gegen die »gemäßigten Zonen« und gegen die »gemäßigten Menschen«. Der Machiavellismus ist »übermenschlich, göttlich, transzendent«, nun ja.
Aber auch wir mißverstehen den Machiavelli, wenn wir im »Principe« nur den Fürsten, den Usurpator, den fürstlichen Aufsteiger sehen. Dann müßte uns das Buch nicht mehr interessieren. Im Zeitalter der atomaren und zivilisatorischen Vernichtung interessiert es, weil die Natur des Menschen, dies der vornehmste Lehrsatz des Machiavell, sich immer gleichbleibt.
Viele Heutige sind, wie der Held des Nobelpreisträgers Saul Bellow, wie S.137 »Mr. Sammler« meint, nach langen Epochen der Namenlosigkeit und bitteren Dunkel-Existenz hervorgebrochen, um ein Leben zu beanspruchen, wie es in früheren Zeiten nur dem Adel, den Fürsten oder den Göttern des Mythos vorbehalten war. Und dazu meint der weise »Mr. Sammler«, der als Bellows Hauptfigur auch noch den Friedensnobelpreis verdient hätte: »Man konnte selten Menschen dazu kriegen, das Mögliche zu begehren -- das war das Grausame daran.« Machiavelli wußte das auch schon: »... daß die Natur die Menschen so geschaffen hat, daß sie zwar alles begehren, aber nicht alles erreichen können.« Die Kunstfigur des »Fürsten«, der erhöhte Cesare Borgia, verbirgt eine Chiffre.
Vordergründig sagt er: Nehmt, sonst wird euch genommen; mordet, sonst werdet ihr gemordet; betrügt, sonst werdet ihr betrogen; dehnt euch aus, sonst werdet ihr schrumpfen. Den Republiken sagt er das wie den Usurpatoren.
Wahrhaftig, die Gesetze der Weltgeschichte und des Marktes, sie sind und waren so. Dazu braucht es nicht des Borgia-Giftes und nicht der spanischen Garrotte. Wer, übrigens, ohne Lächerlichkeit, wollte behaupten, es gehe heute mit weniger Gift und weniger Garrotte?
Wenn dies die Botschaft des »Principe« war, warum dann am Schluß der grelle und schrille Mißklang? Warum dieser Aufruf zur Befreiung Italiens von den Barbaren? Und wer, bitte, soll denn da Italien befreien, wo doch der leibliche Cesare tot ist? Sieh da, sieh da, gute alte Bekannte: Die Medici, die nicht müde geworden waren, nach dem französischen König zu schielen.
Die Medici, deren Päpste Leo X. und Clemens VII. (dem ist die »Geschichte von Florenz« gewidmet) qua Kirchenstaat die Zerrissenheit Italiens garantierten. Wollte der Autor also eine Anstellung, und nur das?
Und wie sollte die Einigung Italiens vor sich gehen, wenn sie unter dem Diktat des schwächlichen Florenz ebenso unmöglich war wie unter dem Krummstab der doppelgesichtigen Papstmacht?
Dazu Machiavelli in den unter einem Medici-Papst gedruckten »Discorsi": Wir Italiener verdanken es also in erster Linie der » » Kirche und den Priestern, daß wir religionslos und schlecht » » geworden sind. Wir verdanken ihr aber noch etwas » » Entscheidenderes, was die zweite Ursache unseres Verfalls » » ist, und dies ist, daß die Kirche unser Land immer in » » Zersplitterung gehalten hat und immer noch in Zersplitterung » » hält. »
Und was wäre aus dem von Machiavelli geliebten Vaterland Florenz geworden, für das er doch Vater und Mutter verkauft hätte, wie er sagt? Ein Staatswesen, dessen Bürger die Freiheit jemals gekostet haben, dies einer seiner zweifelhaften Lehrsätze, läßt sich nie unter die Despotie zurückzwingen, man muß es vernichten. Konnte er das wollen?
Nichts dergleichen konnte er wollen. Und wenn er vielleicht ein kleiner Beamter war, so doch ein heller Geist. Man muß beim »Principe«, wie bei einem übermalten Bild, die Oberfläche ablösen, und dann kommt die wahre Botschaft zutage.
Der Ruf zur Befreiung Italiens: Ein Verzweiflungsschrei angesichts der Unmöglichkeit, die krisenhafte Entfremdung zu beenden; Ahnung auch, man werde die Teile nie wieder zusammenkriegen.
Der Fürst, in der Vorahnung des glühenden Schriftstellers Machiavelli, ist dann der gefürchtete und ersehnte, der omnipotente »wissenschaftlich-technisch gewappnete Mensch der Neuzeit« (Edgar Piel im »Merkur"), Traum wie Alptraum zugleich. Wirklichkeit wird von ihm »weggearbeitet«, Weltverlust mit ruchlosem Opportunismus ins Werk gesetzt.
Benehmen sich unsere Staaten und Institutionen, Parlamente, Gewerkschaften und Multis anders als der »Fürst«? Hätten wir die Gewähr, daß die Welt aufgrund unserer Aktivitäten in hundert Jahren zerstoben, daß aber keines unserer Kinder davon betroffen wäre: würden wir etwa zögern, weiterhin »Fürst« zu spielen? Gucken wir in den Republiken etwa über den Tellerrand der nächsten Wahlen hinaus, in den Diktaturen über die nächste Sitzung des Politbüros? Sagen unsere Herren etwa, was sie glauben und wissen?
Der »Fürst« entwickelt, wie der leibliche Cesare Borgia, die begreifliche, die ihm nicht bewußte Tendenz, mit dem »schließlichen Erfolg seines Denkens und Tuns« (Piel) zu verschwinden, mit der Verheerung des Wirklichen, Hitler nur ein Beschleuniger.
Das Walzwerk der fortschrittsorientierten Technokratie, die Eisensprache der neuen Zaren in Moskau, das, so sagt Bernard-Henri Levy, einer der ganz jungen französischen »Meister-Denker«, sei der neue Fürst: »Denn das Herrentum ist das Gesetz von dieser Welt, kein Dekret, kein Beben vermag es je zu erschüttern.« Es gibt keine Gegenmacht, die nicht letztendlich eine Gestalt der wiedergekehrten Macht wäre, keinen Frieden, keine Einheit. Der »Fürst« ist dann der andere Name der Welt, der »Herr« die Metapher des Wirklichen.
Spekulationen angesichts eines funkelnden Verstandes, alles nur Spekulationen. Aber der Mensch ist eine Retusche. Man soll sich wegen der Mühe nicht des Versuchs schämen, und auch nicht wegen gewisser Aussichtslosigkeiten, einen großen Geist zu dechiffrieren, zu entziffern.
S.124
So wie bis auf diese Zeit keine Meldung geschehen ist von Nepoten
oder Verwandten irgendeines Papstes, so wird von nun an von solchen
die Geschichte voll sein, bis wir sodann auch auf die Söhne kommen
werden; und so ist dann den künftigen Päpsten keine Steigerung mehr
übrig, als daß sie, so wie sie bisher diese ihre Söhne in
Fürstentümer einzusetzen gesucht haben, denselben auch den
päpstlichen Stuhl erblich hinterlassen.
*
S.125
Aber mit den Waffen in der Hand zuzusehen, wie der eine Teil unmäßig
geschwächt werde, und der andere unmäßig wachse, diesem Fehler
hinterher noch den zweiten hinzuzutun, daß man sie sich selbst
vertragen lasse, so gut es gehen will, als ob wir gar nicht da
wären, und nun hingehe, und sich ruhig entwaffne; dieser Gebrauch
der bewaffneten Neutralität hat, außer allen von M(achiavell)
dargelegten Fehlern der Neutralität noch diesen, daß er die Achtung
für uns noch weit entscheidender verringert, und daß wir, durch die
Kosten der Bewaffnung und der Erhaltung auf dem Kriegsfuße nur diese
Verachtung uns erkauft haben.
*
1. Der Nachbar, es sei, daß er dich als seinen natürlichen
Alliierten gegen eine andere euch beiden furchtbare Macht betrachten
müsse, ist stets bereit, bei der ersten Gelegenheit, da er es mit
Sicherheit können wird, sich auf deine Kosten zu vergrößern. Er muß
es tun, wenn er klug ist, und kann es nicht lassen, und wenn er dein
Bruder wäre.
2. Es ist gar nicht hinreichend, daß du dein eigentliches
Territorium verteidigest, sondern auf alles, was auf deine Lage
Einfluß haben kann, behalte unverrückt die Augen offen, dulde
durchaus nicht, daß irgend etwas innerhalb dieser Grenzen deines
Einflusses zu deinem Nachteile verändert werde, und säume keinen
Augenblick, wenn du darin etwas zu deinem Vorteile verändern kannst;
denn sei versichert, daß der andere dasselbe tun wird, sobald er
kann, versäumst du es nun an deinem Teile, so bleibst du hinter ihm
zurück. Wer nicht zunimmt, der nimmt, wenn andere zunehmen, ab.
*
S.126
Alle, die über Politik schrieben, beweisen es, und die Geschichte
belegt es durch viele Beispiele, daß der, welcher einem Staatswesen
Verfassung und Gesetze gibt, davon ausgehen muß, daß alle Menschen
schlecht sind und daß sie stets ihren bösen Neigungen folgen, sobald
sie Gelegenheit dazu haben.
*
Viele Köpfe sind nicht dazu geeignet, Ordnung in ein Staatswesen zu
bringen, weil sie bei der Verschiedenheit der Meinungen, die von
allen Seiten geltend gemacht werden, das Beste für dieses nicht zu
erkennen vermögen; ebensowenig können sie sich entschließen, von
einer bestehenden Ordnung, die sie als gut erkannt haben, wieder
abzugehen.
*
S.133
Prospero Colonna ließ ihm den Schutz Spaniens anbieten, wenn er nur
seinen Einfluß in dem kommenden Konklave zugunsten Spaniens geltend
machen wolle, und Cesare nahm an. Zur gleichen Zeit begab er sich in
den Schutz der Franzosen und versprach, sie bei der Wahl des neuen
Papstes zu fördern. Dieses Doppelspiel wurde alsbald erkannt,
entfremdete ihm die Gemüter der Spanier und schuf ihm das Mißtrauen
der Franzosen.
*
S.137
Wir Italiener verdanken es also in erster Linie der Kirche und den
Priestern, daß wir religionslos und schlecht geworden sind. Wir
verdanken ihr aber noch etwas Entscheidenderes, was die zweite
Ursache unseres Verfalls ist, und dies ist, daß die Kirche unser
Land immer in Zersplitterung gehalten hat und immer noch in
Zersplitterung hält.
*
S.127Rene König: »Niccolo Machiavelli. Zur Krisenanalyse einerZeitenwende«. Carl Hanser Verlag, München; 360 Seiten; 29,80 Mark.*S.130Als seine Favoritin Giulia Farnese, Schwester des späterenReformpapstes Paul III., 1498 in die Hände der Franzosen fiel, lösteer sie mit 3000 Dukaten aus und erwartete sie, wie ein jugendlicherFant mit einem Degen gegürtet, vor den Toren Roms. 4000 Franzosen,brennende Fackeln in der Hand, lieferten die »Braut Christi« bei ihmab. Das Schauspiel muß selbst diesem Papst zuviel gewesen sein.Seitdem fand sein Liebesleben nicht mehr öffentlich statt.*S.131Sarah Bradford: »Cesare Borgia. Ein Leben in der Renaissance«.Hoffmann und Campe, Hamburg; 388 Seiten; 36 Mark.*S.134unten: mit Albert Bassermann als Papst (2. v. l.), Liane Haid alsLucrezia.*Oben: Gemälde von Gottlieb Glume;*