Wie der Hübsche mit dem sanften Blick sein Berufsleben beschreibt, das kann einen das Gruseln lehren. Da wird geprügelt und gehauen, eingesteckt und ausgeteilt, hier fällt einer auf die Schnauze, da werden einem die Beine weggeschlagen. Junge, Junge.
Und er, der Scheuäugige, stets mittenmang. »Ich bin immer im Angriff«, sagt er. Und: »Wer keilt, muß auch wegstecken können.«
Dabei ist er nicht Eishockeyspieler, nicht Preisboxer, noch nicht mal im Showgeschäft, obwohl ... Jedenfalls bezeichnet er seine derzeitige Tätigkeit als Politik, und im Handbuch des Deutschen Bundestages steht über ihn: Todenhöfer, Dr. Jürgen Gerhard, geboren 1940, Mitglied der CDU seit 1970, Mitglied des Bundestages seit 1972.
Selbstverständlich, das sei hinzugefügt, um dem schreibwütigen Abgeordneten einen Leserbrief zu ersparen, ist diese Eintragung aus dem Zusammenhang gerissen und deswegen irreführend. Denn als »typischer Parlamentarier«, als »Durchschnittspolitiker« möchte Jürgen Todenhöfer gewiß nicht mißverstanden werden.
Allein was der schon für Vorbilder hat, das traut sich doch gar kein 08115-Volksvertreter. Winston Churchill zum Beispiel und Otto von Bismarck und Konrad Adenauer natürlich, aber auch -»das ist doch konsequent« -- Franz Josef Strauß. Denn der ist nun mal, CDU-Mann Todenhöfer hat es zur Unzeit öffentlich zu sagen gewagt, »der beste Mann«.
Diesen Männern verdankt der Abgeordnete alles, was er für seine eigene politische Laufbahn braucht, Daß man Ehrgeiz mit Opfern bezahlt, hat er von Churchill. Wie man komplexe Sachverhalte auf einen zündend einfachen Nenner bringt (Todenhöfer: »Die Welt ist so kompliziert, da braucht man einfache Formeln"), das hat ihm keiner so vorredigiert wie Otto von Bismarck mit der Emser Depesche.
Die Methode zum Aufstieg nimmt der Selbstentwicklungshelfer von Konrad Adenauer: »Leg? dich quer, dann bist du wer.« Diese Weisheit hat Todenhöfer so verinnerlicht, daß man sich wundert, sie nicht im Kreuzstich auf sein Sofakissen gestickt vorzufinden.
Von Franz Josef Strauß schließlich bezieht Todenhöfer. wenigstens derzeit, alle seine politischen Inhalte. Die heißen schlicht: Freiheit statt Sozialismus. Da kann er von Aristoteles bis Oswald Spengler die Philosophen und Historiker rauf und runter lesen -- und das tut er, sagt er -: Diese Strauß-Weisheit steht immer schon irgendwie drin, wenn auch nicht überall so packend formuliert.
Mit solchen Ausrüstungen der Großen versehen, hat sich der kleine Abgeordnete Todenhöfer nun also aufgemacht, aus der »grauen Soße« der Mitte, ja, er wagt es zu sagen, der Mittelmäßigkeit emporzusteigen. Was für ihn heißt, sich auf Teufel komm raus zu profilieren: »Selbstverständlich will ich das. Wenn man nicht bekannt ist, läuft nichts.«
Todenhöfer schüttelt sich richtig, wenn er daran denkt, wie er früher mit einer Visitenkarte, auf der er »dumpf und verschwimmend« seine Position mit »Politik der neuen Mitte« umrissen hatte, durch die Abteile des Arbeiterfrühzuges von Schopp nach Kaiserslautern gedrängelt ist, um Wähler zu werben. Jetzt weiß er, was ihm damals, im Wahlkampf 1976, gefehlt hat: Klarheit, Härte, Konsequenz, »Treue zu sich selbst« -- oder, wie der Herr Politiker so griffig formuliert: »Die Konsequenz der Konsequenz ist die Härte, sonst ist sie nicht konsequent.« Die Klarheit, die damit über Jürgen Todenhöfer gekommen ist, pflegt sich seither hauptsächlich zur Sommerzeit der Öffentlichkeit mitzuteilen. 1977 verkündete der CDU-Mann hart und klar, die Bundesregierung finanziere in Afrika Terrorismus. Konsequent unterstellte er der dafür verantwortlichen Ministerin Marie Schlei, sie habe »die Moral der deutschen Terroristen-Szene« übernommen.
Ein Jahr später haute er seinen Parteivorsitzenden Helmut Kohl, dem vor allem er seine Bonner Karriere verdankt, in gewohnter Klarheit in die Pfanne: »Im Schlafwagen kommt man nicht an die Macht.«
Dieses Jahr endlich belebte Todenhöfer die politische Diskussion mit seiner Sympathiekundgebung für eine militärische Einsatztruppe in der Dritten Welt. Mit konsequenter Treue zu sich selbst formuliert er, was von jenen zu halten sei, die gegen ein solches »strategisches Instrument« Einwände haben: »Es verwundert nicht, das der SPD-Vorsitzende Brandt einer der Hauptkritiker der Spezialeinsatztruppe ist und sich damit erneut zum Sprachrohr sowjetischer Propaganda macht.«
Den Verdacht, daß er so gezielt als schrilles Pausenzeichen in den Bonner politischen Sommerschlaf hineinplatzt, um sich überhaupt Gehör zu verschaffen, schüttelt Todenhöfer lässig ab. Sicher, es sei ihm wohl bewußt, daß man in der Nachrichtenflaute der Parlamentsferien selbst dann Schlagzeilen macht, wenn man nicht das Ungeheuer von Loch Ness ist. Gleichwohl seien seine jährlichen Ferien-Beiträge »um nichts sensationeller« als Mitteilungen des Abgeordneten Todenhöfer in anderen Monaten. Und das ist wohl wahr.
Daß Bundeskanzler Helmut Schmidt in Afrika den Terrorismus salonfähig macht, daß Entwicklungshilfeminister Rainer Offergeld im Nahen Osten Völkermord finanziert, und zwar »massiv«, daß Herbert Wehner das Geschäft der Sowjet-Union betreibt, Hans-Dietrich Genscher die Planwirtschaft ansteuert und überhaupt, daß Sozis und Liberale gezielt den Grundkonsens der Demokratie zerstören, um eine internationale Volksfront herbeizukonspirieren, das tönt Todenhöfer nicht nur zur Sommerszeit.
Doch leider mußte er feststellen, daß mit zunehmender Wiederholung solcher Anklagen die Reaktion der Betroffenen matter wurde. Diesmal zeigten ihn wenigstens »die Grünen« wegen »Aufstacheln zum Angriffskrieg« bei der Bonner Staatsanwaltschaft an. Aber denen ist die Szene ja auch noch neu.
Von den alten Profis nimmt keiner mehr den »Schwätzer« (Herbert Wehner) und »Wichtigtuer« (CDU-Ministerpräsident Bernhard Vogel) recht ernst. So abgebrüht sind viele schon, daß sie nur noch den Zigaretten-Slogan »Freiheit und Abenteuer« zu hören glauben, wenn Todenhöfer Freiheit statt Sozialismus fordert.
Wer dennoch auffährt, wenn das Büblein stampft und hacket, den befällt bald Ekel oder Mitleid oder beides, wenn er einmal Zeuge der hechelnden Freundlichkeit geworden ist, mit der Todenhöfer seinem Opfer hinterher mit herzlichem »nichts für ungut« menschliche Wertschätzung anträgt. »Ich beglückwünsche Sie zu dem Grad Ihrer Schizophrenie«, fertigte ihn Finanzminister Hans Matthöfer einmal ab.
Aber das nimmt Jürgen Todenhöfer nicht krumm. Im Gegenteil. Da kann der nette Doktor nur traurig mit dem Kopf schütteln darüber, daß anderen seine Fähigkeit abgeht, sich genau an der Grenzlinie zwischen Politiker und Privatmann aufzuspalten in einen harten und einen sanftmütigen Menschen. Er jedenfalls steht zu seinen beiden Seiten jeweils ganz, denn »gegen halbe Menschen«, da hat er was, ehrlich.
Er schafft das um so leichter, als den Bürgern sein Doppelkopf offenbar gefällt -- der harte Politrocker, den er für die Nachrichten-Medien auffährt, und das sanfte Familien-Eiapopeia, mit seiner hübschen französischen Frau Francoise den Herz- und Schmerzblättern vorgeturtelt.
Nach einer Umfrage im Oktober 1978 hielten die Bundesbürger den Beau aus der Pfalz für ungefähr genausogut wie den jetzigen Bundespräsidenten Karl Carstens. Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff und den SPD-Vize und Bremer Bürgermeister Hans Koschnick. Und daß er »einmal zu den Spitzenpolitikern der Bundesrepublik« gehören könnte, trauten ihm schon ein Jahr vorher mehr Menschen zu als etwa dem jetzigen Minister Rainer Offergeld, dem damaligen CSU-Generalsekretär Gerold Tandler oder dem seinerzeitigen FDP-Bundesgeschäftsführer Günter Verheugen. Von Manfred Coppik und Karl-Heinz Hansen, SPD-Linken, ganz zu schweigen.
Es wird dann wohl auch ein herber Schreck durch manche deutsche Mutter gezuckt sein, als der Jürgen Gerhard Todenhöfer vorletzte Woche verbreitete, er werde fortan den Pfälzern als ihr Kandidat in Bonn nicht mehr zu Diensten sein.
Kein Wort sagte der Abgeordnete darüber, daß das pfälzische CDU-Volk sich ohnehin von ihm vertreten genug gefühlt hatte, ihn nicht mehr per Liste absichern wollte. Nur als Hintergrundinformation verbreitete er Wehklagen über den Abschied von einem Ort, »an dem ich Bäume gepflanzt habe«.
Aber wie das mit Todenhöfers Wahrheiten so geht -- ein bißchen anders war es schon. Erstens hat er die Bäume vorsorglich in Kübel gepflanzt, zum Mitnehmen. Und zweitens weiß er schon wohin: In Tübingen steht ihm ein Wahlkreis offen, der »beim Auftreten einer Vierten Partei in Baden-Württemberg mit Sicherheit an Franz Josef Strauß abgeschwommen wäre«. Nun geht der Bezirk also wohl an diesen jugendlichen Bonner CDU-Stuntman. Die »Treue« des CSU-Chefs, die Todenhöfer immer so gerührt zu rühmen weiß, sie ist kein leerer Wahn.
Eigentlich ginge das alles so nicht, muß Todenhöfer vom Wahlkreis nominiert werden, aber natürlich geht es irgendwie doch, und sei es mit Späth-Zündung. Es sei denn, er würde gar mit seinen Bäumen bis nach Bayern weiterwandern. Bonn bleibt er als Abgeordneter jedenfalls erhalten.
Dort wird er weiter, wie ein linker Jürgen Todenhöfer wohl über einen Jürgen Todenhöfer sagen würde, Handlanger des Bosses aus Bayern sein, für Franz Josef Strauß die Geschäfte des Imperialismus und Kapitalismus betreiben und sich als Sprachrohr für die internationale Verschwörung der Reaktionäre aller Länder hergeben.
Für Freunde politischer Nostalgie aber ist sein Standortwechsel ein Geschenk: So unverstellt wie aus den Worten Todenhöfers klingt der alte Franz Josef heute nirgends mehr. Wenn Todenhöfer zur Terroristen-Hatz auffordert -- »1. Jagdkommandos, 2. gezielter Todesschuß, 3. Abschaffung der Zwangsernährung von Terroristen« -, ist das nicht Strauß pur? Wo hört man das noch dieser Tage außer in bayrischen Hinterzimmern, wenn die Türen verriegelt sind?
Oder: »Ich bin der festen Überzeugung, daß es wichtige Sozialdemokraten gibt, die sich sagen: Mit den Amis hat es keinen Sinn mehr, laßt es uns mit den Russen versuchen.« Ist das nicht der »Chef« selbst im Originalton? Aber nein, so spricht sein Todenhöfer, täuschend echt.
Und er macht?s -- ist er nicht ein Fuchs? -- ganz und gar mit Absicht. Je mehr er holzt, desto sanfter klingt der Kanzler-Kandidat. Sollen die Sozis den Jürgen nur prügeln. Dieses Opfer bringt er gern.