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Rudolf Augstein DAS GROSSE SCHISMA

Von Rudolf Augstein
aus DER SPIEGEL 18/1969

Altbackene Theologen und Kirchenmänner haben heute keinen guten Stand. Als Reaktionäre und ewig Gestrige werden sie abgetan, als Leute, mit denen eine Diskussion kaum noch lohne, Es stimmt nun sicher, daß die Argumente der innerkirchlichen Neuerer interessanter sind, im Gegensatz zu denen ihrer Widersacher sogar voller Leuchtkraft; es stimmt, daß geistige Auseinandersetzung mit den Neuerem befriedigend, mit den Altbackenen meist unmöglich ist. Und dennoch haben die Konservativen ein Argument für sich, das ihnen kein noch so scharfsinniger Fortschrittler entkräften kann: Ist wahr, was die aktivsten Neuerer behaupten, so werden die christlichen Kirchen nicht nur liquidiert im Sinne von »verflüssigt« (Friedrich Heer), sondern überflüssig.

Wenn es stimmt, woran zu zweifeln wir keinen Anlaß haben, daß ein personaler Gott, ein Gott, den wir uns vorstellen können, nicht ist, weil alle bisherige Gottesvorstellung Projektion aus der menschlichen Sphäre, alle andere Gottesvorstellung aber Infolge der Verfangenheit des menschlichen Denkapparates unmöglich ist (so daß der Streit zwischen Theisten und Atheisten am -- nicht vorhandenen -- Erkenntnisvermögen scheitert); wenn es stimmt, daß es keinen ersten Menschen gibt (sondern nur eine Jahr-Millionen-Menschwerdung) und derart auch keine »Erbsünde": dann gibt es keinen eingeborenen Gottessohn, zwecks Erlösung von der Erbsünde In diese Welt gesandt, sondern allenfalls einen kühn empfindenden, groß denkenden Menschen, der seine Umwelt nicht akzeptierte und um idealer Ziele willen (deren konkrete Natur wir kaum kennen) In den Tod ging, sei es bewußt oder in dem Wahn, von einem Höheren gerettet zu werden. Sollte dieser Jesus nicht leiblich, nicht als Gottes eingeborener Sohn aus dem Grab auferstanden »sein, was bleibt dann von der Lehre der christlichen Kirchen? Paulus sagt es, und wie recht er hat: Predigt und Glaube sind dann nichtig.

Es hat doch seine Konsequenz, daß die römische Kirche ihre Statthalterschaft so lückenlos -- auch historisch -- auszufüllen trachtet: Unfehlbar wie der von den Kirchen behauptete Jesus, der göttliche Meister, muß dann die Lehre der Kirche in Dogma und Sitte sein. Welche Autorität kann eine Kirche beanspruchen, die erstens ihre unfehlbaren Glaubenswahrheiten und zweitens ihr immergleiches, überirdisches Wissen von den göttlichen Geboten zur Diskussion stellt? Die zugäbe, was heute offenkundig Ist, daß sie nämlich Ihre Sittengesetze jeweils dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und des gesellschaftlichen Bewußtseins anpassen muß? Daß sie dem Kaiser Hitler nichts vorenthalten konnte, weil die Mitglieder ihr sonst davongelaufen wären? Die auch einem atomaren Selbstmord nichts entgegenzusetzen hätte als die wohlangebrachten Skrupel, eingehüllt in den Weihrauch einer tiefste Besorgnis suggerierenden Sprache.

Nein, Kardinal Ottaviani, der letzte Großinquisitor, auch er wußte, was er tat. Er stemmte »sich, und »so mußte er unrecht behalten, gegen die fallende Wand. Wohingegen man nicht sieht, welche Kirchen anstelle der bisherigen den christlichen Neuerem vor Augen stehen. Die Konsequenz ihres Tuns »heißt: Keine organisierte Kirche; schärfer noch: keine Kirche. Wie es weitergehen soll, wußte Ottaviani nicht, aber auch die Neuerer scheinen es nicht zu wissen.

Jene Kirchen, die Ihren Angehörigen das Leben und Sterben erleichtern wollen, jene Kirchen des Sonntagschristentums und des frommen Scheins, brauchen durchaus ihr altes Evangelium. Die Neuerer, Bultmann voran, haben uns allen einen ungeheuren Dienst erwiesen, denn mit dem alten Lehrgebäude fiel auch der alte Machtanspruch, und so wäre parlamentarisches Regiment bei uns in Deutschland, wenigstens was die früheren Hemmnisse seitens der Kirchen angeht, demnächst möglich.

Nur erlaube man uns die Frage an die Adresse der Neuerer, die uns vielleicht nach Ansicht der Konservativen nichts mehr angeht: Wohin zielt ihr mit euren Bestrebungen, wem wollt ihr nützen und mit welchen Mitteln? Wenn ihr nicht glaubt, was ihr nach den Konstitutionen eurer Kirchen für wahr halten (und, schlimmer, für wahr erklären) müßt: Wäre es nicht ehrlicher, den Kirchen Lebewohl zu sagen, ehrlicher und wirksamer, politisch und sozial zu arbeiten, evolutionär oder revolutionär?

Bietet das Evangelium, vorausgesetzt, es enthält überhaupt Verlockungen zu gesellschaftlichem Tun, nicht mehr Substanz, wenn jemand außerhalb der christlichen Kirchen wirkt? Oder Ist etwa die Arbeit in den von Hunger und Primitivität ausgehöhlten Gesellschaften an kirchliche Institute gebunden? Ist »praktisches Christentum« in den Industriegesellschaften nicht die Ausnahme, das Alibi? Müßte diesseitiges Christentum sein Feld nicht eher außerhalb der christlich konventionalisierten Gesellschaften suchen, die mit dem Pfarrer herkömmlichen Typs oder mit dem Prediger-Star im ganzen besser bedient sind?

Wäre richtig, daß nicht das Heil der Seele im Jenseits, sondern die Vermenschlichung der Gesellschaft euer Ziel ist, nach einem immer wieder von Menschen zu entwerfenden Bild, euer Ziel die »Schaffung der Einheit unter der Weltbevölkerung« (Schillebeeckx): Wozu dann Kirche?

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