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»Das hat noch niemand fertiggebracht«

aus DER SPIEGEL 21/1971

Die Freigabe des Wechselkurses belastet die westdeutschen Unternehmen sowohl im Umfang als auch in der Bedeutung für ihren Betriebsgewinn unterschiedlich: Nur jene Branchen, die besonders hohe Anteile ihrer Produktion in das Ausland liefern, ferner jene Firmen, die sich bereits im konjunkturellen Abwind befinden, geraten mit steigendem Mark-Kurs unter nennenswerten Wettbewerbsdruck, weil ihre Exporte bei gleichen Inlandspreisen teurer werden.

Bei einem Kursanstieg von beispielweise fünf Prozent würden selbst jene Unternehmen, die ihre Produktion zur Hälfte exportieren, Einbußen von höchstens zweieinhalb Prozent des Umsatzes zu erwarten haben -- und das auch nur dann, wenn der Preisanstieg im Ausland nicht, wie bisher, höher wäre als in der Bundesrepublik. Dennoch klagten in der vergangenen Woche fast sämtliche Industrieverbände über den Währungsbeschluß der Bonner Regierung.

Maschinenbau. Im letzten Jahr führten die Maschinenbauer 45 Prozent ihrer Pressen, Turbinen und Getriebe in andere Länder aus. Die im Osthandel besonders erfolgreiche Branche mußte bereits bei der letzten Mark-Aufwertung Verluste einstecken, da die Sowjets zumeist mit Goldwert-Klauseln kontraktiert hatten und somit die Westdeutschen bei ihren laufenden Verträgen den Aufwertungssatz von 8,5 Prozent einbüßten. Hugo Rupf, Vorsitzender der Geschäftsführung bei einem der Branchenführer, der Voith GmbH in Heidenheim: »Das hat noch keine Regierung fertiggebracht: Innerhalb von eineinhalb Jahren zweimal eine Währungskorrektur.« Rupf sieht durch die Kursfreigabe und die erwartete Aufwertung »täglich Exportaufträge im Werte von hundert Millionen Mark« gefährdet.

Autohersteller. Fast gleich viel, nämlich 43 Prozent ihrer Produktion, verkauften die Autohersteller ins Ausland. Sie sind die bedeutendsten Kfz-Exporteure der Welt. Allein der Volkswagen-Konzern exportiert zwei Drittel aller gefertigten Automobile, Porsche sogar 75 Prozent. VW-Chef Lotz: »Eine fünfprozentige Aufwertung würde zu einer Belastung des Gesamterlöses von 300 Millionen Mark führen.«

Chemie. Die neben dem Maschinenbau und der Elektro-Wirtschaft größte Industriebranche setzte durchschnittlich 37 Prozent ihrer in der Bundesrepublik produzierten Waren jenseits der Grenzen ab. Der Chemieverband klagte bereits, die Freigabe der Wechselkurse werde die Branche »voll und schonungslos treffen«. Die Erträge der erfolgsverwöhnten Chemiekonzerne sind im vergangenen Jahr gesunken, so daß Bayer-Chef Kurt Hansen (Ausfuhr-Anteil: 55,7 Prozent) sich bei einem erneuten Kursanstieg abermals verkürzt sieht: »Da geht selbst der stärkste Esel in die Knie.«

Schiffbau. Besonders laut wehklagen die Werften, deren Auslandsumsatz derzeit 36 Prozent beträgt. Die Unternehmen rufen nach öffentlicher Hilfe und verkünden, »in diesem Jahr keinen Pfennig Lohnerhöhung« zahlen zu können (Verbandsvorsitzender Paul Voltz). Die bereits von Bonn subventionierten Schiffbauer argumentieren, ihre deutsche Kundschaft -- die Reeder -- müßte Chartergeschäfte auf Dollarbasis abschließen und hätte gleichfalls Verluste zu kompensieren. Manfred Lennings, Chef der Mammutwerft Howaldtswerke-Deutsche Werft AG, meint deshalb: »Wir sind die einzige Branche, die mit hundert Prozent getroffen wird.«

Feinmechanik und Optik. Auch dieser Industriezweig, der einen Exportanteil von 37 Prozent erzielte, fühlt sich geschädigt. Verbands-Geschäftsführer Heinrich von der Trenck verzeichnet »eine verdammte Unruhe unter den ausländischen Handelsvertretern«. Die Fabrikanten von Photoapparaten, Ferngläsern sowie optischen und elektronischen Meßgeräten sehen sich vornehmlich durch die amerikanische Konkurrenz, »die durch Regierungsaufträge Speck ansetzen konnte« (Zeiss-Manager Hans Lehmann), aus den internationalen Märkten gedrängt.

Elektro und Stahl. Entgegen landläufiger Meinung zählt die Elektro-Branche nicht zu den exportintensiven Industriezweigen; nur 24 Prozent ihrer Produktion gingen ins Ausland. Die Stahlfabrikanten exportierten gleichfalls nur 24 Prozent. Dennoch klagt CDU-Bundestagsabgeordneter Hans Dichgans, Geschäftsführer des Stahlverbandes: »Unsere Industrie rechnet mit dem Schlimmsten.«

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