DAS HERZ DER SONNE WAR DIE HÖLLE
Die japanischen Großstädte Hiroshima und Nagasaki wurden 1945 von amerikanischen Atombomben vernichtet, deren Sprengkraft der von 20 000 Tonnen herkömmlichen TNT-Sprengstoffs entsprach. Kernwaffen dieser Größenordnung gelten heute als Kleinbomben: Amerikaner und Sowjets vermögen Superbomben mit einer Sprengkraft von 50 Megatonnen zu bauen - 2500 mal energiereicher als die Atombombe, die Hiroshima zerstörte, 37mal energiereicher als alle konventionellen Bomben zusammen, die während des letzten Weltkriegs auf Deutschland fielen Wie die Kleinbomben des Hiroshima-Typs wirkten, ist in den Schilderungen mehrerer Japaner überliefert, die den ersten Atombomben-Angriff der Geschichte überlebten und dem amerikanischen Schriftsteller Robert Trumbull ("Nine who survived Hiroshima and Nagasaki") ihre Erlebnisse mitteilten:
Weißes Licht blitzte auf. Es war so grell, daß es in den Hirnen der Beschauer aufzulodern schien. Dann folgte die Erschütterung, die Druckwelle - mit einem Getöse, als berste die Welt auseinander. Die Leute im Freien fühlten die Hitze wie einen Hieb. In der Nähe des Explosionszentrums schrumpften sie brennend zusammen oder verschwanden einfach wie der unbekannte Mann, dessen Schatten - der eine sitzende Haltung verrät - in die Betonstufen der Sumitomo-Bank eingebrannt wurde und noch heute zu sehen ist.
Nie wird man wissen, wie viele in dem Augenblick starben, da die Bombe über Hiroshima zerbarst und die volkreiche Stadt mit kataklysmischer Gewalt zerfetzte. Im Dezember, vier Monate nach der Explosion, stand fest, daß mindestens 64 000 Menschen umgekommen waren. Vermutlich starben 40 000 bis 50 000 von ihnen in jenen schrecklichen Sekunden, da das sengende Herz der Sonne herniederfiel und tödliche Strahlung über die Erde zuckte.
24 Stunden nach der Explosion ging der Werftarbeiter Sakajiro Mishima durch Hiroshima. Er stieß auf eine zerschmetterte, ausgeglühte Straßenbahn, in der noch sämtliche Passagiere saßen - schwarzgebrannt. Zwei Personen hatten offenbar gerade einsteigen wollen, als sie von der Hitzewelle erfaßt und in Kohleklumpen verwandelt wurden, deren Formen vage an Menschen erinnerten.
Mishima: »Eine junge Frau kam mir entgegen. Ihr Haar war weggebrannt, Sie trug nur weiße Schlüpfer. An den Brüsten erkannte ich, daß es eine Frau war. Es war wie bei den Soldaten: Als ich an einer Gruppe brandschwarzer Leichen vorüberkam, konnte ich nur am Schuhwerk erkennen, daß es Soldaten waren. Es muß eine ganze Kompanie gewesen sein.
»Die Flüsse waren angefüllt mit Leichen. Die Leute waren augenscheinlich ins Wasser gesprungen, um der Hitze zu entfliehen oder ihre angeflammten Körper zu kühlen. Vielleicht trieb sie auch der Durst. Jeder Graben, der Wasser hatte, war voller Leichen.«
Akira Iwanaga, ein Schiffbau-Ingenieur, überstand das Desaster in einer Fabrik, die durch einen Hügel vor der vollen Wucht der Explosion geschützt war. Er flüchtete in einen Luftschutzkeller. Als er eine Stunde später wieder herauskam, entdeckte er vor der Firmenklinik eine unheimliche Ansammlung gespenstischer Figuren, einige fast nackt, viele in Agonie stöhnend.
»Ihre Haut«, berichtete er, »sah aus, als sei sie mit Zement gepudert. Es war unmöglich, die Gesichtszüge zu erkennen. Ebensowenig konnte man Frauen von Männern unterscheiden. Ihr Haar war abgebrannt. Viele mußten blind sein. Ihre Augen waren in dem, was von ihren Gesichtern übriggeblieben war, nicht mehr auszumachen.«
Ein Kollege Iwanagas, Tsutomu Yamaguchi, versuchte in der Morgendämmerung, in die City von Hiroshima vorzudringen. »Das erste, was ich in dem Dschungel von Rauch und Flammen sah«, berichtete er später, »war eine Gruppe von Schülerinnen im Alter von acht bis 13 Jahren. Ihre Gesichter schienen geschmolzen. Die Haut ihrer Arme war über die Handgelenke gesackt wie abgerutschte Jackenärmel. Ihre Kleidung war bis auf die Schlüpfer hinweggefegt. Einige hatten so schwere Verbrennungen, daß sie nicht mehr weinen konnten. Viele von ihnen waren blind, sie wurden von den anderen geführt.
»Flammenverletzte flüchteten rennend aus dem Zentrum der Stadt. Andere kamen langsam an Stöcken. Im Hintergrund schwelte die Stadt. Es sah aus wie eine Geisterparade der Hölle.«
In Nagasaki überstand Shigeyoshi Morimoto die Explosion nur, weil er unter Trümmern begraben wurde und so von der Gluthitze verschont blieb. Als er sich befreit hatte, sah er - »so weit zu blicken war« - nur Trümmer, wo zuvor die Häuser waren. »Meine nächste Reaktion war: 'Diese Katastrophe ist die göttliche Bestrafung Japans.' Ringsum lagen zahllose Verwundete. Einige waren in den Trümmern eingeklemmt. Alle schrien um Hilfe. Sie hatten gräßliche Verwundungen. Viele glichen Gespenstern. Die Haut war von ihren Gesichtern gefallen und hing ihnen wie Seidentücher über die Schultern. Der Anblick machte mich starr vor Entsetzen.
»Je mehr ich sah, um so deutlicher erschien es mir als Fügung, daß ich nicht zu Tode verbrannt worden war. In unmittelbarer Nähe der Stelle, wo mich die Explosion zu Boden geschleudert hatte, waren sogar die Bäume in Flammen aufgegangen. Es war kein Wunder, daß Menschenfleisch in Sekundenschnelle gegrillt wurde.«