Das Hufeisen der Schauspielerin
Es ist erst kurze Zeit her, daß aus New York Meldungen kamen, die von einem Selbstmordversuch Pola Negris berichteten. Sie habe mehrere Selbstmordversuche begangen, hieß es sogar.
Nachfragen ergaben nichts, was diese Meldungen bestätigt hätte. Als Letztes war authentisch über die Filmschauspielerin Pola Negri festzustellen, daß sie dabei sei, ihre Memoiren zu schreiben. Leute, die alt genug sind, um sich der Karriere Pola Negris, einer bemerkenswert romanhaften Karriere, entsinnen zu können, geben zu, daß für diese Memoiren ein interessanter Stoff vorliegt.
Manche sahen in dem Selbstmordversuch ein mit lebenssichernder Vorsicht angewandtes Mittel, eine eingeschlafene Aufmerksamkeit wieder zu erwecken. Aber es ist zuzugeben, daß hierfür die Erinnerungen einer Schauspielerin, die so oft im Scheinwerferlicht der Ateliers wie des öffentlichen Interesses gestanden hat, bei weitem geeigneter sind. Geeigneter jedenfalls, als ein noch so interessant mißlungener Selbstmordversuch es je sein könnte.
Das Leben führte Pola Negri aus dem stillen polnischen Städtchen Lipno, nahe der Weichsel, in die laute Welt. Der Vater war ein aus der Slowakei zugewanderter Ungar, ein Zigeuner sagen manche, die Mutter Polin. 1895 und 1897 kursieren als Geburtsjahr. Es ist nicht mit letzter Genauigkeit zu erfahren, welches Jahr auf dem Geburtsschein von Apollonia Chalupez steht.
Dies ist ihr bürgerlicher Name. Sie trägt ihn noch, als sie in der Kaiserlichen Ballettschule des zaristischen Petersburg und dann als Stipendiatin an der Staatlichen Schauspielschule in Warschau ausgebildet wird. 1913 spielt sie in Gerhart Hauptmanns »Hanneles Himmelfahrt« das Hannele. Seither nennt sie sich Pola Negri, nach ihrer Lieblingsdichterin, der italienischen Lyrikerin, deren Gedichte so oft Variationen eines Themas sind: der Liebe der Frau.
1918, nachdem sie im Weltkrieg Rote-Kreuz-Schwester gewesen war, beginnt Pola Negris Filmarbeit in einem Maleratelier und in einem kleinen Dorfe bei Warschau. Pola Negri schreibt selbst das Manuskript ihres ersten Films. »Sklaven der Sinne - oder: Liebe und Leidenschaft« heißt er.
Ihre Rolle ist die einer sehr dämonischen, unentwegt bösen Frau. 200 Mark bringt ihr der Film ein. Noch einige andere werden gedreht, dann ist die Firma finanziell am Ende. Pola Negri geht nach Berlin.
Sie spielt an der Reinhardt-Bühne. Dann macht die Ufa ihr ein Angebot, die Serie der Negri-Filme beginnt und wird ein sensationeller Erfolg: »Die Augen der Mumie Ma«, »Der Tod der Sumurun«, »Carmen«, »Die Flamme« bis zum Triumph der »Madame Dubarry« (mit Emil Jannings unter der Regie von Ernst Lubitsch).
1919 heiratet Pola Negri den Grafen Eugen Domski, einen reichen polnischen Gutsherrn und Offizier. 18 Monate später ist die Ehe in die Brüche gegangen.
1921 ist Pola wieder in Berlin. Die Stadt spricht von ihr, als ihr der ganze Schmuck und alle wertvollen Pelze gestohlen werden. Ein Reklametrick? Die Polizeiakten beweisen die Wahrheit.
Im Jahr darauf wird Pola Negri für 120 000 Dollar im Jahr nach Hollywood verpflichtet. Kurz darauf zahlt ihr die Paramount 250 000 Dollar. Der Dubarry-Film hatte auch das Interesse in Amerika auf sie gelenkt.
»Bella Donna« ist ihr erster Film, später folgen »Woman on trial«, »Secret hour«, »Three sinners«, »Loves of an actress«, »A woman commands«. Der Start mit »Bella Donna« ist nicht sehr glücklich, aber man spricht von Pola Negri. Pola Negri hat sich mit Rudolf Valentino verlobt.
Der Filmschauspieler Valentino gilt als der schönste Mann der Welt, um dessentwillen Frauen in Ohnmacht und Ekstase fallen. Als er Pola Negri als Dubarry gesehen hatte, hatte er, damals noch ein Komparse, ihr einen Brief leidenschaftlicher Bewunderung geschrieben und sie um ihr Bild gebeten.
Der Tag der Hochzeit Pola Negri - Rudolf Valentino, ein Tag, auf den die Presse und die Wochenschauen der Welt warten, ist festgesetzt. Da stirbt Valentino an den Folgen eines verschleppten Magenleidens.
Pola Negri ist zu dieser Zeit mitten in der Arbeit für »Hotel Stadt Lemberg«. Jede ungünstige Nachricht von Valentinos Krankenlager wird ihr ferngehalten, eine Reise zu dem hoffnungslos operierten Bräutigam würde der Filmgesellschaft ein Vermögen kosten. Pola Negri hat Valentino lebend nicht mehr gesehen. Leute, die sie kennen, sagen, daß sein Tod eine Wunde in ihr Leben riß, die nie aufhörte, zu schmerzen.
1927 heiratet Pola Negri den georgischen Prinzen Serge Mdivani. Drei Jahre später erfolgt die Scheidung. Ein Nachspiel sind finanzielle Schwierigkeiten. Hinzu kommt die Krise der amerikanischen Filmindustrie. Pola Negri verkauft ihre Villa in Beverly Hills. In Paris veröffentlicht sie schriftstellerische Arbeiten über ihre Filmarbeit.
Im Jahre 1930 kehrt sie noch einmal nach Hollywood zurück. Ihr Ruhm ist gesunken. Man feilscht um die Höhe der Gage. Ein Jahr später meldet die Weltpresse Pola Negris Tod. In der Tat: Eine Blinddarmoperation scheint fast zu spät zu kommen. Aber Pola Negri erholt sich. Sie erholt sich schneller, als die Berichte über ihren Tod widerrufen werden können.
Eine neue Romanze in ihrem Leben bedeutet Glen Kidston, der englische Millionär und enragierte Motorsportmann. Er kommt bei einem Flugzeugunglück in Südafrika ums Leben.
1935 legt die »Bremen« am Columbuskai in Bremerhaven an, und Pola Negri geht von Bord. Nach dreizehn Jahren kommt sie wieder zum deutschen Film. Willi Forst hat sie für seinen Film »Mazurka« geholt.
Es hieß, Goebbels habe ihr die Spielerlaubnis verweigert, mit der Begründung, sie sei Jüdin. Auch wurde ihr vorgeworfen, sie habe 1914/18 gegen Deutschland Spionage betrieben. Es hieß weiter, Hitler habe diese Beschuldigungen nachprüfen lassen, und es hätten sich keine Beweise für ihre Richtigkeit ergeben.
Ein glanzvolles come-back vollzieht sich. Pola Negri spielt in »Mazurka« (mit Albrecht Schönhals), in »Moskau-Shanghai«, »Madame Bovary«, »Die fromme Lüge«, »Tango Notturno«. Die Frau, deren Schönheit vor 20 Jahren die filmfreudige Welt entzückt hatte, fasziniert aufs neue, nicht zuletzt durch die dunkle, rauhe, vibrierende Stimme.
Als der Krieg ausbricht, kehrt Pola Negri von ihrer Riviera-Besitzung am Cap Ferrat, wo Sie ihre Ferien verlebt, nicht nach Berlin zurück. Sie arbeitet fürs Rote Kreuz. Als aus Amerika ein Filmangebot kommt, nimmt sie es an. Von Lissabon aus verläßt sie Europa aufs neue.
Sie hat vergessen, ihre USA-Wiedereinreisegenehmigung zu verlängern und muß eine Weile in der Einwandererstation Ellis Island verbringen. Die Rolle, die man ihr anbietet, ist die einer unglücklichen alten Frau in »For whom the bell tolls«. Die Negri weist die Rolle als für sie ungeeignet zurück. 1943 spielt sie mit Adolph Menjou als Partner in »He diddle diddle« die Rolle einer temperamentvollen Opernsängerin.
Im Mai 1944 spricht man davon, Pola Negri habe sich außerstande erklärt, ihre Schulden zu bezahlen. Man vermutet, daß sie in New York nahezu mittellos lebt, angewiesen auf Geld, das ihr von befreundeter Seite zur Verfügung gestellt wird.
Als junge Warschauer Schauspielschülerin hat Pola Negri einmal ein Hufeisen gefunden, erzählt man sich. Sie war fest davon überzeugt, daß es ihr Glück bringe, und wirklich erhielt sie tags darauf ein Engagement.
Seitdem glaubte sie fest an den mystischen Einfluß des Stückes Eisen, erzählt man sich weiter. Sie soll es immer gehütet haben, und man weiß nicht, ob sie es verlor oder ob sie noch darauf vertraut, wenn sie jetzt ihre Memoiren schreibt.
Als sie anfing: Pola Negri in »Der Tod der Sumurun«, mit Ernst Lubitsch
Als sie wiederkam: Pola Negri in »Tango notturno«, mit Albrecht Schönhals