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Das illegale Staatsgeheimnis

aus DER SPIEGEL 47/1965

»Schweigen, auch wenn Vater Staat Fehler macht?« fragte die »Kölnische Rundschau« in einem Kommentar zum Pätsch-Urteil des Bundesgerichtshofes, bei dem Präsident Rotberg auch auf die Frage des illegalen Staatsgeheimnisses eingegangen war. Ein Beamter habe sich, so Rotberg in der Urteilsbegrundung, zunächst an seine Behörde oder einen Volksvertreter, nicht aber sofort an die Öffentlichkeit zu wenden, wenn er einen geheimen Mißstand abstellen wolle. Zu dieser Begründung schrieben deutsche Zeitungen unter anderem:

Stuttgarter Nachrichten

Der Prozeß ging praktisch um die Frage, ob illegale Staatsgeheimnisse publik gemacht werden dürfen oder nicht. Im Weimarer Staat waren auch illegale Staatsgeheimnisse noch tabu, deren Behandlung in der Öffentlichkeit also Landesverrat. Ossietzky hat es erfahren ... Seit 1945 gab es bisher keinen einzigen namhaften Juristen, der dieses Urteil für richtig hielt ...

Zum erstenmal hat im Fall Pätsch unser Bundesgericht jetzt einen anderen Standpunkt bezogen. Es behauptet erstens zu Unrecht, daß die Meinungen »in der Rechtslehre geteilt« seien. Darüber gab und gibt es nämlich nur eine Meinung! Die Meinung, daß verfassungsfeindliche Maßnahmen des Staats selbstverständlich jeden von uns, ob Beamter oder Nichtbeamter, zur Gegenwehr aufrufen.

Wenn Karlsruhe jetzt diese klare und vernünftige Auslegung verneint, so müssen wir uns dagegen aufs schärfste verwahren. Die Ansicht, daß sich jeder von uns, gegen solche Aushöhlung der Verfassung wehren sollte, geht keineswegs, wie die Karlsruher Richter meinen, »zu weit«. Ganz im Gegenteil. Wer unsere Verfassungswirklichkeit kennt, muß geradezu den vehementen Aufruhr gegen jeden auch nur denkbaren Verfassungsmißbrauch wünschen und fördern.

Die Welt

Es ging nicht primär um den Fall des Angeklagten. Es ging im Falle Pätsch um das Problem des verfassungswidrigen Staatsgeheimnisses, mit dem die Justiz der Bundesrepublik zum erstenmal durch die vom Angeklagten aufgerollte Telephon-Abhöraffäre befaßt wurde.

Nur der verbleibende Zweifel erklärt ... warum sich das Gericht in der Urteilsbegründung mit der Frage des verfassungswidrigen Staatsgeheimnisses noch auseinandersetzte. Denn sie war in dem Augenblick hypothetisch geworden, in dem das Gericht dem Angeklagten entgegen der Meinung der Bundesanwaltschaft zubilligte, er habe der Auskunft seines Rechtsanwalts Augstein glauben dürfen, nach der jedermann die Öffentlichkeit straflos über einen geheimgehaltenen Verfassungsbruch unterrichten könne. Der Bundesgerichtshof gab freilich eine so sibyllinische Antwort, daß es scheint, als habe ihn der Mut gereut, mit dem er dieses Grundproblem unseres Staats- und Verfassungsverständnisses in Angriff nahm.

Süddeutsche Zeitung

Immerhin kann es dem besorgten Zeitgenossen bedenklich erscheinen, daß hier ein paar Wochen nachdem der Auschwitz-Prozeß gleichsam im Brennglas zeigte, wohin das Übergewicht der Staatsräson vor dem Recht führen kann, nach Auffassung des Bundesgerichtshofs immerhin objektiv ein Staatsgeheimnis darin erblickt wird, daß in einem geheimen Nachrichtendienst wie dem Verfassungsschutz, der keiner Kontrolle durch die Justiz unterworfen ist, Gestapo-Leute sitzen, und daß Staatsbürger unter Verletzung der Verfassung am Telephon belauscht werden. Daß Pätsch hier nur sozusagen der falsche gute Glaube im Hauptpunkt zu einem Freispruch verhalf, stimmt nachdenklich. Im demokratischen Rechtsstaat darf es unseres Erachtens keinen strafrechtlichen Geheimnisschutz für »illegale Staatsgeheimnisse« geben.

Frankfurter Rundschau

Das Urteil gegen Pätsch trägt ... alle Züge eines Kompromisses, der nicht nur als sichtbarer Ausdruck kontroverser Auffassungen innerhalb des Senats gedeutet werden muß, sondern wohl auch als Ergebnis seiner Bemühungen, totale rechtliche Konsequenzen hinsichtlich der ungeklärten Frage illegaler Staatsgeheimnisse zu vermeiden ... Die ausdrückliche Feststellung des Senats, daß Verfassungsverstöße zunächst einem Abgeordneten des Bundestages offenbart werden sollten, bedeutet allerdings eine besondere Verpflichtung für die gewählten Volksvertreter.

Der Tagesspiegel

Immerhin ist der Bundesgerichtshof im allgemeinen Teil der Urteilsbegründung eigentlich weitergegangen, als es das Strafgesetzbuch in Paragraph 100 Absatz 3 vorsieht. Danach steht nur Bundestagsabgeordneten das Recht zu, ein illegales Staatsgeheimnis im Bundestag - und nur dort - zu rügen. Diese Bestimmung sollte nicht erst mit der Strafrechtsreform beseitigt werden. Zunächst einmal hat der Staat selbst die Legalität zu wahren, auch im Geheimdienst. Wer ein illegales Geheimnis verrät, kann damit durchaus das Wohl der Bundesrepublik fördern, nämlich zum Schutz ihrer Verfassung gegenüber ihren eigenen Organen beitragen.

Die Zeit

In der Begründung des Urteils wurde ... darauf hingewiesen, daß die »weitestgehende Rechtsansicht« besage: ein verfassungswidriges Geheimnis kann niemals ein Staatsgeheimnis sein. Von dieser ausdehnenden Auffassung, so hieß es weiter, könne der Senat jedoch nicht ausgehen ... Wiederum mag diese Erklärung des Senatspräsidenten juristisch wohlfundiert sein, wiewohl nicht einleuchtet, weshalb dem angeblichen Schutz der Behörde ein solcher Vorrang, und sei es auch nur in der Prozedur, vor dem Schutz von Recht und Verfassung eingeräumt wird.

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