DEMOGRAFIE »Das ist abenteuerlich«
SPIEGEL: Frau Köhler, jahrelang hieß es in Deutschland, Akademikerinnen bekämen zu wenig Kinder. Haben wir über ein Phantomproblem geklagt?
Köhler: Es spricht einiges dafür. Nach einer Schätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung bleiben 25 Prozent der Frauen mit Hochschulabschluss ohne Kinder - und das ist nur ein geringer Unterschied zur Quote der kinderlosen Frauen insgesamt. In den meisten Veröffentlichungen heißt es aber, dass 40 Prozent der Akademikerinnen auf Nachwuchs verzichteten.
SPIEGEL: Wer hat sich da verzählt?
Köhler: Bislang wurde beim staatlichen Mikrozensus nicht die schlichte Frage gestellt, wie viele Kinder eine Frau hat. Stattdessen wurde ermittelt, wie viele minderjährige Kinder im Haushalt von Frauen leben, die jünger sind als 40 Jahre. Das hatte etwa die absurde Folge, dass eine Frau, die 39 ist und mit ihrem 18-jährigen Sohn zusammenlebt, als kinderlos galt. Auch Geburten jenseits der 40 wurden nicht ausgewertet. Es gibt aber viele gutausgebildete Frauen, die erst mit über 40 Mutter werden. Die Große Koalition hat jetzt eine Änderung des Mikrozensusgesetzes beschlossen, und ich hoffe, dass wir im nächsten Jahr verlässlichere Zahlen bekommen.
SPIEGEL: Wie konnte es dazu kommen, dass die Regierung jahrelang unzulängliche Daten erheben ließ?
Köhler: Die Begründung war allen Ernstes, es sei zu intim, eine Frau nach der Anzahl ihrer Kinder zu fragen. Das ist abenteuerlich. Es ist lebensfremd anzunehmen, eine Frau würde ein Kind vor einem neuen Lebenspartner verstecken.
SPIEGEL: Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat die Einführung des Elterngeldes auch damit begründet, dass Akademikerinnen zu oft kinderlos blieben. Muss das Elterngeld nun auf den Prüfstand?
Köhler: Nein, vom Elterngeld profitieren ja alle Frauen, und dass mehr Kinder geboren werden sollen, ist ja unstrittig. Aber es wäre ein Fortschritt, wenn man Akademikerinnen nicht länger vorwerfen würde, sie seien im Gebärstreik.