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»DAS IST SO WICHTIG, SO WICHTIG ...«

aus DER SPIEGEL 45/1967

Als Britanniens Premier Harold Wilson seinem deutschen Gast Kurt Georg Kiesinger nach einer Dreiviertelstunde taktvollen Abwartens ins Damenzimmer des Hauses Downing Street 10 nachfolgte, fand er den Charmeur aus Bonn in heikler Situation.

Der deutsche Kanzler lehnte müde in der Ecke eines mit schwerer weißer Seide bezogenen Sofas und rang um einen Rat, wie die unselige Dreiecksgeschichte mit Paris, Bonn und London zu einem glücklichen Ende zu bringen sei. Aber er hatte keinen.

Dort, wohin sonst die weiblichen Gäste des Premierministers den Havannas ihrer Begleiter entfliehen, sah sieh der um mehrere Monate verspätete Bonner Antrittsbesucher nach Tisch am letzten Montagabend von einem guten Dutzend kühler Presseherren in Dinnerjacketts vor die englische Frage gestellt, ob ein deutsches Wort den französischen Staatsgeneral nicht doch zur Aufgabe seines Widerstandes gegen Großbritanniens Einzug in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft bewegen könne.

Kiesingers vage, dich wortreich kostümiertes Nein hing noch, echolos, zwischen den Seidentapeten und den Gainsboroughs der Repräsentationsräume. von denen die berühmte Backsteinfassade an der Downing Street nichts ahnen läßt, als der Hausherr hereinkam, um der traurigen Tändelei mit dem Unvereinbaren ein Ende zu machen.

Harold Wilson ergriff Besitz von einem babyblauen Sessel zur Rechten Kiesingers, und nachdem er dort eine Weile mit glattem Gesicht zugehört hatte, überkam ihn die gespannte Nervosität eines Mannes, der irgendwo ganz nah eine Mücke summen hört, aber noch nicht weiß, in welche Richtung er schlagen soll.

Während Kiesinger largo weiterplauderte, vergrub Wilson beide Daumennägel zwischen den Vorderzähnen und schnitt hinter dem Fächer seiner Finger allerhand Gesichter. Oder er wühlte so heftig nach seiner Pfeife. daß das ausgegangene Silberhaar, das bislang mit dramatischem Schwung die Schulter seiner Smokingjacke geziert hatte, losgerissen zu Boden schwebte.

Doch erst als Kiesinger, ein Glas mählich sich erwärmenden Whisky in der einen Hand, eine längst erloschene Zigarre in der anderen, seinem Plädoyer für Gewaltlosigkeit gegenüber de Gaulle das Bekenntnis folgen ließ, er glaube wirklich, daß der mit Moskau so gut gestellte General die Wiedervereinigung Deutschlands erstrebe -- erst da griff Wilson ein.

Er stand auf mit dem Nachdruck eines Gastgebers, der entschlossen ist, zu verhindern, daß sich auf seiner Party jemand auszieht. Der Herr Kanzler sei mit der Zeit, schon mehr als freigebig umgegangen. ließ Harold Wilson sich metallisch vernehmen und fügte dann mit einem Lächeln, doch ohne Schonung. hinzu Außerdem pflege die britische Regierung dank ihrer hervorragenden Beziehungen sowohl zu Washington als auch zu Moskau über den heißen Draht mit beiden Hauptstädten die letzten Neuigkeiten auszutauschen. und der Draht nach Moskau beginne in Kürze, genau eine Minute nach Mitternacht, zu spielen. Es sei also Zeit, aufzubrechen.

Kiesinger übertönte seine Zweifel an der geschmacklichen Zulässigkeit dieses Scherzes mit einem trugen und doch forcierten Lachen. Dann erhob er sich gehorsam und ging geduldig mit.

London war nicht Kiesingers große Szene. überhaupt England nicht. Zwar bestritt er, einschlägig befragt, mehr Neigung für Frankreich als für England zu haben. Aber ganz sicher war er sich da nicht. »Ich muß sagen. ich entscheide mich ungern. Traditionell landsmannschaftliche Bindung an Frankreich sei natürlich vorhanden: »Ich bin Süddeutscher.« Doch der Einfluß der großen englischen Literatur -- »Ich meine das im besten Sinne des Wortes« -- sei stärker gewesen als der Einfluß der französischen.

Also ein Kompromiß: Zur Vorbereitung seines Besuches in London hatte Kurt Georg Kiesinger eine Biographie des Briten Disraeli gelesen -- aus der Feder des Franzosen Maurois.

Selbst mit Elizabeth II. von England ließ sich ganz gut von Frankreich schwärmen -- die Queen fing nämlich damit an: Ob der Kanzler noch wisse, erkundigte sie sich letzten Mittwoch im Buckingham-Palast, wie sie ihm damals in Deutschland, als er noch Baden-Württembergs Ministerpräsident war, auf der Fahrt von Stuttgart nach Marbach gestanden habe, sie fühle sich manchmal wie eine arme Gefangene und wolle doch so gern reisen -- vor allem nach Frankreich? Nun, unterdesssen habe sie es geschafft, hauchte die Königin jetzt mit einem Augenaufschlag, den Kiesinger listig fand: Sie sei in Frankreich gewesen, privat, in der Normandie, und habe das Leben dort sehr genossen.

Nicht so Kiesinger in London. Auf dieser englischen Reise wuchsen seiner· Sehnsucht keine Schwingen, nicht einmal seiner Beredsamkeit. Und nur ein einziges Mal riß ihn die historische Kulisse -- sonst immer wieder Anlall zu feinsinnigen Reaktionen -- erkennbar mit: In der geschichtsbeladenen Westminster Hall eckte er die Arme zu dem ehrwürdigen Dachgebälk empor, in dem seit Generationen der Holzbock haust, und ließ seine englischen Begleiter wissen: »Oh, ich beneide Sie darum, daß Sie das besitzen! Das ist so wichtig, so wichtig ...

Der schwarz-rote Schwabe war so glanzlos und so überzeugungsarm. wie er es immer dann ist, wenn er etwas unternehmen muß, an dessen Erfolgschancen er nicht glaubt. Dies war so ein Fall: Weder konnte er de Gaulle davon überzeugen, daß England Zutritt zum Europa der Sechs haben müsse, noch konnte er Wilson davon überzeugen, daß er de Gaulle nicht überzeugen könne. Der Mißerfolg der London-Reise war also garantiert. Dennoch ließ sich ein Kanzler-Besuch an der Themse nicht noch länger aufschieben.

Tristesse war die Folge und ein gewisser Groll. Geschah den Engländern denn nicht recht, wenn sie jetzt Schwierigkeiten mit Europa hatten? War nicht er, Kiesinger. es gewesen, der ihnen vor zehn Jahren schon geraten hatte, sich mehr um den Kontinent zu bemühen, und war es vielleicht seine Schuld, daß sie es nicht beizeiten getan hatten? War er es, der Kritik verdiente?

Bei erster Gelegenheit nahm Kiesinger George Brown beiseite, Englands feuchtfröhlichen Außenminister, der neulich seinen zahlreichen Kritikern via Fernsehen erwidert hatte, jawohl, er saufe gelegentlich und werde das auch keinesfalls ändern. Das sei die richtige Art mit solchen Kritikern umzugehen, lobte Kiesinger voller Neid und vergaß nicht anzufügen, daß verständnislose Menschen in Deutschland ihm neuerdings nicht einmal mehr seine Wochenenden in Bebenhausen gönnen mochten.

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