Das Land, aus dem die Träume sind
Im Mai dieses Jahres gab US-Präsident Gerald Ford seinem Gast Schah Resa Pahlewi aus Persien im Weißen Haus ein Gala-Diner. Ehrengäste wie David 5. Lewis, Chef des Flugzeug- und Raketenkonzerns General Dynamics, Robert H. Mallot, Vorsitzender der Rüstungsfirma FMC, und Henry Ford II., Auto- und Waffenproduzent, genossen den Vorzug und das Vergnügen, mit Seiner Majestät zu plaudern -- der Iran hat in den vergangenen fünf Jahren amerikanische Waffen für rund 10 Milliarden Dollar geordert. Einige Monate später, im vergangenen Oktober. lud Gerald Ford die Präsidenten der Rüstungskonzerne Raytheon und Lockheed zu Tisch ins Weiße Haus. Der Staatsgast hieß Anwar el-Sadat -- Ägypten verlangt es nach US-Waffen im Wert von vielen Milliarden Dollar.
Auch während der üblichen Geschäftszeiten hat der US-Präsident ein Ohr für seine Waffenproduzenten: Im ersten Jahr seiner Amtszeit empfing er 23 hochrangige Vertreter von Rüstungsfirmen. Zu seinen engsten Freunden und Beratern zählen Chefs oder Lobbyisten aus Firmen, deren Produktionspalette allerlei Kriegsmaterial, vom Gewehr bis zur ferngesteuerten Rakete, bietet. Ihnen, aber auch den anderen 198 Rüstungsfirmen. die in Washington offizielle Verbindungsbüros einrichteten, bescheinigt die »New York Times« »leichten Zugang zum Weißen Haus oder zum Verteidigungsministerium«.
Sie müssen ihn haben: In den drei Dekaden Nachkriegsgeschichte stieg jener »militärisch-industrielle Komplex*, vor dem der Weltkrieg-II-General Eisenhower warnte, zum größten. wachstumsstärksten und undurchsichtigsten Sektor der US-Wirtschaft auf. Amerikas Rüstungswirtschaft wird in den kommenden zwölf Monaten rund 35 Milliarden Dollar umsetzen, mehr als das Bruttosozialprodukt der Republik Österreich.
Das Ende des Vietnam-Krieges konnte der blühenden Branche entge-
* Für Senator William Proxmire, einen der wenigen einflußreichen Pentagon-Kritiker, müßte es eigentlich heißen: »military -- industrial -- bureaucratic -- trade-association -- labor-union -- intellectual -- technical -- academic-service-club political complex.
gen allen Analysen und Hoffnungen kaum etwas anhaben. Den großen Flugzeug-, Raketen- und Elektronickonzernen paßte die asiatische Kriegsführung ohnehin nur bedingt ins Konzept. Sie verdienen vor allem an Entwicklung und Produktion modernster und hochkomplizierter Waffensysteme, etwa dem 14 Millionen Dollar teuren Schwenkflügler F-111, der sich, nach Entwicklungskosten von 1,2 Milliarden Dollar, in Vietnam als totaler Flop erwies: Drei der sieben eingesetzten Maschinen stürzten schon während ihrer ersten Mission ab, alle ausgelieferten Maschinen wurden mit Startverbot belegt.
Vor allem aber verärgerte der laufende Kriegsbedarf, von Stiefeln über Uniformen, Jeeps und Munition bis zu Hubschraubern und Kanonen, die Elite der
Rüstungsindustrie. Trotz ihrer fast allmächtigen Lobby gelang es ihnen nicht immer, all ihre neuesten und teuersten Projekte im Verteidigungshaushalt unterzubringen.
Nach dem Abzug der Amerikaner aus Vietnam waren sie diese Sorgen los -- zumal trotz der Heimkehr der Jungs
das Rüstungsbudget in diesem Finanzjahr um zehn Prozent aufgestockt wurde.
Jene Pentagon-Lieferanten hingegen, deren Waren nun nicht so recht gefragt waren, wußten bald einen Ausweg: Sie traten zu einer beispiellosen Exportoffensive an.
Ihre Kundschaft ist die Welt, ihr Einfluß weltweit. Von Militärdiktaturen abgesehen, hat wohl allenfalls das Militärestablishment im Zentralkomitee der KPdSU oder der Regierung der UdSSR ein vergleichbares politisches Gewicht. Sie verordnen ihrer Bevölkerung in etwa die gleichen Lasten für ihre Wehretats: Jeder US-Bürger zahlt 430 Dollar im Jahr für die Landesverteidigung, jeden Sowjetbürger kostet die Soldateska 409 Dollar, allerdings bei ungleich niedrigerem Einkommen. Westeuropäer wie Franzosen oder Westdeutsche kommen mit etwas mehr als der Hälfte davon.
»Es ist eine Tragödie«, klagte unlängst Senator Edward Kennedy, »daß wir zu den Waffen-Kaufleuten der Welt wurden.« Senator Hubert Humphrey verglich die amerikanische Rüstungswirtschaft mit einem »Supermarkt, wo sich jeder bedienen kann«, dem Abgeordneten Philip Hayes fiel nur noch Teutonisches ein: »Die USA sind zum Krupp der Welt geworden.«
136 Nationalstaaten sind Kunden der Konzerne, die seit Ende des Zweiten Weltkriegs für 100 Milliarden Dollar ins Ausland lieferten. Allein im letzten Finanzjahr verkauften sie ihren Abnehmern Waffen im Wert von elf Milliarden Dollar -- 1967 waren es noch zwei Milliarden. Im letzten Vierteljahrhundert konnten sie beispielsweise dienen mit 866 »Phantom«-Düsenjägern, 2375 Hubsehraubern, 5000 Boden-Luft-Raketen vom Typ »Hawk«, 25 000 Luft-Luft-Raketen vom Typ »Sidewinder«, 28 000 Panzern und ebenso vielen Panzerabwehr-Raketen.
Spannungsgebiete wie der Nahe Osten werden dabei -- jedenfalls seit den Tagen des Jom-Kippur-Krieges -- weiter aufgeladen: Die Amerikaner verkauften in den letzten Monaten * Links ein US-Instrukteur, rechts ein saudi-arabischer Luftwaffenleutnant.
»Pershing«-Raketen an Israel, Radar-Geräte an Ägypten, Kampfflugzeuge an Saudi-Arabien, »Hawk«-Raketen an Jordanien, Zerstörer an Persien, Anti-Panzer-Raketen an Oman, Bomber an Kuweit und Panzer an den Jemen.
»Von Nordirland bis zu den Philippinen«, analysierte der amerikanische Experte Richard D. Lyons, »wurden bei Tausenden von Guerilla-Aktionen Menschen mit Waffen getötet, deren Produktion amerikanischen Arbeitern zu Jobs und Einkommen, amerikanischen Firmen zu Gewinnen verholfen hat.«
Ihre Konkurrenten auf dem Weltmarkt -- neben Engländern, Franzosen und Schweden vor allem die Sowjet-Union und ihre kleinen Bruderstaaten -- bringen allenfalls gemeinsam ein ähnliches Verkaufs- und Umsatzpotential zustande.
Im Lande kann sich die Rüstungswirtschaft schon seit Jahren auf den verläßlichen Beistand, zumindest die wohlwollende Neutralität fast aller Gruppen von Macht und Einfluß verlassen:
* Gewerkschaftsführer wie Leonhard Woodcock (Automobilarbeiter) oder Joseph Beirne (Fernmelde- und Kommunikationsarbeiter) plädierten für milliardenschwere Militärprojekte, weil sie sich von den Staatsaufträgen krisenfeste Arbeitsplätze versprachen,
* Senatoren und Abgeordnete bringen ihrem Heimatstaat und ihren Wählern zuliebe kaum Einwände gegen den Etat des Verteidigungsministeriums vor, wenn ihre Region angemessen berücksichtigt worden ist. »Die Lobby der Rüstungsproduzenten«, resignierte Les Aspin, Demokrat aus Wisconsin, »ist eben bei acht Prozent Arbeitslosigkeit stärker als bei drei Prozent.
Für besonders aufwendige Großprojekte lassen sich leicht bundesweite Lobby-Fronten aufbauen. Am Programm des Raketenabwehr-Systems ABM etwa profitieren 28 Firmen in 42 Bundesstaaten und 172 Wahlkreisen. Wollen also 84 der 100 amerikanischen Senatoren und 172 der 435 Mitglieder des Repräsentantenhauses keinen Arger mit ihrer Basis, müssen sie alle ABM-Fragen mit äußerster Delikatesse behandeln.
Amerikanische Volksvertreter stocken gelegentlich gar das ohnehin reichlich angesetzte Verteidigungsbudget um einige Dutzend Millionen auf, wenn es nur die eigene Klientel zufriedenstellt. Lyndon B. Johnson, einst einer der Einflußreichsten im Kongreß, später Präsident der Vereinigten Staaten, verdreifachte, unterstützt von Firmen- und Volksvertretern seines Heimatstaates. zwischen 1962 und 1967 die Summe der Rüstungskontrakte, die Texas zugute kamen.
Nutznießer dieses großzügigen Umgangs mit Steuergeldern waren oft jene Unternehmer-Erfolgstypen der Nachkriegsgeschichte, die sich -- mit der kleinen Hilfe ihrer Freunde in Washington -- binnen weniger Jahre ein Multi-Millionen-Vermögen verschafften. »Man muß mit einer langfristigen Bedrohung« durch die Kommunisten rechnen, meinte zum Beispiel James J. Ling, einst Präsident der Firma Ling-Temco-Vought (LTV).
Innerhalb von gut zwei Jahrzehnten machte Ling aus einer 3000-Dollar-Investition in ein texanisches Elektrogeschäft dank verläßlicher und nie kleinlicher Auftraggeber in Washington den siebtgrößten Rüstungslieferanten der USA und einen der führenden Mischkonzerne der Welt (Jahresumsatz 1974: gut zehn Milliarden Mark).
Seine Auftraggeber im Pentagon ließen sich nicht durch jene Verfahren irritieren, die das höchste amerikanische Steuergericht gegen LTV wegen ungerechtfertigter Bereicherung im Rüstungsgeschäft anstrengte. Auch die Tatsache, daß Lings Firma LTV-Aerospace -- und mit ihr eine Vielzahl privater Waffenfirmen -- diese Supergewinne in Bürohäusern und Fertigungshallen produziert hatte, die der Regierung gehörten, fiel nicht ins Gewicht. Eine Gruppe macht das
Geschäft weitgehend unter sich aus.
Denn die Spielregeln des militärischindustriellen Komplexes, die sind eben so: Ein Viertel der amerikanischen Industrie kann die Konkurrenzmechanismen der Marktwirtschaft leicht ignorieren. Eine Gruppe von Eingeweihten aus Rüstungswirtschaft, Ministerial- und Militärbürokratie macht -- gestützt und abgesichert durch die vermutlich einflußreichste Lobby der Vereinigten Staaten -- das Geschäft weitgehend unter sich aus.
Die Gewinne des Gewerbes, ermittelte vor einigen Jahren Wirtschaftsprofessor Murray Weidenbaum, liegen fast 60 Prozent über jenen vergleichbaren ziviler Betriebe. Die Regierungsbehörde General Accounting Office kam bei einer Untersuchung auf ähnliche Mißverhältnisse: Die Gewinne (vor Steuern) bezogen auf das Eigenkapital waren bei den Rüstungsfirmen fast dreimal so hoch wie im Durchschnitt der US-Industrie.
* Mit einem von GIs in Vietnam erbeuteten Gewehr chinesischer Bauart.
Nur zehn Prozent der Rüstungsaufträge, ermittelte Senator William Proxmire, werden öffentlich ausgeschrieben und dann dem besten und billigsten Anbieter zugeschlagen. 90 Prozent werden unter Ausschluß der Öffentlichkeit in einer Grauzone von unkontrollierbaren Kontakten, möglichen Interessenkollisionen und gegenseitigen Gefälligkeiten vergeben. Proxmire: »Es gibt kein angemessenes Verfahren. weder in der Regierung noch im Kongreß, die Ausgaben oder Zusagen des Pentagon zu kontrollieren. Dieser erstaunliche Mangel lädt zu Vergehen ein -- und sie passieren in allen Bereichen.« Dabei geht es ums große Geld. Das Verteidigungsministerium gibt in diesem Steuerjahr über 90 Milliarden Dollar aus -- etwa das Anderthalbfache des Haushaltes der Bundesrepublik Deutschland. Widerborstige Parlamentarier reden dem Pentagon kaum drein. Der Abgeordnete Mendel Rivers aus South Carolina, viele Jahre lang Vorsitzender des Kongreßausschusses für die bewaffneten Streitkräfte, führte in den sechziger Jahren die Beratungen ganz nach Art der Rüstungslobby: »Kommen wir also zu den Raketen. Gibt es noch Fragen zu den Flugzeugen? Wir brauchen sie so verdammt nötig, daß ich nicht begreifen könnte, wenn es noch Fragen gäbe. Kommen wir zum Raketenprogramm.«
Zuverlässig drückte Rivers -- in seiner Heimatstadt Charleston spielen Rüstungsaufträge eine entscheidende Rolle -- zum Beispiel jede Erhöhung der Staatssubventionen für den Northrop-Jäger F-5 ("Freedom Fighter") durch, dessen Entwicklung statt der zunächst geschätzten 50 Millionen Dollar schließlich 113 Millionen Dollar kostete. Weder er noch die Mehrheit seiner Kollegen im Ausschuß nahm daran Anstoß. daß die F-5 ausschließlich für den Waffenexport bestimmt war -- und von Northrop schließlich mit etlichen Millionen Bestechungsgeld in den nahöstlichen und südamerikanischen Waffenmarkt gedrückt wurde.
Erst als die Börsenaufsichtsbehörde (SEC) -- animiert durch die Ergebnisse der Watergate-Sonderfahnder -- die Bilanzen des Unternehmens prüfte, fiel auf, daß die Northrop-Manager die Spesen ihres Unterhändlers Frank DeFrancis, aber auch Zuschüsse für den früheren französischen Luftwaffen-General Paul Stehlin (61 000 Dollar) oder Westdeutschlands Weltkrieg-II-Luftwaffengeneral Adolf Galland (161 000 Dollar) der amerikanischen Staatskasse angelastet hatten. Als Gegenleistung sollten die drei, und etliche Kollegen, für Northrops Allwetterjäger gutes Wetter machen.
Die Steuerzahler mußten auch für jene 824 000 Dollar geradestehen, die Anwalt S. L. Sommers und Kollegen einstrichen. Ihr Job war, ermittelte nach dem Vorstoß der SEC schließlich die Rüstungsvertrags-Kontrollbehörde DCAA, »Kongreßabgeordnete zu bewirten und zu unterhalten«. Tausende von Offizieren heuern in den Rustungskonzernen an.
Ähnliche Aufgaben übertrug Northrop dem früheren General Winston P. (Wimpy) Wilson. Er lud -- im Namen Northrops und zu Lasten der Staatskasse -- etliche Pentagon-Offiziere und Politiker ein. Nach einer gemeinsamen Jagd in Northrops Wildgans-Revier an der Küste von Maryland beschrieb der frühere Senator Harold Hughes seinen Gastgeber Wimpy als einen bemerkenswerten Gänsejäger, einen »terrific goose-hunter«.
Vermutlich noch freigiebiger war Northrops Konkurrent Lockheed. Der nach der Watergate-Affäre eingesetzte Senats-Untersuchungsausschuß für multinationale Unternehmen ermittelte unter dem Vorsitz von Senator Frank Church, daß jener Konzern, der sich in der Bundesrepublik mit seinen Starfightern einen tödlichen Namen gemacht hatte, Parteien und Politiker im Ausland mit insgesamt 22 Millionen Dollar schmierte.
Ernest Hauser, der den Amerikanern in den sechziger Jahren als Bonner Lobbyist diente, beeidete vor dem Senatsausschuß, auch die Deutschen seien dabei bestens bedient worden (SPIEGEL 50/1 975).
Direkte Zuwendungen dieser Größenordnung mögen in Amerika selten sein. Die Verfilzung von Militärbürokratie und Rüstungsmanagement, von Militärexperten und Abgeordneten ist so undurchdringlich, daß ihr Geschäft auch ohne Justitiables, ohne Betrug, Bestechung oder Nötigung blüht und wächst.
Mehr als 1400 pensionierte Offiziere, darunter 261 Ex-Generale, waren Anfang der sechziger Jahre in jene Unternehmen abgewandert, die sich -- erfolgreich -- um Verteidigungskontrakte bemühten. General Dynamics hatte in jenem Jahr 187 Offiziere, darunter 27 Generale unter Vertrag -- und bekam den größten Rüstungsauftrag der Firmengeschichte.
Ende der sechziger Jahre waren nach den Ermittlungen eines Kongreßausschusses 2072 ranghohe Offiziere nach dem Ende ihrer Militär-Karriere in jene Firmen übergewechselt, die zu zwei Dritteln mit Rüstungsaufträgen ausgelastet waren. Allein die drei Flugzeugkonzerne Lockheed, Boeing und McDonnell Douglas, ausnahmslos stark im Rüstungsgeschäft engagiert, verpflichteten 520 Militärs, zu durchaus beiderseitigem Nutzen.
Nach der letzten Recherche, die das Pentagon Anfang 1972 auf Verlangen seiner Kritiker veröffentlichte, hatten in den vorangegangenen viereinhalb Jahren noch einmal 1101 Offiziere eine neue Karriere in der Rüstungswirtschaft angetreten. Einige Generale konnten dabei ihrem Metier, gelegentlich sogar ihrem Projekt treu bleiben. General James Ferguson zum Beispiel diente einige Zeit als Chef des Air Force Systems Command, das die größeren Entwicklungen von Kampfflugzeugen steuerte. 1970 wechselte er zur Rüstungsfirma United Aircraft über, um dem Chef des Unternehmens »zu helfen und zu beraten«. Ein Jahr später bekam die Firma vom Pentagon Aufträge im Wert von 733 Millionen Dollar, darunter den für die Düsen der Kampfflugzeuge F 14 und F 15. Derzeit arbeiten über tausend frühere Pentagon-Angestellte für ihre ehemaligen Kontrahenten, sei es als Angestellte oder als Ratgeber von Rüstungsfirmen in Washington. Prominente Ex-Senatoren wie William Fulbright (Arkansas) oder John Sherman Cooper (Kentucky) machen sich als Mitglieder einflußreicher und dem Gewerbe verpflichteter Anwaltskanzleien um das »Geschäft mit dem Tod« ("The New York Times") verdient.
Der frühere Bundesanwalt Nicholas Katzenbach pflegt für die IBM Pentagon-Kontakte, Lyndon Johnsons Verteidigungsminister Clark Clifford ging zu General Electric, einem der wichtigen Rüstungslieferanten des Landes.
Das Wechselspiel zwischen Politik, Pentagon und privater Industrie hat Methode, und das Big Business beherrscht die Regeln am besten. Die Washingtoner Repräsentanten der großen Firmen beziehen laut dem amerikanischen Nachrichtenmagazin »Time« häufig »sechsstellige Dollar-Einkommen. Zumeist sind sie nicht auf der offiziellen Lobbyisten-Liste eingetragen«. Sie ziehen den diskreten Charme des Gewerbes vor. In exklusiven Clubs, auf Golfplätzen, manchmal auf einer Farm im nahen Virginia oder Maryland empfangen sie ihre Gäste aus den Ministerien.
Mit vielen ehemals führenden Militärs sind die Büros in Washington besetzt, die den größten Rüstungskonzernen ihr Geschäft erleichtern. Ende der sechziger Jahre machte jenes Dutzend, das die größten Verteidigungsumsätze erreichte, etwa ein Drittel des Beschaffungsetats unter sich aus.
Etliche Firmen, wie Lockheed, McDonnell Douglas, General Dynamics oder LTV, lebten dabei überwiegend von Pentagon-Aufträgen. Andere bedeutende Anbieter von militärischem Gerät, wie AT & T, General Motors oder General Electric, bauten den Anteil der Pentagon-Produktionen an ihren Gesamtumsätzen ständig aus -- und zugleich ihre Washingtoner Verbindungsbüros. Folge: Mit Ausnahme der Ölmultis findet sich unter den größten US-Unternehmen kaum ein Konzern, der nicht auch zu den größten Waffenlieferanten der Nation zählte,
Gegen diese Wirtschaftsimperien hat selbst der mutigste und unabhängigste Verteidigungsminister auf Dauer nur geringe Chancen. Er ist »eindeutig in der Hand seiner Militärberater« (Trumans Verteidigungsminister James Forrestal), und die stammen -- so Senator Proxmire -- in der Regel aus der Industrie oder industrienahen Kanzleien:
Die typische Karriere eines Staatssekretärs für eine der drei Waffengattungen läuft ungefähr so: Nach dem Diplom einer der renommierten Universitäten tritt er zunächst in eine Wallstreet-Finanz-Firma oder eines der großen Anwaltbüros in New York oder Washington ein. Dann arbeitet er, nach einer Lehrzeit in New York, für eines der großen Rüstungsunternehmen entweder in der Zentrale oder gleich als einer ihrer Vertreter in Washington. Wenn er Ende Dreißig/Anfang Vierzig ist, geht er als Abteilungsleiter oder stellvertretender Staatssekretär ins Pentagon. Wenn das Weiße Haus die politische Spitze wechselt, ändern sich nur die Namen; die Männer, ihre Ausbildung, ihre Ansichten, ihr Background und ihre Haltung bleiben die gleichen.
Fast alle Verteidigungsminister der Nachkriegszeit haben buntere Karrieren vorzuweisen als Gerald Fords ehemaliger Militärminister James Sehlesinger, der nach Harvard-Examen und Professorenlaufbahn einige Jahre in der Rand Corporation, einer Denkfahrik der Luftwaffe, zubrachte, ehe er nach Washington ging.
Seine Vorgänger aber verband ein überaus enges Verhältnis zum Big Business. Jene acht Minister, die in den letzten 25 Jahren das Pentagon leiteten, haben denn auch, mit Ausnahme Melvin Lairds, den passenden Stammbaum fürs Pentagon:
* Aus den überaus einflußreichen New Yorker oder Washingtoner Anwaltsfirmen, laut Mark J. Green* »die andere Regierung« Amerikas, stammten Clark M. Clifford und Elliot Richardson. Während Richardson inzwischen andere Regierungsjobs übernahm, kehrte Clifford in seine Kanzlei zurück: Clifford, Warnke und Partner zählen Rüstungskonzerne wie General Dynamics zu ihren Kunden.
* Aus großen Wallstreet-Banken kamen Robert A. Lovett (Brown, Bros. Harriman & Co) und Thomas S. Qates (Morgan Guaranty Trust Co.), der unter anderem den Aufsichtsräten der Pentagon-Vertragspartner General Electric und Bethlehem Steel angehörte.
* Direkt aus den Vorstandsetagen des Big Business ins Pentagon zogen Neil McElroy (Procter & Gamble, später General Electric und Chrysler), Robert 5. McNamara (Ford Motor * Mark 3. Green The Other Government.« The Unseen Power of Washington Lawyers, Nrw York 1975.
Company) und Charles E. Wilson (Westinghouse Electric, General Motors), der -- getreu seiner Erkenntnis »Was gut ist für General Motors, ist gut für die Vereinigten Staaten« -- wenige Monate nach seinem Arbeitsplatzwechsel seinem alten Konzern einen bedeutenden Rüstungsauftrag erteilte.
Auch im Außenministerium, in der Atomenergiebehörde, den verschiedenen Abteilungen des Pentagon und der CIA waltet das Management der Industrie seines milliardenschweres Amtes. 70 von 91 Männern, ermittelte Richard Barnett, Leiter des unabhängigen Washingtoner Institute für Policy, die zwischen 1940 und 1967 oberste Entscheidungsbefugnisse in der Regierung hatten, stammten aus der Großindustrie und der Hochfinanz -- und kehrten nach einigen Jahren zumeist in die Wirtschaft zurück.
Der Rollentausch scheint vielen Amerikanern jedenfalls aber der Macht- und Geldelite nicht anstößig, die fast zwangsläufigen Interessenkonflikte scheinen ungefährlich, kaum bemerkenswert. George W. Ball, einige Jahre lang einer der führenden Außenpolitiker des Landes und im Hauptberuf Wallstreet-Bankier, philosophierte in seinem New Yorker Penthouse: »Anders geht es doch gar nicht. Wir alle müssen für ein paar Jahre nach Washington.«
Immerhin: Die Rüstungsaufträge des Elektronikkonzerns Litton Industries stiegen innerhalb eines Jahres von 180 auf 466 Millionen Dollar -- kurz darauf wechselte der für das Beschaffungswesen zuständige Pentagon-Unterstaatssekretär Thomas Morris als Vizepräsident zu Litton Aerospace.
David Packard, stellvertretender Verteidigungsminister unter Präsident Johnson, kam auf andere Art in Versuchung. Er besaß 3,5 Millionen Aktien (gut ein Drittel des Kapitals) der Elektronik-Firma Hewlett-Packard, die einen Großteil ihrer Umsätze mit Waffengeschäften machte. Zugleich diente Packard dem Rüstungskonzern General Dynamics als Direktor, mehreren anderen Firmen (darunter U.S. Steel, General Dynamics) oder Forschungsinstituten (Stanford) mit Militärinteressen als Aufsichtsrat.
Entgegen den Bräuchen des Protokolls trennte er sich nicht von seinem etwa 300 Millionen Dollar schweren Aktienpaket, sondern vertraute es mit Billigung des zuständigen Senatsausschusses zeitweilig einer Stiftung an. Wie lange kann sich Amerika seine Rüstungswirtschaft noch leisten?
Zwar zeichnete Packard sich in seinen Washingtoner Amtsjahren keineswegs durch auffällig freundliche Gesten gegenüber der Rüstungswirtschaft aus -- dennoch bezweifelte die »Washington Post« »seine Fähigkeit, alle Probleme unvoreingenommen zu untersuchen, nicht nur weil viele Fragen mit seiner Gesellschaft, sondern mit der Philosophie des militärisch-industriellen-Komplexes zu tun haben«.
Für Packards früheren Arbeitgeber, General Dynamics. arbeitete auch der stellvertretende Verteidigungsminister Roswell L. Gilpatric, bevor er von John F. Kennedy für Washington verpflichtet wurde. Bis zu seinem Eintritt ins Pentagon (1961 bis 1964) hatte seine Anwaltskanzlei für ein Honorar von 100 000 Dollar die Flugzeugfirma beraten. Seine Kollegen zahlten ihm web 20 000 Dollar im Jahr. Seiner einstigen Klientin General Dynamics half er in dieser Zeit, einen der größten Rüstungsaufträge der Geschichte zu erwischen: die Entwicklung des Vielzweck-Kampfflugzeuges TFX-11.
Jener Schwenkflügler, der später je nach Version in F-111, FB-111 oder FB-111 A umgetauft wurde, sollte gut 15 Jahre lang Militärs und Militärausschüsse des Kongresses, Konzerne und Prüfkornmissionen unter Dampf halten -- und wie vor oder nach ihm fast alle aufwendigen Waffensysteme zum unkalkulierbaren Risiko werden:
* Die riesige Truppentransportmaschine C-5 A »Galaxy« der Lockheed sollte 15,5 Millionen Dollar kosten -- sie landete schließlich bei dem astronomischen Stückpreis von fast 60 Millionen.
* Der Düsenjäger F-14 war vom Hersteller Grumman der Regierung zum Stückpreis von 8,3 Millionen Dollar angeboten worden -- er kostete schließlich 20 Millionen.
* Der Preis des Navy-Torpedos Mk 48 schoß binnen weniger Jahre auf das Siebenfache, die Anschaffungskosten des von Litton Industries gebauten Zerstörers der »Spruance«-Klasse stiegen binnen vier Jahren von 70 Millionen auf über 100 Millionen Dollar.
Gewiß, auch europäische Waffensysteme wurden rasch und fast regelmäßig teurer, wenn die Aufträge erst einmal vergeben waren oder das Abschreiben der bereits bezahlten Entwicklungsmillionen aus der Staatskasse den Regierungen inopportun erschien. Doch Amerikas Military-Industrial Complex MIC kann auch das besser. Keines der großen Systeme wurde termingerecht abgeliefert, jedes übertraf die Voranschläge um das Zweibis Siebenfache. Anders als Europas Rüstungsproduzenten nämlich haben Amerikas Waffenhändler Macht und Möglichkeiten, die Nachfrage wenn schon nicht zu bestimmen, so doch wenigstens deutlich zu beeinflussen.
Führende Vertreter des MIC -- sei es aus dem Pentagon oder der Rüstungs-Lobby -- erfanden und verbreiteten allerlei »gaps« (Lücken), die angeblich Sicherheit und Vorherrschaft der Vereinigten Staaten zu vernichten drohten: zunächst ein Bomberdefizit, dann die Raketenlücke, kurz darauf den Zwang. angesichts des sowjetischen Raketenarsenals ein 80 Milliarden teures Raketenabwehr-System AIIM zu installieren. Als auch diese Aufträge unter Dach und Fach waren, tat sich eine noch größere Lücke auf: Die Sowjet-Union hatte rechtzeitig vor den Beratungen des Verteidigungsbudgets mit der Militär-Supermacht USA gleichgezogen. Schon in seinen ersten Amtstagen forcierte Fords neuer Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der Militärhaushalt müsse »real wachsen
»Wenn das Verteidigungsbudget auf dem Weg zum Bewilligungsausschuß ist, dann wachsen die Aussagen über die drohende sowjetische Macht wie Blumen im Frühjahr«, beobachtete ein führender US-Senator. Auch zur Begründung des letzten Haushaltes, insbesondere zur Verteidigung ihrer Ausgaben für ABM, hatte das Pentagon »neue sowjetische Mehrfachsprengköpfe oder neue chinesische Interkontinentalraketen« ins Feld geführt.
Wie fast alle anderen Lücken zuvor, schloß sieh auch dieses »gap«, als die Aufträge verteilt, die Gelder vergeben waren. Ende Oktober wurden Berichte des CIA und des militärischen Geheimdienstes DIA bekannt, die einen unvermindert großen amerikanischen Vorsprung auf allen Gebieten modernster Militärtechnik feststellten. CIA-Chef William Colby und DIA-Chef Daniel Graham widerlegten den Verteidigungsminister, der während der Etatberatungen nicht müde geworden war, der Sowjet-Union bis Ende dieses Jahrzehnts einen lebensgefährlichen Rüstungsvorsprung zuzutrauen.
Der Minister hatte jedoch Erfolg: Sein Haushalt erreicht real die Rekordzahlen des Etatjahres 1968, als 543 400 Gis in Vietnam kämpften. Für den gesamten Umweltschutz spendiert Washington gerade sechs Prozent seines Militärhaushalts.
»Wir sind am Kreuzweg angekommen«, fürchtet Senator John C. Culver, Harvard-Jahrgangsgenosse von Ex-Minister Schlesinger, »die Vereinigten Staaten sollten vielleicht nicht auf jedem militärischen Gebiet führend sein -- insbesondere wenn sie ihren Bürgern dann den ersten Rang bei der Lebensqualität nicht sichern können.«
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Die US-Armee nach Vietnam, dem ersten verlorenen Krieg ihrer Geschichte