Zur Ausgabe
Artikel 2 / 86

Fall Biermann: Honecker im Teufelskreis »Das Land ist still. Noch.«

aus DER SPIEGEL 48/1976

Wolf Biermann, Sohn eines Arbeiters und Kommunisten, der von den Nazis in Auschwitz umgebracht wurde, war 1953, als 17jähriger, von Hamburg in die DDR übergesiedelt -- in den Staat seiner sozialistischen Hoffnung, von dem er auch heute nicht lassen will.

Biermanns Regime-Kritik zielte gegen stalinistische Rückstände, gegen den bürokratischen Sozialismus, den modernen »Computer-Stalinismus, in dem man das Loch nicht mehr ins Genick kriegt, sondern in die Lochkarte«.

Er dichtete gegen Genossen, die »im Schmalztopf der privilegierten Kaste« sitzen: »O wollet, Freunde, wollet euch bitter erinnern:/ Es munden dem Volke die fetten Ochsen/ seit je in der Pfanne/ Nicht aber im Amte!«

Er reimte über die Spitzel vom Staatssicherheitsdienst: »Menschlich fühl ich mich verbunden/ mit den armen Stasi-Hunden,/ die bei Schnee und Regengüssen/ mühsam auf mich achten müssen/ ... Doch ich will nicht auf die Spitze/ treiben meine Galgenwitze./ Gott weiß: Es gibt Schöneres/ als grad eure Schnauzen./ Schönre Löcher gibt es auch/ als das Loch von Bautzen.«

Er sang zur Ermutigung von Reformkommunisten: »Wartet nicht auf beßre Zeiten./ Wartet nicht mit eurem Mut ...« Und 1968, mit »Liedern vom Frühling im roten Prag« im Ohr, das Lied, dessen Ende Verzweiflung, Hoffnung und revolutionäre Drohung zugleich formuliert. »Das Land ist still / Die Menschen noch immer wie tot/ still. Das Land ist still. Noch.«

Die Schwierigkeiten Wolf Biermanns mit dem Land seiner Wahl werden virulent, als sein Theaterstück über Liebe in der geteilten Stadt, »Berliner Brautgang«, 1962 verboten wird. 1963 erhält der Dichter-Sänger, inzwischen aus der SED ausgeschlossen, Auftrittsverbot.

In den beiden folgenden Jahren darf er wieder singen -- in Ost- und Westdeutschland. Immer wieder bekennt er sich, auf seine Weise, zur DDR, so 1964 in Hamburg: »Ich bin sehr glücklich, daß es diesen Staat in Deutschland gibt -- und wenn er noch so jämmerlich wäre.«

Im Frühjahr 1963 hatte sich der angesehene DDR-Dichter Stephan Hermlin vom ZK-Sekretär Kurt Hager fragen lassen müssen: »Wie ist deine Beziehung zu Wolf Biermann?« Hermlin antwortete: »Ich halte ihn für ein sehr großes Talent, und ich möchte darum bitten, daß man ihn nicht aus den Augen läßt und daß sich die Partei weiter um ihn kümmert.«

Sie kümmerte sich. 1965 wurde Biermann der Einlaß zu einer »Jazz und Lyrik«-Veranstaltung in der Ost-Berliner Kongreßhalle verwehrt. Polizeibeamte führten ihn zur Wache ab und erklärten ihm, er habe Hausverbot.

Das »Neue Deutschland« eröffnete eine Anti-Biermann-Kampagne, bezichtigte ihn »anarchistischer Philosophie«, »antikommunistischer Prinzipienlosigkeit« und des »Verrats an den antifaschistischen Kämpfern der älteren Generation«. Der Kultur-Wächter Wilhelm Girnus schrieb, Biermann habe die SED »in einer unvorstellbar kotig-viehischen Weise beschmutzt«.

1966 drohte ZK-Mitglied Horst Sindermann: »Der Herr Biermann soll sich nicht wundern, wenn eines Tages statt des Milchmanns andere Leute vor seiner Tür stehen.« Eine Replik Biermanns darauf wurde Jahre später bekannt: »Ach Sindermann, du bist ein blinder Mann,! du richtest nur noch Schaden an.«

In der DDR war Wolf Biermann nun mundtot. Doch seine Gedichte und seine Schallplatten konnten im Westen erscheinen, sein Ruhm wuchs -- der bei Wagenbach publizierte Band »Die Drahtharfe« wurde zu einem der größten Lyrik-Erfolge im Nachkriegs-Deutschland.

Antikapitalistische und antifaschistische Lieder wurden Biermann von den DDR-Mächtigen nicht gedankt. 1968 wollte er sein Lied »Drei Kugeln auf Rudi Dutschke« bei einer Apo-Kundgebung in West-Berlin vortragen -- er erhielt keine Ausreisegenehmigung. 1974 sollte ihm in Köln der mit 20 000 Mark dotierte »Jacques-Offenbach-Preis« überreicht werden -- die Ausreise wurde ihm verwehrt.

Ein Jahr vorher hatte Biermann seine kranke Großmutter ("Oma Meume") in Hamburg besuchen dürfen -- inkognito. Auf der Rückfahrt machte er Station bei Günter Graß in West-Berlin. Graß fertigte auf den Besucher ein Gedicht, das mit der Besorgnis schließt, Biermann »könne ausgewiesen zurückkommen/ und unnütz sein hier«.

Zur Ausgabe
Artikel 2 / 86
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten