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SPANIEN Das Licht geht aus

Seine Karriere war die steilste unter den Politikern der europäischen Nachkriegsgeschichte, er wandelte Spanien von der Diktatur zur Demokratie. Jetzt aber stürzte Adolfo Suarez.
aus DER SPIEGEL 6/1981

Es war wie bei Francos Ende: Kurz nachdem sich der Rücktritt von Ministerpräsident Adolfo Suarez am letzten Donnerstag abend herumgesprochen hatte, zeigte sich die Überraschung schon auf der Straße. Madrid war plötzlich wie ausgestorben, in den Vororten der Hauptstadt patrouillierten die Militärs.

Mit einem so dramatischen Ausgang der seit Monaten untergründig schwelenden politischen Krise in Spanien hatte kaum jemand gerechnet, noch weniger mit einem so spektakulären Abtritt des Regierungschefs Adolfo Suarez, 48.

Doch für Überraschungen war Suarez schon immer gut. So unerwartet wie sein Rücktritt war schon sein Start zur steilsten und erfolgreichsten Karriere eines europäischen Politikers der Nachkriegszeit gewesen.

Als kleiner, unbekannter, dazu auch noch als franquistisch verschrieener Provinzpolitiker war er acht Monate nach dem Tod von Generalissimus Franco im Juni 1976 unter dem höhnischen Gelächter seiner Neider zu der historischen Aufgabe angetreten, die verhaßte Diktatur in eine Demokratie umzuformen.

»Welch ein Fehler, welch schrecklicher Fehler«, stöhnte damals der Historiker Ricardo de la Cierva, als Suarez Ministerpräsident wurde. »Das Licht geht aus«, hatte das linke Magazin »Cuadernos para el Dialogo« gefürchtet, das Licht nämlich, das dem schwachen Pflänzchen der Demokratie Kraft geben sollte.

Nur Suarez selbst und König Juan Carlos, der den langjährigen Freund gegen allen Widerstand als seinen Mann ausgewählt hatte, ließen sich durch solche Stimmen nicht beirren. Selbstbewußt lichtete Suarez das Dickicht der Diktatur.

Mit dem Verhandlungstalent eines orientalischen Kaufmanns, der Kaltblütigkeit eines Matadors und der gewitzten Schläue eines kastilischen Bauern trickste er die Anhänger der Franco-Diktatur so geschickt aus, daß er heute für sich in Anspruch nehmen kann, den hochschwierigen friedlichen Wandel einer Diktatur in eine Demokratie vollzogen zu haben.

Doch statt sich mit dieser geschichtlichen Großtat zu begnügen, suchte er neue Bestätigung. Inzwischen nämlich hatte er nach eigenen Worten »ein fast erotisches Verhältnis zur Macht« gefunden und war sogar »bereit, alles zu S.113 bezahlen, um diese Macht zu behalten«.

Bezahlen mußte er vorläufig noch nichts. Die Popularität des Reformers reichte aus für einen Wahlsieg der politischen Mitte, die er geschickt um sich scharte: die Union des Demokratischen Zentrums (UCD).

An Neidern hat es ihm nach diesem Erfolg nie gefehlt. Und so begann auch bald die Kritik -- am heftigsten aus seinen eigenen Reihen. Suarez tat sie großmütig ab und lachte über die »Klatschmäuler in den Kloaken von Madrid«.

Die Unzufriedenheit in der UCD ließ sich damit aber nicht überwinden. Unterschwellig herrschte ein Kleinkrieg um die ideologische Ausrichtung zwischen den in der UCD lose vereinigten Gruppen: Christdemokraten, Liberale, Sozialdemokraten und altfranquistische Technokraten. Deren ehrgeizige Unterführer kämpften zuerst jeder gegen jeden, dann aber mehr und mehr gemeinsam gegen Suarez, der sich selbst als die »Synthese aller drei Ideologien« verstanden wissen wollte. Jede der UCD-Fraktionen aber wollte, daß der Premier ihre jeweilige Denkungsart übernahm.

Der Regierungschef verweigerte sich diesem Ansinnen auf mehr Engagement zugunsten klarer Lösungen, weil seine Parteinahme für den einen oder anderen UCD-Flügel den Zusammenhalt der UCD gefährdet hätte.

Je mehr Kritiker an seinem Ruhm kratzten, desto autoritärer wurde Suarez, desto eigenbrödlerischer zog er sich in seinen Regierungspalast Moncloa vor den Toren von Madrid zurück. »Phantasie- und kraftlos muß ihn seine Braut, die Macht, gemacht haben«, sorgte sich ein Parteifreund über den kargen Lebensstil des Regierungs- und Parteichefs.

Zum Essen wünschte er sich täglich fast nur noch fade Tortillas (Rühreier), trank dazu 20 Tassen schwarzen Kaffee und rauchte zwei Päckchen schwarzen Tabak. Musik und Bücher interessierten ihn nicht mehr, auch andere Lebensfreuden ließen ihn kalt, vier Stunden Schlaf genügten.

Zurückgezogen von der Realität des spanischen Lebens entwickelte er nur noch eine Fähigkeit: Mißtrauen. Und damit begann sein Stern zu sinken. Alle sechs Abstimmungen des vergangenen Jahres -- Volksentscheide, Provinzwahlen und Senatsnachwahlen hat die UCD verloren, meist an die stärker werdenden Sozialisten.

Fast nur Mißerfolge gab es in der Bekämpfung des baskischen Terrorismus, erfolglos blieb seine Regierung gegenüber der wachsenden Arbeitslosigkeit.

Auf dem Parteitag der UCD, der am vergangenen Donnerstag -- dem Tag seines Rücktritts -- in Palma de Mallorca beginnen sollte, wollten ihn seine Kritiker für diese Bilanz verantwortlich machen und mit seinem -- wie sie fanden -- selbstherrlichen Führungsstil abrechnen.

Ein kaum ganz zufälliger Streik der Fluglotsen verzögerte dann dieses Scherbengericht. Weil die UCD-Delegierten nicht mehr auf die Mittelmeerinsel fliegen konnten, wurde der Kongreß verschoben -- willkommene Zeit für Suarez, eine positive Überraschung vorzubereiten.

Er hatte einen mutigen Plan gefaßt: Mit einer Teilamnestie für Eta-Häftlinge, die König Juan Carlos bei seinem am Dienstag beginnenden Besuch im Baskenland aussprechen sollte, wollte er die Autonomie-Lösung für das Baskenland und gleichzeitig das Ende des Terrorismus der Separatistenbewegung Eta erreichen.

Dieses Vorhaben scheiterte am Einspruch der Militärs, die in Spanien noch immer politisch mitzureden haben. Ihr Einspruch machte seinen Rücktritt praktisch unvermeidlich. »Das alles war nicht nur ein leises Klirren, sondern schon ein lautes Säbelrasseln«, klagte ein Mitarbeiter von Suarez.

Gegen den von der UCD vorgeschlagenen Nachfolger hatten die Militärs nichts einzuwenden. Der konservative Ingenieur Leopoldo Calvo Sotelo, 54, hatte sich selbst seit langem bei Suarez-Gegnern als Alternative wärmstens empfohlen.

Der frühere Minister für Beziehungen zum Gemeinsamen Markt, Vater von acht Kindern, hat bereits eine Karriere in der Privatwirtschaft hinter sich und amtierte jetzt als Vize des Ministerpräsidenten.

»Ich will nicht«, verabschiedete sich Suarez mit feuchten Augen von der Nation, »daß das demokratische System wieder nur ein Zwischenspiel in der Geschichte Spaniens bleibt.«

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