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FISCHEREI Das mal denken

600 000 Tonnen Fisch fangen Sowjet-Trawler in EG-Gewässern. Ab 1. Januar dürfen sie's nicht mehr. Kommt es zu einem großen Fischereikrieg?
aus DER SPIEGEL 1/1977

Es klang wie eine Kriegserklärung. »Je länger Moskau mit einer Antwort wartet«, so warnte der Däne Finn Ölav Gundelach, derzeit Chefunterhändler der EG-Kommission mit Europas Konkurrenten auf den Weltmeeren, »um so mehr Fisch wird die Sowjet-Union nach dem 1. Januar verlieren.«

Die starken Worte des Brüsseler EG-Kommissars markierten die erste Etappe eines Konfrontationskurses, den die Neunergemeinschaft und die Sowjet-Union wegen ihrer künftigen Fischereipolitik steuern. Hatte Moskau bereits am 10. Dezember seine Küstenzone von zwölf auf 200 Seemeilen ausgedehnt, so will die EG vom 1. Januar an in einer Wirtschaftszone von 200 Meilen vor allem selbst fischen. Die Zone soll auch die Neufundland vorgelagerten Eilande St. Pierre und Miquelon -- beides französische Besitzungen -- umschließen.

Seit längerem schon ärgern sich Europas Fischer über die Armada hochmoderner russischer Trawler, die den ohnehin schon dezimierten Bestand von Schellfisch und Kabeljau zum Schaden der Europäer ausbeuten.

Allein 1976 gingen den sowjetischen Fischern vor den Küsten Englands und Dänemarks rund 600 000 Tonnen Fisch ins Netz -- und zwar in jenen Gewässern, wo die EG-Europäer künftig ihre exklusiven Fanggründe sehen. Es sind 7,5 Prozent der in der großen Sowjet-Union verspeisten Fische, deren Bürger sich erst vergangenes Jahr mangels Fleisch an einen Fischtag pro Woche gewöhnen mußten.

Zwar kreuzen auch europäische Fischer in sowjetischen Küstenmeeren, die jetzt in die 200-Meilen-Zone fallen, doch war ihre Ausbeute nur ein Zehntel so groß wie die Fänge der sowjetischen Trawler in den EG-Meeren.

Das soll sich nun ändern. Mitte Dezember beschlossen in Brüssel EG-Europas Außenminister Maßnahmen, die sicherstellen, daß künftig die meisten der in der Europäischen Wirtschaftszone gefangenen Fische auch von den Europäern konsumiert werden. Moskaus gewaltige Fischereiflotte darf demnach aus den europäischen Gewässern nur noch 200 000 Tonnen pro Jahr anlanden, rund ein Drittel des jüngsten Fangergebnisses.

Auch diese Konzession ist nur als Übergangsregelung für die ersten drei Monate des neuen Jahres gültig. Bis dahin müßten die Sowjet-Union sowie Polen und die DDR in Verhandlungen mit Brüssel über ein Fischerei-Abkommen eingetreten sein.

Sollte Moskau sich EG-Verhandlungen widersetzen, wie bislang geschehen, dürfen sowjetische Fischer nach den Worten des britischen Außenministers Anthony Crosland in Gemeinschaftsgewässern überhaupt keine Netze mehr auswerfen. In Nordsee und Atlantik käme es dann zu einem ost-westlichen Fischereikrieg, in dem EG-Fregatten den Sowjet-Trawlern die Netze kappen oder sie samt Ladung aufbringen würden.

Das wiederum müßte Moskau veranlassen, Admiral Gorschkows moderne Hochseeflotte zum Schutz der Fischereifahrzeuge auslaufen zu lassen. Und was geschähe dann? Ein hoher EG-Beamter: »Man mußte das mal denken, und das ist auch schon gedacht worden.«

Diese düstere Perspektive zeichnete sich zu einem Zeitpunkt ab, an dem die Neun unter sich noch über eine zukünftige Regelung der Fischerei hoffnungslos zerstritten sind.

Entgegen den bereits unterzeichneten Verträgen, die den einzelnen EG-Staaten im europäischen Binnenmeer jeweils eine Schutzzone von zwölf Meilen bis 1982 einräumen, verlangen Briten und Iren eine Sonderbehandlung:

* Großbritannien, in dessen Gewässern rund 60 Prozent aller in der EG angelandeten Fische gefangen werden, vor allem aus innenpolitischen Gründen. Die Mehrheit der schottischen Fischer, die nach dem Verlust der isländischen Fischgründe nicht noch die einheimischen Gewässer mit den übrigen EG-Europäern teilen wollen, wählt nämlich Labour;

* Irland will seinen Widerstand nur dann aufgeben, wenn es von den EG-Partnern Beihilfen zum Ausbau einer Fischereiindustrie erhält. Ungeachtet dieses Konflikts aber gibt sich der Neunerklub, vor allem gegenüber Moskau, nach außen hin stark. Schon drängen Seeoffiziere in England und Irland die Regierung, neue Schiffe und Flugzeuge anzuschaffen, damit der Anspruch auf die 200-Meilen-Zone auch durchgesetzt werden könne. Denn Schutz und Kontrolle des erweiterten EG-Meeres liegen in den Händen des jeweiligen Uferstaates.

Allerdings erscheint EG-Diplomaten in Brüssel das Bild von einer Konfrontation zwischen Kriegsschiffen der Nato und denen der Sowjet-Union um Hering und Kabeljau allenfalls als »theoretische Extrem-Möglichkeit«. EG-Kommissar Guido Brunner zu solchen Spekulationen: »Ein Atomkrieg wegen der Fische? -- Das ist unseriös.«

Denn obwohl Moskau bisher auf die Aufforderung zu Verhandlungen mit der EG geschwiegen hat, erkannten die Westeuropäer doch auch Anzeichen für sowjetische Bereitschaft zum Einlenken.

So hatte Moskau schon im November mit Washington ein Abkommen unterzeichnet, in dem die Sowjet-Union die für März vorgesehene 200-Meilen-Zone um die Küsten der USA akzeptiert. Überdies hätten die legalistischen Sowjets nicht ihrerseits ihre Wirtschaftszone auf 200 Meilen erweitert, wenn sie einen solchen Schritt nicht auch den Europäern zubilligen würden.

In Brüssel glaubt man auch zu wissen, daß Moskau die künftigen Fischereiprobleme mit der Europäischen Neunergemeinschaft bereits auf einer Konferenz in Warschau mit den Comecon-Partnern erörtert habe.

Das sowjetische Schweigen interpretieren Brüsseler Diplomaten derzeit zumindest teilweise noch als Ausdruck der Schwierigkeiten Moskaus, einen Weg zu Verhandlungen mit der Gemeinschaft als Ganzes zu finden.

Nach der Warschauer Konferenz traten denn auch die Polen, derzeit Präsidialmacht des osteuropäischen Comecon, als Vorreiter auf: Sie informierten die neun EG-Hauptstädte über die Verhandlungsbereitschaft Polens -- ein Weg, den auch Moskau einer direkten Kontaktaufnahme mit der Brüsseler EG-Kommission vorzieht.

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