USA Das Milliardenspiel
Das Dinner war vom Feinsten: Lammrücken mit frischem Gemüse und neuen Kartoffeln, hinterher Erdbeeren in Schokolade. Die Rechnung für das Zwei-Gänge-Menü im Küstenort Glen Cove am Long Island Sund war allerdings gesalzen - 20 000 Dollar pro Person.
Das lag nicht an der Speisenfolge, sondern an der wichtigsten Beigabe des Abends: Vizepräsident Al Gore. Um den Spitzenkandidaten der Demokratischen Partei aus nächster Nähe zu erleben, hatten 20 Gore-Fans die Mega-Zeche berappt.
Zum Nachtisch wechselte Gore vor größeres Publikum in den Saal nebenan und pries den Wohlstand der Clinton-Ära als »Gipfel der Geschichte«. Der Preis für solche Platituden, Dessert eingeschlossen, belief sich für jeden der weiteren hundert Gäste auf 1000 Dollar; die Abendkasse für die Routineshow des Vizepräsidenten ergab 300 000 Dollar.
Sein republikanischer Konkurrent George W. Bush, Gouverneur aus Texas und Millionär genau wie Gore, versteht die hohe Kunst des Fundraising, der Geldbeschaffung für den Wahlkampf, womöglich noch besser. Binnen vier Monaten bettelte Bush 37 Millionen Dollar zusammen - ein Stundenmittel von 12 947 Dollar.
Bis Anfang des Jahres hatte »Bushs Geldmaschine« ("Newsweek") einen dreistelligen Millionenbetrag angehäuft. Die reiche Beute wird dringend benötigt, der Präsidentschaftsbewerber musste allein 75 Millionen Dollar aufwenden, um seinen parteiinternen Konkurrenten John McCain aus dem Rennen zu werfen. Seither ist Bush wieder auf erfolgreicher Sammeltournee. Bisherige Bestleistung des Republikaners: 21,3 Millionen Dollar bei einer einzigen Dinner-Gala Anfang Mai.
Mehr als seine Vorgänger wird der Wahlkampf 2000 vom Werben um pralle Kassen bestimmt. Während die politischen Konturen der Bewerber verschwimmen, beide sind ehrgeizige Sprösslinge politischer Dynastien ohne einen Hauch von Originalität, werden sie durch die Materialschlacht ihrer eigenen Wahlkampforganisation zu Höchstleistungen beim Geldeintreiben angespornt.
Trotz wiederholter Reformen bei den Gesetzen zur Parteienfinanzierung hat die Professionalisierung des US-Wahlkampfes vor allem eines erreicht: Völlig ungeniert nehmen Firmen und Verbände mit großen Spenden »ihre« Kandidaten in die Pflicht - und erwarten ganz pragmatisch, dass sich die Investitionen auch auszahlen.
Washingtons politische Klasse akzeptiert die Geschenke ebenso ungeniert und versteckt die Peinlichkeit hinter dem Versprechen, nach dem Sieg ganz bestimmt die große Wahlkampfreform anzupacken. Sogar das »Wall Street Journal« hat für das Milliardenspiel nur noch Spott übrig: »Trotz allen Reformgeredes wird der Wahlkampf von der verrückten Jagd nach Cash bestimmt.«
Voraussichtlich drei Milliarden Dollar werden US-Politiker bis zum Herbst für Umfragen, Beraterteams, Fernsehspots und Werbebroschüren ausgeben, schätzt die Bundes-Wahlkommission - eine astronomische Summe, welche die Ausgaben von 1996 weit in den Schatten stellt.
Denn es sind nicht nur die Wahlkampfkomitees der Präsidentschaftsbewerber, die Parteifreunde und Sympathisanten anbaggern. Auch Senatoren und Repräsentantenhausabgeordnete sind bei Cocktails und Empfängen mit dem Klingelbeutel unterwegs oder schleichen sich aus Sitzungen davon, um potente Förderer anzuwählen: »Dialling for Dollars« heißt der politische Telefonstrich im einschlägigen Jargon.
Die fernmündliche Bettelei ist harte Arbeit: Profis wie Terry McAuliffe, ein Geldeintreiber für Spitzendemokraten, schaffen bis zu 200 Anrufe täglich. Ausgerüstet mit Kopfhörer und Mikrofon, wühlt sich der gewiefte Finanzier durch Listen mit Namen und Nummern, um Internet-Unternehmer, Medienbosse und Stars der Unterhaltungsbranche für seine Klienten abzuzocken. Sein Versprechen: Nur wer gibt, gewinnt Gehör.
»Die Wahl des höchsten Repräsentanten der Nation ist zum Geschacher verkommen«, schimpfen dagegen Kritiker wie Charles Lewis, Autor der Studie »Die gekaufte Präsidentschaft"**: Weitgehend »bestimmen die Interessen der Reichsten, wer gewählt wird«.
Mehrere Faktoren sorgen dafür, dass das Geld in diesem Jahr besonders reichlich fließt. Beim Showdown im November geht es nicht nur um den Einzug ins Weiße Haus und um die Sitzverteilung in beiden Kammern des Kongresses, in den nächsten Jahren wird auch Amerikas politische Landkarte wieder einmal neu abgesteckt. Nach der diesjährigen Volkszählung werden die Wahlbezirke neu zugeschnitten. Überdies wird der nächste Präsident womöglich vier Richter am neunköpfigen Obersten Gerichtshof ernennen müssen. Die Juristen werden auf Lebenszeit verpflichtet und bestimmen oft auf Jahrzehnte hinaus den Kurs in gesellschaftlichen Dauerkonflikten wie Abtreibung oder Rassenstreit, Todesstrafe oder Waffenbesitz.
Und alle Interessenten wollen rechtzeitig Pflöcke einschlagen. Gewerkschaften wie Softwarekonzerne, Zigarettenhersteller, Kosmetikfirmen und Versicherungen führen die Spenderliste an (siehe Grafik).
Großzügigkeit wird belohnt. Wer den Konservativen 100 000 Dollar schenkt, wird in die Gruppe der derzeit 267 republikanischen »Pioniere« aufgenommen oder erhält einen Platz im »Business Leadership Trust« - und Eintrittskarten zur Endspielrunde der Baseball-Meisterschaft.
Für 250 000 Dollar winkt gar der Aufstieg in die Luxusklasse der »Republikanischen Regenten«. Die Demokraten übertreffen noch das Angebot: Wer für sich oder im Namen seiner Firma eine halbe Million hinblättert, gehört zum »Chairman''s Circle« und darf im August beim Parteitag in Los Angeles in die VIP-Lounge.
Im Gegenzug für ihre Gaben werden die Gönner mindestens einmal pro Quartal von der Kongressprominenz empfangen. Bei Chardonnay und Kanapees gibt es Briefings der Partei- und Fraktionsführung sowie die Gelegenheit, den einflussreichen Ausschussvorsitzenden die eigenen Anliegen zu erläutern.
»Zugang kaufen, heißt Einfluss kaufen«, fasst die Fachzeitschrift »Congressional Quarterly Weekly« das Ergebnis einer einschlägigen Untersuchung zusammen und zitiert den berüchtigten Spendenjäger der Demokratischen Partei, Johnny Chung: »Mit dem Weißen Haus ist es wie mit der U-Bahn. Man muss Geld reinstecken, damit sich die Türen öffnen.«
So alt wie das korrumpierende Gift von Großspenden ist allerdings auch der Ruf nach Reformen: »Alle Beiträge von Unternehmen gehören gesetzlich untersagt«, wetterte schon Präsident Theodore Roosevelt 1905 vor dem Kongress. Doch erst 1974 beschloss das Parlament präzise Obergrenzen für die Großzügigkeit der Spender und schuf eine eigene Überwachungsbehörde für den Wahlkampf: die Bundes-Wahlkommission.
Seither darf kein US-Bürger mehr als 1000 Dollar, keine Firma mehr als 5000 Dollar direkt an einen Kandidaten spenden, Zahlungen an Parteien und Unterstützungskomitees, die ihrerseits Wahlkampfgelder für bestimmte Kandidaten verteilen, sind auf rund 25 000 Dollar begrenzt. Zudem müssen Kandidaten, Parteien und Unterstützungskomitees den Verwendungszweck der Spenden über 200 Dollar nachweisen.
Die knapp bemessenen Spendengrenzen werden allerdings großzügig umgangen, indem harte Wahlkampf-Dollar zu »weichem Geld« deklariert werden.
Als Entdecker dieser Umwegfinanzierung gilt Bob Farmer. Der Schatzmeister des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Michael Dukakis fand 1988 heraus, dass für Spenden, die der »Stärkung von Parteien« oder allgemeinen »politischen Anzeigen« dienen, keine Obergrenzen gelten.
Ursprünglich als Ansporn zur vermehrten staatsbürgerlichen Bildung gedacht, erlaubt der Gummiparagraf über »weiche Gelder« Parteien, Kandidaten und Interessenverbänden, Millionensummen in den Wahlkampf zu pumpen. Einzige Auflage: In Anzeigen und TV-Spots müssen direkte Aufforderungen wie »Wähle Kandidat X« unterbleiben.
Das Schlupfloch ließ die Einnahmen für Demokraten und Republikaner geradezu explodieren: 1992 addierten sich die Soft-Money-Zuwendungen auf 86,2 Millionen Dollar, 1996 waren es schon 262 Millionen, und in diesem Wahlkampf, glaubt die private Aufsichtsorganisation »Common Cause«, könnte die Springflut »weicher Gelder« die Marke von 750 Millionen Dollar übersteigen.
Die jüngste Variante trickreicher, dem Geist der einschlägigen Gesetze widersprechender Wahlkampffinanzierung trägt den Namen »Section 527« - so benannt nach einem Paragrafen aus der Steuergesetzgebung. Der erlaubt die Gründung gemeinnütziger Organisationen, die überhaupt keine Rechenschaft ablegen müssen - weder bei der Bundes-Wahlkommission noch bei den Steuerbehörden.
Die Tarnorganisationen haben sich inzwischen als ideale Waschanlagen für Spenden von Lobbyisten, Konzernen und Gewerkschaften bewährt. Sie können einen Parallelwahlkampf führen, der offiziell nichts mit den Kandidaten zu tun hat, aber völlig legal - und anonym - teure Fernsehkampagnen finanzieren kann.
Diese »Stealth-Gelder« kommen von Gruppen mit verdächtig-unverdächtigen Namen: »Amerikaner für wirtschaftliches Wachstum«, »Bürger für Reform« oder »Koalition zum Schutz von Amerika«.
Selbst Experten wie Bob Farmer, einst als »König der Spendenjagd« gefeiert, kritisieren diese Praxis. Der Manager einer Hightech-Firma in Miami ist überzeugt,
»dass die Geldströme in der Politik heute nicht mehr kontrollierbar sind«.
Weitgehend mitverantwortlich für diese Entwicklung ist der noch regierende Mann im Weißen Haus. Bill Clinton erhob das Spendensammeln zur präsidialen Leidenschaft. Bereitwillig machte er die Honneurs für spendable Besucher, empfing kolumbianische Drogenschmuggler und chinesische Waffenhändler zu Kaffeeklatsch und Fototermin. Betuchte Partei-Paten flogen mit an Bord der »Air Force One« oder nächtigten in historischen Schlafzimmern im Weißen Haus an der Pennsylvania Avenue. Dafür kann er aber auch eine stolze Spendenbilanz vorweisen. Seit 1992 trug er für die Demokraten schätzungsweise eine Milliarde Dollar zusammen.
Kritiker der Wahlkampffinanzierung wie Fred Wertheimer von der unabhängigen Initiative »Democracy 21« sehen inzwischen die Unabhängigkeit des politischen Systems durch den Zwang zum Bettel-Marathon in Gefahr. »Bei Spenden von 250 000 bis 500 000 Dollar handelt es sich schlicht um den Kauf oder Verkauf von Einfluss«, sagt Wertheimer. »Das ist politische Erpressung.«
Naturgemäß steht es in einem Wahljahr besonders schlecht um den Reformeifer der meisten Gesetzgeber. Dennoch ist die Spendenpraxis inzwischen so verrufen, dass sogar die Präsidentschaftsbewerber energisch als künftige Saubermänner auftreten.
Der Republikaner Bush verlangt Obergrenzen für alle unkontrollierten Zuwendungen, der Demokrat Gore, seit vier Jahren selber in einen Skandal um illegale Spenden eines Buddhisten-Klosters verwickelt, will vollständig auf »weiche Gelder« verzichten. »Wir werden«, tönte er im März, »die Verbindung zwischen dem Nehmen von Geld und Gewähren von Einfluss unterbinden.«
Doch inzwischen ist Gores neue »Leidenschaft« für Reformen wieder erloschen. Für den Vizepräsidenten, der in den Umfragen deutlich hinter Bush zurückgefallen ist, wird derzeit von der Demokratischen Partei eine Anzeigenkampagne für 30 Millionen Dollar vorbereitet - weitgehend finanziert aus den anrüchigen »weichen Dollar«.
Auch persönlich ist der zum Gärtner bestellte Bock wieder rührig als Akquisiteur im Einsatz. Mit seinem Chef Clinton stellte der Vizepräsident einen neuen Bettelrekord auf. In der größten Sportarena von Washington versammelten die Demokraten 13 600 Parteifreunde. Bilanz der Veranstaltung: Allein an diesem Abend sackten Clinton und Gore 26,5 Millionen Dollar ein. STEFAN SIMONS
* Fitnesstrainerin Denise Austin, auf einerWahlkampfveranstaltung in Washington.** Charles Lewis: »The Buying of the President 2000«. AvonBooks, New York; 372 Seiten; 14 Dollar.* Aus dem Videomitschnitt eines Mittagessens am 14. Mai 1996 imWeißen Haus.