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»DAS PACK HINTER DER BARRIKADE«

Die Revolutionsfurcht des Bürgertums entlud sich in Verunglimpfung des gemeinen Volkes. Daß Insurgenten ungewaschen sind und wilde Bärte tragen, ist zu einem Klischee geworden, von dem sich der Bürger bis heute so wenig hat trennen mögen wie der Revolutionär.
aus DER SPIEGEL 45/1968

Augenzeugenbericht des liberalen Publizisten Robert Springer aus dem Jahre 1848:

Da trieben jene Erdarbeiter, die »Rehberger« genannt ... ihr tolles Wesen ... Der Typus des Rehbergers wird hoffentlich durch einen genialen Künstler der Nachwelt überliefert werden: er hat für unsere Revolutionszeit dieselbe Bedeutung wie der des Carmagnole der ersten französischen Revolution. Diese wilden Gestalten, halb Pferd, halb Alligator, mit den von der Sonne und Schnaps gebräunten Gesichtern und wüsten Bärten, in Lumpenröcke, seltener in Blusen gekleidet, mit einem gelben Strohhute mit Federbusch bedeckt, in der Hand einen ehrfurchterweckenden Knüttel -- waren eine geraume Zeit die Stütze der »Wühler« und der Schrecken der Reaktion und der schwachen Gemüter. Man sah sie häufig vom Morgen bis zum Abend in drohenden Haufen vor dem Berliner Rathause, Lohnerhöhung fordernd oder irgendeine Beschwerde führend; in dem politischen Klub traten einzelne Begabte unter ihnen zuweilen als Redner auf und ergänzten den mangelnden Ausdruck ihrer Rede durch die vielsagende Mimik ihres Knotenprügels ...

Tagebucheintragung des preußischen Diplomaten Varnhagen von Ense aus dem Jahre 1848:

»Sie zünden die Bahnhöfe an, sie verbrennen die Staatswagen Louis Philippes! Welche Roheit, welcher Vandalismus!« -- Ja, da haben Sie recht! Die beute haben gar keine Rücksicht! Denken Sie sich, in den heißen Kampfestagen ging in Paris ein unschuldiger Knabe mit einer Tüte Bonbons über die Straße, die Blusenmänner stürmten vorbei, nehmen sich nicht in acht, stoßen ihn an, und alle Bonbons fallen in den Schmutz! Welche Roheit, welche Rücksichtslosigkeit!

Der Philosoph Arthur Schopenhauer In einem Briet vom 2. März 1849: eine Barrikade auf der Brücke und die Schurken bis dicht vor meinem Hause stehend, zielend und schießend auf das Militär in der Fahrgasse, dessen Gegenschüsse das Haus erschüttern: plötzlich Stimmen und Geboller an meiner verschlossenen Stubenthüre: ich, denkend, es sei die souveräne Kanaille, verrammle die Thür mit einer Stange: jetzt geschehn gefährliche Stöße gegen dieselbe: endlich die feine Stimme meiner Magd: 'es sind nur einige Österreicher!' Sogleich öffne ich diesen werthen Freunden: 20 blauhosige Stockböhmen stürzen herein, um aus meinen Fenstern auf die Souveränen zu schießen; besinnen sich aber bald, es ginge vom nächsten Hause besser. Aus dem ersten Stock rekognocirt der Offizier das Pack hinter der Barrikade: sogleich schicke ich ihm den großen doppelten Operngucker, mit dem Sie einst den Ballon sahen; -- und so geht's zu in der Studierstube weiser Geister! Aristoph. Nubes.

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