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INDUSTRIE / UNILEVER Das Pfennig-Imperium

aus DER SPIEGEL 40/1960

Als am Nachmittag des 10. September

der Staatsanwalt Dr. van der Hoeven sein Büro in Rotterdam verließ, hatte er ein Tagewerk hinter sich, das in Küchen, Kontoren und Börsensälen rund um die Erde Folgen zeitigte: Van der Hoeven hatte an diesem Tag den Verkauf von 56 Margarinesorten in Holland vorläufig verboten. Es bestand der Verdacht, sie könnten jene fiebrige Hautkrankheit weiterverbreiten, die bis dahin etwa 100 000 Holländer ergriffen und vier Todesopfer gefordert hatte. Hersteller sämtlicher 56 verbotenen Sorten der Konzern Unilever.

Am nächsten Börsentag fielen von New York bis Frankfurt die Kurse der Unilever-Aktien, und die Zeitungen hatten wieder eine Unilever-Sensation. Seit am 23. August zum erstenmal ein Bestandteil der holländischen, von Unilever produzierten »Planta«-Margarine als Erreger der Massenerkrankungen verdächtigt und seit auch die westdeutsche Bläschenkrankheit vom Herbst 1958 mit dieser Beimischung in Zusammenhang gebracht worden war (SPIEGEL 37, 38/1960), hatte sich die Margarine neben Olympiade, Kongo und Berlin auf den Frontseiten der Gazetten gehalten.

In der Direktions-Suite von Unilever am Burgermeester s'Jacobplein in Rotterdam vernahm man das Skandalgeschrei mit Schaudern - und nicht allein, weil es den Geschäften Abbruch tat. Vielmehr griff die Profanierung des Namens Unilever in den Spalten der Presse ein Existenzprinzip dieses Unternehmens an, mit dessen Hilfe es sich zu einem der erfolgreichsten und zugleich widersprüchlichsten internationalen Konzerne entwickelt hat:

Obwohl Hoflieferant par excellence der Verbrauchermassen, ist der Konzern weithin unbekannt geblieben; seiner Markensymbole sind Legion, aber ein Unilever-Zeichen gibt es nicht; seine Umsätze macht er in den Kramläden aller Kontinente, dirigiert wird er von

einem höchst exklusiven Herrenklub; obwohl er für mehr als eine Milliarde Mark jährlich Ströme von Werbung und Information fließen läßt, liegt um seine Kommandohöhen tiefes Dunkel. Unilever ist allgegenwärtig und anonym.

Dieses janusköpfige Gebilde 'nimmt heute den sechsten Platz unter den Industriegiganten der kapitalistischen Welt ein*. Im vergangenen Jahr repräsentierte es

- rund 500 Unternehmen mit 292 000

Beschäftigten,

- einen Umsatz von 15,88 Milliarden

Mark und einen Reingewinn von 710 Millionen Mark,

- Aktiva im Wert von 8,8 Milliarden

Mark und

- ein Aktienkapital von 1,8 Milliarden Mark.

Vergleichsweise bescheiden nimmt sich daneben die erste deutsche Gesellschaft in der Weltrangliste aus: Die Firma Siemens steht an 53. Stelle; ihr Umsatz betrug 3,6 Milliarden, ihr Reingewinn knapp 96 Millionen Mark.

Unilever beherrscht etwa 70 Prozent des westdeutschen Margarinemarktes und könnte mühelos 100 Prozent erreichen; Unilever dominiert auf dem kontinentaleuropäischen Markt für Seife und Waschmittel und braucht in Nordamerika seine Führerstellung auf dem gleichen Markt mit nur zwei weiteren Konzernen (Procter & Gamble und Colgate-Palmolive-Peet) zu teilen; Unilever beliefert bundesdeutsche Hausfrauen mit »Nordsee«-Fischkonserven, »Langnese«-Eis, »Suwa«-Waschpulver, »Sanella«- und »Rama«-Margarine, »Lux«-Seife, »Kleenex«-Papiertüchern und ungezählten anderen Produkten (siehe Graphik Seite 61).

Der Unilever-Konzern betreibt eine Austernfarm in Cornwall und beherrscht den Rohstoffhandel Westafrikas, er gebietet über Zinngruben und eine eigene Schiffahrtslinie, er beliefert die Hindus mit dem indischen Nationalfett Ghee. Er verkauft fast nur Waren, deren Wert nach Pfennigen rechnet, und beschloß im vergangenen Jahr Neuinvestitionen in Höhe von 600 Millionen Mark.

Ein unauffälliger Mann mit einem trockenen Brackenkopf sitzt am Schaltpult der Unilever-Maschine: Frederick Jan Tempel, geboren im Dezember 1900. Der Vorsitzende des Verwaltungsrats der Unilever N. V.** verkörpert den klassischen Typ des Manager-Beamten.

Seit er als 23jähriger die Rotterdamer Handelshochschule verließ und in eines der holländischen Stammunternehmen des heutigen Unilever-Konzerns eintrat, hat er den Brotgeber nicht mehr gewechselt. In 33jähriger Ochsentour, die ihn auf Außenposten in Deutschland,

Italien und Frankreich führte und ihm den undankbaren Auftrag einbrachte, unter deutscher Besatzung die Unilever -Stellung in Holland zu halten, mühte er sich unverdrossen voran. 1947 kam er in den Verwaltungsrat und 1956 war es geschafft - er saß an der Spitze.

Tempel fand sich in einer Position, die seine Vorgänger mit äußerster Raffinesse zu einer undurchdringlichen Festung industrieller Macht ausgebaut hatten (siehe Graphik Seite 61). Die Aktionärsarmeen - ihre genaue Stärke ist nicht feststellbar, liegt jedoch kaum unter einer halben Million - treten lediglich zum Dividendenempfang an, und kein Outsider hat die geringste Chance, sich etwa mittels Aktien Einfluß auf den Konzern zu erkaufen.

Tempels Unilever N. V. ist eine von zwei Holdinggesellschaften, in denen die Konzernpyramide gipfelt - der Zwilling heißt Unilever Ltd. und residiert in London an der Blackfriars Bridge. Bei der englischen Gesellschaft sind die Beteiligungen im Gebiet des Commonwealth konzentriert, während die Rotterdamer Gesellschaft die Unternehmen in der übrigen Welt vereinigt. Jede Gesellschaft hat theoretisch ihren eigenen Verwaltungsrat, in der Praxis ist es aber ein und dasselbe Gremium von maximal 25 Managern, das beide Gruppen dirigiert (siehe Graphik S. 61).

Der Verwaltungsrat, dem gegenwärtig 24 Mitglieder angehören, stellt eine Art Konzern-Kabinett dar, die eigentliche Exekutivspitze jedoch ist das Spezialkomitee mit nur drei Mitgliedern:

- Frederick Tempel,

- George Cole, Vorsitzender des Verwaltungsrats der Unilever Ltd. und stellvertretender Vorsitzender bei der Unilever N. V.,

- J. A. Connel, stellvertretender Verwaltungsratsvorsitzender bei Ltd. und N. V.,

Mit vielfältigen und narrensicheren Vorkehrungen ist dafür gesorgt, daß der Führungsstab nie den riskanten Zufälligkeiten einer Wahl durch die Aktionäre ausgesetzt wird und daß er seine Entscheidungen frei von jedem Mitspracherecht der Anteilseigner treffen kann. Gemessen an Unilever, sind die straff geleiteten westdeutschen Konzerne demokratische Debattierklubs.

Deutsche Aktienkäufer, die Lust verspürten, ihr Geld in den Anfang 1959 erstmals zum deutschen Börsenhandel zugelassenen Unilever-Aktien anzulegen, machten die Bekanntschaft eines eigenartigen Systems. Es wurden ihnen keine Aktien angeboten, sondern lediglich Zertifikate über den Besitz von Aktien. Wer die Original-Aktien in Verwahrung hatte, wurde demjenigen klar, der sich durch den umfänglichen, kleingedruckten Text des Börseneinführungs-Prospekts durcharbeitete: ein Institut namens N. V. Nederlandsch Administratie en Trustkantoor, Amsterdam, kurz Nedamtrust.

Diese im verborgenen blühende Treuhandgesellschaft, ein gemeinschaftliches Kind der niederländischen Großbanken, hat gemäß einem 22 Jahre alten Vertrag mit Unilever mindestens 70 Prozent des Aktienkapitals der Unilever N. V. im Depot. Artikel 13 dieses Vertrags besagt schlicht:

»Durch den Umstand, daß jemand Inhaber eines Zertifikates ist, gilt als feststehend, daß er ... dem Vorstand (der Nedamtrust) unwiderruflich das Recht gegeben hat, mit der Befugnis, es zu delegieren, ... alles zu tun oder vorzunehmen, was der Vorstand für nötig oder erwünscht erachten wird, insbesondere auch in der vom Vorstand für wünschenswert gehaltenen Art ... das mit dem Besitz der Originalaktien verbundene Stimmrecht auszuüben.«

Diesem drakonischen Entzug des Stimmrechts kann der Besitzer eines Unileverzertifikats zwar entgehen, indem er gegen »Vergütung für alle entstehenden Unkosten« und eine Gebühr von 2,75 Mark je 1000 holländische Gulden Nominalbetrag seine Zertifikate in die Originalaktien umtauschen läßt. Erwartungsgemäß hat sich jedoch bislang kaum ein Aktionär dieser umständlichen und mit Kosten verbundenen Prozedur unterzogen.

So sind also zunächst einmal die Aktionäre der Unilever N. V. ausgeschaltet, und selbst die von ihren Aktionären nicht gerade abhängigen Manager der westdeutschen Großindustrie werden sich nicht ohne Neid eine Unilever -Hauptversammlung in Rotterdam ausmalen - statt eines Massenaufgebots erscheint diskret im Kleinen Börsenanzug der Bevollmächtigte der Nedamtrust im Verwaltungsgebäude, um sich mit den Konzerngewaltigen über das Wetter zu unterhalten.

Indes, auch diese elegante Konstruktion wies noch manche Lücke auf. Vor allem blieb die englische Flanke offen, wo eine so radikale Lösung den Gesetzen zuwidergelaufen wäre. Folglich fügte man in die Satzung des Konzerns den Passus ein, daß Anträge von Aktionären in der Hauptversammlung nur dann behandelt werden, wenn sie mindestens zehn Prozent -des ausgegebenen Aktienkapitals hinter sich haben. Die Gefahr, daß ein Aktionär der N. V. 76 Millionen, ein Aktionär der Ltd. 100 Millionen Mark Aktienkapital für lästige Forderungen mobilisieren könnte, durfte als gering eingeschätzt werden.

Um jedoch auch dieses Gespenst zu bannen, versieht die Unilever-Satzung den Verwaltungsrat mit diktatorischen Machtbefugnissen. Ihm allein obliegt die Führung der Geschäfte, einen Aufsichtsrat gibt es nicht. Satzungsänderungen sind' nur dann möglich, wenn sie vom Verwaltungsrat vorgeschlagen werden ebenso können alle wesentlichen Änderungen in den Vertragsverhältnissen der Gesellschaft nur auf Vorschlag des Verwaltungsrats vorgenommen werden. Diesem befriedigenden Schema, das

- die Macht des Verwaltungsrats mit

Hilfe der Satzung betoniert und

- zugleich den Verwaltungsrat über

die Satzung befinden läßt,

schließt sich folgerichtig der letzte Trick an, der

- die Wahl des Verwaltungsrats durch

sich selbst, die Kooptation, ermöglicht.

Dazu erdachten die Meister des Konzern-Puzzle eine sinnreiche Methode. Sie zweigten vom Aktienkapital zwei winzige Pakete ab, 2,4 Millionen Gulden der Unilever N. V. und 100 000 englische Pfund der Unilever Ltd., und übertrugen sie je zur Hälfte an zwei Tochtergesellschaften, die N. V. Elma in Rotterdam und die United Holdings Ltd. in London. Diese Aktien stattete man mit einem besonders gearteten Stimmrecht aus, das der Börsenprospekt wie folgt kennzeichnet:

»Als Verwaltungsratsmitglieder ... können nur Personen bestellt werden, die dafür von der Mehrheit der Inhaber (dieser Aktien) vorgeschlagen worden sind. Da sich die genannten Aktiengruppen je zur Hälfte im Besitz von Tochtergesellschaften der (Unilever) N. V. und der (Unilever) Limited befinden, ist die Durchführung des Grundsatzes gewährleistet, daß die Verwaltungsräte der N. V. und der Limited aus denselben Personen bestehen sollen.«

Verschwiegen wird die Tatsache, daß auch der Grundsatz der Kooptation damit gewährleistet ist. Da die Tochtergesellschaften N. V. Elma und United Holdings Ltd. zu 100 Prozent den beiden großen Muttergesellschaften gehören, können ihre »Vorschläge« den Wünschen des allmächtigen Verwaltungsrats kaum widersprechen: Der Rat wählt und ergänzt sich selbst.

Im höchsten Elfenbeinturm der Großmacht Unilever meditieren die drei Weisen des Spezialkomitees, denen die letzte Entscheidung über Fragen der großen Konzernpolitik zufällt:

- Alle Kapitalinvestitionen sämtlicher Tochtergesellschaften bedürfen ihrer Zustimmung;

- sie stellen einen Jahresplan für den gesamten Konzern auf, dem die einzelnen Gesellschaften ihre Jahrespläne einordnen müssen;

- sie wählen das Personal für die leitenden Posten aller 500 Tochtergesellschaften aus.

Das Spezialkomitee trifft sich fast täglich, meist hinter der klassizistischen Säulenfassade des Londoner Unilever -Hauses, gelegentlich auch in Frederick Tempels Landhaus im exklusiven Londoner Vorort Esher.

Die Dienstzeit des 59jährigen Tempel umgreift etwas weniger als die Hälfte der Unilever-Historie, und so sehr sich die beiden Hälften in einem Merkmal gleichen - dem fortgesetzten Wachstum -, so wesensverschieden sind sie in allen anderen. Als Frederick Jan Tempel 1923 zum erstenmal die Kontorräume der Van den Bergh's Fabrieken N. V. in Rotterdam betrat, waren noch jene Gründer am Werk, deren frühkapitalistische Draufgängerei mit den geräuschlosen Manipulationen des altgewordenen Tempel wenig gemein hatte.

Im Jahre 1871 konnte der 52jährige Butterhändler Simon van den Bergh aus dem Städtchen Oss im holländischen Nordbrabant ebenso wie sein um 16 Jahre jüngerer Rivale Jan Jurgens guten Geschäften entgegensehen: Sie hatten Oss zum Zentrum des profitablen Butterexports vom Kontinent nach England gemacht, und ihre Warenladungen waren von Oberitalien bis nach Glasgow unterwegs.

Daß sich der fromme Katholik Jurgens und der orthodoxe Jude van den Bergh dennoch in diesem Jahr der neuen Kunstbutter »Margarine« annahmen, die der Chemiker Mège Mouriès zwei Jahre zuvor in seinem Pariser Laboratorium aus Rindertalg und Magermilch zum erstenmal zusammengemischt und nach dem griechischen Wort für Perle (margarites) benannt hatte, war nicht allein der intensiven Kleinstadtrivalität zuzuschreiben.

Beide Händler, mit hartem, bauernschlauem Geschäftssinn und jener kapitalistischen Erztugend, dem Drang nach größeren Umsätzen, ausgestattet, hatten vielmehr die Berichte ihrer englischen Geschäftspartner zu lesen verstanden: Die Masse des neuen Industrieproletariats konnte sich die teure Butter nicht leisten, sie strich statt dessen Rübensirup aufs Brot.

Die Margarinefabriken von Jurgens und van den Bergh in Oss waren die ersten Europas, und sie profitierten von Anfang an von der weitgespannten Markterfahrung ihrer Gründer. Zielsicher packten die Händler-Fabrikanten das neue Fett des kleinen Mannes, anfangs auch Butterine genannt, mit Hilfe eines dichten Verteilernetzes auf die Ladentheken der Arbeiterviertel, zunächst in England, bald aber auch in Deutschland und den anderen jungen Industriestaaten.

Van den Bergh und Jurgens waren nicht nur die ersten Margarinefabrikanten, die außer dem Großhandel auch die neuentstehenden Filialgeschäfte - in Deutschland etwa Kaiser's Kaffeegeschäft - und sogar die einzelnen Ladenbesitzer direkt versorgten, sie entdeckten auch die Goldgrube der Werbung und des Markennamens.

Die erste in Würfeln verpackte und mit einem phantasievollen Namen versehene Sorte in Deutschland war 1898 van den Berghs »Vitello«. »Überall«, so begeisterte sich des alten Simon jüngster Sohn, Samuel van den Bergh, »war der Name Vitello zu lesen, an den Mauern, an den besten und, sichtbarsten Stellen, und schön emaillierte Tafeln hingen vor den Läden von zehntausend van-den-Bergh-Kunden.«

Die lautstarke, Werbung trug den neuen Markenerzeugnissen eine enorme Volkstümlichkeit ein. In den zwanziger Jahren war in Deutschland als Variante eines Gassenhauers der Spottvers im Schwange:

Wenn Du eine Schwiegermutter hast,

steck sie in ein Rama-Butterfaß,

roll sie einmal hin und einmal her,

und Du hast keine Schwiegermutter mehr.

Auch die Redensart »Mein lieber Schwan im Blauband« bezog ihre Pointe von einer allbekannten Margarinemarke.

Jenseits des Kanals hatte ein unternehmender junger Mann die gleiche Erkenntnis von den Bedürfnissen der neuen Massenkundschaft gewonnen wie die Holländer: William Hesketh Lever, Sohn eines Krämers im englischen Städtchen Bolton, mitten im Industrierevier von Lancashire.

Dem 20jährigen Lever jedoch, der 1871 mit dem Pferdekarren seines

Vaters Waren ausfuhr und neue Bestellungen einholte, hatte es nicht die Margarine angetan, sondern die Seife. Zwar nannte der Vater alles, was er an Seife verhökerte, »Levers Reine Honigseife«, aber das änderte nichts daran, daß auch Levers Kunden die oft ranzige Seife aus dem Faß gekratzt oder von der Stange abgeschnitten bekamen. Das brachte William Lever auf die Idee seines Lebens: stückweise verpackte, mit einem Markennamen versehene Seife.

1885 war endlich das Kapital für des jungen Lever erste gemietete Fabrik in Warrington verfügbar, und schon 1889 bezog er ein auf grüner Wiese neuerbautes Fabrikehen am Mersey in der Nähe von Liverpool. Er nannte die kleine Industrieansiedlung stolz nach seiner neuen Seife: Port Sunlight.

Die Sunlight »selbstwaschende Seife« wurde ähnlich wie die Margarinesorten »Vitello«, »Sanella« und »Solo« in den Zeitungen und auf zahllosen Emailleschildern in verräucherten Arbeitervierteln und auf Bahnsteigen gepriesen. Eine »Klage der Lady Gwendolin« machte die Proletarierfrauen in simplen Knüttelversen damit vertraut, daß die Sunlight-Seife ihnen aristokratische Schönheit verheiße.

Die drei Firmen - Jurgens und van den Bergh in Holland, Lever in England - glichen einander jedoch nicht nur darin, daß sie früher als andere einen gewaltigen neuen Markt erschlossen. Sie produzierten auch alle drei aus dem gleichen Rohstoff - Fett - und waren mithin gleichermaßen den Pressionen ausgesetzt, die den Verarbeitern durch die hektische Entwicklung dieses Rohstoffmarktes auferlegt wurden. Vor allem

- waren Fettpreise auf dem Weltmarkt besonders starken Schwankungen ausgesetzt,

- wurden bald nach 1900 immer mehr Fettarten verarbeitungsreif und immer neue Aufbereitungsverfahren entdeckt und

- erwies sich der Kapitalbedarf für die hochtechnisierten und ständig wechselnden Produktionsmethoden als immens.

Diese Belastungen verwiesen den Margarine- oder Seifen-Produzenten auf den Weg der Expansion, und zwar einer Expansion, die mit der rapiden Entwicklung bei den Rohstoffen Schritt hielt. Die holländischen Margarinemischer und der britische Seifensieder hielten Schritt.

Seit Jurgens und van den Bergh, um den deutschen Schutzzoll von 1887 zu überspringen, im folgenden Jahr ihre ersten ausländischen Fabriken in Goch und Kleve nahe dem Niederrhein errichtet hatten, erwiesen sie sich als unersättliche Sammler von immer neuen Betrieben. Dabei konnten sie in der Folge meist auf eigene. Gründungen verzichten; sie brauchten nur jene Konkurrenzunternehmen einzukassieren, die zu schwach waren, sich in den ständig wiederkehrenden Krisen der Margarineindustrie zu behaupten.

So erwarb Jurgens 1902 die deutschen Firmen Rositzky & Witt in Altona und Krog & Ewers in Flensburg. Zwei Jahre später konnte er den größten deutschen Konkurrenten, A. L. Mohr in Altona-Bahrenfeld, auskaufen, dem nicht

nur das Kapital, sondern auch die Käufer ausgeblieben waren, als seine Margarine in einen Planta-ähnlichen Skandal verwickelt wurde. Van den Bergh raffte die holländischen Rivalen Prinzen & van Glabbeek und Hagemann samt deren europäischen Zweigwerken an sich, dazu im Jahre 1902 das deutsche Unternehmen Wahnschaffe, Müller & Co.

Als die neuen Fette - an die Stelle von Rindertalg traten Erdnußöl, Palmkern- und Kokosnußöl, Leinöl und Waltran - den Rohstoffmarkt revolutionierten, stürzten sich die Riesen der Fettbranche in den Kampf um die Kontrolle der neuen Produktionsbasis.

Hier deutete sich bereits die spätere Fusion an: Es ging um eine enge Zusammenarbeit mit der in Deutschland bereits entwickelten Ölmühlenindustrie, da sich sowohl Jurgens wie van den Bergh zum Aufbau einer eigenen Ölproduktion nicht imstande fühlten. Gemeinsam fanden sich beide Firmen mit den vier größten deutschen Ölmühlen zusammen, den Bremen-Besigheimer Ölfabriken, dem Verein Deutscher Ölfabriken, dem Ölwerk Groß Gerau, und F. Thörl's Vereinigten Harburger Oelfabriken.

Auch diese Firmen wechselten nach dem Ersten Weltkrieg in den Eigentumsbereich der Margarinekönige über, aber schon mit den Lieferverträgen, die 1908 zustande kamen, war die Suprematie der holländischen Firmen am Margarinemarkt Europas endgültig gesichert.

William Hesketh Lever hatte unterdes sein Seifenimperium ebenfalls stetig weiter ausgedehnt, war dabei allerdings sehr viel grandioser zu Werke gegangen als die Holländer. In der markigen Sprache des Selfmade-Industriellen Lever hörte sich das so an: »Als ich (in Bolton) etabliert war und Geld machte, zog ich aus nach Liverpool und Manchester. Als ich dort etabliert war und Geld machte, ging ich im Norden bis Newcastle und im Süden bis Plymouth ... Als ich dort etabliert war und Geld machte, ließ ich mich in London, Schottland und anderswo nieder ... Im nächsten Jahr eröffnete ich das Geschäft ... in Holland, Belgien, Sydney, Südafrika, Kanada usw., und so ließ ich es auf diese Weise wachsen.«

In der Tat entging kein Absatzgebiet, das auch nur im geringsten Erfolg versprach, Levers Aufmerksamkeit. Er war ständig kreuz und quer über den Globus unterwegs - 1890 in Kanada, 1892 in Amerika, Kanada, Neuseeland, Australien und Ceylon, von 1895 bis 1898 jährlich einmal in den USA, 1895/96 in Südafrika, Tasmanien und wieder in Ceylon und Australien.

Der »kleine und untersetzte Mann ...« wie ihn ein Mitarbeiter beschreibt, »mit den kurzen Beinen und dem massigen Kopf, ... den Ohren eines Preisboxers ... (und dem) stets wachsamen, aber wegen der leichten Schwerhörigkeit angespannten Gesichtsausdruck« war das Urbild des Entrepreneurs aus der Sturm- und Drangzeit des Kapitalismus: harter Geschäftemacher und Prophet, Pfennigfuchser und Verschleuderer von Millionen, Herrscher seines weltweiten Marktes und Gefangener der Größenmanie.

Anders als die vorsichtigen Brabanter, Margarineherzöge hatte sich William Lever sogleich auch in das Rohstoffgeschäft gestürzt. 1895 schon baute er eine Ölmühle zur Verarbeitung von Südsee-Kopra in der australischen Hafenstadt Sydney, 1902 eignete er sich Kokosnuß-Plantagen auf dem Salomonen an und übernahm die dazugehörigen Phosphatgruben gleich mit.

Levers erstaunlichste Acquisition war jedoch die afrikanische Niger Company, die unter anderem große Ölfrucht -Plantagen im Gebiet des heutigen Nigeria bewirtschaftete. Sie war 1886 als eine der letzten jener privaten Kolonialgesellschaften gegründet worden, die, wie die berühmtere Ostindische Kompanie, mit königlich-britischem Freibrief die Erschließung und Verwaltung riesiger Gebiete auf Profit betrieben.

Ihr Gründer, George Goldie, ein Kolonialheros vom Kaliber des Cecil Rhodes, hatte noch 1897 an der Spitze seiner Privatarmee von 800 Mann die 15 000

Krieger eines feindlichen Negerfürsten besiegt, um Ruhe für seine Unternehmungen zu schaffen. 1920 - Goldie suchte längst anderswo Zerstreuung - boten die Direktoren der wacklig gewordenen Niger Company das Unternehmen dem Lever-Konzern an, und die Manager Levers, der selbst wieder einmal in Amerika weilte, griffen zu.

Für 100 Millionen Mark - Lever-Kabel aus USA: »Gratuliere. Preis hoch, aber

selbstmörderisch,

wenn wir nicht zugegriffen hätten« - war William Lever Besitzer von weiten Gebieten Afrikas von Ölfrucht-, Kaffee - und Kakaoplantagen, von Bergwerken, holzreichen Wäldern und Sägewerken geworden. Reeder aller Nigerdampfer und einer Schiffahrtslinie, der Palm Line.

Gemeinsam mit der ehrwürdigen African and Eastern Trade Corporation, deren Anfänge ins 17. und 18. Jahrhundert zurückreichten und die, 1929 mit der Niger Company zur United Africa Company fusionierte, kontrollierte der Lever-Konzern überdies den größten Teil des westafrikanischen Handels.

Mit diesem letzten und spektakulärsten Coup William Hesketh Levers der 1917 zum Lord Leverhulme Erhobene starb 1925 - war das wohl vollkommenste Beispiel eines vertikalen Trusts geschaffen: Von der Aussaat der Ölpflanzen und der schwimmenden Waltran-Kocherei in der Antarktis über den Transport in eigenen Schiffen, die Ölherstellung, Weiterverarbeitung und Verpackung bis zum Verkauf in eigenen Ladenketten blieben Levers Transaktionen immer unter dem Dach von Lever Brothers Ltd., der Londoner Muttergesellschaft.

Als Leverhulme starb, war der heutige Konzernkönig Frederick Tempel gerade erst zwei Jahre lang junger Mann in der Van-den-Bergh-Organisation. Die drei Riesen der Fettindustrie,

- Anton Jurgens' Vereenigde Fabrieken

N. V.,

- Van den Bergh's Fabrieken N. V.

und

- Lever Brothers Ltd.

hatten den Markt untereinander aufgeteilt: Die beiden holländischen Gesellschaften beherrschten den, europäischen Margarinemarkt zu mehr als 50 Prozent, in einigen Ländern - etwa in Holland und Deutschland - zu mehr als 70 Prozent, und hatten durch das Bündnis mit dem Industrie-Imperium der deutsch-böhmischen Familie Schicht auch den mittel- und osteuropäischen Seifenhandel in der Tasche.

Lever Brothers beherrschten den Seifenhandel in England und hatten starke Positionen in den Ländern des Kontinents und in den USA. Sie hatten während des Ersten Weltkriegs in England die Margarine-Produktion begonnen und waren mit den Holländern einen Waffenstillstand auf dem Gebiet der Rohfettproduktion eingegangen - Levers Einfluß erstreckte sich im wesentlichen auf

die Rohstoffe, die Holländer bauten ihre Stellung in der deutschen Ölmühlenindustrie aus.

Aber während das Reich des heutigen Unilever-Konzerns bereits errichtet war, herrschte an der vorläufig noch dreigeteilten Spitze weiter das 19. Jahrhundert. Alle drei Firmen waren zu dieser Zeit noch immer die persönlichen Domänen der Gründer und ihrer Familien.

Lever regierte seinen unabsehbaren Trust so autokratisch wie einst die Seifenfabrik in Port Sunlight. Anton Jurgens war, wie ihn der Cambridge -Historiker und Unilever-Chronist Charles Wilson schildert, »von Natur ein Diktator, erbarmungslos hart und von nicht geringer Launenhaftigkeit ..., die sich später zur Gewohnheit des Spekulierens entwickelte«.

Bei van den Berghs teilten sich fünf Söhne des alten Simon in die Herrschaft, von denen Samuel den Ton angab - »Empfindlich und leicht erregbar, neigte er zu impulsiven und manchmal einander widersprechenden Entscheidungen, die nicht immer mit vernünftiger Geschäftspolitik in Einklang zu bringen waren« (Wilson).

Die Zeit der Manager vom Schlage Frederick Tempels, der Organisatoren, Rationalisierer und. Techniker des Verwaltungsgeschäfts war gekommen. Unterstützt von holländischen und englischen Großbanken, die längst als Kreditgeber und Großaktionäre ihre Positionen

in allen drei Konzernen bezogen hatten, brachten die Manager das persönliche Regiment im ersten Anlauf zu Fall und konstruierten in weniger als zwei Jahren einen neuen Giganten: Unilever.

Die Fusion zwischen Jurgens und van den Bergh wuchs aus endlosen Familienstreitereien über eine gemeinsame Gewinnverteilung beider Firmen, die schon 1907 vereinbart worden war, aber nie funktioniert hatte. Gegen die Bemühungen der alten Autokraten, lediglich durch einen begrenzten Pakt zwischen den Clans van den Bergh und Jurgens die lästigen Streitereien aus der Welt zu schaffen, setzten die Manager die Fusion durch:

Am 24. September 1927 wurden die beiden Margarine-Herzogtümer zu einem Reich verschmolzen, die Kontrolle ging auf eine neue Konzernspitze über. Zwei Holdinggesellschaften, bei denen die

Aktien der zahlreichen Konzernfirmen gebündelt wurden und die Kontrolle zentralisiert war, entstanden: Die Margarine Unie N. V in Rotterdam, die Margarine Union Ltd. in London.

Aber bereits am 2. September 1929 war dieser Jurgens-van-den-Bergh -Komplex Historie. Die fusionstrunkenen Konzernstrategen beiderseits des Englischen Kanals hätten zuwege gebracht, was der englische Industrieanwalt und Politiker Sir John Simon als »eines der größten, jemals wider das gesetzliche Verbot des Glücksspiels unternommenen Hazardspiele« bezeichnete: die Ehe von Margarine und Seife im Unilever-Konzern.

So perfekt nun aber das Schema war, das in der Folge zur Sicherung der zentralisierten und absoluten Manager -Macht bei Unilever entwickelt wurde, so brachte doch der Planta-Skandal seine immanenten Schwächen klar zutage: In dem endlos verzweigten Riesengebäude konnten Dinge geschehen, die dem Urinteresse des Konzerns, der Erhaltung des Good Will der Verbrauchermassen, zuwiderliefen.

Die westdeutschen Konzernlaboratorien hatten 1958 einen neuen Emulgator entwickelt, eine Substanz, die das lästige Spritzen der in der Pfanne erhitzten Margarine besonders wirkungsvoll verhindern sollte. Der Emulgator wurde im Herbst 1958 den Sorten Rama und Sanella beigemischt, und zugleich begann die Bläschenkrankheit zu grassieren.

Obwohl eher den Unilever-Spezialisten als den öffentlichen Seuchen-Wächtern die verdächtige Übereinstimmung zwischen dem Verbreitungsgebiet der Krankheit und dem der Unilever-Margarine hätte auffallen können, kamen sie nicht auf diese Spur. Mochte das noch hingehen, so blieb doch schwer verständlich, weshalb der Emulgator überhaupt beigemischt wurde - denn ganz überzeugt von der Harmlosigkeit der Substanz schien man bei Unilever von Anfang an nicht zu sein.

Nicht nur verzichtete man nach dem ersten Experiment zunächst wieder ganz auf die Verwendung des Emulgators und mischte ihn erst einige Zeit später, und nur in Westberlin, wieder bei« sondern »seit dem 24. Dezember 1959, dem Inkrafttreten des neuen deutschen Lebensmittelgesetzes, ist der Emulgator in Deutschland überhaupt nicht mehr verwendet worden«. Diese Verlautbarung des Konzerns legt den Schluß zumindest nahe, daß der Anti -Spritz-Stoff zu den vom westdeutschen Lebensmittelgesetz als gefährlich verbotenen Beimengungen gehört.

Trotz seiner ominösen Eigenschaften wurde der Emulgator dann der holländischen Unilever-Margarine Planta doch wieder beigefügt, und zwar in größeren Dosen als seinerzeit in der Bundesrepublik. Als schließlich die tückische Wirkung des Stoffs offenkundig wurde, passierte die letzte, aber nicht geringste Panne: Irgendwo in den zahlreichen Konzernfabriken knetete ein sparsamer Subalternmanager fünf Tonnen Planta mit anderen Sorten zusammen, statt sie zu vernichten.

Staatsanwalt van der Hoeven verbot vorsorglich für einige Tage den Verkauf sämtlicher 57 holländischen Unilever-Marken bis auf eine. Die niederländischen Hausfrauen drängten sich, ihre bereits erworbenen Margarinewürfel zurückzugeben, die Börsianer, ihre Unileveraktien abzustoßen.

Eine solche Kette von Fehlzündungen findet eine Erklärung, wenn auch sicher nicht die einzige, in der ungefügen Riesenhaftigkeit des Konzerns und in der sehr zentralisierten Lenkung durch die Holdinggesellschaften.

Außer den drei Hauptschalthebeln - Produktionsplanung, Investitionsplanung und Auswahl der leitenden Manager - hat sich der Verwaltungsrat noch andere Kontrollinstrumente reserviert. Mit den sogenannten Kontaktbüros und den Beratungs- und Service-Gruppen (siehe Graphik), die von Mitgliedern des Verwaltungsrats geleitet werden, greift die Konzernmutter in einem Maß in die Verwaltung der Tochterfirmen ein, das für eine reine Holdinggesellschaft außergewöhnlich ist.

»Der Mann vor Ort«, so stellte es das ehemalige Mitglied des Verwaltungsrats Lord Geoffrey Heyworth dar, »macht natürlich immer einige Fehler ... Die Beratungs- und Service-Abteilungen arbeiten so weit wie möglich mit persönlichen Besuchen. Die Besuche werden von den Spitzenkräften (also den Verwaltungsräten) gemacht, nicht von Untergebenen ... Es ergibt sich manchmal, daß diese Abteilungen neben der Beratung auch Exekutivfunktionen ausüben.«

Dieses Schema ist zwar flexibler, als es die Anfänge des Regimes der Manager gewesen waren - damals witzelten die Unterlinge über den »Wanderzirkus«, den Verwaltungsrat, der alle zwei Monate in einer anderen europäischen Stadt tagte, und ein kanadischer Direktor berichtet aus den frühen dreißiger Jahren: »Man mußte nach London kabeln, wenn man auf die Toilette ging.« Aber auch heute noch ist der Gesamtkonzern deutlich kopflastig.

Der westdeutsche Unilever-Zweig beispielsweise, Deutsche Unilever-Gruppe genannt, ist selbst ein bedeutender Konzern mit einem Kapital von insgesamt 378 Millionen Mark und Umsätzen von über zwei Milliarden Mark. Es läßt sich unschwer erraten, wie auf die deutschen Leiter dieses Unternehmens an der Hamburger Esplanade die persönliche »Beratung« durcheinen Konzernpapst aus Rotterdam oder London wirken muß, zumal wenn es sich »ergibt«, daß nicht nur beraten, sondern exekutiert wird.

Es entsprach auch den bei Unilever geübten Gepflogenheiten, daß die deutschen Tochterunternehmen in einem günstigen Augenblick jenem Rest öffentlicher Kontrolle entzogen wurden, den die Rechtsform der AG und deren Publizitätspflicht ihnen auferlegt hatte. Die Steuervergünstigungen des Bonner Umwandlungsgesetzes nutzend, verwandelte der Konzern seine westdeutsche Dachgesellschaft, die Margarine-Union AG, in eine GmbH.

Die Aktiengesellschaften F. Thörl's Vereinigte Harburger Oelfabriken und Verein deutscher Ölfabriken wurden der neuen GmbH als Zweigniederlassungen einverleibt. Auch das deutsche Seifenunternehmen von Unilever, die Sunlicht AG, verschwand unter dem schützenden GmbH-Mantel.

Die Leitung der Margarine-Union - bis 1957 gehörte ihr Karl Blessing an, der heute als Präsident der Deutschen Bundesbank bei geringeren Bezügen größere Unabhängigkeit genießt - besteht aus vier Mitgliedern: Dr. Bergemann, ehemals Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Dr. Nicolaus, dessen süddeutsche Papierfabriken im Konzern aufgegangen sind, Dr. Smit und S. G. Sweetman; die beiden letzteren hat das Spezialkomitee aus den Ausland nach Hamburg dirigiert.

Solche Versuche, selbst in die größten Tochtergesellschaften hineinzuregieren, gewinnen auch durch die Pose väterlicher Nachsicht, mit der sie unternommen werden, nicht eben an Erträglichkeit. Dozierte Lord Heyworth: »Man muß mit Vorwürfen sparsam umgehen, wenn (der Außenvertreter des Konzerns) seine Autorität überschreitet; denn Initiative ist eine sehr zarte Pflanze, deren Wachstum man fordern muß, auch wenn dabei ein bißchen Unkraut wuchert.«

Als allerdings das Unkraut so stark zu wuchern begann wie in der Planta -Affäre, durften sich die Unilever-Gesalbten in Rotterdam und London mit einigem Recht die Frage vorlegen, ob ihr System nicht nachgerade gefährlich geworden war. Irgendwo im Gewirr der von der Zentrale beanspruchten Kon-_ trollen war auf einmal die wirkliche Kontrolle verlorengegangen.

Nun hat der Riese Unilever gewiß nicht zu befürchten, daß er etwa selbst an seinem unbekömmlichen Emulgator erkranken werde. Die Kosten, die dem Konzern aus der Planta-Affäre entstehen können - Verlust fertiger Margarine, Absatzrückgang, Schadenersatz an alle 100 000 Betroffenen -, sind zwar noch nicht genau abzusehen, aber sie werden kaum über einige Millionen hinausgehen. So konstatierte die »Frankfurter Allgemeine": »Die finanziellen Einbußen sind nicht so groß, als daß sie einen Kursrückgang von über 100 Punkten rechtfertigen könnten.«

Unilever hat tatsächlich schön andere Schwierigkeiten gelassen überstanden, von der Weltwirtschaftskrise, die unmittelbar nach seiner Gründung ausbrach, bis zum Skandal um seinen stellvertretenden Verwaltungsratsvorsitzenden im vorigen Jahr.

Sidney James van den Bergh, der heute 61jährige Sohn des 1941 verstorbenen Samuel, war just zum holländischen Kriegsminister avanciert und hatte seinen Posten im Konzern aufgegeben, als er ehewidriger Beziehungen zur Frau eines kalifornischen Parfumfabrikanten bezichtigt wurde. Van den Bergh, den der Kalifornier als freigebigen Spender von Pretiosen und Pelzmänteln schilderte, mußte seinen Ministersessel nach zweieinhalb Monaten wieder räumen, aber den Platz im Herrenklub von Unilever hatte man ihm großzügig freigehalten.

Die Mitgliederliste dieses 24köpfigen Klubs weist heute noch zwei van den Berghs und einen Jurgens auf. Der dritte Lord Leverhulme, Enkel des Seifenkönigs und ohne männliche Nachkommen, hat einen Ehrenposten als »beratender Direktor« der Unilever Ltd. inne und widmet sich vorwiegend seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen als

Landedelmann in der Grafschaft Cheshire, nicht weit von seines Großvaters Seifenstadt Port Sunlight.

Während die Gründerfamilien immer mehr in den Hintergrund treten, müssen die drei Männer des Spezialkomitees bei ihren täglichen Beratungen über Probleme der Konzernpolitik nachsinnen, die tiefer gehen als der Planta -Skandal: Im ersten Halbjahr 1960 war trotz kräftig erhöhter Umsätze der konsolidierte Reingewinn (nach Verrechnung außerordentlicher Aufwendungen und Erträge) zum erstenmal seit Jahren geringer als im Vorjahr.

Für das magere Ergebnis zeichnete die Unilever N. V. verantwortlich, deren Rohertrag um 14 Prozent fiel, während

der der Unilever Ltd. um 24 Prozent stieg. Diese Entwicklung mußte um so bedenklicher stimmen, als die N. V. die immer noch bei weitem wichtigsten Absatzgebiete bearbeitet - Europa, wo 61 Prozent der Umsätze des Gesamtkonzerns getätigt werden, und die beiden Amerikas mit 13 Prozent.

Die Gründe für das flaue Geschäft lagen in den Launen jenes Massenmarktes, dem die Unilever-Firmen seit den Tagen von Oss und Bolton auf Gedeih und Verderb verbunden sind. Der größte Margarine-Lieferant Europas spürte die ständige Ausbreitung des Wohlstandskonsums, die nicht zuletzt auf Kosten der Margarine ging - allein in Deutschland fiel der Margarine-Verbrauch zwischen 1956 und 1959 um neun Prozent, dafür stieg der Butterverbrauch um etwa 25 Prozent.

Schon die Unilever-Zählen des vergangenen Jahres hatten für Margarine den geringsten Umsatzanstieg ausgewiesen - von 3,2 Milliarden Mark auf 3,25 Milliarden Mark, wobei schon die weniger anfälligen anderen Speisefette und Speiseöle eingerechnet waren. Die Umsätze in Seife und Waschmitteln waren dagegen von 3,4 auf 3,6 Milliarden Mark gewachsen.

Aber auch dieser klassische Zweig der Unilever-Produktion bereitet dem Londoner Triumvirat Sorge. Die synthetischen Waschmittel haben es der Seifenindustrie möglich gemacht, statt der Produkte des unstabilen und überdies durch Unilever kontrollierten Weltmarkts für Fette immer mehr die billigen und preisstabilen Grundstoffe der einheimischen chemischen Industrie zu verarbeiten. Seither muß der Konzern auch mit kleinen Rivalen rechnen.

Es scheint indes, als hätten die Erben des Anton Jurgens und William Lever die Konzernstrategie bereits revidiert. Laut Geschäftsbericht des letzten Jahres entfielen von den Gesamtumsätzen

- 23 Prozent auf Seife und Waschmittel,

- 21 Prozent auf Margarine, Speiseöle

und -fette und

- 16 Prozent auf frische, tiefgekühlte, in Büchsen konservierte und andere verarbeitete Nahrungsmittel einschließlich Speiseeis.

Das Geschäft mit hochwertigen Nahrungsmitteln scheint ausersehen, dem Seifen- und Margarine-Giganten sein drittes Standbein zu geben, vielleicht eines Tages das kräftigste. Für über zweieinhalb Milliarden Mark hat Unilever 1959 in diesem Geschäftszweig bereits umgesetzt, und der Geschäftsbericht zählt allein für das Produktionsgebiet Nahrungsmittel Investitionsvorhaben von rund 165 Millionen Mark auf - für Margarine sind es knapp zehn Millionen, für Seife rund 19 Millionen.

Wie ihre robusten Vorgänger sind auch die milden Unilever-Autokraten von heute ständig auf der Suche nach neuen Adoptivkindern. Zu den neueren Eroberungen gehört ein Aktienpaket der Aschaffenburger Zellstoffwerke AG, mit der Unilever in einer Arbeitsgemeinschaft Kleenex verbunden ist, und die Mehrheitsbeteiligung an der kleinen Firma Ravensberger Seidenweberei GmbH.

Allein in diesem Jahr übernahm der Konzern ein Werk der Fettchemie und eine Konservenfirma in Holland, eine Getränkefabrik in England und ein Unternehmen der Seifenindustrie in Brasilien.

Auch in ihrer ungebrochenen Freude am Gigantischen zeigten sich die 24 Herren auf Unilevers Kommandobrücke der Ahnen würdig. Im Juni dieses Jahres erhöhten sie das genehmigte Kapital der Unilever N. V. - die Summe also, bis zu deren Höhe bei Bedarf Aktien ausgegeben werden dürfen - um mehr als 350 Millionen auf 1,1 Milliarden Mark.

Als der alte Lord Leverhulme im Jahre 1919 das genehmigte Kapital seiner Gesellschaft auf das Zweieinhalbfache erhöhte, hatte er die Zweifler mit Heroengeste beiseitegeschoben: »Mein Kapital war immer für die Zukunft geplant, nicht für die unmittelbare Gegenwart.«

Solche Zukunftsfreudigkeit und die fette Dividende von 20 Prozent für 1959 konnten ihren Einfluß auf die Börsengeltung der Unilever-Aktien nicht verfehlen. An westdeutschen Börsen bewilligen die Anleger heute rund 350 Kurspunkte mehr als bei der Einführung der Aktien vor 20 Monaten, um gutbesoldete, brave Aktionärssoldaten der Konzernfürsten zu werden.

Selbst der Kursverlust nach der Planta-Affäre wird kaum von Dauer sein: In der vergangenen Woche waren von den 134 verlorenen Punkten schon 23 wieder aufgeholt.

* Die fünf größten: General Motors, Standard

Oil of New Jersey, Ford (alle USA), Royal Dutch/Shell (britisch-holländisch), General Electric (USA).

** N. V.: Naamloze Vennootschap, der holländische Begriff für »mit beschränkter Haftung«, ähnelt dem englischen »Limited« (Ltd.), ist jedoch mit der deutschen Unternehmensform GmbH nicht identisch.

Unilevers Tempel: Diktator mit beschränkter Haftung

Gründer Simon van den Bergh

Aus Rindertalg und Magermilch ...

Gründer Lever

... eine Substanz ...

Gründer Jan Jurgens

... mit dem Namen Perle

Erbe Samuel van den Bergh

Die alten Familien wurden ...

Erbe Anton Jurgens

... von Konzernbeamten verdrängt

Heyworth

Cole

Bergemann

Ex-Kriegsminister Sidney van den Bergh

Pelze für die Damen

Unilever-Verwaltungsratssitzung in London: Der Herrenklub wählte sich selbst

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