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FRANKREICH / ALGERIEN Das Regime der Polizisten

aus DER SPIEGEL 42/1956

In den letzten Septembertagen traf in Paris eine für die französische Regierung höchst peinliche Nachricht ein: Abd el -Rahman Faris, einer der treuesten Freunde Frankreichs in Algerien und ehemaliger Präsident der algerischen Nationalversammlung, sagte sich von Frankreich los und forderte die Regierung in Paris auf, mit den algerischen Rebellen zu verhandeln.

Die politische Desertion des Faris ist der schwerste Prestigeverlust, den die militärische Befriedungsaktion der sozialistischen Regierung Mollet in Algerien bisher erlitten hat. Sie ist die Folge eines Polizei-Skandals, der das ohnehin umstrittene Ansehen des Algerien-Ministers Robert Lacoste endgültig zu ruinieren droht.

Seit Tagen brandet ein Sturm öffentlicher Entrüstung gegen die französische Sicherheitspolizei in Algerien, die beschuldigt wird, politische Häftlinge mit Schikanen und Torturen zu drangsalieren. Zu den Opfern der Sicherheitspolizei gehörte auch der engste Verwandte und Freund des Faris, sein Onkel Daud el-Din Taijib, der kürzlich - angeblich wegen Zusammenarbeit mit den algerischen Rebellen - von der Polizei verhaftet und schließlich bei dem Versuch, Geständnisse von ihm zu erpressen, zu Tode gefoltert worden war.

»Der Tod des Daud el-Din Taijib«, kommentierte der britische »Manchester Guardian« in der vorletzten Woche, ist typisch für die Blindheit der algerischen Behörden wie auch großer Teile der französischen Bevölkerung in Algerien, die nicht sehen wollen, welche Folgen ihre Taten unvermeidlich haben.«

Von diesen Taten handelte auch ein schmales Bündel von Informationen, das im September dem Chefredakteur der Pariser Wochenzeitung »France-Observateur«, Claude Bourdet, in die Hände fiel.

Bourdet berichtete, am 5. September habe die französische Polizei im Verlauf einer Razzia gegen den kommunistischen Untergrund eine Gruppe französischer Gewerkschaftsfunktionäre in Oran verhaftet, die fast ausschließlich Kommunisten und Linkssozialisten sind. Sie seien jedoch nicht dem Untersuchungsrichter vorgeführt, sondern zu Geständnissen gezwungen worden; noch ehe sie von einem Richter erfahren konnten, welcher Straftaten sie beschuldigt wurden.

»Die Verhafteten wurden so lange in Haft gehalten, bis sie gestanden hatten«, behauptete Bourdet. »Die Anschuldigung erfolgte erst auf Grund des 'Geständnisses'. Dann wurden die Angeklagten dem Untersuchungsrichter vorgeführt.« Mit »gestapoähnlichen Methoden« seien »mindestens 40 Verhaftete gefoltert worden«, unter ihnen bekannte algerische Gewerkschaftler.

Die Verhafteten wurden - so hatte sich Ankläger Bourdet von Informanten berichten lassen - unter Holztische gelegt ihre Hände wurden an den Tischplatten festgeschnallt. Dann schlossen die Polizisten elektrische Kontakte an die Ohren der so Gefesselten und jagten Strom durch die Nervenzentren und Gliedmaßen der Verhafteten. »Niemand kann diesen grauenvollen Leiden lange widerstehen«, kommentierte der ehemalige KZ-Häftling Bourdet.

Mit den weiblichen Verhafteten sprangen die Polizisten nach dem Bericht Bourdets besonders grausam um. Der Kommunistin Gabrielle Giminez wurde Wasser mit einem Gartenschlauch unter hohem Druck eingepumpt, bis ihr Magen zu platzen drohte und sich die Verhaftete in furchtbaren Schmerzen wand.

Bourdet: »Eine Französin namens Blanche Moine soll in noch grausamerer Art gefoltert worden sein. Drei Tage lang, vom Sonntag, morgens elf Uhr, bis zum Vormittag des darauffolgenden Mittwoch, soll man sie der Wasserfolter und der Elektrisierfolter abwechselnd ausgesetzt haben.

»Obwohl die Drähte vorsorglich mit Stoff, Kopf und Glieder mit Tüchern umwickelt wurden, damit am Körper keine Wunden entstehen konnten, sind die Folterungen an Blanche Moine so schwer gewesen, daß die Haut der Unterarme und Fußgelenke abgerissen war. Eine Verwundung im Rücken ging bis auf die Wirbelsäule.«

Bei allen Torturen wurden die Verhafteten entkleidet und ihre Augen verbunden, damit sie die Polizisten nicht sehen und später identifizieren konnten. Drei der Verhafteten unternahmen Selbstmordversuche: Der Kommunist Chaber öffnete sich mit einer Rasierklinge die Halsschlagader, die Gewerkschaftlerin Vera riß sich mit einem Eisenstück die Pulsader auf, und Blanche Moine versuchte, mit einer Glasscherbe ihren Leiden ein Ende zu bereiten, wurde jedoch von den Wachen daran gehindert.

Einen Tag nach dem Erscheinen der Bourdet-Enthüllungen unterstützte der französische Dichter Francois Mauriac die Angriffe des »France-Observateur« gegen das Regime der französischen Sicherheitspolizei in Algerien. Die Regierung jedoch gab ein Dementi heraus und behauptete, die Angaben Bourdets seien völlig abwegig.

Dem Ministerpräsidenten Mollet schienen dennoch die Attacken des Publizisten Bourdet immerhin so bedeutsam, daß er sofort seinen Innenminister ersuchte, energisch gegen die skandalösen Eigenmächtigkeiten der Polizei in Oran einzuschreiten.

Dem sozialistischen Premier Frankreichs war klar, worauf die Attacke der Bourdet, Mauriac und ihrer Anhänger auf der Linken zielt: Durch den spektakulären Polizei -Skandal soll Algerien-Minister Lacoste, dem auch die algerische Polizei untersteht, zum Rücktritt gezwungen werden. Dazu Bourdet: »Lacoste kann sich nicht aus der Affäre ziehen mit der Ausflucht, er habe nichts davon gewußt.«

Schließlich wurde der Generaldirektor der französischen Sureté, Jean Mairey, nach Oran geschickt: Er sollte an Ort und Stelle eine Untersuchung gegen die schuldigen Polizei-Folterer führen.

In Oran aber lief Polizeichef Mairey erfolglos gegen die Mauer an, die Algeriens chauvinistische Bürokratie gegen alle Einmischungsversuche der Pariser Zentrale errichtet hat. Eigensinnig hielt der Präfekt von Oran die Hand über seine Polizisten und verbat sich jede Einmischung der Pariser Polizei.

Als die Depeschen des Monsieur Mairey, die er nach Paris sandte, immer hoffnungsloser wurden, entschloß sich die Regierung, einen besonders gefürchteten Polizeifunktionär nach Oran zu entsenden. Am 4. Oktober startete die Sondermaschine, die den Chef der französischen Geheimpolizei, Roger Wybot, nach Algier brachte. Der bewährte Rechercheur Wybot soll versuchen, die Regierung doch noch vor einem veritablen Polizei-Skandal zu bewahren, der die gesamte Algerien-Politik Frankreichs schwer belasten müßte.

Geheimpolizei-Chef Wybot

Elektroschocks für politische Gegner

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