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IRAN »Das Regime wird stürzen«

Der in den USA lehrende Theologe und Philosoph Mohsen Kadiwar, 50, über die Chancen des nationalen Widerstands nach dem Tod seines Freundes und Lehrers Hossein Ali Montaseri
Von Erich Follath
aus DER SPIEGEL 53/2009

SPIEGEL: Ajatollah Kadiwar, was hat Ihnen Hossein Ali Montaseri bedeutet, welche Rolle spielte er für das iranische Volk?

Kadiwar: Er war mein Lehrer, mein spiritueller Führer, mein Vater - der wichtigste Mensch in meinem Leben. Ich habe als junger Mann bei ihm studiert, als er Stellvertreter des Revolutionsführers war, und ich habe ihn für seinen Kampf an der Seite Chomeinis bewundert - aber dann auch für seine aufrichtige Kritik an ihm. Ich habe geweint, als Chomeini ihn verstoßen hat. Für Iran war Großajatollah Montaseri eine wahre Lichtgestalt und zuletzt ein geistiger Lenker der grünen Opposition.

SPIEGEL: Die Machthaber verhinderten eine unabhängige Berichterstattung über das Begräbnis. Es war von Provokationen, von Ausschreitungen die Rede. Was passierte wirklich vergangenen Montag in Ghom?

Kadiwar: Meine Verwandten waren Teil des Trauerzugs, der Hunderttausende Menschen umfasste, auch ein Neffe Chomeinis war dabei. Von ihnen weiß ich, dass die Bassidsch-Milizen versuchten, die friedlich Trauernden zu Gewalt zu provozieren. Die aber taten ihnen diesen Gefallen nicht. Allerdings riefen sie Slogans, wie sie in Ghom, der konservativsten iranischen Stadt, noch nie zu hören waren: »Tod dem Diktator! Unser Führer ist unsere Schande!« Die Leute waren an diesem Tag besonders ärgerlich auf den obersten religiösen Führer, Ali Chamenei.

SPIEGEL: Warum?

Kadiwar: Chamenei sprach in seiner Trauerbotschaft davon, Montaseri hätte an einem entscheidenden Punkt seines Lebens versagt - jeder wusste, dass die Auseinandersetzung mit dem Gründer der Islamischen Republik gemeint war. Chamenei sprach nicht in »Ich«-Form, sondern in »Wir-Form«, so, als wäre er Allahs Stimme. Das stieß die Menschen ab. Denn wer an welchem Wendepunkt der Islamischen Republik versagt habe - das, sagten die Trauernden, könne nur Gott entscheiden. Und Chamenei ist nicht Gott.

SPIEGEL: Montaseri ist es in den vergangenen Monaten gelungen, den religiösen und den säkularen Flügel der Opposition zu einigen. Hat sein Tod die Dissidentenbewegung nicht geschwächt?

Kadiwar: Ganz im Gegenteil, die Trauer festigt die oppositionelle Entschlossenheit nur noch. Das schiitische Aschura-Fest, bei dem es ja symbolisch um die Gerechtigkeit geht, gibt dem Protest weiteren Rückenwind. Diese traditionelle Feier, die mit dem wichtigen siebten Tag nach dem Tod Montaseris zusammenfällt, können die Machthaber nicht verbieten.

SPIEGEL: Erwarten Sie eine weitere Verschärfung der staatlichen Repression? Wird die Regierung es wagen, die Oppositionspolitiker Mir Hossein Mussawi und Mahdi Karrubi zu verhaften?

Kadiwar: Auszuschließen ist das nicht, wobei die Regierenden vor jeder Eskalation Angst haben. Und das völlig zu Recht. Denn die nächste Stufe könnte die offene Rebellion sein. Noch ist es nicht so weit. Noch besteht die Chance auf eine friedliche Reform des Staatswesens.

SPIEGEL: Wirklich? Ist Iran nicht längst auf dem Weg in eine religiös gefärbte Militärdiktatur?

Kadiwar: Sie haben recht, der schiitische Gottesstaat in seiner bisherigen Form ist gescheitert - was ja keiner so unmissverständlich ausgesprochen hat wie mein Lehrer in den vergangenen Monaten. Übrigens hatte Großajatollah Montaseri schon bei seinem Zerwürfnis mit Chomeini drei Monate vor dessen Tod 1989 gesagt: Dieser Staat ist so ganz anders als der, den wir uns erträumt, auf den wir hingearbeitet haben. Aber versagt hat nicht der Islam, sondern eine besondere Interpretation des Islam.

SPIEGEL: Das sagen Sie. Wollen nicht viele junge Leute etwas ganz anderes, einen von individuellen Freiheiten geprägten demokratischen Staat Iran?

Kadiwar: Sicher wollen das einige, wie viele, das weiß ich nicht. Noch haben wir in Iran keine Revolution. Allerdings wird die Opposition bei der Formulierung ihrer Ziele immer klarer, immer waghalsiger. Und trotzdem: Wir sollten Geduld haben. Ich weiß nicht, wann genau, aber ich bin überzeugt: Das Regime wird stürzen.

SPIEGEL: Kann der Westen etwas tun, um einen demokratischen Reformprozess zu unterstützen?

Kadiwar: Verschärfte Sanktionen sind nicht der richtige Weg. Sie treffen die Bevölkerung härter als die Regierenden. Einen militärischen Angriff ...

SPIEGEL: ... wie ihn die Israelis gegen die iranischen Atomanlagen erwägen und wie ihn die Amerikaner nicht ausschließen wollen ...

Kadiwar: ... lehne ich entschieden ab. Vielleicht sollte das westliche Ausland aufhören, die Regierung Ahmadinedschad als legitime Regierung Irans zu behandeln. Und ansonsten: Die Reformen müssen von innen her angeschoben werden.

SPIEGEL: Haben Sie in Ihrer iranischen Wohnung noch das Bild Chomeinis an der Wand?

Kadiwar: Das Chomeini-Bild habe ich längst abgehängt, allerdings auch kein Foto meines Vorbilds Montaseri aufgehängt. Da prangt nun ein Koranvers - Gott ist größer als jeder Mensch. INTERVIEW: ERICH FOLLATH

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