GRIECHENLAND Das Schlangenwerk
Avery Brundage, Ehrenpräsident des Internationalen Olympischen Komitees, verschenkte Olympisches: eine Privat-Sammlung von Erinnerungsstücken und Dokumenten über die Spiele.
Die Gabe ging an Griechenlands Nationales Olympisches Komitee (NOK). Die Beschenkten wollen Brundages Schätze würdig aufbewahren: am Geburtsort der Spiele, in Olympia, und in einem Schatzhaus, wie es schon die alten Griechen für Stiftungsgaben und Weihgeschenke in Delphi und Olympia errichteten.
Die antiken Stadtstaaten bauten allerdings jeder für sich und möglichst prächtiger als der andere ihre Schatzhäuser an heiligen Stätten -- und das brachte ihre Nachfolger auf die gewinnträchtige Idee: Ein ganzer Park von Schatzhäusern, gestiftet von allen Staaten. soll um das »Museum Brundage« herum entstehen.
140 »Bauwerke, Denkmäler, Weihgaben oder irgend etwas, das den Architektur- und Kunststil eines jeden Landes repräsentiert«, sollen nach den Plänen des griechischen NOK die »Anerkennung des Weltsports für Griechenland« dokumentieren.
500 Meter vom Ausgrabungsfeld entfernt werden Pagoden aus Fernost« Schlösser und Burgen Mitteleuropas und mexikanische Tempel-Imitationen dann den heiligen Hain verschandeln. Anfang vorigen Jahres beschloß das Griechen-NOK einen Ideen-Wettbewerb. Den Plan unterschrieb sein Präsident, General a. D. Spyrios Vellianitis. der bis vor anderthalb Jahren Minister für Öffentliche Ordnung im Kabinett des Ex-Obristen Georgios Papadopoulos war.
Nach den Vorstellungen des Ex-Generals soll Olympia 185 000 Quadratmeter seines Geländes, davon ein Fünftel Pinienwald, für den Bau der modernen Schatzhäuser opfern. Brundage werden davon 100 Quadratmeter, den 140 Nationen je bis zu 500 Quadratmeter zugeteilt. Propyläen des 20. Jahrhunderts werden den Eingang krönen, darin wohnen die Wächter und Wärter der Anlage.
Am Platz steht schon ein häßliches Bauwerk (Volksmund: »Das Schlangenwerk"), nur knapp 200 Meter vom antiken Stadion entfernt. Der Einfall dazu stammt von einem deutschen Sportfunktionär, dem Professor Carl Diem: eine internationale Olympische Akademie, die mit Tagungen von Olympia-Fans aus aller Welt Olympias Ideengut verbreiten soll.
Der Komplex, auf einem Gelände von 30000 Quadratmetern in den Jahren 1966/69 hochgezogen, umfaßt neben Herbergen und Konferenzräumen moderne Sporteinrichtungen. Er bietet Zugereisten aus aller Welt die Möglichkeit, einmal im Jahr in Olympia zu meditieren und sich an Griechenlands Küsten zu sonnen. Bundesdeutsche Prominenz kommt auch in Begleitung niederbayrischer Weinköniginnen, um Referate in Olympia zu halten.
Ein anderes Vorhaben gelangte nicht zur -- Baureife: Der amerikanische Litton-Konzern wollte Olympia mit einer Hotelkette bekränzen, um den Wallfahrtsort der Sportfreunde dem Massentourismus zu öffnen. Dazu sollten gleich auch noch Olympias antike Bauwerke wieder aufgebaut werden.
Littons Restaurations-Pläne scheiterten, weil sich die Militärregierung von ihrem Vertragspartner trennte, der kein Auslandskapital zur Erschließung des West-Peloponnes und Kretas hatte finden können.
Die Griechen bauten selbst. Mit Hotels und Vergnügungslokalen im pseudoantiken Stil rückten sie dabei auf eine »gefährliche und unzulässige Weise« (so das griechische Kuratorium für Landschaftspflege) bis an die Grenze der archäologischen Stätte -- dorthin, wo nun noch Schatzhäuser wachsen sollen.
Der neue Plan, Olympia dem Zeitgeist auszuliefern, stieß indes auf Widerstand bei Altertumsforschern und Architekten, Hochschulprofessoren und Landschafthegern. Das Kuratorium für Landschaftspflege sprach von einer Art »internationaler Olympia-Expo« und einem »unvorstellbaren und groben Eingriff in einen historischen Raum von unermeßlicher nationaler Bedeutung und weltweiter Ausstrahlung, der auf jeden Fall vermieden werden muß«. Das Kuratorium appellierte an die Öffentlichkeit, »das Heiligtum von Olympia vor der drohenden Schändung zu retten«.
Die Archäologische Gesellschaft brandmarkte den »Park der Schatzhäuser« als eine »schreiende architektonische Lüge« -- Die griechischen Freunde des alten Hellas erregten sich: »Absolut niemand hat das Recht, eine der heiligsten Stätten der Antike zu deformieren.
Die Technische Hochschule von Athen forderte sogar, alle bereits vorhandenen modernen Bauwerke auf dem Territorium Olympias abzureißen. Die Akademie der Wissenschaften und die Philosophische Fakultät der Athener Universität faßten scharfe Protestresolutionen.
Auch die Leiter der sieben ausländischen archäologischen Institute in Athen traten zu einer Sondersitzung zusammen und ersuchten in einem gemeinsamen Schreiben das Kultusministerium, das Projekt fallen zu lassen. Professor Niemeyer vom Deutschen Archäologen -- Verband nennt den Plan »Gigantomanie
Sogar Interessenten boykottierten d je Ausschreibung: Der Verband der Architekten forderte seine Mitglieder auf, dem Wettbewerb fernzubleiben. Keine Institution hat sich bis jetzt bereitgefunden, Vertreter für die Jury zur Prüfung der Vorschläge zu ernennen. Olympia-General Vellianitis mußte eilends eine neue Jury suchen. Sein Helfer, der NOK-Generalsekretär (und Bundesverdienstkreuz-Träger) Petralias: »Wir wollen jetzt leise treten und hoffen, die Bedenken auszuräumen.«
Dem Amerikaner Brundage allerdings gefällt die Vision von einer Schatzhaus-Siedlung mit seiner Stiftung als Mittelpunkt: Er wirbt dafür unter Kollegen in den nationalen Olympia-Komitees.
Professor Jantzen, der Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Athen, sieht schon böse den Beitrag seiner Landsleute für die Schatz-Stadt voraus: ein Schwarzwaldhaus in Olympia.