»Das Stahlnetz stülpt sich über uns«
Warteraum B 4 des Flughafens Köln-Bonn: Aus dem Lautsprecher hallt der Aufruf des Swissair-Fluges 587 nach Zürich. Der Passagier Henryk M. Broder ist bereits kontrolliert, er nimmt sein Gepäck zur Hand, um zum Flugzeug zu gehen. Da fordert ihn ein Grenzschutzbeamter auf, mit zurück zum Warteraum-Eingang zu kommen.
Dort muß Broder, 32 und Journalist. noch einmal seinen Paß abgeben und den Handkoffer öffnen. Gemächlich sehen zwei Grenzer den Inhalt des Gepäckstücks durch, darunter ein Manuskript über »Neonazismus in der Bundesrepublik« -- Thema eines Vortrags, den Broder am selben Tag vor der Jüdischen Gemeinde Zürich halten will.
Nach flüchtigem Durchblättern greift einer der Beamten zum Telephon. »Wir können es hier ablichten«, hört Broder ihn sagen, und: »Dann verpaßt er eben seine Maschine.«
Der Journalist ("Ich mache einen Skandal") protestiert, bis ein offenbar ranghöherer Beamter hinzutritt. Nach minutenlangem Wortwechsel bekommt Broder Paß und Manuskriptblätter zurück; als letzter Passagier nimmt er schließlich in der Maschine Platz.
Was ihm da, an einem Dezembertag vorletzten Jahres, widerfuhr, konnte sich Broder nicht erklären. Der linke Journalist, Mitarbeiter der »Frankfurter Rundschau« und des Westdeutschen Rundfunks, hatte zwar wegen aggressiver Arbeiten immer mal wieder Ärger mit Konservativen bekommen; unlängst erst ereiferte sich ein CDU-MdB über Broders Briefkopf, der neben Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao auch den (sich freilich abwendenden) Broder zeigt. Irgendeiner Schuld jedoch, die das Interesse von Strafverfolgern hätte wecken können, war er sich nicht bewußt.
Die Grenzschützer am Flughafen hatten sich nur beiläufig geäußert. Einer drückte ihm einen Zettel in die Hand, auf dem in Maschinenschrift stand: »Sie sprachen mit dem Inhaber des Dienstausweises Nr. A 813097 Grenzschutzamt Aachen.« Ein anderer meinte, der »ungewohnte Vorname« sei der Anlaß für die Nachprüfung gewesen.
Der wahre Grund: Broders Name war im Polizei-Computer gespeichert -- nicht als gesuchter Täter, sondern als Bürger, der von Amts wegen überwacht wird. Seit einem halben Jahrzehnt werden die elektronischen Apparaturen der westdeutschen Sicherheitsbehörden nicht nur zur Fahndung nach Flüchtigen und zur Ermittlung von Tätern eingesetzt. sondern auch zur maschinellen Beschattung.
Nachdem Broders Name in die Datenendstation des Flughafens Köln-Bonn eingetippt worden war, sorgte ein geheimes Computer-Programm des Bundeskriminalamts dafür, daß auf der Mattscheibe des Terminals der Befehl »Beobachten« erschien. Elektronisch observiert wie Broder wurden oder werden, zumeist ohne es zu ahnen, weit über 10 000 Bundesbürger.
In den Überwachungscomputer führen zwei Dienstwege:
* Das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter haben derzeit rund 6000 Einzelpersonen einer sogenannten Beobachtenden Fahndung (Befa) ausgesetzt, die mit Fahndung im strafrechtlichen Sinne nichts zu tun hat.
* Überwiegend auf Betreiben der Geheimdienste hat die Grenzschutzdirektion in Koblenz rund 3400 Personen, vor allem Ausländer, in eine Datei Grenzüberwachung aufgenommen; ein unbekannter Prozentsatz ist zur »Beobachtung« notiert. Gespeichert sind beide Datenbestände im selben Computer, der Personenfahndungsdatei des Inpol-Systems. Ob jemand eine Grenze passiert, eine Flugreise antritt, in eine Verkehrskontrolle gerät, in einem Hotel übernachtet, sieh einen Wagen mietet -- stets kann Inpol darüber Auskunft geben, ob er »mit Haftbefehl gesucht«, »zur Aufenthaltsermittlung gesucht« wird oder -- wie Broder -- der »Überwachung« unterliegt.
Nicht immer wird der Koffer durchwühlt. In der Regel bemerkt der Kontrollierte von der Kontrolle nichts. Stets aber fertigen Beamte unauffällig einen knappen Bericht über ihn und seine Mitreisenden, möglichst mit Angaben über das Reiseziel, zuweilen auch über mitgeführte Lektüre und Gepäck. Das liest sich dann, beispielsweise, so: betrifft: ausschreibung edv-befa ... anlaß der ueberpruefung: grenzpolizeiliche einreisekontrolle.
grenzuebergang: kehl bahnhof. datum, uhrzeit: 3. 1. 78, 04.40 Uhr. mitgefuehrtes kfz: entfaellt.
begl.-personen: keine, befand sich im schlafwagen.
reiseweg: bordeaux-muenchen. reiseziel: muenchen.
sonstige angaben: war im besitz des buches »theorie und Praxis -- marxismusleninismus«, verlag rote fahne. zollrechtliche untersuchung: negativ.
Übermittelt werden derlei Erkenntnisse jeweils dem Amt, das die Überwachung veranlaßt hat: Kripo, Grenzschutz, Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst (BND) oder Militärischer Abschirmdienst (MAD).
Mit Computer-Hilfe verfolgen diese Behörden die Reisewege ganz verschiedenartiger Personengruppen. Kommunistische Funktionäre und mutmaßliche Wirtschaftskriminelle zählen ebenso dazu wie militante Atomgegner und potentielle Rauschgiftschmuggler -- es sind in der Regel Bürger, die der Polizei verdächtig oder »verdachtsnah« erscheinen.
Über all diese Menschen haben sich bei Polizei und Nachrichtendiensten im Laufe der Jahre Daten angesammelt, die sich zu großräumigen, individuellen Bewegungsbildern zusammenfügen. Daß es in der Bundesrepublik »Tendenzen gibt, die, wenn man sie nicht stoppt, in den Überwachungsstaat führen« -- diese Mahnung des Bonner Datenschützers Hans Peter Bull scheint auf keine Form derzeitigen EDV-Einsatzes so sehr zuzutreffen wie auf die elektronische Mobilitätskontrolle.
Nach Ansicht von Kritikern ist die EDV-Beschattung rechtlich in mehrfacher Hinsicht zumindest zweifelhaft.
Denn zum einen darf die Polizei, der von den Vätern des Grundgesetzes nach den Erfahrungen der Gestapo-Zeit alle nachrichtendienstlichen Kompetenzen genommen worden sind, nicht im Vorfeld eines Verdachts, etwa gegenüber Extremisten, observierend tätig werden.
Zum anderen dürfen die westdeutschen Geheimdienste, denen aus dem gleichen Grund sämtliche Exekutivbefugnisse versagt sind, niemanden zwecks Befragung oder Durchsuchung festhalten, auch nicht an der Grenze.
Doch exakt jene Tätigkeiten, die jeweils der Polizei oder den Geheimdiensten untersagt sind, erledigt für sie seit Jahren »in Amtshilfe« der Bundesgrenzschutz: Von Kripo oder Verfassungsschutz elektronisch instruiert, übernehmen es die Grenzer, mal für die Polizei zu observieren, mal für die Geheimen zu exekutieren.
Daß derlei rechtswidrig ist, räumen selbst hohe Sicherheitsbeamte ein -- wenn auch bezogen auf die Praktiken der jeweils anderen Behörde.
Ein leitender BKA-Mann zum SPIEGEL über die Methoden des Verfassungsschutzes: »Denen ist nach '45 der exekutive Arm abgehackt worden. Jetzt kleben sie ihn sich kraft der Amtshilfe des Grenzschutzes wieder an und verhalten sich wie Polizei. Das ist rechtswidrig.«
Ein führender Verfassungsschützer zum SPIEGEL über die Methoden der Polizei: »Die Beobachtende Fahndung ist eine Umgehung der Schwelle des Polizeirechts. Die Herren dürfen nicht Geheimdienst spielen.«
Recht haben beide. Gegen Befa führt auch Datenschützer Bull »erhebliche Zweifel« an:
Mag auch die Notwendigkeit solcher »beobachtender Fahndung« in vielen Fällen aus polizeitaktischen Überlegungen heraus gegeben und unter Umständen eine Rechtsgrundlage für das Tätigwerden von Polizeibehörden vorhanden sein, so fehlt es hieran jedenfalls, wenn das Bundeskriminalamt auf diese Weise tätig werden will.
Auch unter dem Aspekt der Strafverfolgung ist die rechtliche Zulässigkeit entsprechender Maßnahmen nicht hinreichend gesichert. Bestehende innerdienstliche Vorschriften können eine heimliche Beobachtung von Bürgern nicht im Außenverhältnis, dem Betroffenen gegenüber, rechtfertigen.
Da die Speicherung personenbezogener Daten nur zulässig ist, wenn ihre Erhebung rechtmäßig erfolgt, ist auch dies datenschutzrechtlich relevant. Wenn trotz dieser Bedenken an der beobachtenden Fahndung festgehalten werden soll, ist der Gesetzgeber aufgerufen, den rechtlichen Rahmen dafür genau abzustecken. Nicht weniger kritisch urteilte im April eine Prüfgruppe des Bonner Innenministeriums über die Beschattung per Grenzüberwachungsdatei, also die »Befa des Verfassungsschutzes«, wie Polizisten gelegentlich sagen.
Immer dann, wenn der Grenzschutz im Auftrage der Geheimdienste jemanden aufhalte und kontrolliere. werde, so der Prüfbericht, »die Privatsphäre des Bürgers berührt« und »in Grundrechte nach den Artikeln 1 und 2 des Grundgesetzes« eingegriffen. Die Prüfer:
Rund 75 Prozent aller Fahndungsaufträge im Grenzfahndungsbuch stammen von Verfassungsschutzbehörden. Bei der Durchsicht der Unterlagen ist uns aufgefallen, daß
-- die Ersuchen der Verfassungsschutzbehörden zumeist keinen oder keinen hinreichenden Aufschluß über den Grund des Ersuchens enthalten und
-- die von den Verfassungsachutzbehörden erbetenen Maßnahmen (Überwachung, Befragung usw.) zu kritiklos akzeptiert und ausgeführt werden. »Bedenklich« werde diese Praxis, wenn der Verfassungsschutz die Grenzer etwa um »Maßnahme Nr. 4« ersuche, im Klartext: »Anhalten, Befragung, Weiterreise nach Einholung der Entscheidung der Grenzschutzdirektion.
In solchen Fällen muß die Direktion regelmäßig wiederum die Verfassungsschützer um Einzelanweisung bitten -- was laut Prüfbericht des Innenministeriums vor allem außerhalb der Dienststunden zu »erheblichen Verzögerungen und Schwierigkeiten führen kann«, beispielsweise zum »Versäumen des Flugzeuges, des Zuges«.
Verfassungsschützer halten die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen ihre speziellen Grenzkontrollen für Unfug. »Einerseits sollen wir herausfinden, welche Kuriere für die DKP das Geld aus Ost-Berlin holen, andererseits dürfen wir keinen kontrollieren«, grämt sich einer: »Da stimmt doch was nicht. Der Zoll kann wegen 'nem Pfund Kaffee jeden zwingen, in offener Natur die Hosen runterzulassen, und wir dürfen nichts.«
Ihre Amtshelfer an der Grenze freilich finden immer einen Weg oder einen Umweg, um sich Einblick in Hosentaschen und Handschuhfächer, Aktenkoffer und Unterwäsche beispielsweise politisch suspekter Personen zu verschaffen. Mal geben die Grenzer an, sie suchten nach Waffen (was sie gemäß Außenwirtschaftsgesetz, Paragraph 46, dürfen), mal lassen sie die Kollegen von der Schmuggel-Bekämpfung Leibesvisitationen vornehmen (unter Berufung auf das Zollgesetz, Paragraph 7).
Die Hilfsdienste des Bundesgrenzschutzes (BGS) für die geheimen Behörden haben in der Bundesrepublik eine lange Tradition. Schon 1963 führte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) erstmals so etwas wie eine Befa ein: Damals übergab der BfV-Abteilungsleiter (und spätere Präsident) Günther Nollau dein BGS zwanzig Sätze Photos- und personalbeschreibungen von Funktionären der damals illegalen KP mit der Bitte, sein Amt zu benachrichtigen, wann immer einer von ihnen die DDR-Grenze überschreite.
In den folgenden Jahren nahm die Zahl solcher Ersuchen lawinenartig zu. 1974 erhielten die Grenzer Photos von 129 Mitglieder der -- inzwischen zugelassenen -- Deutschen Kommunistischen Partei; die Kontrollen wurden auch auf die Übergänge ins westliche Ausland ausgedehnt, 1977 schwoll das Werk an auf sechs Bände mit 789 Bildern und Namen »leitender Funktionäre sowie Funktionäre in besonderen Schlüsselpositionen aus linksextremistischen Kern- und Nebenorganisationen«, etwa der »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes«.
Im selben Jahr gingen den Grenzschützern vom BfV obendrein Listen mit Namen von 526 »linksextremistischen und linksextremistisch beeinflußten« Organisationen und Zeitschriften (von »Konkret« bis zum »Kursbuch") zu, die laut Anweisung »das erforderliche Hintergrundwissen« liefern sollten, um Grenzgänger aussortieren, registrieren und melden zu können.
Die Literatur-Listen freilich provozierten Mißmut beim Grenzpersonal (und wurden später zurückgezogen). Denn die BGS-Beamten hatten zu jener Zeit bei ihrer Kontrollarbeit ohnehin schon neben der polizeilichen Fahndung eine Fülle anderer Amtshilfeersuchen zu berücksichtigen:
* »Unauffällig« sollen sie für den BND seit Jahren Pässe sowie »Meldebestätigungen der Polizei und der Hotels, Antragsformulare aller Art« photographieren und »Hinweise auf Besonderheiten ihrer Inhaber« notieren.
* Von BND und BfV wurden sie aufgefordert, die »Erfassung und einfache Befragung« von DDR-Bürgern, vom »Frührentner« bis zum »bedeutenden Funktionär«, vorzunehmen und darüber hinaus alle Bundesbürger zu registrieren, die in Ost- oder Westrichtung die DDR-Grenze überqueren.
* Ebenfalls für den Geheimdienst soll der BGS bundesdeutsche DDR-Reisende nach ihrer Rückkehr über »militärische Vorgänge« und »wissenschaftlich-technische Erkenntnisse befragen**.
Schon Anfang der siebziger Jahre füllten die Fahndungs- und Beobachtungsanweisungen so viele Druckseiten, daß BGS-Kontrolleure die Papiermassen kaum mehr in ihren Uniformtaschen verstauen konnten. »Man kommt sich vor wie Rastelli«, klagten Beamte, »ständig muß man mal hier, mal da
Kein Wunder, daß viele Grenzschützer erleichtert waren, als ihnen von 1972 an ein wachsender Teil dieser lästigen Arbeit vom Computer abgenommen wurde. Statt mit dezimeterdicken Büchern zu hantieren, brauchten sie nur noch Namen und Geburtsdaten in die Terminal-Tastatur zu tippen.
Ungleich mehr als nur Arbeitserleichterung indes bedeutete die Computerisierung des Beschattens für die Kripo. Schon bald nachdem die Innenminister 1974 die Befa-»Polizeidienstvorschrift 384.1« in Kraft gesetzt hatten, glaubte BKA-Chef Herold, ein »wichtiges Instrument« in Händen zu haben. Befa versprach eine sensationelle Steigerung polizeilicher Effizienz.
Wenn die Kripo mit Befa-Hilfe, so Herolds Plan, die Reisewege beispielsweise von mutmaßlichen Drogenkriminellen rekonstruieren könnte, ließen sich leicht Rückschlüsse auf Verteilernetze von Rauschgifthändlern ziehen. Und zumindest »taugliche Ermittlungsansätze« könnte Befa auch für die Bekämpfung aller anderen Formen des mobilen Verbrechens liefern.
So wurden dem Inpol-Gomputer die Daten von Tausenden eingegeben, die (gemäß Definition der »PDV 384.1")
* Letzte Woche an der Grenzschutzstelle Aachen-Nord.
** Eine 1976 erlassene geheime »Sonderanweisung über die Erfassung bestimmter Erkenntnisse bei der grenzpolizeilichen Kontrolle ("So-GK"> schreibt dem BGS auf 38 Seiten detailliert vor, wonach westdeutsche DDR-Reisende auszuhorchen sind. Auszüge: »10. 2. 5 Kriegsschiffe in Ostblockhäfen« 11. 2. 1 Neu- und Ausbau des Straßen- und Schienennetzes«, »12. 2. 3 Ansichten einzelner Revölkerungsgruppen (z. B. Arbeiter, Intelligenz, Frauen, Parteimitglieder, Kirchlich-Gebundene ...)«, 12. 3. 5 Rüstungsbetriebe, Produktion und Kapazität«, »12. 3. 7 Lage in der Landwirtschaft (Saatgut-Versorgung ...)«.
»verdächtig sind, überregional ... tätig zu sein« als
-- Rauschgiftschmuggler und illegale Rauschgifthändler (Befa 1), -- Waffenschmuggler und illegale -händler (Befa 2),
-- Falschgeldhersteller und -verbreiter
(Befa 3),
-- internationale Scheck- und Wechselbetrüger (Beta 4),
-- Mitglieder von Banden, die organisiert Eigentumsdelikte begehen (Beta 5),
-- Mitglieder krimineller Vereinigungen
(Beta 6),
-- Terroristen, Anarchisten und andere
politische Gewalttäter (Beta 7), -- Einschleuser illegaler Arbeitnehmer (Beta 8).
* Grenzschutz-Datenblatt über den nordrhein.-westfälischen DKP-Funktionär Werner Cieslak.
Rasch erwies sich das »Rückmeldesystem« als wirksam. 1976 bereits verhalf es der Polizei in 107 Fällen zur Beschlagnahme von Heroin-Sendungen. Und bei der Bekämpfung politischer Gewaltkriminalität entwickelte sich das System bald, wie Herold schwärmte, zum »unerläßlichen Diagnosemittel": »Befa fühlt dem Arzt gleich ständig den Puls der Szene, den Rhythmus, die Bewegungsströme, die Aktivitätsunterschiede, die Intervalle, die aufgewendeten Energien, die räumliche Verteilung, die Konzentrationen.«
Mit Hilfe von Befa-Reiselisten ermittelten die Terroristenfahnder unter anderem, wer 1975 am Anschlag auf die Deutsche Botschaft in Stockholm beteiligt war. Die Überwachung des Verkehrs von und nach Österreich brachte sie im selben Jahr auf die Spur der Wiener Opec-Attentäter. Alle bislang gefaßten und derzeit gesuchten mutmaßlichen Terrortäter waren, wie BKA-Ermittler wissen, zuvor Befa-erfaßt.
»Befa-Zielperson« wird durchweg, wer nicht, noch nicht oder nicht mehr Objekt eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens ist, dennoch aber in den Augen von Polizisten Anlaß für »Vorkehrungen zur Gefahrenabwehr« bietet.
Herold: »Wenn die Mitglieder des Heidelberger Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK) um Dr. Huber nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen ihre Fäuste gen Himmel recken und verkünden: »Der Kampf geht weiter', so ist zwar für ein neues Ermittlungsverfahren noch kein Raum, jedoch signalisiert dieser Vorgang eine von diesen Personen ausgehende Gefahr.« Schließlich habe das SPK »eine Reihe hochkrimineller Aktionen getragen und die Täter für den Überfall in Stockholm gestellt«. Bald freilich diente die Befa-Gruppe 7 nicht nur als ein Instrument zur Kontrolle jener. die des Terrorismus verdächtigt sind oder seinem »Umfeld« anzugehören scheinen. Die Polizeivermutung, jemand habe »Kontakte zum Umfeld« gehabt, konnte schon die Inpol-Speicherung bewirken. »Befa 7 hat sich«, sagt ein Bonner Innenministerialer, »von 1976 an enorm ausgeweitet.
Zuerst waren in das Befa-7-Programm beispielsweise Ex-Terroristen aufgenommen worden, die ihre Strafe abgesessen hatten; dazu Mitglieder zwar nicht verbotener. aber vom Geheimdienst als verfassungsfeindlich eingestufter Politsekten; auch frühere Bekannte der einstigen Journalistin Ulrike Meinhof.
Gezielt gesammelt und maschinell registriert wurden später aber auch Daten von Bundesbürgern, die lediglich einmal »bei Feststellung einer Befa-7-Person in deren Begleitung angetroffen und gemeldet« worden waren (Innenministerium). Sie alle wurden unter dem neuen Kürzel »Befa 7 K« (K wie Kontakt) gespeichert. Anfang dieses Jahres umfaßte diese Gruppe mehr als 6000 Menschen.
BKA-Fahnder dementieren, Verfassungsschützer hingegen behaupten, daß vorübergehend sogar fünf Mitglieder der Jungen Union Hamburg unter Befa 7 K geführt wurden: Sie hätten 1976 im selben Zugabteil gesessen wie Besucher des Begräbnisses von Ulrike Meinhof.
Denkbar wäre das schon, Staatsschützer, die in den letzten Jahren Tausende von »Befa-7-K-Personen« überprüften, fanden nur bei jedem fünfzehnten den »Verdacht auf Zugehörigkeit zum terroristischen Umfeld« bestätigt. Für Bonner Innenministeriale stellt sich »die Frage, ob es berechtigt ist, in diesem Umfang Angaben über Personen zu speichern, die Kontakte zu lediglich Verdächtigen unterhalten oder unterhalten haben«.
Penibel notiert wird seit Jahren auch, wer Häftlingen aus der terroristischen Szene Briefe schreibt oder Besuche abstattet. »Die Häftlingsüberwachung und insbesondere das Erfassen der Briefschreiber« beruht laut Innenministerium »vor allem auf dein Verdacht, daß inhaftierte terroristische Gewalttäter über ihre Besucher weitere terroristische Aktionen aus der Haft heraus planen und steuern«. Im Januar waren rund 6600 Bundesbürger mit dem Vermerk »Kontaktpersonen Häftlingsüberwachung« im Inpol-System gespeichert.
Letzten Monat erst deckte das Bonner Innenministerium auf, daß vorübergehend sämtliche »Befa-Kontaktpersonen« wie »Befa-Personen« behandelt worden waren: Am 6. September 1977, nach der Schleyer-Entführung, hatte das BKA angeordnet, die Gruppe 7 K voll in die »Beobachtende Fahndung« einzubeziehen; abgeschafft wurde dieses Verfahren erst im März vergangenen Jahres.
Mit der Befa-Ausweitung änderte sich zugleich der Befa-Charakter: Weil BKA-Fahnder nach der Schleyer-Entführung annahmen, »jeder, der einmal Begleiter einer Befa-Person war, kann uns in das Versteck führen oder sogar den Schleyer im Kofferraum haben«, war bloße Beobachtung den Beamten nicht genug. Unter verkehrs- und zollrechtlichen Vorwänden wurden damals die Fahrzeuge sämtlicher Befa-7- und Befa-7-K-»Zielpersonen« sowie stellenweise »aller 20- bis 35jährigen« durchsucht.
In jener Zeit, am 13. Dezember 1977, wurden die Fahnder auch auf den Journalisten Broder aufmerksam. Als sie in Köln-Bonn die Swissair-Passagierliste in den Polizeicomputer eingaben, signalisierte das Datengerät, daß der Journalist Inpol-erfaßt war: Er hatte einmal mit dem Schriftsteller Peter Paul Zahl korrespondiert, der wegen versuchten Polizistenmordes inhaftiert ist.
»Ich weiß nicht mehr«, erklärt Broder heute, »worum es bei diesem Briefwechsel ging. Ich erinnere mich nur noch. daß Zahl auf einen Artikel von mir in irgendeiner Zeitschrift einen Leserbrief schrieb, worauf ich ihm antwortete.« Broder glaubt sich »in bester Gesellschaft mit den vielen Redakteuren, Lektoren und Verlegern, die mit Zahl zu tun haben«.
Zwar wurde die Kontrolle des Broder-Manuskripts durch den Grenzschutz letztes Jahr von Bonns Innen-Staatssekretär Andreas von Schoeler abgestritten: »Grundsätzlich nicht gestattet ist die Nachprüfung des Textes etwa mitgeführter Schriftstücke.« Schoeler kannte damals offenbar nicht den Wortlaut einer Anordnung, die wenige Wochen zuvor zwar nicht (las BKA, aber die Grenzschutzdirektion Koblenz allen nachgeordneten Dienststellen übermittelt hatte:
Hinweise, Wahrnehmungen und Erkenntnisse über Bestrebungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung -- auch in Zweifelsfällen -- ... dies sowohl für deutsche als auch für ausländische Gruppen bitte ich ... mit Ablichtungen oder ggfs. Originalen zur Weiterleitung an das BA für Verfassungsschutz zuzuleiten.
Gefragt seien insbesondere Ablichtungen von Reisepapieren, Propagandamaterial, Flugblätter in deutscher und ausländischer Sprache.
Vertuscht wie die Hintergründe des Falls Broder wurden lange Zeit auch die Umstände, die dazu führten, daß im Januar letzten Jahres der Bremer Schriftsteller Jürgen Holtkamp samt Frau von der belgischen Polizei in einem Antwerpener Hotel festgenommen wurde: erst nach drei Stunden setzten die Beamten die beiden auf freien Fuß.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Conradi fragte einen Monat später die Bundesregierung, ob die Festnahme »von einer Bundesbehörde -- wenn ja, von welcher -- veranlaßt« worden war. Staatssekretär von Schoeler antwortete: »Die Umstände, die die belgische Polizei zu ihren Maßnahmen gegen Herrn Holtkamp veranlaßten, sind der Bundesregierung nicht bekannt.«
Schoeler hätte die Ursachen sehr wohl in Erfahrung bringen können. Auch Holtkamp war, wie ein hoher Sicherheitsbeamter dem SPIEGEL letzte Woche bestätigte, als »Befa-7-K-Person« zur Überwachung ausgeschrieben worden; westdeutsche Dienststellen hatten diese Daten nach Brüssel weitergegeben.
»Damals gab es«, verrät ein Eingeweihter, »eine ganze Reihe ähnlicher Pannen.« So war bereits Anfang 1976 der West-Berliner Professor Elmar Alt-Vater von österreichischen Bundespolizisten in Innsbruck aus dem Zug geholt und als »Sicherheitsrisiko« für 14 Stunden in »Schubhaft« genommen worden.
Der ursprünglich gegen den Hochschullehrer erhobene Vorwurf (geplante »terroristische Aktionen und extremistische Tätigkeiten") schrumpfte binnen kurzem auf die Behörden-Auskunft zusammen, er sei »in der BRD wegen politischer Aktionen bekannt«. Die Hintergrunde auch dieser Affäre lagen bislang im dunkeln: Altvater war, wie Broder und Holtkamp, ein Befa-Fall; seine Daten hatten westdeutsche Staatsschützer ihren ausländischen Kollegen zugespielt.
Hunderte ähnlicher Ereignisse ereigneten sieh, ohne je Schlagzeilen zu machen (siehe Kasten Seite 92). Dennoch will, so Herold, »die Mehrzahl der Bundesländer« das Befa-System weiter ausweiten: Befa 1 bis Befa 8 sollen »temporär« durch eine Befa 9 ergänzt werden -- einen Meldedienst für Personen, die »verdächtig« sind, »überregional als gewalttätige Demonstranten aufzutreten«.
Derlei war am 23. September 1977 bereits einmal eingeführt worden. Wenig später jedoch wurde dieses Verfahren eingestellt -- die Demonstrantenüberwachung war vor allem in Nordrhein-Westfalen auf Kritik gestoßen. weil sie, so ein NRW-Beamter, »eine rechtsstaatlich bedrohliche Grauzone« schaffe.
Wer alles nach Polizeiansicht »verdächtig« sein kann, ein »gewalttätiger Demonstrant« zu sein, zeigten Polizeiaktionen gegen Atomgegner im vorletzten Jahr: Selbst Autofahrer wurden dazu gerechnet, die in der Nähe von Demonstrationsorten Alltägliches mit sieh führen, Wagenheber etwa oder Verbandszeug, Thermosflaschen, Deodorants, Feuerlöscher, Puderdosen. Benzinkanister, Photoapparate, Sprudelflaschen und Schals. All dies wurde, etwa vor den Demonstrationen in Kalkar, dutzendfach als »Waffe« oder »Wurfgeschoß« sichergestellt, teils gegen Quittung.
Datenschützern schwant, was die vor allem von unionsregierten Ländern geforderte Wiedereinführung einer extensiv angelegte Befa 9 bedeuten könnte: den Übergang von der Beschattung politischer Krimineller zur Verfolgung politisch Oppositioneller. Schemenhaft wähnen die Kritiker schon die Konturen eines autoritären Atomstaats wahrzunehmen, der seine Gegner auf Schritt und Tritt mit Computer-Hilfe bespitzelt.
In der Tat könnten Befa und Grenzdatei -- in den falschen Händen, bei geänderter politischer Konstellation -- zu massivem Mißbrauch verführen. Zur Zeit, unter der Führung des Freidemokraten Baum, sind Bonns Innenministeriale freilich bemüht, die Bürger-Beschattung zu begrenzen:
* Eine neue Dienstvorschrift ("PDV 384.2") soll in Bund und Ländern bewirken, daß die Gründe für jede Befa-Ausschreibung »schriftlich im einzelnen« festgehalten und daß die Datenbestände halbjährlich auf die »Möglichkeit einer Löschung« überprüft werden.
* Der Grenzschutz mußte rund 100 000 Karteikarten mit Namen von DDR-Reisenden sowie die umstrittenen Kommunisten-Bildbände in den Reißwolf geben; »generelle Amtshilfeersuchen« der Geheimdienste soll der BGS nur noch mit Baums Genehmigung ausführen dürfen.
Datenschützern ist das bei weitem nicht genug. Die von Baum angekündigten Löschungsrichtlinien sind nach Bulls Ansicht nur »ein Schritt in die richtige Richtung«. Auch die neue Befa-»PDV 384.2« hält er für »noch nicht zufriedenstellend«.
Geheimdienstiem und Polizeiführern dagegen gehen Baums bisherige Bemühungen viel zu weit. In der »Bild«-Zeitung unterstellte »einer der höchsten deutschen Sicherheitsbeamten«, ein »Sozialdemokrat« namens »* * *«, dem Innenminister, er wolle die Dienste »in kleine Stücke schneiden« und »auf Null« bringen; CDU-Politiker schimpfen Baums Politik »absurd und lebensgefährlich«.
In aller Stille bemühen sich Bonns Sicherheitsmanager derweil, ihre Computer-Systeme zu perfektionieren. Ihnen, vor allem Herold, »genügt es nicht, den Terrorismus zu beseitigen, er muß rasch beseitigt werden«.
Das »derzeit installierte Bekämpfungssystem« sei zwar »als Dauermechanismus konstruiert« -- aber doch nur ein Anfang: »Um in einem überschaubaren Zeitabschnitt den Terrorismus zu überwinden«, seien, so der BKA-Chef, noch »weit intensivere und umfassendere Anstrengungen nötig«.
Tatsächlich weist das Netz der Befa-Beobachtungsposten wie der Inpol-Fahndungsstationen derzeit eine Reihe von Lücken auf. Eine totale, flächendeckende und zugleich filigranfeine Bewegungskontrolle aller Befa-Personen ist gegenwärtig nicht möglich: > Der ohnehin lückenhaften Computer-Kontrolle durch den Grenzschutz entgeht mit Sicherheit, wer über die grüne Grenze ins Ausland verschwindet;
* im Binnenland kann sich weithin unbeobachtet bewegen, wer in Hotels einen falschen Namen angibt und bei Verkehrskontrollen gefälschte Papiere vorzeigt;
* die KFZ-Fahndung unterläuft, wer das Nummernschild auswechselt, einen Wagen mietet oder mit der Bahn fährt;
* Fußgänger konnten jahrelang nur unter Schwierigkeiten routinemäßigen EDV-Kontrollen unterworfen werden, weil kein Bundesbürger verpflichtet ist, stets seinen Ausweis mit sich zu führen.
Doch all diese Mängel werden, so scheint es, spätestens Mitte der achtziger Jahre überwunden sein. Denn während der letzten Monate haben Sicherheitspolitiker in Bund und Ländern eine Fülle von polizei-, strafprozeß-, ausweis- und melderechtlichen Einzelvorschriften entworfen oder schon beschlossen, denen ein Effekt gemeinsam ist: die westdeutsche Gesellschaft Inpol- und damit Befa-gerecht zu gestalten.
Seit langem schon fordern vor allem Unionspolitiker wie der CDU/CSU-Grenzschutzexperte Johannes Gerster eine »vollständige Kentrolle an der Grenze«, weil sie der »einzige Ort« sei, »wo in- und ausländische Personen systematisch überprüft werden können«. Die Terroristen-Fahndung trug dazu bei, daß es an den Grenzen, die laut Gerster »zeit- und ortsweise offenen Scheunentoren« glichen, seit einiger Zeit weniger großzügig zugeht als in den sechziger Jahren -- allen Europa-Bekenntnissen zum Trotz.
Die Chance, der inpol-Überwachung durch Grenzübertritt abseits der Kontrollstellen zu entgehen, ist zugleich geschrumpft: Mit einem »Riesenprogramm« (Bundesinnenministerium) hat Bonn in den letzten Jahren die grüne Nord-, Süd- und Westgrenze der Bundesrepublik abgeriegelt. Hunderte von Feld- und Waldwegen sind mit weiß angestrichenen Feldsteinen oder quergestellten Bussen gesperrt worden -- mancherorts so martialisch, daß belgische Zeitungen sich schon über einen »neuen Westwall« mokierten. Den Ostwall kann ohnehin kaum jemand unbemerkt passieren.
Zwar mangelt es dem BGS an Personal, um an den Übergängen sämtliche Ausweise mit Inpol-Hilfe zu überprüfen -- doch das könnte sich bald schon ändern: Am Mittwoch letzter Woche beschloß das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf, nach dem von 1981 an ein »maschinell lesbarer« und »fälschungsssicherer« Personalausweis in Scheckkartengröße eingeführt werden soll, der das Kontrollverfahren enorm beschleunigen wird.
Polizeiexperten schwebt vor, daß die EDV-gerechte Identitätskarte an den Grenzübergängen in elektronische »Klarschriftleser« gesteckt wird, die mit dem Inpol-Computer verbunden sind. Automatisch könnten diese Geräte nicht nur signalisieren, wer auf der Fahndungsliste steht, sondern auch, bei wem »Paßversagungsgründe« vorliegen.
Das ist bei mutmaßlichen Steuersündern und zahlungsflüchtigen Vätern der Fall. aber auch hei jemandem wie dem inhaftierten Anwalt Klaus Croissant, der, so eine Verfügung der Stadt Stuttgart, »in einer nicht mehr zu rechtfertigenden Weise ... Sicherheitsbehörden diffamiert« hat und bei dem »zu befürchten (ist), daß er dieses Verhalten nach seiner Freilassung, insbesondere vom Ausland aus, fortsetzen wird«.
Neben solchen Ausreisesperren können die Lesegeräte auch Befa-Alarm auslösen. Und ohne manuelles Zutun ließe sich zentral erfassen, wer wann wc die Bundesgrenze passiert hat.
»Eine maschinelle Rückmeldung ist angestrebt«, bestätigen Polizei-Experten im Bonner Innenministerium. »Die maschinelle Lesbarkeit des Ausweises«, heißt es in der nun verabschiedeten Kabinettsvorlage, »ist Voraussetzung dafür, daß der von dem neuen Personalausweis erwartete Sicherheitsgewinn voll erreicht wird.« Im nächsten Heft
EDV-Einsatz auf Mallorca -- Fahnder zapfen Krankenkassen-Computer an -- Wie insgeheim das Personenkennzeichen eingeführt wurde