»Das Stahlnetz stülpt sich über uns«
Nadis ist die Abkürzung für das »Nachrichtendienstliche Informationssystem« der Bundesrepublik. Was es kostet, was es weiß, wie groß es ist - all dies wird seit Jahren ebenso geheimgehalten wie sein Standort.
Nach einer zählebigen Zeitungslegende steht der Zentralrechner des Verbunds in irgendeinem »Eifelbunker« ("Vorwärts"). In Wahrheit ist er im Gebäudekomplex des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln, Barthelstraße 75, installiert.
Amtspräsident Richard Meier letzte Woche zum SPIEGEL: »Angaben über den Umfang des gespeicherten Materials können nicht gemacht werden.« Ein Abteilungsleiter: »Angaben über die Kosten sind nicht möglich.« Meiers EDV-Chef: »Informationen über den TyP des Rechners würden der Gegenseite Rückschlüsse ermöglichen-; der Computer sei allerdings. soviel lasse sich sagen. »sehr leistungsfähig«.
Deutschlands geheimste Datenbank steht ihrem elektronischen Bruder Inpol, dem EDV-System der Polizei, an Kapazität kaum nach. An Undurchschaubarkeit übertrifft sie ihn. Ob ein Student sich aus der DDR politische Literatur zuschicken läßt, ob ein ahnungsloser Hauswirt eine Wohnung an einen Terroristen vermietet hat, ob ein Schüler eine Kriegsdienstverweigerer-
* Graphik von Klaus Staeck.
Gruppe gründet, ob ein Abgeordneter den »Radikalenerlaß« kritisiert -- stets muß der Bürger damit rechnen, daß sein Name in die Nadis-Speicher gerät.
Umgekehrt wird, bevor Nadis zu Rate gezogen worden ist, kein Bürobote in einem Ministerium beschäftigt, kein Koch von einer Haftanstalt eingestellt, vielerorts kein Pädagoge in den Staatsdienst übernommen, keine Putzfrau von der Lufthansa engagiert, nicht einmal einem Ausländer der Aufenthalt genehmigt.
Offiziell bekannt ist, wer das System betreibt:
* das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), dem laut Gesetz »die Sammlung und Auswertung von Auskünften, Nachrichten und sonstigen Unterlagen« über verfassungsfeindliche »Bestrebungen« obliegt, dazu die Spionageabwehr, die Ausländerüberwachung, die Mitwirkung an Sicherheitsüberprüfungen und die Amtshilfe für Einstellungsbehörden;
* die elf Landesämter für Verfassungsschutz (LfV), denen durch Landesgesetze entsprechende Aufgaben auf regionaler Ebene zugewiesen sind;
* der Bundesnachrichtendienst (BND), der Auslandsspionage und »sonstige nachrichtendienstliche Aufträge« der Bundesregierung zu erledigen hat; > der Militärische Abschirmdienst (MAD). der -- wie der BND ohne gesetzliche Grundlage -- für die Spionage-, Sabotage-, Zersetzungs- und Terrorismus-Abwehr in der Bundeswehr zuständig ist;
* die Staatsschutzabteilung des Bundeskriminalamts (BKA), die bei Verdacht auf Landesverrat ermittelt. Nadis-gespeichert ist, wer immer von einer dieser 15 Behörden in irgendeinem Zusammenhang einmal »aktenmäßig erfaßt« worden ist. Im Computer schlügen sich, argwöhnen die SPD-Jusos, die Resultate langjähriger »flächenmäßiger Schnüffelei« nieder.
Das Informationssystem, beteuert hingegen BfV-Präsident Meier, sei »keine reine Belasteten-Datei«. Ein Nadis-Eintrag, ergänzt ein Meier-Mitarbeiter, bedeute daher »kein Stigma«; werde ein Bundesbürger dort vermerkt, »geschieht dem damit kein Unrecht«.
Doch wer kann das schon überprüfen? Wer nach Köln schreibt, weil er Falsches über sich gespeichert wähnt, bekommt nur Nichtssagendes zur Antwort -- das Bundesamt ist, wie die Polizei und wie andere Dienste, von der Auskunftspflicht des Datenschutzgesetzes befreit.
Wer, was schon erfolgversprechender ist, den Bundesdatenschutzbeauftragten Professor Hans-Peter Bull um Unterstützung bittet, gerät an einen Mann, der über Bonns Geheim-Computer mittlerweile zwar einiges, aber keineswegs alles weiß und kaum etwas verraten darf. In seinem jüngsten Tätigkeitsbericht notierte der Professor, er sei bei den Nachrichtendiensten auf »praktische Schwierigkeiten bei der Ausübung des Kontrollrechts« gestoßen.
Immerhin konnte Bull unlängst dem Parlament mitteilen, welche Art Daten Nadis verzeichnet: Personennamen mit näheren Angaben, »zum Beispiel Geburtstag. Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Anschriften, Telephonnummern, Kraftfahrzeugkennzeichen, Konto- und Schließfachnummern«, sowie jeweils die Aktenzeichen aller Unterlagen, die bei einem oder mehreren der Nadis-Betreiber geführt werden.
Kopfzerbrechen wegen Meier, Meyer, Mayer, Mair.
Hierin vor allem unterscheidet Nadis sich grundlegend vom EDV-System der Polizei: Die Kripo etwa kann ihren Straftaten-/Straftäter-Computer Klartext ausdrucken lassen, der Menschen und ihre Taten bis auf den Sprachfehler, bis auf die Stunde genau beschreibt; Nadis dagegen liefert im wesentlichen nur Hinweise auf Akten, die in irgendeinem Landesamt-Regal, in irgendeiner Geheimdienst-Hängemappe lagern -- ein gigantisches elektronisches Fundstellenverzeichnis.
»Über den Inhalt der Akten«. berichtet Bull, »enthält das System keine Aussage«, doch hat »das Aktenzeichen für den Fachkundigen eine gewisse Aussagekraft": Er kann ihm nicht nur entnehmen, welcher Dienst sich mit wem befaßt hat, sondern auch, welche Abteilung, welche Unterabteilung, welches Referat; die Detailauskünfte, das eigentliche Dossier, muß er dort anfordern.
Vergebens appellierte der Bonner Datenschützer »an die zuständigen Stellen«, die Zahl der Nadis-Gespeicherten zur Veröffentlichung freizugeben. Bull muß sich mit der Information begnügen, die Summe der Bürger, deren Daten hei den »Ämtern für Verfassungsschutz« (also exklusive BND und MAD) liegen, entspreche der Größenordnung nach der Zahl jener, die »bei den Polizeibehörden« erfaßt sind. In beiden Fällen seien es., verriet Bull im März in einer Pressemitteilung, je »unter fünf Prozent der Gesamtbevölkerung«.
In den Informationssystemen der Polizei von Bund und Ländern sind, wie das Bundesinnenministerium einen Monat später offenbarte, Angaben über rund drei Millionen Menschen gesammelt. Bulls Prozent-Angaben stützen die Vermutung, daß allein Polizei und Verfassungsschutz um die fünf Millionen Personen registriert haben. Hinzu kommen noch die EDV-Bestände des Bundesnachrichtendienstes sowie der Wehr-Abschirmer: Während die Inlandsdatenbestände der Aus-Landsaufklärer in Pullach bei ordnungsgemäßer Amtsführung minimal sein müßten, hatte der MAD bereits vor zwei Jahren nach Angaben des Innenministeriums allein »vier Millionen Sicherheitsprüfungen durchgeführt«.
Bei alledem scheint die Spekulation nicht abwegig, daß, Überschneidungen berücksichtigt, in den geheimen Datenbanken der Bundesrepublik schon heute Persönliches über acht bis neun Millionen Menschen registriert ist -- über jeden fünften Erwachsenen.
Daß die Datenberge im Sicherheitsbereich nur mit Hilfe der Elektronik zu bewältigen sind, zeichnete sich bereits in den fünfziger Jahren ab. Die in jenen Jahren noch handbetriebenen Dossiersammlungen begannen damals unhandlich zu werden.
»Angenommen«, erinnert sich der frühere BfV-Präsident Günther Nollau an den alten Ärger, »in einer Kartei von etwa einer Million Karten gibt es 20 000 Karten, die sich auf Personen mit dem Namen Meier beziehen. Wer die Kartei nach einer Person mit dem Namen Meier abfragt, ruft eine stundenlange Suche und eine Blockierung der Karteikästen hervor.«
Oft zog sich die Prüfprozedur über Tage hin: »Um eine Auskunft aus der alten Handkartei zu erlangen, hatte der Auswerter«, so Nollau, »ein Formular auszufüllen, in das er die Daten der Person eintrug. Dieses Formular ging auf dem Dienstweg in die Kartei, bis es schließlich bei dem Mann landete, der den betreffenden Karteikasten bediente. Er vermerkte die Auskunft auf dem Formular, das dann zu dem Anfragenden zurücklief.« Selbst bei einem »Routinefall« habe darüber bisweilen »eine Woche vergehen« können.
Der Ausländer-Zustrom der letzten Jahrzehnte stellte die Beamten obendrein vor phonetische Schwierigkeiten. »Ein kleiner Teil dieser Personen hat sich verfassungsfeindlich betätigt. Ihre Namen und ihre Geburtsorte«, schildert Nollau, »mußten in die Kartei aufgenommen werden. Aber wie? Wie soll man den spanischen Ortsnamen Rioja, der Rio-cha ausgesprochen wird, auf dem Datenträger festhalten?« Ähnliches Kopfzerbrechen bereiteten deutsche Namen mit unterschiedlicher Schreibweise, »etwa Meier, Meyer, Mayer, Mair«.
Als Meier, Richard, 1975 die BfV-Präsidentschaft übernahm, waren diese Probleme gelöst -- mit elektronischer Hilfe:
* Ende 1969 hatte der damalige Bonner Innenminister Hans-Dietrich Genscher Polizei und Verfassungsschutz angewiesen, gemeinsam Computerisierungs-Programme zu entwickeln.
* Im Februar 1970 übernahm das BfV seine »Personenzentral- und Ortskartei« auf eine IBM-Anlage vom Typ 360/40; Computer-Ausdrucke mußten noch per Post an die Landesämter geschickt werden. > Im Juni 1973 folgte eine IBM 370/ 155 mit Großraum-Plattenspeichern; Erkenntnis. se werden seither rund um die Uhr auf Bildschirm-Terminals angezeigt.
* 1974 begann das BfV die Datenfernverarbeitung auszubauen; angeschlossen wurden
im selben Jahr die Landesämter in München, Stuttgart, Wiesbaden, Mainz und Saarbrücken ("Verbundgruppe Süd").
* 1975 folgte die »Verbundgruppe Nord« (Kiel, Hamburg, Bremen, Hannover und Düsseldorf); erstmals konnte der Computer auch »ortsbezogene Daten unabhängig von ihrer Verbindung mit personenbezogenen Daten« suchen.
Die Elektronisierung reduzierte nicht nur das Suchtempo auf Lichtgeschwindigkeit, sondern brachte nebenher auch die Lösung des Meier/Meyer/Mayer/ Mair-Wirrwarrs: Der Kölner Nadis-Chefelektroniker hatte bereits in den sechziger Jahren ein Verfahren entwickelt, ähnlich klingende Ausdrücke unterschiedlicher Schreibweise für den Speicherungs- und Suchprozeß zu vereinheitlichen. Kraftfahrtbundesamt und Bundeszentralregister, BASF und Bayer-Leverkusen haben die mittlerweile weltweit anerkannte »Kölner Phonetik« übernommen.
Zu den Hauptvorzügen der Lautsprache, deren Quasi-Wörter ("Phonetische Substitute") mit wenigen Konsonanten und lediglich zwei Vokalen, einem hellen und einem dunklen, auskommen, zählt die Eigenschaft, weit variierende Schreibweisen auf einen gemeinsamen Nenner bringen zu können: Nadis versteht selbst dann Bahnhof, wenn jemand »Banow« eintippt.
Zudem bot die EDV den westdeutschen Intelligence-Zweigen die Chance, Spezialkenntnisse auszutauschen. »Man kann getrost davon ausgehen«, sagt ein Eingeweihter, »daß jeder dieser Dienste ein gutes Drittel seiner Zeit für Tätigkeiten verwendet, die ihn, streng genommen, eigentlich nichts angehen.«
Seit der Vollendung des Verbunds (dem MAD und BND nur über Fernschreiber und Magnetbandaustausch angeschlossen sind) haben Verfassungsschutzauswerter im Bundesamt und in den Landesämtern allein 2,5 Millionen mal maschinell die Verfassungstreue von Staatsdienstbewerbern abgecheckt und in einer unbekannten Zahl von Fällen Sicherheitsüberprüfungen vorgenommen.
Die Beamten lesen die Personaldaten von einer blauen, gelben oder weißen Anfrage-Karte ab, tippen sie in die Terminal-Tastatur, kontrollieren die Eingabe auf Fehler und setzen die Anfrage durch Knopfdruck ab. In Sekundenschnelle erscheint die Antwort auf der Mattscheibe. Liegen »Erkenntnisse« vor, schaltet der Auswerter eine weitere Apparatur ein und läßt die Daten ausdrucken, genauer: die Hinweise der Registratur darauf, wo welche Unterlagen zu finden sind.
Nadis ist mithin auf den ersten Blick nichts anderes als eine riesige Hinweisdatei, die sich, juristisch betrachtet, von der alten Hinweiskartei nicht unterscheidet. Und dennoch ist Nadis mehr.
Eine im Prinzip unbegrenzte Zahl von Informationen an einer unbegrenzten Zahl von Orten über unbegrenzte Zeit verwahren und dennoch binnen Sekunden sortieren und zusammenfügen zu können -- diese Möglichkeiten der EDV schufen erst die Voraussetzung für die massenhafte Erfassung politischer Personendaten, für die millionenfache Regelanfrage, für die weithin zur Routine gewordenen Sicherheitsüberprüfungen.
Mit Nadis ist das Skelett einer Maschinerie perfekt, die technisch geeignet wäre zur politischen Vollkontrolle eines Volkes: Alles Abweichende ließe sich, einerseits, speichern; jeder Bürger könnte, andererseits, beliebig häufig daraufhin durchleuchtet werden, ob er abweicht von der jeweils politisch erwünschten Norm.
Die Frage aber, wessen Daten Nadis eingegeben, welche Bürger mit seiner Hilfe überprüft werden dürfen, ist nicht zu trennen von der Frage nach den geheimdienstlichen Aufgaben. Und die sind gar nicht oder nur unzureichend begrenzt.
Während kein Gesetz das Wirken von BND und MAD regelt (beide arbeiten nach Kabinettsbeschlüssen), haben die Parlamentarier dem Verfassungsschutz in Bund und Ländern »weite und generalklauselartige, vielfältig interpretierbare Aufgaben« (Bull) gestellt; er soll schließlich schon im »Vorfeld« polizeilicher und politischer Reaktionen Informationen über möglicherweise verfassungswidrige »Bestrebungen« sammeln können.
Den Ämtern obliegt, definiert Bull, »eine Art von Informationsverarbeitung, die für den Datenschutz besondere Probleme aufwirft":
»Bestrebungen« im Sinne des Verfassungsschutzgesetzes können hinter unzähligen »harmlosen« sozialen Verhaltensweisen wie dem Besuch beliebiger Versammlungen und Reisen zu beliebigen Zielen vermutet werden; Informationen über solche nicht nur rechtmäßig, sondern sogar grundrechtlich geschützten Handlungsweisen können also für Verfassungsschutzbehörden zumindest theoretisch ebenso interessant sein wie die Nachricht über ein konspiratives Treffen zweier ausländischer Spione. »Ungenaue oder fehlende gesetzliche Aufgabenbestimmung« aber, weiß Bull, »fördert die Tendenz zur Ausweitung der Datenspeicherung« ein Trend, dessen Gefährlichkeit sieh vollends offenbarte, nachdem mit der Computerisierung die technischen Voraussetzungen für inflationäre Informationsverarbeitung geschaffen worden waren.
Gleichwohl versäumten es Bonns Politiker, nach der Verabschiedung des lückenhaften, allgemein gehaltenen Bundesdatenschutzgesetzes für ausreichende »bereichsspezifische Datenschutzregelungen« (Bull) zu sorgen. Statt dessen forcierten sie die elektronische Aufrüstung der geheimen Ämter: Allein in den ersten sechs Jahren des Nadis-Aufbaus erhöhten sich die Ausgaben für die EDV-Ausstattung des Verfassungsschutz-Bundesamtes von 1,3 auf 5,9 Millionen Mark.
Die Aktivitäten der gerade wiederzugelassenen moskautreuen KP, Rudi Dutschkes Parole vom »Langen Marsch durch die Institutionen«, der Radikalen-Beschluß der Ministerpräsidenten, die Welle terroristischer Anschläge, dazu eine Vielzahl von Spionage-Affären dies alles ließ es jahrelang auch Sozialliberalen wenig opportun erscheinen, der elektronischen Geheimdienst-Arbeit enge rechtsstaatliche Grenzen zu setzen.
So konnten die Dienst-Männer, weitgehend unbehindert von Politikern und Datenschützern, ihre Speicher füllen. »Zuerst«, erinnert sich einer, »haben wir noch jedesmal ein Fest gefeiert, wenn wieder 100 000 drin waren.«
Rein kommt, wer den Verfassungsschützern bei der Beobachtung des Extremismus, des Terrorismus, der Spionage-Szene auffällt. Größter Posten aber, 37 Prozent des Nadis-Bestands, sind, so Bull, die Daten »aller Personen, für die eine Sicherheitsüberprüfung vorgenommen worden ist«.
Denn die Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern sind beteiligt am
* »vorbeugenden personellen Geheimschutz«, das ist, laut Verfassungsschutzgesetz, die »Überprüfung von Personen, denen im öffentlichen interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können« -- vom Registraturgehilfen bis zur Staatssekretärsgattin;
* »vorbeugenden personellen Sabotageschutz«, mithin der Kontrolle von Personen, die an »sicherheitsempfindlichen Stellen von lebens- und verteidigungswichtigen Einrichtungen« beschäftigt werden sollen -- dazu werden vielerorts Schlachthofarbeiter wie Zivilpiloten gerechnet.
Im Behördenbereich arbeiten die Nachrichtendienstler mit sorgsam ausgelesenen »Geheimschutzbeauftragten« zusammen, in der Wirtschaft -- häufig über das Wirtschaftsministerium oder eine »Koordinierungsstelle"* -- mit betrieblichen »Sicherheitsbeauftragten«.
* Rüstungsbetriebe sind an einen Informationspool des Bundeswirtschaftsministeriums angeschlossen. -- Die Bonner »Koordinierungsstelle für Sicherheitsfragen in der gewerblichen wirtschaft« (KS) sowie ihre Landes-»Vereinigung für Sicherheit in der Wirtschaft« haben die 1968 liquidierte »Gemeinschaft zum Schutz der Deutschen Wirtschaft« abgelöst, die vom Deutschen Industrie- sind Handelstag, dem Bundesverband der Deutschen Industrie und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände betrieben worden war: die KS versteht sich als »Abwehrorgan« der Wirtschaft.
Da erhalten dann 2700 Bedienstete baden-württembergischer Haftanstalten ein vertrauliches Sieben-Seiten-Papier ("VS -- Nur für den Dienstgebrauch") ohne Absender, in dem sie über ihre Urlaubsreisen nach Jugoslawien ebenso Auskunft geben müssen wie über ihre Großmutter in Dresden -- zurückzugeben in doppelter Ausführung an den »Geheimschutzbeauftragten Herr ...«.
Und da bekommen Arbeitnehmer der Frankfurter Mannesmann-Anlagenbau AG einen ähnlichen Fragebogell, den sie »in einem verschlossenen Umschlag« an ihren Arbeitgeber zurückschicken sollen, »der ihn dann ungeöffnet an das Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltschutz/Landesamt für Umweltschutz weiterleiten wird« -- komische Umweltschützer.
Alles wissen wollen die Fragesteller über »jetzige oder frühere Mitgliedschaft« in »links- oder rechtsradikalen Parteien oder Organisationen«, über »Kinder, einschließlich Stief- und Pflegekinder sowie deren Ehegatten, Eltern (auch Stief- und Pflegeeltern), Geschwister (auch Halb- und Stiefgeschwister) und deren Ehegatten, Schwiegereltern, Geschwister des Ehegatten«.
Verfassungsschutz registriert »abnormes« Sexualverhalten.
Dazu muß der Ausfüller »Angaben über mindestens drei Personen« machen, »die Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des/der Befragten innerhalb der letzten zehn Jahre geben können": »Verwandte und Untergebene sind nicht anzugeben.« Vom Verfassungsschutz befragt werden dann häufig ganz andere.
Mit einer simplen Nadis-»Karteianfrage« ("einfache Überprüfung") ist es nach jüngst entworfenen, demnächst im Bundeskabinett zur Beratung anstehenden geheimen »Richtlinien für die Sicherheitsüberprüfung von Bundesbediensteten« in vielen Fällen nicht getan.
Wenn etwa jemand, der nach 1949 als Jugendlicher aus dem Osten in den Westen gekommen ist, auch nur Bürobote in einer Bundesbehörde werden will, dann richtet der Verfassungsschutz auch Anfragen an das Berliner Bundeszentralregister und die Ortspolizei. Eingeschaltet werden unter Umständen BND und MAO. das »Berlin Document Center«, die »Zentrale Leitstelle der Landesjustizverwaltungen« in Ludwigsburg, der Leiter des »Bundesnotaufnahmeverfahrens« in Gießen, das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf, »befreundete Dienste« und »andere geeignete Stellen«.
Wenn jemand gar Zugang zu Geheimsachen erhalten soll, aber auch wenn bei ihm »die Möglichkeit des unbefugten Zugangs nicht gering ist« oder wenn er aufgrund seiner Aufgaben »wichtige Erkenntnisse erlangen« könnte, soll neben der »Karteiüberprüfung« eine Total-Recherche mit »Sicherheitsermittlungen« (Kürzel: »KÜmS«, künftig »Ü 3") vorgenommen werden -- »insbesondere« durch »Befragung von Personen, von denen anzunehmen ist, daß sie den Bediensteten hinreichend kennen«.
Erforscht werden sollen, so Paragraph 5 des Entwurfs, ausdrücklich auch »charakterliche Sicherheitsrisiken«, vor allem
-- ernste geistige und seelische Störungen,
-- Straftaten,
-- Hang zur Bestechlichkeit, -- Trunk- und Drogensucht, -- Spiel- und Wettleidenschaft, Verstoß gegen die Pflicht der Amtsverschwiegenheit,
-- leichtfertiges Schuldenmachen oder
Überschuldung,
-- Neigung zur Geschwätzigkeit, Angeberei, Unwahrheit,
-- abnormes Verhalten auf sexuellem Gebiet.
Als »Sicherheitsrisiko«, das jemandem die Karriere knicken kann, gelten aber auch
* die »Unterstützung« von »Bestrebungen« einer als »verfassungsfeindlich« eingestuften Organisation,
* »im kommunistischen Machtbereich wohnende Angehörige des Bediensteten«,
* »vorübergehender Aufenthalt des Bediensteten im kommunistischen Machtbereich« und
* sämtliche Umstände der »aufgeführten Art«, die »beim Ehegatten, Verlobten oder einer Person vorliegen, die mit dem Bediensteten in eheähnlicher Gemeinschaft lebt«.
Warnung vor
»Schlägern« und »Spielern«.
Wessen Braut alkoholabhängig sein soll, wem von mißgünstigen Nachbarn nachgesagt wird, er habe sich beim Hauskauf übernommen, wer vor Jahren auf einer Unterschriftenliste der DKP gegen Chiles Folter-Junta protestiert hat oder wem die Ex-Gattin anhängt, er treibe im Schlafgemach Perverses -- sein Privatleben wäre mithin Stoff für den Verfassungsschutz und damit auch für Nadis.
Sofern eine einfache Computer-Abfrage nicht genügt, schaltet das BfV »über die Verfassungsschutzbehörden der Länder« die »örtlich zuständigen Polizeidienststellen« jener Gegenden ein, in denen sich der Überprüfling innerhalb der letzten zehn Jahre aufgehalten hat. Berichten müssen die Ortspolizisten dem Geheimdienst laut Richtlinien«-Entwurf auch über »Erkenntnisse, die länger als zehn Jahre zurückliegen«.
Das Resultat der Überprüfung landet schließlich beim behördlichen Geheimschützer, der das Dossier laufend zu aktualisieren hat. Ihm muß daher die jeweilige Personalverwaltung auch »Änderungen« in den »persönlichen« und »dienstlichen Verhältnissen« des Überwachten mitteilen, etwa »Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse« oder »Mitteilungen in Strafsachen«.
Der Geheimschutzbeauftragte wiederum ist verpflichtet, das zuständige Verfassungsschutzamt auf dem laufenden zu halten: Er und das BfV »unterrrichten sich gegenseitig über alle neuen sicherheitserheblichen Erkenntnisse«. In der Regel steht alle fünf Jahre eine Wiederholungsüberprüfung an.
Eine Anhörung des Bediensteten zu den Auskünften, die hinter seinem Rücken eingeholt worden sind, ist weder dem betrieblichen noch dem behördlichen Verfassungsschutz-Kontaktmann zwingend vorgeschrieben; in der Kabinettsvorlage heißt es:
Die Anhörung erfolgt in einer Form, die den Quellenschutz gewährleistet. Sie unterbleibt, soweit sie eine Gefahr für die staatliche Sicherheit bedeuten würde. Das Bundesamt für Verfassungsschutz kann Empfehlungen für die Anhörung geben.
Wie weit Sabotage- und Geheimschutz-Überprüfungen schon in den sechziger Jahren insgeheim über den staatlichen und kommunalen Bereich hinaus ausgedehnt worden waren, steht in einem Bericht, den Bundesinnenminister Baum sich im Oktober letzten Jahres vom BfV vorlegen ließ: Die Geheimen durchleuchteten Funkamateure ebenso wie Mitarbeiter von Bundestagsabgeordneten, freigekaufte DDR-Häftlinge sowie Ersatzdienstleistende.
Seit 1962 wurden auch Redakteure und Mitarbeiter der Deutschen Welle und des Deutschlandfunks überprüft -- eine, wie der Deutsche Journalisten-Verband vorletzte Woche protestierte, »unerträgliche Praxis«, die auf einer »mißbräuchlichen Interpretation der Rundfunkfreiheit ausgerechnet durch das Ministerium« beruhe, »dem die Freiheit von Presse und Rundfunk in besonderer Weise anvertraut ist«. BfV-Chef Meier hält dagegen: »Die Intendanten haben die Überprüfung gewünscht.
Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Lufthansa, Klaus Reichelt, teilte der Belegschaft der Luftfahrtgesellschaft schon vor einigen Monaten mit, daß auch in diesem Unternehmen »seit Jahren alle Bewerber vom Verfassungsschutz überprüft werden« -- nicht nur Piloten, sondern auch Bürokräfte und Techniker. Bisweilen, erfuhren Betriebsräte, sei die Lufthansa auch vor angeblichen »Schlägern« oder »Spielern« gewarnt worden.
Vielerorts richten Arbeitgeber bei Neueinstellungen, keineswegs nur im Rüstungsbereich. eine Art Regelanfrage an den Staatsschutz-Computer -- häufig in der Hoffnung, auf diese Weise linksradikale Gewerkschafter von der Belegschaft fernhalten zu können.
In Schleswig-Holstein überprüfte das LfV, wie letztes Jahr bekannt wurde, auf Firmenwunsch zwei Jahrzehnte lang jeden Arbeitnehmer, den die Werkzeug- und Maschinenfabrik Wilhelm Fette (150() Mitarbeiter) im holsteinischen Schwarzenbek einstellen wollte.
Besonders intensiv schnüffeln ließ jahrelang Hamburgs SPD-geführter Senat. Nur durch »gewerkschaftlichen Druck«, resümierte die IG Metall, seien in der Hansestadt dem Verfassungsschutz schließlich »rechtsstaatliche Grenzen gesetzt« worden. Hamburgs sozialdemokratischer Innensenator Werner Staak strich am Donnerstag letzter Woche die Liste der zu überprüfenden Betriebe auf »weniger als zehn« zusammen: »Die Kaufhäuser, die Brotfabrik, der Schlachthof und so weiter sind raus."*
Ob die Nadis-Behörden von Ausländerämtern oder Arbeitgebern, von Kultusministern oder Intendanten angegangen werden -- in vielen Fällen,
* In den wenigen Unternehmen. die noch auf Staaks Prüfliste stehen, sollen Betriebsleitung und Betriebsrat gemeinsam die »sicherheitsempfindlichen Bereiche bestimmen. Nur wer dort arbeitet. darf künftig. mit seinem Wissen und Einverständnis, vom Verfassungsschutz überprüft werden. Führt eine Nadis-Anfrage zu »Bedenken«, muß deren Weitergabe an den Arbeitgeber in jedem Einzelfall vom Innensenator oder seinem Vertreter genehmigt werden.
wie bei der »Regelanfrage« nach dem politischen Leumund von Lehramtsbewerbern, holen die Verfassungsschützer lediglich eine Computerauskunft ein. »Gezielte Nachforschungen, Ermittlungen oder Überprüfungen« anderer Art werden laut Innenministerium aus diesem Anlaß nicht angestellt; die Ämter sind mithin auf das bereits Erfaßte angewiesen.
Um so wichtiger erscheint es vielen Staatsschützern daher, Nadis stets gut im Futter zu halten. Und: Immer begehrlicher fordern die Kölner BfV-Spitzenleute eine direkte Zugriffsmöglichkeit auf Verfassungsschutz-Landesrechner, in denen weit mehr steckt als nur Personalien und Fundstellenhinweise.
Gesammelt und gespeichert wurde und wird häufig genug am Rande des Rechtsbruchs, bisweilen weit jenseits dieser Grenze.
Als verfassungsrechtlich problematisch werten Innenministeriale beispielsweise, daß Kölns Verfassungsschützer dem Grenzschutz 1977 zwei schwarze Listen mit den Namen von 526 überwiegend linken Organisationen und Druckschriften überließen. Die BGS-Führer sahen darin ein Amtshilfeersuchen, alle einschlägigen Leser und Mitglieder zu erfassen. BfV-Chef Meier indes bestreitet, derlei beabsichtigt zu haben: »Die Listen waren für die Stahlschränke der Oberbeamten bestimmt.« Wie auch immer -- die BGS-Anordnung wurde vom Innenministerium zurückgezogen, nachdem sie letztes Jahr publik geworden war.
Im Widerspruch zu den rechtsstaatlichen Prinzipien » Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit und Übermaßverbot« (Innenministerium) stehen auch weite Passagen einer 19seitigen geheimen »Sonderanweisung über die Erfassung bestimmter Erkenntnisse bei der grenzpolizeilichen Kontrolle« ("So-GK"): Danach haben Grenzpolizisten »mit größter Behutsamkeit« unter anderem die »Personendaten« von Bürgern zu erfassen, »die aus der Bundesrepublik Deutschland in die DDR oder aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland fahren«. Die »unauffällig« ausgefüllten Formblätter müssen an Verfassungsschutz und BND geschickt werden.
Diese mittlerweile »berühmt-berüchtigte So-GK« (Bull) soll nun wenigstens »zum Teil überarbeitet« werden.
Ministerielles Mißtrauen erregte schließlich das jahrelange Bemühen des Verfassungsschutzes, Namensakten und Nadis-Vermerke über Bundestagsabgeordnete anzulegen, die irgendwelche Kontakte zu Politikern, Diplomaten oder Journalisten aus osteuropäischen Ländern unterhalten hatten. Allein während der letzten drei Jahre landete, so ein Geheimdienstler, »eine zweistellige Zahl« von Parlamentariern im Nadis-Register.
Um dem Alptraum ein Ende zu bereiten, die Exekutive kontrolliere per Nadis sogar ihre vom Grundgesetz bestimmten Kontrolleure, ordnete Baum im Dezember letzten Jahres an, Änderungsvorschläge zu erarbeiten. Erkenntnisse über Parlamentarier, schwebt dem Minister vor, dürften grundsätzlich nicht mehr in den Verbund eingegeben werden.
Fragwürdig mutet das Bemühen mancher Nachrichtendienstler an, auch nonkonforme, keineswegs verfassungsfeindliche Äußerungen elektronisch zu konservieren. Denn der Verfassungsschutz ist lediglich mit der Beobachtung grundgesetzwidriger »Bestrebungen« beauftragt; Bestrebungen aber sind, wie das Bundesverfassungsgericht 1956 definiert hat, mehr als Meinungsäußerungen: nämlich Verhaltensweisen, die einen aktiven, aggressiven, kämpferischen Einsatz für ein bestimmtes Ziel zeigen.
Solche Unterscheidungen überfordern viele Staatsschützer. Die »besondere Problematik« nachrichtendienstlicher Arbeit, räumt ein Innenministerialer ein, liege darin, daß die Auswerter »ein solches Maß an staatsbürgerlicher Bildung besitzen müssen, daß sie zwischen zulässiger politischer Kritik und unzulässiger verfassungsfeindlicher und sicherheitsgefährdender Aktivität unterscheiden können«.
Bildungslücken führen dazu, daß MAD-Agenten auch schon mal Ersatzdienstleistende bespitzeln, die offenbar verdächtig sind, weil sie von den Grundrechten auf Kriegsdienstverweigerung und Meinungsäußerung Gebrauch machen. Niedersachsens Staatsschützer werteten selbst die Arbeit der mit dem Friedensnobelpreis bedachten Hilfsorganisation »Amnesty international« als »staatsabträglich«.
Und in Mainz fütterten Verfassungsschützer das Nadis-System unter anderem mit den Personaldaten des SPD-Landtagsabgeordneten Jörg Heidelberger. Der Parlamentarier hatte, wie 630 andere Bürger der Stadt Speyer, per Unterschrift dagegen protestiert, daß eine Zeichenlehrerin mit DKP-Parteibuch nicht in den Schuldienst übernommen werden sollte.
Der Mainzer Kultusminister, Empfänger der Petition, glaubte sich verpflichtet, die Unterschriftenliste zur Auswertung an das Landesamt für Verfassungsschutz weiterzugeben. Ein einschlägiges Landesgesetz verlangt von allen Ministerial- und Kommunalbediensteten sowie von den Angestellten öffentlich-rechtlicher Kammern und Körperschaften, »unaufgefordert dem Verfassungsschutz alle Auskünfte, Nachrichten und sonstigen Unterlagen« über Bestrebungen zu geben, die ihrer Meinung nach der »freiheitlichen demokratischen Grundordnung« zuwiderlaufen.
Gesetze mit ähnlichem Wortlaut sind in den letzten Jahren in allen Bundesländern verabschiedet worden (SPIEGEL 30/1976). »Eine solche Breite der Zuarbeit wurde selbst 1933 der Gestapo nicht zur Verfügung gestellt«, protestierte, vor der Verabschiedung des niedersächsischen Gesetzes, der Celler Jurist Werner Holtfort, der als Notarkammer-Präsident selber unter die Meldepflicht fiel.
Eine Reihe behördeninterner Regelungen soll allzu weit ausufernde Beschattungs- wie Beschaffungsaktionen verhüten helfen -- mit zweifelhaftem Resultat. So bestimmt Paragraph 11 der BfV-»Dienstanweisung": »Vereinigungen, bei denen nach ihrem bisherigen Verhalten und dem sie tragenden Personenkreis feststeht, daß sie auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen, dürfen mit Mitteln der Nachrichtenbeschaffung, insbesondere durch geheime Mitarbeiter, nicht beobachtet werden.«
Gleichwohl haben Verfassungsschützer immer wieder Gründe gefunden, auch SPD-Jusos oder FDP-Jungdemokraten, Bürgerinitiativen oder Zeitungsredaktionen auszuforschen. Solche Einrichtungen, beteuern Amtssprecher regelmäßig, seien keine »Beobachtungsobjekte«, observiert würden lediglich »Versuche von links- und rechtsextremistischen Gruppierungen«, von denen ihnen »Unterwanderung« drohe -- was im Einzelfall sogar stimmen mag.
V-Männer nur gegen »sehr gefährliche Gegner«.
Spezielle Datenschutzprobleme werfen all jene Informationen auf, die mit »nachrichtendienstlichen Mitteln« beschafft worden sind -- also mit Methoden, die Rechtsstaaten aus gutem Grund anderen Behörden als den Geheimdiensten versagen: Aufforderung zum Vertrauensbruch, Nötigung, Wanzen, Spitzel. Wurden so erhobene Daten unterschiedslos an andere Ämter oder Dritte weitergereicht, verdiente die Verfassung Schutz vor dem Verfassungsschutz.
Der Einsatz von V-Männern etwa, urteilt der BfV-Regierungsdirektor Bernd-Dieter Kortmann*, bedeute einen derart einschneidenden »Eingriff in das Grundrecht auf Achtung der Privatsphäre«, daß diese Methode »erst in Betracht kommen kann, wenn es sich um einen sehr gefährlichen Gegner handelt und mildere Mittel nicht ausreichen«.
Dennoch wurde allein in Niedersachsen während der letzten Monate bekannt, daß das LfV Mitarbeiter der linken Tageszeitung »taz« von einem Spitzel ausforschen ließ, ebenso die pazifistische »Gewaltfreie Aktion« und ein »Frauenzentrum« in Göttingen. In derselben Stadt schlichen sich zudem
* Bernd-Dieter Kortmann: »Verfassungsschutz in Bund und Ländern. Grundlagen, Praxis, Grenzen. Dümmler-Verlag, Bonn; 83 Seiten: 9,80 Mark.
Staatsschützer in eine Bürgerinitiative gegen den Bau von Kernkraftwerken ein.
Hinweggesetzt haben sich die Nachrichtendienste wiederholt, in der Traube- wie in der MAD-Affäre, auch darüber, daß es für den Einsatz elektronischer Wanzen in Wohnungen keine Rechtsgrundlage gibt. Die dem Verfassungsschutz gesetzlich zugestandenen »nachrichtendienstlichen Mittel« umfassen zwar heimliches Observieren und verborgenes Photographieren, Richtmikrophone und falsche Ausweise, ohne Notstand aber nicht die Kompetenz, etwa die Unverletzlichkeit der Wohnung anzutasten. Hans-Günther Merk, Innen-Ministerialrat in Bonn, skizziert die Rechtslage*:
Der Verfassungsschutz darf zwar -- im Rahmen des gesetzlichen Auftrages, unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Obermaßverbotes -- in die Privatsphäre des Bürgers eindringen, er darf dabei jedoch nicht -- jedenfalls nicht auf der Grundlage der Verfassungsschutzgesetze -- darüber hinaus in ... Grundrechte eingreifen. Auch der Kernbestand des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist absolut geschützt. Die Verfassungsschutzbehörden verfügen auch nicht über ungeschriebene Eingriffsbefugnisse.
»Die haben für uns
die satten Fälle rausgefischt.«
Telephonate abhören, Briefe öffnen, Telegramme mitlesen dürfen Geheimdienstler lediglich aufgrund des Spezial-»Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz« ("G-10-Gesetz") und auch dann nur in schwerwiegenden Fällen, etwa wenn es Landes- oder Hochverrat zu bekämpfen oder die »Gefahr eines bewaffneten Angriffs« zu erkennen gilt.
Auf solche Weise nebenher gewonnene Intimkenntnisse über Brief- oder Telephonpartner jedoch dürfen von den Nadis-Behörden laut Abhörgesetz »nicht zum Nachteil von Personen verwendet werden« es sei denn, den Lauschern und Lesern wäre etwa Hochverräterisches bekannt geworden.
BfV-Spitzenbeamte räumen zwar ein, daß auch für sie in den letzten Jahren immer mal wieder Daten abgefallen seien, wenn ihre Kameraden vom BND auf der Suche nach Anhaltspunkten für einen »bewaffneten Angriff« zentnerweise Post in den Osten oder aus dem Osten mitlasen. Die Kölner bestreiten freilich, von den Pullachern mit Erlauschtem beispielsweise über einfache DKP-Mitglieder bedient worden zu sein: »Die haben nur die satten Fälle für uns rausgefischt.«
* Hans-Günther Merk »Innere Sicherheit« Südwestdeutsche Verlagsanstalt, Mannheim: 108 Seiten; 7,60 Mark.
Datenschützer Bull ist sicher, daß es gesetzwidrige Kumpanei zwischen BIN und BND künftig jedenfalls nicht geben wird. Mit BND-Vertretern habe er »Übereinstimmung« erzielt, daß die Weitergabe von Postkontrolldaten nur in den Grenzen des G-10-Gesetzes zulässig sei, »darüber hinaus also keine Amtshilfe des BND für andere Behörden geleistet werden darf«.
Nach wie vor jedoch profitieren die Nadis-Partner von einer Kooperationsform, die politisch gleichermaßen heikel ist: dem gegenseitigen Datenaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz.
Beide Institutionen waren nach 1945 strikt voneinander getrennt worden -- »aufgrund der bitteren Erfahrungen, die das deutsche Volk in der Zeit des NS-Regimes mit einer mit schrankenloser Macht versehenen geheimen Staatspolizei gemacht hat« (Bundesinnenministerium):
* Dem Verfassungsschutz sind alle polizeilichen Befugnisse versagt; er darf nicht vorladen, verhören, festnehmen, verhaften, durchsuchen, sicherstellen und beschlagnahmen. > Die Polizei wiederum hat »keinerlei nachrichtendienstliche Aufgaben« (Bull).
Bonns Politiker feiern diese Konstruktion seit Jahrzehnten als »eine Errungenschaft unserer Demokratie. eine Errungenschaft unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung« (Genscher). Nach einer Vereinigung polizeilicher und geheimdienstlicher Befugnisse, weiß der Sozialdemokrat Axel Wernitz, Vorsitzender des Bonner Innenausschusses, »hätten wir wieder eine Geheime Staatspolizei«.
Doch hat die Computerisierung sämtlicher Sicherheitsbehörden nicht längst die Informationsschranken zwischen beiden Bereichen aufgehoben? Fügt die Elektronik, wie Datenschützer befürchten, nicht unmerklich wieder zusammen, was die Väter des Grundgesetzes zerschnitten haben?
»Es gibt keinen Verbund zwischen dem Bundeskriminalamt und dem Bundesamt für Verfassungsschutz«, sagt BKA-Chef Horst Herold; doch das ist die halbe Wahrheit. Denn Herold versteht unter Verbund einen »Zusammenschluß zweier Computer, so daß von jedem Terminal eines Computers automatisch auch der andere erreicht werden kann«; auf diese Weise würden zwei Rechner zu einem einzigen Informationssystem zusammenwachsen.
Wahr ist, daß, wie Bull es präzise bezeichnet, zwischen Nadis und Inpol ein »Teilverbund« besteht:
F> Die Terrorismus-Abteilung des BfV kann ohne zwischengeschaltete Kontrollinstanz den gesamten Inhalt der BKA-Ermittlungskartei Pios (Terrorismus) und sämtliche Fahndungspersonalien der Kripo abrufen.
* Die BKA-Abteilung »St« (Staatsschutz) nutzt das BfV-System als Personenindex und Aktenregister; jahrelang fütterte das Bundeskriminalamt beispielsweise Nadis mit Angaben über Anmelder verdächtiger Veranstaltungen.
Dem Liberalen Baum ist klar, daß jede »pauschale Amtshilfe« per Nadis und Inpol letztlich »die rechtsstaatlich notwendige Trennung« beider Bereiche »aufhebt«. Baum hat daher eine rechtswissenschaftliche Untersuchung über die Grenzen solcher Kooperation in Auftrag gegeben.
Auch Datenschützer Bull äußert »erhebliche Bedenken« gegen den heißen Draht zwischen BKA und BfV. Verfassungsschutz-Präsident Meier hingegen hielte es für einen geheimdienstlichen »Kunstfehler«, auf einen direkten Zugang zu den Polizeidaten zu verzichten. Herr Professor Bull hat eine wichtige Funktion, aber wir haben auch eine wichtige Funktion.«
BKA-Chef Herold hat sich derweil bereit erklärt, seine Abteilung Staatsschutz »vom BfV abzuklemmen« -- »sicherlich mit großen sachlichen Nachteilen in der Spionagebekämpfung, aber um der rechtlichen Klarheit willen«.
Im nächsten Heft
Rufmord mit Geheimdienst-Informationen -- Pannen bei der Computer-Sicherung -- Bis zum Tod in der Datei?