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»Das Undenkbare denken!«

SPIEGEL-Reporter Hans Halter über Sonne und Wasserstoff, das neue Zeitalter der Energieerzeugung.
Von Hans Halter
aus DER SPIEGEL 34/1987

Feiner Kalkstaub weht über die endlose Hochebene von La Mancha. Die wenigen Häuser haben die fahle Farbe des Erdreichs. Hier, südlich von Madrid, hat Don Quijote, der Ritter von der traurigen Gestalt, die Lanze eingelegt. Der reine Tor ist längst gestorben. Seine alten Gegner, die Windmühlen, sind inzwischen auch besiegt.

Gewonnen hat eine internationale Brigade. Sie wurde von Mister James Watt aus Schottland und dem italienischen Edelmann Alessandro Graf Volta angeführt, denen sich der Franzose Andre Marie Ampere und die Deutschen August Otto und Rudolf Diesel zugesellten. Deren Geräte waren allen Windmühlen weit überlegen. Nun arbeiten auch in La Mancha nur noch Dampfmaschinen, Dynamos und Verbrennungsmotoren. Einzige Ausnahme: der Rotor im Aufwindkraftwerk von Manzanares.

Dessen Kamin ist 200 Meter hoch, spitz aufragend wie einst die Lanze des Don Quijote. Wer von unten in den Turm hineinblickt, dem erscheint hoch oben ein rundes Stückchen herrlich blauer Himmel. Die Verheißung trügt nicht: Der Himmel über Manzanares ist tiefblau, von morgens bis abends, oft hundert Tage hintereinander. Dann steht der Kamin wie eine biblische Sonnensäule in heller Hitze.

Heißer Wind pfeift nach oben, der Rotor rast: Aus Sonnenkraft, die Luft zu einem reißenden Aufwind heizt, wird hier zum Nulltarif Strom fabriziert. Vollautomatisch, seit Jahren schon.

Nirgendwo in der ganzen weiten Welt gibt es eine zweite Stromfabrik dieser Bauart. Ein Schwabe hat sie errichtet, der Diplomingenieur und Professor an der Uni Stuttgart Jörg Schlaich, 52. Er ist Pastorensohn, hat seine Millionen im Brückenbau gemacht und zahlt in Manzanares, obwohl von deutschen Steuerzahlern und der spanischen »Union Electrica-Fenosa« hilfreich unterstützt, schwer drauf. Das reut ihn nicht: »Man darf doch seine paar Jahre nicht mit Bauten vertun, die andere Leute nur belästigen.«

Jetzt wandert Schlaich noch weiter südwärts, der Sonne entgegen. In einer algerischen Oase will er das zweite Aufwindkraftwerk hochziehen. Viel braucht es dafür nicht: Den Turm, der aus 1,2 Millimeter dünnen Blechen gefalzt wird, dazu das Windrad samt Stromgenerator und reichlich Plastikfolie. Die wird in Mannshöhe und etliche Fußballfelder groß, rund um den Turm gespannt. Weil die Kunststoffbahnen das Sonnenlicht ungehindert passieren lassen, die am Boden entstehende Wärme aber zurückhalten, wird es unter der Folie hübsch warm. Der aufgeheizten Luft wird nur ein Ausweg gelassen, sie zieht zum Kamin. Dort bläst, von allen Seiten angefacht, der heiße Wind mit zwölf Metern pro Sekunde, Windstärke sechs.

»Wir kombinieren den Treibhauseffekt, die Kaminwirkung und das Windrad«, erläutert Diplomingenieur Antonio Perez Perez, der Mann vor Ort. »Oder, andersrum gesagt, aus Temperatur machen wir Druck und aus dem Druck Strom.«

Perez, 36, hat in seinen deutschen Zeiten auch für den Schnellen Brüter von Kalkar gearbeitet, meist Zeichnungen für den Papierkorb. Er ist froh, daß das vorbei ist. Jetzt läßt er die spanische Erde mit schwarzer Folie abdecken. Das erhöht die Lichtabsorption. Im begehbaren Sonnenkollektor von Manzanares wird es daraufhin noch mal sieben Grad Celsius wärmer, die Stromausbeute steigt um 30 Prozent.

»Es läuft noch besser als erwartet«, sagt TU-Professor Schlaich. Die Meßwerte in Manzanares, so konnte er vorletzte Woche mitteilen, »liegen noch oberhalb des physikalisch Erwarteten«. 50 kW hatte die Aufwindmaschine bringen sollen, 53 bis 54 kW sind es geworden.

Sechshundert Kilometer weiter südlich, in der baumlosen Steppe von Almeria, geht es schon komplizierter zu. Hier hat die »Internationale Energieagentur« (IEA) in den 70er Jahren ihre »plataforma solar« errichtet, damals, als das Ende der Ölzeit in Sicht kam. Auf braungrauer, trockener Erde wuchs ein »E-Werk Sonne« in den Himmel. Die Bauleitung übertrug man der »Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt« (DFVLR), und alle, die auf High-Tech schwören, waren mit von der Partie: Siemens und deren Tochter Interatom, MAN, Dornier und Flachglas.

Hunderte blitzender Spiegel wurden installiert, manche wandern der Sonne vollautomatisch hinterher. Am südlichen Rand Europas strahlt sie mehr als 2200 Stunden pro Jahr. »Calina« nennen die Einheimischen den Hitzedunst, der sich im Sommer lähmend auf Landschaft und Leute legt. Büros und Werkstätten der Solarfarm sind selbstverständlich klimatisiert. An Strom herrscht ja kein Mangel. Allein der deutsche Teil des Kraftwerks brachte es in guten Tagen auf 500 Kilowatt, sogar noch zwei Stunden nach Sonnenuntergang.

Aus der Sicht eines Physikers und Stromproduzenten sind der Sonne trotzdem zwei Mängel anzukreiden: Sie scheint, weil es Wolken und Nacht gibt, nur »intermittierend«. Außerdem ist die Sonnenenergie, sagt Diplomphysiker Michael Geyer, 31, unser Mann in Almeria, »sehr dünn«. Das liegt an der »Solarkonstante«: Auf die Erde treffen nur 1,395 kW/m2 Solarstrahlung, das sind 1395 Joule pro Quadratmeter und Sekunde, nicht eben viel. Allerdings: Eine energiereichere oder gar schwankende Bestrahlung wäre das Ende für die Bewohner der Erde. Die Solarkonstante, mag sie auch dünn sein, ist die Lebensversicherung aller Warmblüter.

Im Laufe von Jahrtausenden hat sich die Menschheit etliche Tricks einfallen lassen, um die Sonnenstrahlung zu verdichten, darunter den Hohlspiegel, das Brennglas und den Wärmespeicher. Auf der »plataforma solar« ist das alles vom Feinsten. Die großen Spiegel konzentrieren die Sonnenstrahlen auf die Spitze eines Turms. Dort oben, 80 Meter über dem Ödland, ist ein Empfänger, der »Receiver«, installiert. Er verträgt gut 2000 Grad Hitze, die er an ein wärmeleitendes Medium weitergibt. Das Wärme-Medium erhitzt Wasser, dessen Dampf eine Maschine treibt, die wiederum Strom erzeugt.

Im deutschen Teil des IEA-Experimentalkraftwerks hat man sich für ein wärmeleitendes Medium ganz besonderer Art entschieden, für das Leichtmetall Natrium. Weil es schon bei knapp 100 Grad schmilzt, doch erst bei fast 900 Grad verdampft und dazu noch leicht und deshalb gut beweglich ist, kann man in Natrium eine Menge Wärme speichern. Daher gehen im Solarkraftwerk von Almeria abends nicht gleich die Lichter aus. In 70 Kubikmeter flüssigem Natrium wird die Sonnenenergie gespeichert, wenigstens prinzipiell. Denn derzeit läuft gar nichts mehr.

Das Natrium, ein Teufelszeug, ist im vergangenen Jahr in Brand geraten; es entflammt, sobald es mit Luft in Kontakt kommt. In Sekundenschnelle stand die ganze Werkhalle in Flammen. Geyer evakuierte seine Mannschaft. Schwarzer Rauch zog über Almeria. Radio Barcelona sprach von einem »Atomunfall«.

Das war er nicht, aber doch ein Musterfall: Im Schnellen Brüter von Kalkar wollen die Ingenieure mit 1000 Kubikmeter flüssigem Natrium hantieren - und wenn die erst mal brennen, gibt es kein bewohnbares Rheinland mehr. In Almeria soll auf die höchst gefährliche Natrium-Technologie - sie wurde von »Interatom« entwickelt und betreut - künftig verzichtet werden. Für eine zweite Generation von Sonnenkraftwerken werden neue Konzepte entwickelt: Sie sollen Luft, Wasser und Öl als Wärmeträgermedium und harmlose Salze als Speicher nutzen - denn das Schöne an der Sonnenenergie ist ihre Friedlichkeit. Dünn, intermittierend und friedlich.

Friedlich, das soll so bleiben. Dünn ist etwas Relatives: Die Sonnenenergie, die auf die Erde trifft, könnte theoretisch 15.000mal den menschlichen Bedarf an Primärenergie decken. Im übrigen ist alle vom Menschen genutzte Energie umgewandelte Sonnenenergie: der Wind und das Wasser, Erdöl, Kohle, Brennholz. Nur verfeuert die Menschheit derzeit pro Jahr soviel Kohle und Erdöl, wie sich in jeweils 100.000 Jahren Erdgeschichte als konzentrierte Sonnenenergie angesammelt hat. Die fossilen Geschenke aus urweltlicher Zeit werden deshalb bald für immer aufgezehrt sein, das Erdöl schon in rund 30 Jahren.

Hohe Zeit also, sich mit der Solarkonstante zu arrangieren, die dünne Sonnenenergie geschickt zu verdichten und die Kraft der Sonne am Tag für die Nacht einzufangen. Jetzt auch in Bayern.

Die Gemarkung heißt Penting, sie gehört zur oberpfälzischen Gemeinde Neunburg vorm Wald. Die Weiler ringsum nennt man Wutzelskühn, Poggersdorf, Egelsried, Pingarten und Pissau. Penting liegt 14 Kilometer östlich von Wackersdorf, und das ist kein Zufall.

Denn die »Solar-Wasserstoff-Bayern GmbH« (SWB) hat den Industriellen Ludwig Bölkow, 75, zum Vater, und zur Mutter das vermögende Bayernwerk, letzter Jahresumsatz 5,6 Milliarden Mark. Das viele Geld wird mit Strom gemacht, mit Atomstrom vor allem. Beim Bau der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf ist das Bayernwerk deshalb stark engagiert. Der Energiekonzern hat aber, vor über fünf Jahrzehnten, auch schon mal Weitsicht bewiesen und ein großes Wasserkraftwerk am Walchensee gebaut. Nun will man ein zweites Mal ganz vorn mit dabeisein.

»Wir wollen unter hiesigen bayrischen Klimabedingungen«, erläutert Jochen Holzer, zweiter Mann im Vorstand des Bayernwerks, »die Möglichkeiten der photovoltaischen Stromerzeugung in Verbindung mit der Gewinnung und Anwendung von speicher- und transportfähigem Wasserstoff im industriellen Maßstab untersuchen und Erfahrungen sammeln.«

Vater Bölkow, immer gut für Klartext und einen Superlativ, sagt, daß die Mutter in den letzten Jahren »fast schon unanständig hohe Erträge« erwirtschaftet habe. Die 40 oder 50 Millionen, die die SWB kosten wird, sind, so gesehen, eher Kleingeld aus der Portokasse. Zumal auch noch vermögende Paten bereitstehen, Siemens, Linde, vielleicht auch BMW. Außerdem will man, für die gute Sache, den Finanzministern in Bayern wie in Bonn und den Brüsseler Eurokraten in die Tasche fassen. In Penting gehe es, sagt Bölkow, schließlich um nichts Geringeres als »die Jahrhundert-Innovation, das Jahrhundertprojekt«, um die wirkliche »Erfüllung des Generationenvertrages«.

Bölkow, inzwischen ein weißhaariger Herr, hat in seinem langen Leben viel zustande gebracht - Flugzeuge gebaut, Panzerabwehrwaffen konstruiert, einen

Konzern ("Messerschmitt-Bölkow-Blohm«, MBB) errichtet und geführt. Mit Franz Josef Strauß ist er gut Freund. Aber er sagt auch: »Atomkraft, das geht nicht. Im nächsten Jahrhundert kommt der Strom aus Solarzellen.« Punktum.

Auf seine alten Tage hat Ludwig Bölkow deshalb dafür gesorgt, daß in der sonnigen Oberpfalz nun die Zukunft beginnt. »Es ist das erste Projekt dieser Art auf Erden«, staunt der Bürgermeister von Neunburg vorm Wald, ein »denkwürdiges Ereignis«.

Da hat er recht, wenn auch sein Superlativ, genaugenommen, eine Stuttgarter Initiative außer acht läßt: Unter DFVLR-Regie wird dort bereits im Herbst 1987 eine 10-Kilowatt-Anlage betriebsbereit sein; das Forschungs- und Laborgebäude wurde Mitte letzten Monats schon in Betrieb genommen- Projektname »Hysolar«.

Bölkows bayrische Pläne sehen vor, daß auf fünf Hektar, die sich im Stiftungseigentum der Gemeinde Neunburg befinden und weitgehend von Wald umgeben sind, Ende dieses Jahres die ersten Solarzellen installiert werden. Alles in allem 2000 Quadratmeter Sonnenzellen auf einem Südhang.

Sie werden 500 Kilowatt (kW) Strom produzieren, auf elegante Weise: Solarzellen wandeln das Sonnenlicht direkt in elektrischen Strom um. So erübrigen sich Wind und Wärme, die Zwischenprodukte von Manzanares und Almeria. In Penting wird die Sonne ohne Umwege verstromt, »photovoltaisch« eben, aus dem Licht (griechisch: Phos) wird der Gleichstrom, Graf Voltas Energie.

Für die Solarzellen nimmt man gewöhnlich Silizium. An ihm herrscht kein Mangel. Silizium ist ein Halbmetall und dazu ein elektrischer Halbleiter, das zweithäufigste Element der Erdkruste. Sand ist Silizium. Werden Siliziumkristalle in gereinigter Form der Sonne zugekehrt, beginnt in ihnen ein Strom zu fließen. Diesen Effekt hat 1839, als 19-Jähriger, der französische Physiker Alexandre Edmond Becquerel entdeckt.

Bisher hat die Menschheit von Edmond Becquerels Photo-Effekt nicht wesentlich profitiert. Das hat verschiedene Gründe. Erstens war die Herstellung der ultradünnen Siliziumschichten bisher ziemlich teuer. Zweitens ist der Wirkungsgrad lange Zeit nur bescheiden ausgefallen, etwa ein Prozent der Sonnenenergie konnte in Strom umgewandelt werden (inzwischen hat man experimentell schon 22 Prozent erreicht). Drittens leidet die erdgebundene Solarzelle an der intermittierenden Sonne. Deshalb hat sie vor allem im Weltraum Karriere gemacht, als stromerzeugendes »Sonnensegel« für Satelliten. Im Weltraum geht die Sonne niemals unter.

Der naheliegende Gedanke, den tagsüber erzeugten Strom in Batterien zu sammeln, damit nachts die Lichter nicht ausgehen, ist leider nicht zu realisieren. Batterien sind teuer, schwer und ruckzuck entladen. Ihre Lebensdauer ist gering. Notgedrungen läßt man sich eine Batterie im Auto gefallen, weil sonst beim Anlassen das Benzin nicht portionsweise zur Explosion gebracht werden könnte.

In einer dicken Autobatterie ist maximal eine einzige Kilowattstunde gespeichert; im Zehn-Liter-Reservekanister Benzin sind es gut einhundert. Im Durchschnitt verbraucht jeder Bundesdeutsche schon 50.000 Kilowattstunden Primärenergie pro Jahr. Mit Batterien ist also nichts Nennenswertes zu bewirken. Selbst das Militär, an Batterien so interessiert wie an Pulver und Epauletten, hat alle Hoffnung fahrenlassen.

Wie könnte man also die Sonnenenergie vernünftigerweise sammeln, speichern, weiterleiten? Sie verdichten, überall verfügbar halten, an Regentagen, bei Nacht, unter der Erde? Für die Heizung und das Licht, für Wärme, Kraft und Autos? Nur durch eine Umwandlung in eine speicherbare und gut transportable Energieform: in ein Gas, in Wasserstoff, den idealen »sekundären solarerzeugten Energieträger«.

»Das Undenkbare denken!« fordert Ludwig Bölkow. Für ihn ist die »solare Wasserstofftechnik« mittlerweile das einzig Denkbare, die endgültige Lösung des leidigen Energieproblems.

Die Sonne ist gratis, die Umwandlung in Wasserstoff mittels der Elektrolyse längst entwickelt und ohne Probleme anwendbar. Vater Bölkow: »Die Technik ist sauber, der Rohstoff ist im Überfluß vorhanden, beim Betrieb entstehen keine Schadstoffe, und die wissenschaftlichen Grundlagen sind erforscht.«

Jochen Holzer für die Mutter Bayernwerk: »Wir laden alle Know-how-Träger auf diesem Gebiet zur Beteiligung ein.« In Penting sehen wir uns wieder.

Dort hat jeder Erfinder eine Chance. Vor allem die Herren, deren höchstes Streben dem »Nutzeffekt« oder »Wirkungsgrad«, genauer: seiner Verbesserung gilt. Wenn Energie umgewandelt wird, geht Energie unterwegs verloren. Das Verhältnis von nutzbar abgegebener zu aufgewandter Energie, der Wirkungsgrad, ist den meisten Ingenieuren ein peinliches Thema. Die Erörterung des Problems vor Laien gilt deshalb als standeswidrig, ist auch wirklich ein trauriges Kapitel, das allerdings nicht den Ingenieuren, sondern den Naturgesetzen anzulasten ist.

Nehmen wir mal ein Beispiel. Wasser soll durch eine Rohrleitung gepumpt werden. Der Strom kommt aus dem Kernkraftwerk. Das hat einen Wirkungsgrad von bestenfalls 0,33; das heißt: Zwei Drittel der Energie des Urans werden nicht zu Elektrizität umgeformt, sondern gehen als »Abwärme« der Nutzung verloren - daher die aufgeheizten Flüsse und die Dampfschwaden aus den gigantischen Kühltürmen.

Die Weiterleitung des Stroms durch das Netz ist, wohlwollend gerechnet, mit dem Wirkungsgrad 0,9 behaftet. Der kleine Elektromotor, der die Pumpe treibt, bringt ebenfalls 0,9 zustande und die Pumpe selber 0,7. Bleibt noch das Rohr, ein glattwandiges Stück Metall. Aber das Wasser reibt sich trotzdem daran, macht, abhängig von der Rohrlänge, beispielsweise 0,9.

Jetzt kommt der Moment der Wahrheit. Alle Wirkungsgrade multiplizieren sich: 0,33 x 0,9 x 0,9 x 0,7 x 0,9 = 0,168. Deprimierendes Ergebnis: 16,8 Prozent der eingesetzten Primärenergie leisten am Ende die nützliche Arbeit. Alles andere ist verloren.

So ist das mit der Energie. Aber was machen wir? Am liebsten aus Wärme erst mal Strom und daraus dann wieder Wärme. Wie ein Mann, der sein Trinkwasser aus Wein destilliert.

Jetzt wird die »Solar-Wasserstoff-Bayern GmbH« kein Geschäft sein, weiß Holzer. Aber damit es dereinst mal eines werden kann, wird jetzt schon auf die Optimierung der Wirkungsgrade geachtet. Die Sonnenzellen werden »modular« und »flexibel« aufgestellt. So lassen sich unterschiedliche Solarzellentechnologien erproben und vergleichen.

Die herkömmlichen Sonnenzellen bringen es derzeit auf einen Wirkungsgrad von rund 0,06, also sechs Prozent, nicht eben viel. Am Berliner Hahn-Meitner-Institut konnte die Energieausbeute durch die Zufügung von Selen zum Silizium verdoppelt werden, auf zwölf Prozent. Auch in Freiburg, dort residiert das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, geht''s gut voran, ebenso bei Siemens, der AEG und an der Uni Stuttgart. Die »Phototherm Inc.« im amerikanischen Bundesstaat New Hampshire ist noch viel weiter. Dort produziert man bereits Solarzellen aus dem polymeren Kunststoff Lumeloid, Wirkungsgrad 70 bis 80 Prozent; leider hält er vorerst nur ein Jahr. Die sogenannte Wirtschaftlichkeitsschwelle für Solarzellen liegt bei 25 Prozent.

Aus einfallendem Sonnenlicht elektrischen Strom machen - ganz ohne Druck, hohe Temperaturen, Abgase, Radioaktivität, drehende Teile, die immerzu mit Öl geschmiert werden müssen und trotzdem verschleißen -, diese intelligente Lösung des Energieproblems fasziniert immer mehr Naturwissenschaftler. Auch deshalb, weil die Sache dank der Elektrolyse und des daraus resultierenden Wasserstoffs so richtig schön rund wird. Am Ende haben wir wirklich einen »Sonnenenergieverstärker«, der die ohnehin vorhandene Strahlung konzentriert, sie speicherbar und transportabel macht. Eine ewig laufende Maschine, Energie in Hülle und Fülle.

Über die Elektrolyse und den Wasserstoff läßt sich nämlich auch nur Gutes sagen. Trotzdem leiden beide Begriffe unter einem Negativ-Image. Seit es die Schulpflicht gibt, vergällen die Pauker den neugierigen Kindern die abenteuerliche Elektrolyse und deren schöne Feuerwerke durch frustiges Theoretisieren. Das Wort Wasserstoff hingegen wird erst bei den Älteren negativ besetzt, durch die drei Assoziationen »Bombe«, »Explosion« und »Zeppelin«.

Am 6. Mai 1937 ging in Lakehurst/ USA das deutsche Luftschiff »Hindenburg« beim Landeanflug in Flammen auf. 190.000 Kubikmeter Wasserstoff brannten lichterloh, 36 Menschen starben. Für Millionen ist das noch immer ein Menetekel. Der explosive Wasserstoff des dicken Zeppelin war durch Elektrolyse gewonnen worden, womöglich mittels der gleichen Geräte, die heute noch Wasserstoff produzieren. Elektrolyseanlagen brauchen kaum Wartung, sie erreichen ein biblisches Alter.

Im Ruhrgebiet, bei der Firma Lurgi, sprudelt ein Elektrolyse-Methusalem, der schon etliche Jahrzehnte Dienst tut. Von der einen Seite beschickt man ihn mit Gleichstrom, von der anderen mit Wasser (H2O). Der Apparat zerlegt die Flüssigkeit, ohne je einer Pause zu bedürfen, in die gasförmigen Elemente Sauerstoff (O) und Wasserstoff (H). Beide kann der Mensch gut gebrauchen. Das eine zum Atmen (und in der Chemie), das andere zum Verheizen (und in der Chemie). Die Chemie kann eben alles verwenden. Wirkungsgrad der Elektrolyse. 70 Prozent, demnächst mehr.

Der weltweite Wasserstoffverbrauch beträgt derzeit 31,5 Millionen Tonnen jährlich. Das hört sich gewaltig an. Knapp die Hälfte geht zwecks Düngemittelproduktion in die Ammoniaksynthese. Aus dem Rest synthetisiert man auch Methanol, früher »Holzgeist« genannt, einen niederen Alkohol für die Kunststoffherstellung. Und mit Wasserstoff härtet man die flüssigen amerikanischen Sojabohnenöle und verkauft sie danach als deutsche Diätmargarine. Schade um das schöne Gas.

Denn Wasserstoff hat, wegen seiner liebenswerten Eigenschaften, eigentlich Besseres verdient und die große Zukunft erst noch vor sich. Wenn es gutgeht, gibt das flüchtige Element einem ganzen Zeitalter seinen Namen. Das 21. Jahrhundert wird das »Zeitalter des solaren Wasserstoffs«, sagt Bölkow - wenn nicht, dann gute Nacht, Mutter Erde.

Denn nur der Wasserstoff ist wahrhaft umweltfreundlich. Bei seiner Verbrennung entstehen weder Kohlendioxid noch Schwefeldioxid, nur Wasserdampf. Die Atmosphäre wird nicht vergiftet, die Klimakatastrophe im letzten Moment abgewendet. »Elektrolytischer Wasserstoff entsteht aus Wasser und verbrennt wieder zu Wasser. Wasser aus dem natürlichen Wasserhaushalt der Erde, aus ihm entnommen, an ihn zurückgegeben«, begeistert sich Professor Carl-Jochen Winter, Leiter des Forschungsbereichs Energetik der DFVLR.

Winter, 53, und sein Mitarbeiter Dr.-Ing. Joachim Nitsch, 47, sind die klügsten Anwälte, die Sonne und Wasserstoff im Lande haben. Ihr Plädoyer ist im vergangenen Jahr erschienen, füllt 372 Seiten und gilt jetzt schon als Standardwerk, als die Bibel des neuen Zeitalters.

Winter und Nitsch unisono über ihr geliebtes Kind: »Die ökologischen Vorteile des künftigen Energieträgers Wasserstoff sind zeitlos, augenfällig und unbezweifelbar.« Man muß den Leuten nur die Augen öffnen.

Wasserstoff ist das häufigste Element im Weltall. Die Sterne strahlen, weil sie Wasserstoff durch Kernfusion zu Helium umwandeln. Ein Kilogramm Wasserstoff setzt bei seiner Verbrennung 33 Kilowattstunden elektrische Energie frei, dreimal soviel wie Benzin. Aus Wasserstoff lassen sich mühelos Kraft, Wärme und Strom herstellen. Kurzum: Das leichteste aller Elemente, seit Milliarden Jahren Urstoff aller Natur, ermöglicht ein perfektes Recycling in der menschlichen Energiewirtschaft.

Man kann Wasserstoff ohne große Mühe komprimieren, speichern, über weite Strecken durch Gasleitungen transportieren, ihn zentral und dezentral einsetzen ähnlich wie derzeit Erdgas. In der Küche, zur Heizung sogar zur lokalen Gewinnung elektrischen Stroms in sogenannten Brennstoffzellen und in herkömmlichen Blockheizwerken.

Wasserstoff ist ungiftig, mit anderen Gasen gut verträglich und läßt sich auf vielfache Weise chemisch verkoppeln. Das Gas ist, wie die »FAZ« erkannt hat (vorsichtshalber nur auf ihrer Wissenschaftsseite), eine »frei konvertierbare Energiewährung«, die »Lösung der Zukunft«. Der heiße Tip für Insider. Wasserstoff hinterläßt keine Asche und keinen Gips, geschweige Radioaktivität.

Meist sind es die alten Männer, die weit in die Zukunft schauen. Das ferne, nicht mehr erreichbare Leben fasziniert sie. Mancher will wohl auch wiedergutmachen, was er in jungen Jahren den Mitmenschen und der Erde angetan hat. Waffenschmied Bölkow könnte in Frieden von den Zinsen seines Vermögens leben. Statt dessen trommelt er die neue Zeit herbei.

Carl Friedrich von Weizsäcker, 75, der Bruder des Bundespräsidenten, Atomphysiker und Philosoph, wünscht sich »die Sonne als Hauptenergiequelle des nächsten Jahrhunderts«. Robert Jungk, 74 - ist er nicht halbwegs auch ein Philosoph? -, setzt noch eins drauf und urteilt: »Das Herbeiführen des Sonnenzeitalters ist die Schicksalsfrage für die Zukunft des Menschen.«

Wenn das der Kanzler wüßte!

Immerhin hat er, vor den Wahlen, im Foyer seines Amtes eine kleine Ausstellung geduldet, die seinen Besuchern und Beamten den neuen Gedanken nahebrachte. Winters Gesellschaft installierte eine Elektrolysezelle, die unter Kohls müden Augen Wasserstoffgas blubbern ließ. Der Oggersheimer hat hingeschaut, mehr nicht. Inzwischen ist alles wieder abgeräumt, der Wahlkampf ist vorbei. Tschernobyls Schatten werden kürzer.

Der Blick der Regierenden ruht wieder auf den nächstliegenden Problemen, dem Butterberg, den Landtagswahlen, dem Vermummungsverbot. Strom kommt bei uns aus der Steckdose, und die deutschen Kernkraftwerke sind, na ja, sie sind nicht absolut sicher, aber die sichersten der Welt. Das ist doch auch schon etwas. Außerdem wollen wir ja keine neuen mehr bauen, sicherheitshalber.

Derzeit decken die AKWs rund zehn Prozent unseres primären Energieverbrauchs, mehr nicht. Die ursprünglich angestrebte Atom-Autarkie ist gar nicht machbar: »Wenn wir unsere gesamte Energie aus Kernkraftwerken beziehen würden«, hat Bölkow ausgerechnet, »bräuchten wir 350 Kernkraftwerke, etwa 50 wären ständig in Bau, um die Altanlagen zu ersetzen.« Die neuen AKWs ständen dann womöglich vis-a-vis vom Bundeshaus, in Oggersheim, am Starnberger See oder an Helmut Schmidts Brahmsee. Das will niemand.

Die deutsche Atomlobby hat sich eingegraben. Sie will nur noch den Status quo verteidigen; wenn es geht, 30 Jahre lang. Wohl ist den Herren dabei nicht. Harrisburg und Tschernobyl haben dem Selbstbewußtsein zwei schwere Schläge verpaßt. Nun duckt man sich in Erwartung des nächsten. Ein neuer Gau ist uns gewiß, nur die Stunde weiß niemand. Weltweit glüht das atomare Feuer in 394 AKWs. Ganze vier Prozent tragen diese Höllenöfen zum Energieverbrauch der Menschen bei - vier Prozent, und dafür soviel Zoff.

Wenn die deutschen Atom-Manager tagen, ziehen die Sicherheitskräfte enge Kreise. Draußen vor der Tür stehen die vergitterten grün-weißen Einsatzfahrzeuge der Polizei. Drinnen wird mit Metalldetektoren nach Schußwaffen gefahndet. Die leitenden Herren haben Leibwächter. Aber so ein Bodyguard gilt nicht mal mehr als willkommenes Statussymbol, nur noch als lästig.

Das beruht auf Gegenseitigkeit. »Meiner besäuft sich jeden Abend«, klagte bei der letztjährigen Bonner Tagung »Tschernobyl und die Zukunft der Energieversorgung in der Bundesrepublik« ein Personenschützer seinem Kollegen. »Der hat halt Angst«, diagnostizierte der Gesprächspartner das Leiden des prominenten Schützlings.

Angst und Frust - die Angst unterwegs, den Frust im Betrieb und, schlimmer noch, zu Hause. Am Wochenende heizen die Töchter und die Enkel den Atom-Managern ein. Spätestens seit Tschernobyl ist der familiäre Friede perdu, bei manchen Kernphysikern schon seit Wyhl oder Brokdorf. Dabei hat für die meisten, die jetzt in der Kernkraft-Lobby das Sagen haben, vor 30 Jahren alles so schön angefangen. Die Bonner Leitstelle hieß ganz offiziell »Atomministerium«. Niemand schämte sich; Franz Josef Strauß war der erste Atomminister der Republik.

Manche haben ihr ganzes berufliches Leben der Kernkraft-Industrie hingegeben. Reinen Herzens zu Anfang, mittlerweile nur noch des Geldes wegen. Die ursprüngliche Heilserwartung ist allen abhanden gekommen. Die jeden Ingenieur faszinierende Möglichkeit, zentral, an einem Ort über geballte Energie im Gigawatt-Bereich zu kommandieren, ist zur Unkenntlichkeit verblaßt.

Jetzt sehen auch die Atomwissenschaftler das Super-Gau-Risiko, die radioaktiven Abraumhalden und die Gefahren der Plutoniumwirtschaft. Sie sehen den Stacheldraht um ihre KKWs, die Tränen der Mütter aus Furcht um die Kinder und spüren die Skepsis, Ablehnung und Verachtung der nachwachsenden Akademiker. Nun wäre es Zeit, den Irrtum einzugestehen. Aber das ist viel verlangt, zu viel.

»Eine Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß sich ihre Gegner als bekehrt bekennen«, hat der Physiker Max Planck gelehrt. »sondern indem sie langsam wegsterben.« Auch muß berücksichtigt werden, daß viele deutsche Männer fähig sind, eine Ansicht mit Nachdruck vorzutragen, an die sie längst nicht mehr glauben. Einfach deshalb, weil sie sich vorzeiten darauf festgelegt haben.

Rund 20000 Akademiker leben von und mit den Atomkraftwerken. Sie experimentieren in den »Großforschungs«-Einrichtungen Karlsruhe, Jülich oder Neuherberg, sind in der Ministerialbürokratie befördert worden oder arbeiten in der KKW-Industrie. Das »Zeitalter des solaren Wasserstoffs« ist ihnen keine Verheißung, ganz im Gegenteil. Es wäre der Ruin so mancher Karriere. Oder kann man die Kurve noch kriegen?

Nach Tschernobyl hat das Berliner »Hahn-Meitner-Institut für Kernforschung« die Worte »... für Kernforschung« ersatzlos gestrichen. Die »Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung« in München-Neuherberg forciert jetzt die Herstellung eines Impfstoffes gegen Aids. Das Bonner Atomministerium, an dessen ursprünglicher Intention sich bisher wenig geändert hat, heißt schon lange »Forschungsministerium«.

Nur damit keine Illusionen aufkommen: Für die Entwicklung der Atomenergie haben die Bonner bisher annähernd 27 Milliarden Mark ausgegeben, für alle alternativen Energieformen zusammen nicht mal eine einzige Milliarde in zwei Jahrzehnten.

Aber nun steht Deutschland am energiepolitischen Scheideweg, wieder mal. Der Weltkonzern Siemens (Umsatz 1986: 47 Milliarden Mark) löst seine »Kraftwerkunion« (KWU), den Baumeister so vieler Atommeiler, als eigenständige Firma demnächst auf. Dafür gibt es jetzt die »Siemens Solar GmbH«, Exxon (vulgo: Esso) zieht sich aus dem Urangeschäft zurück. Im Atom-Business rollen Mark und Dollar nur noch ganz langsam. Die Industrie schaut sich um.

»Alle haben das Ohr auf der Schiene«, beschreibt ein ranghoher Insider die Situation. »Die Industrie will wissen: Was macht Bonn? Und Bonn will wissen: Was macht die Industrie?«

Noch haben sich die Vorstände der großen deutschen Konzerne nicht eindeutig festgelegt. Der Zug ist noch nicht abgefahren. Aber jeder hat einen Fuß auf dem Trittbrett.

Daimler-Benz läßt erfolgreich zehn Autos mit Wasserstoffmotoren durch die Gegend sausen, seit Jahren schon und »mit positiven Ergebnissen«. Aus dem Auspuff kommen nur Wasserdampf und nicht mehr NOx als aus einem Katalysatorauto. Das Treibgas wird bei Daimler an Metallhydride gebunden, die den Wasserstoff wie Schwämme in sich aufsaugen. Eine Novität aus dem Hause Daimler, das die »Erforschung der Anwendungsmöglichkeiten von Solarzellen im Automobil und bei der Entwicklung eines Wasserstoff-Energie-Konzeptes« auf die hundertjährige Fahne geschrieben hat.

Seit auch noch AEG, Dornier und MTU dem Stuttgarter Stern folgen, sind der »gemeinsamen Forschung nach alternativen Energietechniken« zusätzlich neue Impulse gegeben worden. Denn selbst in ihren lahmsten Zeiten hat die AEG ihre »solarelektrische Technik« nicht einschlafen lassen. Sonnenzellen der AEG versorgten Reinhold Messners Funksprechgeräte. Noch höher hinaus flogen die AEG-Sonnenpaddel der Weltraumsatelliten. Die Nordseeinsel Pellworm läßt ihr Kurzentrum von Solarzellen versorgen. Bei Lasel in der Eifel steht ein Fernseh-»Füllsender«, dem AEG-Solarzellen die Energie liefern.

Daimlers Konkurrent BMW läßt sich auf der Straße ins nächste Jahrhundert nicht abhängen. In der Stuttgarter Garage von Professor Winters »Deutscher Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt« steht ein BMW 745i, im Bedarfsfall flott bewegt durch Wasserstoff. Den »superisolierten« 130-Liter-Tank hat die Hoechst-Tochter Messer Griesheim konstruiert.

Das Rumpeln des Energie-Zuges war in den letzten Wochen gleich mehrmals vernehmlich. In Hamburg tagte das »1. Internationale Energieforum« mit Festrednern wie Johannes Rau und Helmut Schmidt. »Solarer Wasserstoff«, ließ sich der Ex-Kanzler ein, müsse als eine der möglichen Optionen betrachtet werden, sei eine »wichtige Denkmöglichkeit« für die westdeuts che Energie-Zukunft.

Ein noch größerer, diesmal allein die Sonnenenergie betreffender Kongreß ("International Solar World Congress") mit rund 1000 Wissenschaftlern aus 80 Ländern ist für Mitte September, wieder in Hamburg, angesetzt. Unterdessen statteten Techniker des Freiburger Fraunhofer-Instituts einen - bisher stromlosen - Schwarzwaldhof am Schauinsland selbstversorgend mit einem Solarzellendach aus (SPIEGEL 31/1987), und in München sucht der alte Bölkow den Bau einer »Pilotfabrik« für Photozellen anzuleiern; Parteien und Kraftwerks-Unternehmen sollen die Kosten (geschätzt: 1,5 Milliarden) tragen helfen.

Im »Bundesverband Solarenergie« haben sich nicht - wie der Name vermuten läßt - die Grünen, sondern die Großen zusammengeschlossen: Siemens, Bosch, Dornier, AEG, Hoechst, MAN, Philips, RWE, Buderus und so fort. Ihr Vorsitzender, Dr. Bernd Stoy vom Stromkonzern Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk (RWE), führt Bonn gegenüber eine deutliche Sprache: Eine »zukunftweisende Technik« wie die »Wunsch-Energie Sonne« braucht eine »vernünftige, langfristig angelegte Konzeption. Es darf nicht dabei bleiben, daß man die Nutzung regenerativer Energieträger nur duldet. Man muß sie wirklich wollen«.

Soll heißen: Bonn möge gefälligst mit diesem Wechselbad aufhören, die »unerschöpfliche und kostenlose Sonnenenergie« mal euphorisch zu feiern, mal durch Nichtbeachtung links liegenzulassen.

Seit der Diplomchemiker und KKW-Freund Heinz Riesenhuber in Bonn das Forschungsministerium leitet, werden Stoy und die Seinen nur noch eiskalt gebadet: Die Forschungsförderung für alle erneuerbaren Energien - Stoy zählt die gewissenhaft auf: »Photovoltaik, Solarthermik, Umweltwärme. Windenergie, Biomasse und solarer Wasserstoff« - nahm von 157 Millionen Mark (1982) auf 85 Millionen Mark (1986) ab. Stoy: Bis 1988 waren »weitere Kürzungen um zirka 50 Prozent auf 42 Millionen Mark vorgesehen«.

Freiwillig wollte Riesenhuber in Zukunft die Windenergie, Wärmepumpen Solarthermik und Biomasse überhaupt nicht mehr fördern. Jetzt hat er, unter Druck, für alle regenerativen Energien zusammen in seinen Etatansatz 100 Millionen Mark reingeschrieben. Kernspaltung und Kernfusion sollen 1987 und 1988 jährlich mit 1400 Millionen Mark gefördert werden.

Riesenhuber nennt den Wasserstoff listig einen »Energieträger mit Zukunft«, nicht »... der Zukunft«. Seine Vorteile »scheinen« (nicht: sind) »auf den ersten Blick« (also für die Dummerchens, die nicht so genau hinsehen) »faszinierend«. Er, der Meister mit der Fliege, möchte uns, bei »aller positiven Grundhaltung«, vor »Frühstarts warnen«

und zu bedenken geben daß Wasserstoff unter bestimmten Umständen sogar »entbehrlich« sein könne ein überflüssiger »Umweg«. Im übrigen werde die deutsche Bundesregierung »die Probleme im richtigen Rahmen und in der richtigen Reihenfolge lösen«. Riesenhuber: »Und da steht die Frage einer billigen Solartechnik noch für mindestens 20 Jahre entscheidend und zeitbestimmend im Vordergrund.«

Mit dem Forschungsminister Riesenhuber wird sich nichts oder nur sehr wenig bewegen lassen. Vielleicht ist er noch ein bißchen zu jung für den Blick ins Weite. Vielleicht hat ihn die Atomlobby zu sehr eingemauert. Kann auch sein, daß er als Politiker einfach Mühe hat, ungewöhnlich lange Regelkreise ("longdistance feedback"), netzartige Kausalstrukturen, Multiplikatoreffekte und exponentielle Verläufe zu begreifen.

Schön griffig und gut verständlich lehrt Professor Winter: »Auch die Sonne braucht 30 Jahre.« So lange wird es dauern, bevor Solarenergie und Wasserstoff in wirklich nennenswertem Umfang zur Verfügung stehen. Die Kohle hat 100 Jahre gebraucht, um das Feuerholz zurückzudrängen. 30 Jahre dauerte der Vormarsch des Öls ("und so was wie Öl gibt es in der Geschichte der Menschheit nie wieder«, bemerkt dazu Winters Mitdenker Joachim Nitsch). Seit 20 Jahren drückt die Kernenergie in den deutschen Markt; Erfolg: 10 Prozent der Primärenergie, rund 30 Prozent des Strombedarfs werden von AKWs gedeckt.

Wegen dieser Fristen können wir uns, meint nicht nur Winter »die Option Wasserstoff nicht beliebig lange offenhalten«. Nun muß es bald losgehen, nicht nur in Penting. Grummelt der alte Bölkow: »Wir sind nicht sehr früh, sondern schon sehr spät dran.«

Erfreulicherweise ist die neue Technik altbekannt. Um solaren Wasserstoff herzustellen, zu speichern, zu transportieren und zu verbrauchen, muß nichts mehr erfunden werden; Optimierung reicht. Die Schwaben sind schon dabei.

In Baden-Württemberg gibt es rund 150 Solarforscher an Universitäten und Forschungsinstituten (die Tüftler, denen das Ländle so viel verdankt, mal außer acht gelassen). Wer sich bis Lampoldshausen durchfragt - in der Gegend hat früher Götz von Berlichingen mit eiserner Faust und frechem Maul regiert -, der kann schon von weitem das laute Gebrüll einer übermannsgroßen Rakete hören. Auf dem Testgelände der DFVLR bläst sie 900 Grad Celsius heißen Wasserdampf ab. Das Aggregat, nur mit Sauerstoff und Wasserstoff betrieben, denen Wasser zur Absenkung der Temperatur beigemischt wird, ist prächtig geeignet, einer nachgeschalteten Turbine in Sekundenschnelle Schwung zu geben. Hundert Megawatt thermische Leistung sind locker drin. Damit läßt sich eine Großstadt illuminieren.

Ein paar hundert Meter weiter optimiert der Diplom-Physiker Wolfgang Schiel eine »Paraboloid-Testanlage«. Das ist ein riesiger Spiegel, Durchmesser 17 Meter, den der Aufwind-Professor Schlaich konstruiert hat. Der Reflektor konzentriert die Sonnenstrahlen - daher auch »Solarmembrankonzentrator« genannt - auf einen Punkt in 14 Meter Entfernung. Dort hat Schiel im letzten Herbst 1400 Grad Celsius gemessen, Weltrekord. Am heißesten Punkt ist als Energiewandler ein schwedischer Stirlingmotor aufgehängt, unmittelbar gekoppelt an einen Stromgenerator. So ein Sonnenspiegel könnte 200 deutsche Haushalte mit aller notwendigen Energie versorgen. Drei Spiegel gibt es schon.

Vorerst stehen die beiden anderen im Ölstaat Saudi-Arabien. Bald bringt »Hysolar«, das 40-Millionen-Mark-Projekt, zu dem der Forschungsminister acht Millionen beisteuert, den Wüstensöhnen ein 100-Kilowatt-Photovoltaik-Kraftwerk (mit »nachgeschalteter Elektrolyse") ins Land und das gemeinsam erarbeitete Know-how. Anfang 1988 soll die Anlage in Betrieb gehen. »Die Industrie kann alles«, sagt Winter, »die Menschen müssen es nur wollen.« Die Saudis jedenfalls wollen am Ende der Ölzeit nicht die Dummen sein. Deshalb bildet die Universität von Riad jetzt Solarwissenschaftler aus.

Den Mann im Mond wird das freuen. Als hypothetische Figur - weit weg, unsterblich, intelligent - wird er in den Gesprächsrunden der Energie-Experten gern als Beobachter menschlichen Treibens zitiert: »Erst haben die Menschen das Holz geschlagen. Dann haben sie angefangen, Löcher zu buddeln, um an Kohle, Öl, Erdgas und Natururan heranzukommen. Vorräte aus Milliarden Jahren werden in kurzer Zeit unwiederbringlich vernichtet. Noch dazu in einem ,offenen'' Prozeß, der die Biosphäre immer stärker chemisch verändert, vergiftet und mit Radioaktivität auflädt.« Was muß der Mann im Mond von uns denken? »Die Menschen machen die Erde kaputt. Es wird nicht mehr lange dauern.«

Oder kann das Umsteuern gerade noch rechtzeitig gelingen? Die Einsicht von wenigen müßte sich rasch gegen die Ansichten der vielen, gegen ihre Unkenntnis, den Egoismus und gegen die Kapitalinteressen ... Halt! Nein. Nicht gegen die Kapitalinteressen. Gute Ideen haben das Geld noch immer über den Tisch gezogen. Und die solare Wasserstoffwirtschaft verspricht ein ganz großes Geschäft zu werden.

Auch die Sonne zahlt Dividende. Sie scheint gratis, mehr nicht. Den Wasserstoff, die sekundär gewonnene Energie, müssen aber Menschen herstellen, verteilen, transportieren, vertreiben und verkaufen. Business as usual. Früher enthielt das Stadtgas rund 60 Prozent Wasserstoff. Die alten Rohrnetze sind noch vorhanden. Ganz sachte könnte Wasserstoff auch in die neuen Erdgasleitungen infiltrieren. Sie überziehen Europa mit einem engen Netz.

Winters Stuttgarter »Forschungsbereich Energetik« hantiert mit Szenarien, die die Wasserstoffwirtschaft des nächsten Jahrhunderts vorwegnehmen. »Solarenergie ist inhärent sicher«, sagt der Leiter der Studiengruppe Energiesysteme, Joachim Nitsch, »das System ist komplett.« Und: »Eigentlich ist Sonnenenergie etwas sehr Schönes.«

Deshalb steht die »soziale Akzeptanz« nicht in Frage. Übrigens auch nicht die Sicherheit des Wasserstoffs. Es ist ein explosibles Gas, aber keines von der bösartigen Sorte. In Nordrhein-Westfalen, zwischen Leverkusen, Krefeld und Marl-Hüls, wird seit 1940 ein Verbundnetz für gasförmigen Wasserstoff betrieben, Streckenlänge 220 Kilometer, ganz ohne Komplikationen. Auch vor der »geplanten breiten Nutzung des Wasserstoffs durch Laien« (Winter) muß man sich nicht fürchten. Die Selbstbedienung an den Benzinzapfsäulen klappt ja auch ohne tägliche Feuerwerke.

Der »größte anzunehmende Wasserstoffunfall«, die Explosion eines Tankers, der Flüssiggas geladen hat, wäre wie die Explosion der Challenger-Treibstofftanks eine veritable Katastrophe - aber eben doch nur ein lokales Unglück. Kein zweites Tschernobyl, keine Verseuchung eines Kontinents, keine tödliche Hypothek für Generationen.

»Jetzt muß es mit dem Wasserstoff vorangehen, jetzt!« drängelt Ludwig Bölkow. Professor Winter sagt es etwas akademischer: »Wir wünschen uns die Aufnahme der solaren Wasserstofftechnologie in den langfristigen Zielkatalog der Politik.«

Beide haben sich auch schon sonnige Gegenden ausgeguckt. Denn selbst ganz viele Pentings könnten den deutschen Energiehunger nicht stillen. Wir müssen uns mit den neuen Ideen auf den langen Marsch nach Süden begeben. Bölkow liebäugelt mit der spanischen Sierra Morena: »Dort haben Sie eine Wüste, in der nichts wächst. Die Fläche ist so groß, daß ein Solarkraftwerk in der Sierra Morena ganz Westeuropa mit Strom versorgen konnte.

Die Stuttgarter DFVLR-Männer zögen am liebsten in eine Ecke der Sahara, in eine »Reg«-Landschaft südlich der algerischen Mittelmeerküste. Dort ist die Wüste über 300 Kilometer lang so flach wie ein Tisch, es gibt keine Wolken, keinen Regen und keine Vegetation nicht mal Sandstaub. Vom Himmel brennt die Sonne, Tag für Tag. Ideale Bedingungen für die »großflächige Solarenergienutzung«. Um Deutschland von dort aus mit Wasserstoff zu versorgen, bräuchte man ein Areal von 150 mal 200 Kilometer und ein paar Pipelines.

Tja, und die Freundschaft der Algerier. Harte D-Mark nicht zu vergessen, aber daran ist ja eigentlich kein Mangel.

Zwei Milliarden Mark kostete die Entwicklung des VW-Dieselmotors (nicht etwa die Erfindung des Aggregats). 20 Milliarden Mark geben die acht großen deutschen Stromkonzerne derzeit jährlich für die Nachrüstung ihrer Kraftwerke aus. In wenigen Jahren wird sich dieses Geld (es akkumuliert sich immer neu durch die vollautomatischen Abbuchungen der Stromrechnungen von jedermanns Konto) neue Ziele suchen müssen. Im Energiegeschäft werden die Herren ja bleiben wollen.

Mittlerweile erkennen einige von ihnen auch, daß die Sonne zwar allen scheint, den Gerechten und den Ungerechten, ihre energetische Verwertung sich jedoch nicht in der grün-alternativen Koppelung von Warmwasser-Kollektoren erschöpfen muß. »Dieses graue Image muß weg«, sagt Winter. »Wir wollen ja nicht mit Energie sparen, sondern sie sinnvoll nutzen. In einem unbegrenzten Kreislauf. Das kostet Milliarden und dauert Jahrzehnte.«

Und es trägt seinen Segen in sich. Weil die Sonne in den armen Ländern der Dritten Welt den ganzen lieben langen Tag am Himmel steht, wird man sich mit diesen Völkern partnerschaftlich und dauerhaft verständigen müssen. Es wird nicht damit getan sein, den Algeriern einfach nur ein Stück Wüste abzupachten. Das neue Energiezeitalter, sagt der ehemalige AEG-Manager Dr. Reinhard Dahlberg, 63, werde den Nord-Süd-Ausgleich überhaupt erst praktikabel machen. Mit KKWs ist den Entwicklungsländern jedenfalls nicht geholfen. Sie bräuchten Tausende - und Dutzende würden in immer neuen Super-Gaus verglühen.

Solarenergie und Wasserstoff, das hieße also Friede zwischen Nord und Süd. Es hieße vor allem: Friede zwischen den Menschen und der Mutter Erde, denn die Natur wird nicht weiter global zerstört und vergiftet. Es hieße auch Friede im deutschen Lande, weil Solarenergie weder Polizei noch Staatsschützer braucht. Friede auch zwischen den Generationen, uns und denen, die in hundert Jahren nach uns kommen. Von ihnen haben wir die Erde bekanntlich nur geliehen.

Dahlberg hat recht. Er sagt: »Die Solarenergie und der Wasserstoff werden das erfüllen, was die Kernenergie versprochen und nicht gehalten hat.«

Carl-Jochen Winter, Joachim Nitsch: »Wasserstoff als Energieträger - Technik, Systeme, Wirtschaft«. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York. Tokio; 372 Seiten; 138 Mark.

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