»Das war der große Irrtum«
Als der Parteispendenskandal nicht mehr zu vertuschen und die Staatsaffäre auch mit einer anrüchigen Selbstamnestie nicht mehr beizubiegen war, traten höchste Übeltäter die Flucht nach vorn an. Ihre Marschroute: gezielte Desinformation.
Unübertroffen im Verdunkeln war Kanzler Kohl. Er behauptete: »Spender und Spendensammler« hätten »mit Recht darauf verweisen« können, »daß sie gutgläubig sind«. Es sei »umstritten«, ob die Spendenpraxis »nicht legal« war.
Alle diese Spitzfindigkeiten erwiesen sich Mittwoch letzter Woche als leeres Geschwätz. Der Bundesgerichtshof (BGH) fällte in Sachen Parteispenden, unter den Zuhörern war der Bonner Flick-Richter Hans-Henning Buchholz, sein erstes Grundsatz-Urteil - eine Absage an Kohl.
Die Essenz der Entscheidung: Zwei Reemtsma-Manager, die über eine »Staatsbürgerliche Vereinigung« 1,3 Millionen Mark an die CDU gespendet hatten, sind zu Recht wegen Steuerhinterziehung bestraft worden.
Der Spruch aus Karlsruhe fegte den Nebel, mit dem Kohl und seine juristischen Helfershelfer das Problem zu verschleiern versucht hatten, mit einem Schlag beiseite: Es gab keine unklare Rechtslage und keine Basis für irgendeine Gutgläubigkeit.
Hans Wolfgang Schmidt, 67, Vorsitzender des zuständigen 3. Strafsenats, sagte zu Beginn der Verhandlung, er habe in 39 Berufsjahren keine Sache verhandelt, zu der »so viel geschrieben« worden sei - »Gutes«, aber auch »Lobbybestimmtes« und »Abwegiges«.
Das Abwegige überwog, wie Eingeweihte seit langem wußten. Vor allem drei Schutzbehauptungen wurden von interessierter Seite, im Gewand scheinheiliger Wissenschaftlichkeit und in einer organisierten Kampagne, immer wieder vorgetragen.
Erstens: Die Strafgerichte hätten ihre Prozesse aussetzen und die Entscheidungen der Finanzgerichte abwarten müssen; dahinter verbarg sich die Hoffnung, daß der Bundesfinanzhof (BFH), dessen christdemokratischer Präsident Franz Klein sich wiederholt zugunsten seiner Parteifreunde präjudiziert hatte, mit den Steuersündern gnädiger umgehen würde als nun der gestrenge Bundesgerichtshof.
Zweitens: Das Parteiengesetz und das jüngste Verfassungsgerichtsurteil erlaubten neuerdings höhere Parteispenden. Deshalb seien etwaige frühere Straftaten in einem milderen Licht zu betrachten.
Drittens: Die Parteispenden in Millionenhöhe seien gar keine verbotenen Sonderausgaben gewesen, sondern erlaubte und von der Steuer voll absetzbare Betriebsausgaben - ein Argument, das den Beteiligten erst im nachhinein eingefallen war.
Keines der Scheinargumente verfing. Der BGH notierte kühl, die Angeklagten hätten keinen »Anspruch« auf Aussetzung ihres Verfahrens gehabt.
Ebenso lapidar war die Abfuhr in puncto »milderes« Gesetz: Für dieses Prinzip sei »in diesem Fall kein Raum, weil die frühere Beschränkung fortgelte«.
In Sachen Betriebsausgaben nahm der BGH die Kollegen vom BFH beim Wort und kam, gestützt auf deren Rechtsprechung, zu dem Schluß: »Verdeckte Parteispenden, mit denen lediglich ein Beitrag zur Stärkung der parlamentarischen Demokratie« geleistet werden solle, seien gerade keine Betriebsausgaben.
Eine interessante Nuance: Der BGH ließ offen, »ob und in welchem Umfang sogenannte gezielte Parteispenden« betrieblich veranlaßt sein könnten. Mit anderen Worten: Je mehr sich die Spende einem anderen Straftatbestand, nämlich der Bestechung, nähert, desto eher könnte sie eine Betriebsausgabe sein.
Auch die stereotype Beteuerung, man sei arglos und gutgläubig gewesen, ist nun nichts mehr wert: Die beiden Reemtsma-Manager hätten »bewußt und gewollt« Steuern in Höhe von 413000 Mark (Horst Wiethüchter) und 246000 Mark (Ernst Zander) hinterzogen.
Für das kriminelle Verhalten hatte die Bundesanwaltschaft eine plausible Erklärung parat: »Man hat sich nicht geirrt, etwas Verbotenes zu tun. Man hat nur gedacht, daß nichts passieren würde, weil Politiker beteiligt sind. Das war der große Irrtum.«
Es war nicht die einzige Fehlspekulation, die zunichte wurde. Der Staatsanwalt erinnerte alle diejenigen, die sich in anderen Fällen auf ein angebliches augenzwinkerndes Einverständnis der Finanzämter berufen, an Paragraph 370 der Abgabenordnung.
Danach gilt eine Steuerhinterziehung, wenn »die Mithilfe eines Amtsträgers« ausgenutzt wird, als »besonders schwerer Fall«.
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Mit seinem Beisitzer aus dem Bonner Flick Prozeß, Christoph Bauer.