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SPIEGEL-GESPRÄCH »Das werde ich durchsetzen«

Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle über seine Haltung zu einer Ampelkoalition, Pläne für einen Koalitionsvertrag mit der Union und eigene Häutungen
Von Dirk Kurbjuweit und Petra Bornhöft
aus DER SPIEGEL 34/2009

SPIEGEL: Herr Westerwelle, die Union hält sich alles offen. Sie könnte eine Große Koalition eingehen oder auch mit den Grünen regieren. Sie dagegen haben der CDU/CSU eine Koalition versprochen. Ist das nicht leichtfertig?

Westerwelle: Die Unverbindlichkeit der Union ist für die Bürger ärgerlich, Frau Merkel und Herr Seehofer sollten ihre Hintertüren Richtung Große Koalition und Schwarz-Grün endlich schließen. Deutschland muss raus aus der Großen Koalition und darf nicht rein in eine Linksregierung. Deshalb streben wir eine bürgerliche Regierung der Mitte an. Das ist nicht leichtfertig, sondern verantwortlich.

SPIEGEL: Können Ihre Wähler sicher sein, dass Sie am Wahlabend eine Koalition mit SPD und Grünen ablehnen, auch wenn die Ampel rechnerisch möglich wäre?

Westerwelle: Ich halte eine Ampelkoalition für ausgeschlossen. Die Politik von SPD und Grünen zielt darauf ab, die Bürger immer stärker zu belasten. Das ist mit uns nicht zu machen.

SPIEGEL: Was machen Sie, wenn SPD und Grüne Ihnen nach der Wahl politisch entgegenkommen?

Westerwelle: Wenn einer Kuh Flügel wachsen, kann sie fliegen und ist ein Vogel.

SPIEGEL: Der SPD könnten doch nach der Wahl Flügel wachsen?

Westerwelle: Wir sollten uns hier nicht gegenseitig auf die Nerven gehen.

SPIEGEL: Doch. Warum sagen Sie nicht einfach: »Ich werde keinen Koalitionsvertrag mit SPD und Grünen unterschreiben«?

Westerwelle: Die FDP hat bereits am Wahlabend 2005 gezeigt, dass wir nicht um jeden Preis an die Macht kommen wollen, vor allem nicht um den Preis der Glaubwürdigkeit. Wenn ich in einer Ampel Vizekanzler hätte werden wollen, könnte ich es seit 2005 sein.

SPIEGEL: Geben Sie SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier noch eine Chance, Regierungschef zu werden?

Westerwelle: Die SPD wird in der Opposition landen. Die Partei ist verbraucht, zersplittert und in ihrem jetzigen Zustand nicht regierungsfähig. Sie muss sich in der Opposition erneuern, genauso wie sich die FDP 1998 nach fast 30 Jahren Regierungsverantwortung erneuern musste. Das liegt im Wesen der Demokratie.

SPIEGEL: Die FDP verspricht den Bürgern Steuerentlastungen in Höhe von rund 35 Milliarden Euro. Woher wollen Sie angesichts der enormen Schuldenlast des Staates das Geld nehmen?

Westerwelle: Ich werde keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem nicht ein neues, faires Steuersystem verankert ist. Zur Finanzierung haben wir unter anderem rund 400 Ausgabenkürzungen im Haushalt vorgeschlagen, den Unfug mit der Abwrackprämie oder die verplemperten Steuermilliarden für den irrwitzigen Gesundheitsfonds gar nicht mitgerechnet. Gelingt es, mit Hilfe eines fairen Steuersystems 10 bis 20 Prozent der Schwarzarbeit in die legale Wirtschaft zurückzuholen, wären die Staatsfinanzen gesund.

SPIEGEL: Ihre Sparvorschläge enthalten Luftbuchungen, etwa im Rüstungsbereich. Und das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung wollten Sie zusammenstreichen. Wie soll das gehen mit der Union?

Westerwelle: Natürlich kann man unsere Vorschläge kritisieren, aber die politische Konkurrenz macht erst gar keine. Mit Blick auf die Umwelt gilt: Die Energiewirtschaft bekommt den Ausstieg aus dem Ausstieg nicht zum Nulltarif. Die Konzerne werden einige Milliarden für die Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken bezahlen müssen. Das Geld werden wir in eine Stiftung für Energieforschung stecken und damit der Umwelt weit mehr nutzen, als es Schwarz-Rot-Grün gemacht hat.

SPIEGEL: Wann sollen die steuerlichen Entlastungen für die Bürger kommen?

Westerwelle: Wir werden die Legislaturperiode brauchen, um einen wirklichen Neuanfang im Steuersystem durchzusetzen, aber die Schritte im Koalitionsvertrag verbindlich aufschreiben, wenn wir den Wählerauftrag erhalten. Gleich zu Beginn werden wir darangehen, die kalte Progression zu beseitigen: Künftig sollen die Progressionsstufen bei den Steuertarifen alle zwei Jahre überprüft und der Geldentwicklung angepasst werden. Möglichst zum 1. Januar 2010 werden die Grundfreibeträge auf 8004 Euro pro Person angehoben. Andere Pauschbeträge eingerechnet bezahlt eine vierköpfige Familie erst Steuern mit einem Einkommen ab etwa 40 000 Euro. Und noch in diesem Jahr werden wir die Erbschaftsteuer vom gröbsten Unfug befreien, damit sie an die Länder übertragen werden kann.

SPIEGEL: Was werden Sie tun, damit es nicht wieder zu einer Finanzkrise kommt?

Westerwelle: Es ist skandalös, dass die Bundesregierung auch ein Jahr nach Ausbruch der Krise die Finanz- und Bankenaufsicht immer noch nicht vernünftig geregelt hat. Wir werden sofort die zersplitterte Bankenaufsicht neu sortieren und geschlossen bei der Bundesbank ansiedeln. Zudem wollen wir das bisherige System der Rating-Agenturen ablösen durch eine unabhängige Stiftung. Die soll nach dem Vorbild der Stiftung Warentest Unternehmen und Banken bewerten. Es darf nicht sein, dass noch einmal Millionen kleine Anleger um ihre Ersparnisse gebracht werden.

SPIEGEL: Hören wir da neue Töne heraus beim Vorsitzenden der FDP, die sich einst selbst als Partei der Besserverdienenden bezeichnete?

Westerwelle: Das ist nun wirklich von vorgestern. Wir machen uns stark für die Mittelschicht in der Gesellschaft, die in bedrohlichem Maße schrumpft. Wenn das so weitergeht, dann wird die Klammer der Gesellschaft zu schwach. Ein Land, das nur noch Arm und Reich kennt, ist ein Land, in dem ich nicht leben will.

SPIEGEL: Wer sich um die Spaltung der Gesellschaft sorgte, dem warfen Sie »Sozialromantik« vor. Vergessen?

Westerwelle: Die Spaltung der Gesellschaft war der FDP nie gleichgültig, wir wollen sie nur anders überwinden. Allerdings muss ich Ihnen zugestehen, dass ich die Dramatik der Entwicklung wohl unterschätzt habe und durch manche Begegnungen auch sensibler geworden bin.

SPIEGEL: Sie haben dazugelernt?

Westerwelle: Ich habe in den letzten Jahren Menschen getroffen, die hart arbeiten für ein kleines bis mittleres Einkommen, fleißig fürs Alter vorsorgen, aber durch einen Schicksalsschlag mit Mitte fünfzig gewissermaßen unverschuldet bei Hartz IV landen. Da geht dann fast alles, was sie aufgebaut und zurückgelegt haben, in den Gully.

SPIEGEL: Gilt jetzt die populistische Parole der sächsischen Liberalen »Herz statt Hartz« für die ganze FDP?

Westerwelle: Ihre Polemik ist überflüssig. In den Koalitionsverhandlungen werde ich persönlich durchsetzen, dass das Schonvermögen bei Hartz-IV-Empfängern auf 750 Euro pro Lebensjahr verdreifacht wird.

SPIEGEL: Offenbar hat sich nicht nur die Bundeskanzlerin sozialdemokratisiert, sondern auch Guido Westerwelle.

Westerwelle: Nein, die anderen Parteien halten es für gute Sozialpolitik, wenn sie mit staatlichen Zuwendungen die Betroffenen mehr oder weniger ruhigstellen. Wir hingegen wollen Brücken ins Arbeitsleben schaffen und gleichzeitig denen helfen, die durch Behinderung oder Krankheit weniger Chancen haben. Die wichtigste sozialpolitische Aufgabe besteht darin, Aufstieg durch Bildung zu ermöglichen.

SPIEGEL: Bislang hat die FDP eher die Elite fördern wollen.

Westerwelle: Das ist auch nötig, reicht aber nicht. Wir brauchen Ganztagsschulen, vorschulische Betreuung, Sprachvermittlung in Migrantenvierteln. Heute ist das Bildungssystem in Deutschland fast wieder so undurchlässig wie in den fünfziger Jahren: Wer in einfachen Verhältnissen geboren wird, für den kommt es einem Lottogewinn gleich, wenn er den Bildungsaufstieg trotzdem schafft. Das zu ändern ist ein Grund, weshalb wir regieren möchten.

SPIEGEL: Können Sie mittlerweile Ihre Kritiker besser verstehen, die Sie als kalten Neoliberalen und unernsten Zeitgeist-Jünger angegriffen haben?

Westerwelle: Ich habe denen nichts geschenkt, die haben mir nichts geschenkt.

SPIEGEL: Anders gefragt: Mögen Sie den Guido Westerwelle von damals noch?

Westerwelle: Manche Kritik war berechtigt, andere unfair. Dass Menschen sich weiterentwickeln, gehört zum Leben.

SPIEGEL: Welche Kritik war berechtigt?

Westerwelle: Im Dezember 1994 wurde ich montags zum Generalsekretär gewählt, am Dienstagmorgen saß ich in der Koalitionsrunde den Mächtigen einschließlich Helmut Kohl gegenüber. Dass man da manche Unsicherheit mit frechen Sprüchen kompensiert, ist naheliegend. Mit 32 Jahren neigt man eher zu einem »Hoppla, jetzt komme ich« als jetzt mit 47.

SPIEGEL: Aber so verändert haben Sie sich auch nicht, dass Sie den Kündigungsschutz unangetastet lassen wollen.

Westerwelle: Der Schutz vor willkürlichen Kündigungen steht nicht zur Debatte. Nur das spezielle Kündigungsschutzgesetz wollen wir so ändern, dass es erst greift für Arbeitnehmer, die länger als zwei Jahre in Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten arbeiten. Kleine Betriebe müssen je nach Auftragslage flexibel bleiben, das sichert Arbeitsplätze.

SPIEGEL: In der Innenpolitik haben Sie der Koalition oft vorgeworfen, als »grundrechtsblinder Gesetzgeber« die Bürgerrechte eingeschränkt zu haben. Was wollen Sie zurückholen?

Westerwelle: Mit dem Terrorangriff in New York am 11. September 2001 begann der dramatische Abbau der Bürgerrechte. Was Otto Schily unter Rot-Grün anfing, hat Wolfgang Schäuble mit Schwarz-Rot nahtlos fortgesetzt. Zunächst werden wir das immer wiederkehrende Anliegen der Union verhindern, die Bundeswehr zu einer Art Hilfspolizei im Landesinnern zu machen. Ich kann hier definitiv zusagen: Es wird eine

solche Verfassungsänderung mit den Stimmen der FDP nicht geben.

SPIEGEL: Werden Sie die Vorratsdatenspeicherung akzeptieren?

Westerwelle: Nein, die Vorratsdatenspeicherung muss auf den Verhandlungstisch. Und wir werden auf keinen Fall akzeptieren, dass das Bundeskriminalamt unter dem Vorwand der Kriminalitätsbekämpfung im Internet ohne rechtsstaatliche Grundlage Sperrlisten anlegt. Das ist eine Zensur des Internets durch die Hintertür.

SPIEGEL: Sie beunruhigt nicht, was im Internet so möglich ist?

Westerwelle: Doch, das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Aber ich bin gegen Maßnahmen, mit denen man keine Straftaten bekämpft, sondern nur eine Zensur einführt.

SPIEGEL: Sie streben das Amt des Außenministers an. Was ist die zentrale Botschaft liberaler Außenpolitik?

Westerwelle: Es geht nicht um Posten. Die FDP will anknüpfen an die besten Zeiten, als Abrüstung ganz oben stand. Frieden durch Abrüstung wird das Markenzeichen der nächsten Bundesregierung sein, an der wir beteiligt sind.

SPIEGEL: Was bedeutet das?

Westerwelle: Ich werde in den Koalitionsverhandlungen durchsetzen, dass wir Deutsche mit den USA und unseren anderen Verbündeten Verhandlungen über den Abzug der letzten atomaren Sprengköpfe aufnehmen: In der kommenden Legislaturperiode wird Deutschland endlich atomwaffenfrei.

SPIEGEL: Das lesen wir gern nach in der Koalitionsvereinbarung.

Westerwelle: Ob wir eine Dekade der Auf- oder Abrüstung bekommen, entscheidet sich in den nächsten beiden Jahren.

SPIEGEL: Mit Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ist jemand aufgetaucht, der der Union ein wirtschaftspolitisches Profil verleiht und der FDP Stimmen abjagt. Ärgert Sie das?

Westerwelle: Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Herrn zu Guttenberg in der Bundesregierung, auf welchem Platz auch immer. Er bekommt mit der FDP einen Koalitionspartner, damit er nicht nur wollen darf, sondern auch können kann.

SPIEGEL: Die Union hat ein neues Gesicht hervorgezaubert, wofür die Bevölkerung offenbar sehr dankbar ist. Sieht Ihr Team mit Leuten vor allem aus der Kohl-Ära dagegen nicht ziemlich alt aus?

Westerwelle: Ihre Altersdiskriminierung ist bemerkenswert. Wir haben in der FDP eine hervorragende Mischung aus erfahrenen Persönlichkeiten und jungem Nachwuchs.

SPIEGEL: Falls Sie es zum dritten Mal nicht schaffen, Ihre Partei in die Regierung zu führen: Wer wird Ihr Nachfolger?

Westerwelle: Der heimliche Plan der FDP ist mein Vorsitz auf Lebenszeit.

SPIEGEL: Herr Westerwelle, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

* Mit den Redakteuren Dirk Kurbjuweit und Petra Bornhöft im Jakob-Kaiser-Haus in Berlin.

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