»Das Wichtigste ist Optimismus«
Noch im März, beim Trauer-Konvent für den Sowjet-Führer Konstantin Tschernenko in Moskau, sind die Pläne von Bundeskanzler Helmut Kohl, den Wirtschaftsgipfel betreffend, ehrgeizig gewesen. Wenn die Regierungschefs der sieben westlichen Industrienationen nach Bonn am Rhein kämen, so Kohl im vertraulichen Gespräch mit Japans Premier Yasuhiro Nakasone, dürfe nichts »im Deklamatorischen steckenbleiben«.
Vergangenes Wochenende, als die Bonner Gipfelshow ablief, war der Kanzler wieder dort, wo er meistens ist: im Unverbindlichen. »Das Wichtigste ist«, befand er nun, »daß von diesem Zusammentreffen in die Welt hinaus das Gefühl eines realistischen Optimismus geht.«
Optimismus, verklärt durch die Hautnähe zu US-Präsident Ronald Reagan, war wieder einmal die Wunderwaffe des Bonner Regierungschefs.
Nichts hätte ihn, der den Wählern in Nordrhein-Westfalen die Mächtigsten der Welt präsentierte, mehr gestört, als wenn in diesen Tagen bei Akteuren oder Zuschauern »törichter Pessimismus« (Kohl) oder gar sichtlicher Mißerfolg aufgekommen wäre. Ganz im Sinne des _(Bettino Craxi, Francois Mitterrand, ) _(Margaret Thatcher, Helmut Kohl, Ronald ) _(Reagan, Yasuhiro Nakasone, Brian ) _(Mulroney. )
Strahle-Kanzlers erläuterte dessen kongenialer Wirtschaftsminister Martin Bangemann der Gipfelrunde die »wirtschaftlichen Fortschritte«, die der Westen insgesamt, besonders aber Kohls Bundesregierung, zustande gebracht habe: weniger Schulden, leichtes Wachstum, stabiles Geld.
Er erwarte, so Bangemann, einen andauernden Aufschwung: »Es gibt keinen Anlaß, den Kurs zu ändern.«
So sicher, wie sich Kanzler und Minister im Glanze des Gipfels gaben, sind sie in Wahrheit nicht. Was für die Bonner Show noch einmal hinter die Kulissen gedrückt wurde, war bei den Vorbereitungen dazu längst offenbar geworden: In den Hauptstädten der Industrieländer wächst die Furcht, daß der vom amerikanischen Wirtschafts- und Rüstungsboom seit fast drei Jahren genährte Aufschwung jäh abbrechen könnte.
Daß auch die US-Wirtschaft viel empfindlicher ist, als es scheint, hatten Finanzminister Gerhard Stoltenberg und Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl vor wenigen Wochen erst auf einer Washingtoner Konferenz des Weltwährungsfonds erlebt. Am selben Tag, da US-Finanzminister James Baker ankündigte, sein Land werde 1985 ein Wachstum von vier Prozent vorlegen, meldeten Fernsehen und Zeitungen den tatsächlich erreichten Zuwachs für das erste Vierteljahr: verschwindende 1,3 Prozent.
Auch vergangenen Mittwoch, als Reagan sich im Schloß Gymnich von seinem Flug über den Atlantik erholte, gingen aus Washington neue Hiobsbotschaften ein. Die jüngsten Meßzahlen der US-Konjunktur erhärten, daß der Boom dort vorerst vorbei ist. Zwei Tage später, auf der ersten gemeinsamen Sitzung der Regierungschefs im abhörsicheren Nato-Saal des Kanzleramts, machte Reagan den versammelten Regierungschefs die Konsequenzen klar: »Ihr müßt nun selber sehen, daß Ihr Eure Wirtschaft in Schwung haltet.«
Das wird nicht so einfach sein. Bislang profitierten vor allem die nach den USA wichtigsten Industrieländer Japan und die Bundesrepublik vom wirtschaftlichen Kurs Reagans. Um die Wirtschaft anzukurbeln, hatte der Präsident drastisch die Steuern gesenkt und gleichzeitig mehr Rüstungsaufträge an die Industrie vergeben. Das Ergebnis: Der Staat muß zum Ausgleich des Etats in diesem Jahr fast 220 Milliarden Dollar pumpen und treibt damit Zinsen und Dollarkurs in die Höhe. Japaner und Deutsche können ihre Produkte auf dem riesigen US-Markt so günstig wie kaum je zuvor anbieten.
Nur wenige Tage vor dem Gipfel bestätigten in Deutschland die fünf wirtschaftswissenschaftlichen Institute in ihrem Frühjahrsgutachten, wie sehr das Wohlergehen der deutschen Wirtschaft vom Export abhängig ist. Im vergangenen Jahr kletterten die Lieferungen in die USA um mehr als 40 Prozent. Verkauft wurden neben Automobilen vor allem Investitionsgüter.
Was Bonn denn unternehmen wolle, so wurden die deutschen Unterhändler bei den Vorbereitungen des Gipfels von ihren amerikanischen Kollegen immer wieder gefragt, wenn die Export-Stütze zusammenbreche. »Die Frage ist berechtigt«, räumte Finanzminister Gerhard Stoltenberg in Washington ein. Doch die Vorschläge der Amerikaner dazu gefielen ihm überhaupt nicht.
Noch einen Tag vor Beginn der Bonner Begegnung trug US-Handelsminister Malcolm Baldrige amerikanischen Industriellen vor, was Washington von den Deutschen erwartet. Bonn solle für höheres Wachstum im eigenen Lande sorgen. Das würde den Dollar entlasten und die Lücke schließen, die sich durch den Niedergang der US-Wirtschaft öffne. Die Deutschen hätten nur 2,5 Prozent Inflation. Da könnten sie es sich leisten, die Nachfrage im eigenen Land von Staats wegen anzukurbeln.
Das aber würde bedeuten: Gerhard Stoltenberg müßte sein oberstes Ziel, das Sparen, vorübergehend aufgeben. Der Finanzminister: »Kein Spielraum«.
Stoltenberg weiß, daß er in den nächsten beiden Jahren ohnedies Schwierigkeiten haben wird, seinen Konsolidierungsplan zu erfüllen. Auf dem Gipfel verkaufte er den Kollegen die Mehrausgaben für die EG deshalb als einen Beitrag zur Konjunkturbelebung in Europa. »Dieses Geld«, so der Minister, »stünde sonst für zusätzliche Steuererleichterungen zur Verfügung.«
Schwer trifft es den Finanzchef zudem, daß er mit rund drei Milliarden Mark aus der Steuerkasse für geplatzte Export-Bürgschaften geradestehen muß. Dieses Geld blieben zumeist Entwicklungsländer deutschen Unternehmen schuldig.
Zudem kostet die Arbeitslosigkeit den Finanzminister 1985 knapp eine Milliarde Mark mehr als eingeplant. Mit 8,6 Milliarden Mark für die Arbeitslosenhilfe aus der Bundeskasse kommt Stoltenberg bei weitem nicht aus, weil viel mehr Dauerarbeitslose registriert werden als erwartet. Arbeitslosenhilfe nämlich wird dann fällig, wenn der Anspruch auf Unterstützung aus der Arbeitslosenversicherung ausgelaufen ist.
Neben der aktuellen Finanzknappheit aber schrecken Stoltenberg historische Erfahrungen, »die zur Vorsicht mahnen«. Schon einmal, auf dem ersten Bonner Gipfel 1978, verpflichteten sich die Deutschen, die kränkelnde Weltwirtschaft mit einem 13-Milliarden-Mark-Programm anzuschleppen. An den _(Auf einem Rheinschiff, vor der Loreley. )
Schulden von damals, so sieht es der Finanzminister, zahlt er noch heute.
Beim Gipfeltreffen 1985 verwiesen Stoltenberg und Bangemann auf die für 1986 und 1988 ohnehin geplanten Steuererleichterungen von insgesamt 20 Milliarden Mark. Mehr sei nicht drin. Der Wirtschaftsminister nach der Sitzung erleichtert: »Die Lokomotivgeschichte ist vom Tisch.«
So widerborstig die Deutschen sich am Wochenende noch weigerten, ihre Wirtschaft mit Steuergeld zu puschen, so willkommen war ihnen ein anderes amerikanisches Begehren. Ganz im Sinne der strammen Marktwirtschaftler in der Bonner Regierung drängen die Amerikaner Deutsche und andere Europäer seit Wochen, Schutzrechte für Arbeitnehmer abzubauen und ihr rabiates US-System des »hire and fire« zu übernehmen. US-Finanzminister James Baker: »Die Europäer müssen Hindernisse ausräumen, die Heuern und Feuern von Arbeitnehmern erschweren.«
Mit welcher Härte Reagans Minister das Beiwort »sozial« aus der deutschen Marktwirtschaft ausräumen wollen, bekam Arbeitsminister Norbert Blüm zu spüren. »Geschurigelt wie ein Schulkind« fühlte sich Blüm, nachdem ihm sein Kollege Baldrige belehrt hatte, wie amerikanische Unternehmen mit ihren Arbeitskräften umzugehen pflegten. Blüm: »Der trat auf wie Onkel Sam, der Erfinder des Kapitalismus.«
Auch wenn den deutschen Arbeitsminister Unwohlsein beschleicht, im Gipfelkommunique sagte Kohl zu, sogenannte strukturelle Verkrustungen - ein schönes neues Wort für Schutzrechte von Arbeitnehmern - aufzubrechen.
Auf dem Bonner Gipfel haben Kohl und seine Minister damit jene Strategie wiederholt, mit der sie seit einiger Zeit auch vor heimischem Publikum versuchen, die Verantwortung für steigende Arbeitslosenzahlen von der Regierung wegzuschieben. Der Staat habe das Seinige getan, predigen sie seit Wochen. Jetzt seien die Tarifpartner am Zuge.
Am kommenden Sonntag, wenn in Nordrhein-Westfalen ein neues Parlament gewählt wird, entscheidet sich, ob Kohl das Problem der Arbeitslosigkeit weiterhin verdrängen kann. Verliert die CDU an Rhein und Ruhr Prozente und Mandate, dann wird sich der Kanzler nicht mehr, wie noch auf dem Gipfel, auf die Idee von der Flexibilisierung des Arbeitsmarkts zurückziehen können.
Anders als noch im Jahreswirtschaftsbericht vorausgesagt, werden die Arbeitslosenzahlen auch im dritten Jahr des Aufschwungs - so die Institute im Frühjahrsgutachten - weiter steigen. Bangemanns Staatssekretär Otto Schlecht, der jüngst zum Ärger seines Ministers die geplante Steuerentlastung schon fürs nächste Jahr in einem Schlag vorgeschlagen hatte, urteilt aus langer politischer Erfahrung: »Ich kann mir nicht vorstellen, daß man sehenden Auges 1986 in eine höhere Arbeitslosigkeit hineinläuft.«
Da hat Schlecht wohl wieder mal recht. Im Februar 1987 wird der nächste Bundestag gewählt. Schon laufen die Vorbereitungen für eine große Erfolgs-Show: Entgegen allen öffentlichen Beteuerungen soll der Bauwirtschaft, jener Branche, die am stärksten eingebrochen ist, spätestens im nächsten Jahr geholfen werden. Das haben die Parteivorsitzenden Kohl, Bangemann und Strauß auf ihrem Treffen in der vorvorigen Woche verabredet.
Unter dem Arbeitstitel »Umwelt-Investitionsprogramm« ist Bauminister Oscar Schneider derzeit dabei, einen Katalog von Bauhilfen zusammenzustellen.
Das Beschäftigungsprogramm, das nicht so heißen darf, soll Anfang Juli im Kabinett beschlossen werden. Der Gipfel-Schwur der Bonner, man werde ohne Investitionsprogramm auskommen, ist dann lange vergessen.
Bettino Craxi, Francois Mitterrand, Margaret Thatcher, Helmut Kohl,Ronald Reagan, Yasuhiro Nakasone, Brian Mulroney.Auf einem Rheinschiff, vor der Loreley.