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»Das wird kein Wir-Parteitag mehr«

Kanzler Helmut Schmidt will seine neu gewonnene Autorität in der SPD nutzen: Der Bundesparteitag in Hamburg soll nächste Woche dem Regierungschef freie Hand für weitere Gesetze zur Terroristen-Bekämpfung geben. Die Linksabweichler der Fraktion erwartet auf dem Hamburger Konvent ein Tribunal der rechten Partei-Mehrheit.
aus DER SPIEGEL 46/1977

Gelassen, fast heiter, reagierte der SPD-Vorsitzende Willy Brandt noch vor wenigen Wochen, wenn er um eine Prognose zum bevorstehenden Parteitag in Hamburg gebeten wurde: »Das wird ein Spaziergang an der Alster, das wird kein Marsch über den See Genezareth.«

Inzwischen ist dem Parteichef die Vorfreude aufs Flanieren am Alsterwasser vergangen. Denn die jüngsten Kontroversen um Terror und Rechtsstaat haben in der SPD die alten Flügelkämpfe zwischen Linken und Rechten wieder voll entfacht. Dem stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Hans Koschnick schwant: »Das wird kein Wir-Parteitag mehr.«

Das ursprünglich für Hamburg fest eingeplante Schwerpunktthema »Vollbeschäftigung« scheint trotz alarmierender Arbeitslosenzahlen jetzt weiter hinten zu rangieren. Selbst der Zank um die Kernenergie dürfte überlagert werden von der Auseinandersetzung darüber, zu welchen Mitteln der Rechtsstaat hei der Abwehr des Terrors noch greifen darf, ohne sich selbst in Frage zu stellen.

Vom Verlauf dieser Grundsatzdebatte hängt ab, ob die Regierenden bei ihren künftigen Entscheidungen weiter mit abweichenden Meinungen in Fraktion und Partei leben müssen. Mithin gebt es, angesichts der knappen Parlaments-Mehrheit, um die Regierungsfähigkeit der SPD/FDP-Koalition.

Kein Wunder also, daß in Hamburg nächste Woche Tacheles geredet werden soll. Spätestens nach dem Referat des Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner, dafür haben die Parteitags-Regisseure gesorgt, können die Delegierten mit einem Schauprozeß beginnen. Angeklagt sind jene 16 Bundestagsabgeordneten nebst Sympathisanten, die ihrem Kanzler zuletzt beim Kontaktsperre-Gesetz die Gefolgschaft verweigert hatten.

Der Zeitpunkt für das Tribunal scheint günstig. Denn seine harte Haltung gegenüber Flugzeug-Entführern und Schleyer-Mördern hat Helmut Schmidt nicht nur in der Bevölkerung. sondern auch in seiner Partei neue Fans gebracht. Gestützt auf die Autorität des Kanzlers, will der rechte Flügel den Konvent nutzen, um die Linken entweder wieder in die Partei- und Fraktions-Disziplin zu zwingen oder aber vor aller Öffentlichkeit klarzumachen, daß die Abweichler nur eine Minderheit sind, die Mehrheit aber in Treue fest zum Kanzler steht.

Der Hauptdarsteller in der Neuinszenierung des klassischen Parteienstücks »Auf den Kanzler kommt es an« hat seinen Part bereits einstudiert. Ein »Aufruf zur Identifikation mit dem Staat« (ein Kanzler-Berater) soll Höhepunkt von Schmidts Parteitagsrede werden. Bei dieser Gelegenheit will der Regierungschef den Genossen seine Entscheidungen im Schleyer-Drama noch einmal ausmalen und sich vorsorglich die Partei-Genehmigung für weitere Gesetze zur Terroristen-Bekämpfung holen -- sei es für die Sicherungsverwahrung, sei es für eine großflächige Telephonüberwachung.

Schmidts Vertrauter, Regierungssprecher Klaus Bölling, bemüht für den geplanten Auftritt seines Dienstherrn bereits vergangene Preußen-Herrlichkeit: »Schmidt wird sich mit dem Staat Unter den Linden zeigen.«

Und nicht einmal ausgeschlossen scheint, daß die Hamburger Kanzler-Feier auch eine wichtige Vorentscheidung über die künftige ideologische Bandbreite der Partei bringt: ob, wie bisher, versucht wird, eine für linke wie rechte Genossen annehmbare politische Grundlinie zu finden, oder ob demnächst der linken Minderheit nur noch die Wahl bleibt, sich unterzuordnen oder Mandat und Mitgliedsbuch abzuliefern.

So hätten es die Rechten gern. Beim ersten Durchzählen machte Heinrich Müller (Nordenham), Manager der Kanalarbeiter-Mehrheit der Bundestagsfraktion, unter den Parteitags-Delegierten 70 Prozent Gesinnungsgenossen aus. Ziel dieser Gruppe sei es, so Müller, »die Regierung zu stützen« -- notfalls auch um den Preis, bestimmte Juso-Zirkel oder Fraktions-Abweichler wie Manfred Coppik und Karl-Heinz Hansen »rauszuschmeißen«.

In dieser Woche wollen in Bonn auch die Mitglieder eines Schmidt-Freundeskreises, darunter die Minister Hans Apel, Hans-Jochen Vogel und Herbert Ehrenberg, ihren Hamburger Kurs abstimmen. Devise: »Der Parteitag muß ein klares Bekenntnis zu dieser Bundesregierung mit Helmut Schmidt ablegen.«

Zirkelmitglied Bruno Friedrich, Wehner-Stellvertreter in der Fraktion und Mitglied des SPD-Vorstands, hat in einem Antrag seines fränkischen Parteibezirks bereits die Stoßrichtung formuliert. Die SPD dürfe es nicht zulassen, heißt es da, »daß ihr öffentliches Bild von Gruppen mißdeutet wird, die ... Mehrheitsentscheidungen mißachten«.

Angesichts der rechten Sammlungsbewegung verfielen die im »Frankfurter Kreis« vereinigten SPD-Fortschrittler am vorletzten Wochenende zunächst einmal in wilden Streit, als sie im »Affentorhaus« und im »Roten Bembel«, einer sozialistischen Apfelweinrunde, nach einer Überlebensstrategie suchten. Ein Teilnehmer: »Ich habe noch nie erlebt, daß sich Linke untereinander so gefetzt haben.«

Der schleswig-holsteinische Parteivize Gerd Walter bezichtigte die linken Mitglieder des SPD-Bundesvorstands, allen voran den seit dem Mannheimer Parteitag 1975 um Integration bemühten Berliner Alt-Sozialisten Harry Ristock, sie hätten sich von den Schmidt-Anhängern einwickeln lassen. Ein anderer merkte bitter an, die Linken hätten in Mannheim »den Kanzler der Arbeitslosigkeit« unterstützt, um sieh jetzt vom »Sieger von Mogadischu« abbürsten zu lassen.

Karl-Heinz Hansen griff vor allem jene Fraktionskollegen aus der Bembel-Runde an, die dem Kontaktsperre-Gesetz zugestimmt hatten. Anke Martiny-Glotz wolle »nur bei Wahlen den Grenznutzen haben, links zu sein, möglichst aber so, daß es keiner merkt«. Den ehemaligen Juso-Chef und Organisator des Affentor-Zirkels, Karsten Voigt, nannte Hansen »Frühstücksdirektor des Frankfurter Kreises«.

In einem zehnseitigen Papier (Titel: »Was dürfen Abgeordnete dürfen?") verwahrte sich Hansen gegen die Friedrich-These, er habe mit seinem Mandat den Auftrag übernommen, »irgendwie die Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode an der Macht zu halten«. Er sehe vielmehr seine Aufgabe darin, »durch ständiges Drängen dafür zu sorgen, daß diese Regierung sozialdemokratische Politik verwirklicht«.

Die Fraktion forderte der gelernte Studienrat auf, darüber nachzudenken, warum sie »mehr und mehr zum Notariat der Regierungsexekutive« und zum »Anwaltsverein für die Verteidigung der Regierungspolitik um jeden Preis zu werden droht«. Hansens Vorschlag: Um die Verbindung zur Basis zu halten, sollten vor strittigen Abstimmungen im Bundestag künftig der SPD-Parteirat und die Fraktion gemeinsam beraten (siehe auch Seite 18).

Erst nach einem massiven Appell des Bremer SPD-Chefs Henning Scherf, Kandidat der Linken für die Vorstandswahlen in Hamburg, verständigte sieh die Frankfurter Truppe nach zweieinhalb Tagen auf eine gemeinsame Linie. Mit einer Reihe von Initiativanträgen wollen die Progressiven ihren Protest gegen die Regierungspläne zur Sicherungsverwahrung, Telephon- und Wohnungsüberwachung parteikundig machen.

»Wir wissen«, so schätzt Scherf die Stimmung in Hamburg ein, »daß ein großer Teil des Parteitags richtig röhren und der sogenannten Volksmeinung recht geben will. Doch irgendwo müssen wir sagen: Hier ist Schluß, da machen wir nicht mehr mit.«

Auch in der Atomdebatte wollen sich einige Linke nicht widerspruchslos dem Kanzler unterwerfen. Kernenergie-Freund Schmidt will in Hamburg mit Hilfe des rheinland-pfälzischen Landesverbands den Leitantrag des Parteivorstands torpedieren, der einen Bau- und Genehmigungsstopp für neue Atommeiler vorsieht, bis die zentrale Entsorgungsanlage genehmigt ist. Delegierte aus Schleswig-Holsten und Südbayern sind deshalb entschlossen, für einen radikalen Baustopp zu kämpfen, »um wenigstens den Vorstandsantrag zu halten« (SPD-MdB Erich Meinike).

Doch selbst das wird kaum gelingen. Denn rechtzeitig zum Parteitag will auch der Deutsche Gewerkschaftsbund aus Sorge um die Arbeitsplätze in der Atomfrage auf Kanzler-Kurs einschwenken.

Allzu heftige Auftritte werden sich die Linken ohnehin schon aus Überlebensgründen kaum erlauben können. Gewinnt nämlich die Schmidt-Gefolgschaft den Eindruck, daß die Parteitags-Opposition überzieht, dürften deren knappe Chancen bei den Vorstandswahlen noch weiter sinken.

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