»Dat schönste Jeräusch«
Das erste Schreiben an den »sehr geehrten Herrn Finanzminister« des Landes Nordrhein-Westfalen war so förmlich wie die Anrede. »Auf das dringendste« bat Konrad Adenauer, der Präsident des Parlamentarischen Rates, aus dem NRW-Haushaltstitel »Unvorhergesehene Ausgaben« ein bis anderthalb Millionen Mark zu spendieren - um »mit aller Energie an die Ausführung des Projektes« gehen zu können.
Dann machte der »sehr ergebene« Adenauer dem zaudernden Düsseldorfer Minister Heinrich Weitz klar, die »weitere Verzögerung« gefährde eine »aus sachlichen Gründen absolut richtige Entscheidung«. Er schloß »mit ausgezeichneter Hochachtung«.
Kaum hatte seine Sekretärin das Blatt fürs Kuvertieren gefaltet, bat Adenauer an jenem 14. Februar 1949 erneut zum Diktat. Wieder war Adressat der Finanzminister, nun aber hieß er »lieber Herr Weitz«. Er solle doch, bitte schön, »endlich einmal voranmachen und die ganzen bürokratischen Bedenken hintenanstellen . . . Viele Grüße, Ihr Adenauer«.
Für seine nicht sonderlich populäre Idee, Bonn zur Hauptstadt zu machen, nutzte Adenauer damals, vor 42 Jahren, sämtliche »Schliche und Finessen, Ränke und Rankünen« (so der Journalist Klaus Dreher, Autor eines Buches über den »Kampf um Bonn"). Wie der Alte es schaffte, das favorisierte Frankfurt, eine SPD-Hochburg, aus dem Feld zu schlagen, beschäftigte später mehrere parlamentarische Untersuchungsausschüsse.
Einer davon war der sogenannte SPIEGEL-Ausschuß, der sich mit Berichten des SPIEGEL über Schmiergeld-Zahlungen an Abgeordnete für eine Pro-Bonn-Entscheidung beschäftigen mußte. Die Abgeordneten konnten Adenauers Verstrickung in die Affäre jedoch niemals hinreichend aufklären.
Der Trickser aus Rhöndorf bekämpfte frühzeitig Pläne von Politikern verschiedener Couleur, Berlin wieder als Kapitale einzurichten. So machte er im Mai 1946 seinem Berliner Kontrahenten und späteren Kabinettskollegen Jakob Kaiser (CDU) klar, die Stadt komme »unter keinen Umständen« in Frage, »gleichgültig, ob besetzt oder nicht besetzt«.
Meist führte er als Argument die Haltung der Alliierten ins Feld. »Für absolut notwendig« hielt es der rheinisch-katholische Antipreuße, »daß man vielleicht an einer sichtbaren Stelle betont«, Berlin, das Quartier der alten Reichsregierung Hitlers, dürfe »nicht mehr die Hauptstadt« werden. »Sie glauben ja gar nicht, was das in der Mentalität der Franzosen ausmacht«, rief er auf einer CDU-Tagung, »daß dort wieder der Hauptsitz der ganzen Macht hinkommen soll.«
Die Alternative Bonn war, auch wenn Adenauers nahegelegener Wohnort Rhöndorf viele Zeitgenossen darüber spekulieren ließ, keine ureigene Erfindung des nachmaligen ersten Bundeskanzlers. Bonns Karriere hatte sich, nach Kaiserzeit, Weimar und NS-Regime, schon angedeutet, als die Amerikaner im Frühjahr 1945 im Westen Deutschlands die Rheinprovinz gründeten, eine Art Gegengewicht zum immer noch existierenden Preußen. Auf Vorschlag der Verlierer wurde Bonn Verwaltungssitz, höchstgenehmigt durch Washington.
Zwar verlagerten die Alliierten das Oberpräsidium schon bald nach Düsseldorf; aber als die westlichen Außenminister in ihren »Londoner Empfehlungen« den deutschen Ministerpräsidenten aufgaben, eine verfassunggebende Versammlung einzuberufen, war Bonn als Tagungsort gleich wieder erste Wahl.
Hermann Wandersleb, damals Chef der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei und wegen seiner Umtriebigkeit »Kugelblitz« genannt, hatte die Stadt ins Gespräch gebracht - und die NRW-Metropole aus dem Rennen geworfen. »Düsseldorf«, so Wanderslebs biederes Argument, »ist keine Stadt, in der man eine Verfassung macht. Düsseldorf ist zu unruhig.«
Acht der elf Ministerpräsidenten votierten für Bonn als Sitz des Parlamentarischen Rats, zwei für Karlsruhe, Celle erhielt eine und Frankfurt keine Stimme. Am 1. September 1948 nahm der 65köpfige Rat unter der Präsidentschaft Adenauers die Arbeit am Grundgesetz auf, drei Wochen später jubelte der künftige Kanzler: _____« Es jeht janz ausjezeichnet. Die Leute fühlen sich » _____« hier so wohl, dat sie jar nich wegwollen. Jetzt können » _____« wir darangehen, einen Vorschlag in der Richtung zu » _____« machen, daß Bonn vorläufige Bundeshauptstadt wird. »
»Zu dieser Zeit«, bemerkt Dreher, grenzte dieses »Vorhaben an Tollkühnheit«. Denn der Mitbewerber Frankfurt schien schon deshalb die besseren Chancen zu haben, weil hier bereits die ausgebaute bizonale Verwaltung ihren Sitz hatte. Anders als in der »heimlichen Hauptstadt« Frankfurt (Oberbürgermeister Walter Kolb) mußte für eine richtige Hauptstadt Bonn erst gebaut werden. Bremens Bürgermeister Wilhelm Kaisen (SPD) fürchtete schon, daß »die Steuerzahler sich energisch gegen eine Neuinvestierung größerer Mittel wenden würden«.
Auch Kassel und Stuttgart bewarben sich um den Bundessitz, selbst Helmstedt. Als auf der Hamburger Ministerpräsidentenkonferenz im Februar 1949 der Name der niedersächsischen Kleinstadt fiel, vermerkte der Protokollführer: »Heiterkeit.«
Lange vor der Entscheidung für Bonn ließ Adenauer, in weiser Voraussicht, mit dem Umbau der Pädagogischen Akademie am Rheinufer beginnen, die er als künftiges Haus des Bundestages ausersehen hatte. »Dat Hämmern und Klopfen am Neubau des Plenarsaals« empfand er »bei dem janzen Betrieb« als »dat schönste Jeräusch hier«. Um vollendete Tatsachen zu schaffen, setzte _(* 1952 im Bundestag; dahinter: ) _(Bundestagspräsident Hermann Ehlers ) _((CDU). ) sich der Rhöndorfer großzügig über alle bürokratischen Hemmnisse hinweg. Die Genehmigung für den Anbau des Bundesratsflügels an die alte Akademie traf zum Beispiel erst ein, als die Mauern längst gesetzt waren; dafür hing der Richtkranz über dem Plenarsaal schon fünf Tage vor der Entscheidung im Hauptstadt-Duell. Die Kosten für die Baumaßnahmen wurden herunterkalkuliert; bloß 3,8 Millionen Mark sollten es sein, ein halbes Jahr später waren schon 100 Millionen verbaut.
Um Bonn gegen Frankfurt im Spiel zu halten, lancierte Adenauer den niemals ernstgemeinten Plan der »doppelten Hauptstadt«. Die »Ämter in Frankfurt« könnten »ruhig weiterlaufen«, mogelte er, »auch wenn eine Bundesregierung da ist«. OB Kolb spottete: »Mit dem Kopf in Bonn und mit dem Hintern in Frankfurt.«
Die Mitternachts-Abstimmung im Parlamentarischen Rat am 10. Mai 1949 entwickelte sich zu einer Volksgaudi; das Publikum im Saal begann laut mitzuzählen, als die Stimmen für Bonn und Frankfurt fast gleichstanden. Präsident Adenauer bat »die Zuhörer, jedes Zeichen des Mißfallens und des Beifalls zu unterlassen«.
Dann aber hatte Bonn mit 33 Stimmen gegen Frankfurt (29) gesiegt, was »lebhafte Beifallskundgebungen auf der Tribüne« erzeugte und - so eine Bonn-Chronik - »auch von den vielen Menschen, die auf der Straße . . . warteten, mit großer Begeisterung aufgenommen« wurde.
Im Grundgesetz aber wurde der Name der Hauptstadt - anders als in den Verfassungen anderer Länder - nicht erwähnt. »Um Berlin und die Sowjetzone nicht zu provozieren«, so Adenauers lapidare Begründung.
Dennoch mußte ein weiteres Mal abgestimmt werden. Die in Kompetenzfragen pingeligen Ministerpräsidenten befanden, nur der Bundestag könne die Hauptstadtfrage regeln. Am 3. November stimmten 200 Abgeordnete für Bonn, 176 für Frankfurt.
Zugleich verabschiedete der Bundestag mit weitaus größerer Mehrheit Visionäres: »Die leitenden Bundesorgane verlegen ihren Sitz in die Hauptstadt Berlin, sobald allgemeine, freie, gleiche, geheime und direkte Wahlen in Berlin und in der Sowjetischen Besatzungszone durchgeführt sind. Der Bundestag versammelt sich alsdann in Berlin.«
Am 2. Dezember 1990 fanden diese Wahlen statt; bis heute ist das Votum aus dem Jahr 1949 nicht aufgehoben.
* 1952 im Bundestag; dahinter: Bundestagspräsident Hermann Ehlers(CDU).