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Hausmitteilung Datum: 10. Novemberl 969 Haschisch

aus DER SPIEGEL 46/1969

Die literarische Tradition ist sehens- und lesenswert: aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert Quinceys Bekenntnisse eines Opiumessers, aus dem späten neunzehnten Jahrhundert Baudelaires liebevolle Pflege im Blumengarten des Bösen, Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts das Protokoll des Selbstversuchs mit Meskalin, dem sich Aldous Huxley auslieferte, in den sechziger Jahren die vehemente Warnung von Jean Cau, Sartres ehemaligem Sekretär, vor den Bewusstseinsverzerrungen durch LSD (Lysergsäurediäthylamid). Der Auftrag zur Recherche in ungewohnte Dimensionen des Selbstgefühls, den SPIEGEL-Mitarbeiter Wilhelm Bittorf und SPIEGEL-Redakteur Karl-Heinz Krüger vor einigen Monaten übernahmen, blieb demgegenüber sehr viel enger umgrenzt: Es sollte für sie nur um die Ausforschung von Herstellung, Vertrieb (sprich: Schmuggel), von Konsum und Wirkung des aus Hanfblättern gewonnenen Haschisch gehen, eines teerartig aussehenden Stoffes, dessen freier Verkauf zwar wie bei den suchtverursachenden Mitteln Opium, Heroin und Morphium verboten ist, dessen Wirkung aber nach immer mehr Expertenmeinung und bis zum (immer noch möglichen) Erweis des

Gegenteils ungleich harmloser sein soll als die von Nikotin und Alkohol -und bei Anfängern, offenbar, gleich Null.

»Wir lernten«, berichtet Krüger, »Hascher von Fixern, den Joint von einer Gun zu unterscheiden. Wir lernten eine neue Sprache. Shit und Hasch, Grass und Bot, O und Horse. Wir lernten Ware bester Provenienz vom Zeug minderer Qualität zu unterscheiden: schwarzen Afghan und braunen Charas von grünem Türken und rotem Libanesen« -- Auflösung dieser aus Pubertäts-Slang und Ganoven-Esperanto gemischten Terminologie siehe Titelgeschichte Seite 76. Beide lernten auch, Hasch zu rauchen (Krüger: »Am Anfang machte ich alles falsch«, Bittorf: »Es hat uns gut gefallen"). Nach ihrer Ansicht könne man jederzeit wieder aufhören, Hasch zu rauchen, ebenso allerdings kann man wohl auch darauf verzichten, mit der Sache anzufangen.

Aus den Länder-Redaktionen des SPIEGEL hatten sich an den Recherchen in Düsseldorf Günter Rau, in Frankfurt Peter Thelen und Wolfgang Bayer, in Kiel Heinz Kohl und Rainer Wulff, in Hamburg Jörg R. Mettke, in Hannover Olaf Petersen, in München Claus-Harald Runge, in Stuttgart Michael Zick und in Wiesbaden Hans-Hermann Mans beteiligt. Repräsentativ für deren Erfahrungen berichtet Michael Zick aus Stuttgart, dass beim Haschisch nicht nur geschmuggelt, sondern auch kolossal gemogelt wird. Überall da, wo nach Angaben von Schülern Hasch-Höhlen in Betrieb seien, war nicht die Spur auch nur des harmlosesten Lasters zu finden, und umgekehrt hatten in Schulen, in denen von der Kriminalpolizei soeben Haschisch beschlagnahmt worden war, Schuldirektor und Schulrat von nichts, aber auch von gar nichts etwas gehört.

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