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Hausmitteilung Datum: 15. Juli 1970 OSI

aus DER SPIEGEL 29/1970

Nach sechs Titelgeschichten über die Unruhen der akademischen Jugend. nach einer nicht gezählten Menge spezieller Berichte zum Thema, nach einer der längsten Serien in der Geschichte des SPIEGEL überhaupt über die Hochschulreform ("Mit dem Latein am Ende") hat sich vor einigen Monaten das zuständige Ressort der SPIEGEL-Redaktion entschlossen, nach dem Vorbild seines Studienobjekts, der fortschrittlichen Studenten, an die Basis zu gehen. Zwei SPIEGEL-Redakteure haben im vergangenen Semester wieder in Vorlesungen, Seminaren und Übungen gesessen:

* Wolfgang Malanowski, 44, 1949 bis 1955 Studium in Hamburg, Fächer: Geschichte, Soziologie, Staats- und Völkerrecht, Promotion zum Dr. phil. 1955 über »Hitlers Aussenpolitik von 1933 bis 1936/37«;

* Hermann Meyn, 35«, 1957 bis 1961 Studium an der Freien Universität Berlin, Fächer: Politische Wissenschaften, Geschichte und Publizistik, Promotion zum Dr. phil. 1965 über die »Deutsche Partei«. Als Arbeitsplatz suchten sie sich an der Freien Universität Berlin das für politische Wissenschaften zuständige Otto-Suhr-Institut aus, genannt OSI, das seiner freiheitlichen Satzung nach als eine Art Reformmodell für die Hochschulstruktur der Zukunft gelten darf. Dort hat am ehesten begonnen und ist am weitesten gediehen, was unter Studienreform verstanden wird.

Interner Bericht: »Beobachter fielen auf Schritt und Tritt auf, bartlos, normal gekleidet, aber doch wohl bürgerlicher Habitus, zu alt, liberale Scheisser, schrieben in den Lehrveranstaltungen am meisten mit, meldeten sich bei Dozenten an, keinerlei Schwierigkeiten. Einmal, in Professor Gilbert Zieburas Seminar, kursierte eine Teilnehmerliste mit dem Vermerk: »In Anwesenheit des SPIEGEL-hi, hi, hi."« Sinn der Sache war natürlich, die Unterschiede zur eigenen Studentenzeit, die neuen Methoden und, wenn möglich, deren wissenschaftliche Effizienz herauszufinden. Das Resultat ist als Komplement zur Titelgeschichte dieses Heftes zu lesen: SPIEGEL-Report »Nebenan ist Bibelstunde« (Seite 66). Offenbar lässt sich die Sache gut an, wenngleich nicht ohne Reibungsverluste: »Wesentliche Veränderungen: Vorlesungen, Seminare und Übungen alten Stils gibt es kaum noch. Lehrstoff mit viel grösserem Praxisbezug und grösserer politischer Aktualität. Umgang zwischen Professoren und Studenten salopp, kaum noch Anrede mit Akademiker-Graden, kaum noch Begrüssungsklopfen, die Linken duzen sich meistens. Es wird Jede Menge diskutiert, zur Sache und zur Nebensache, wiederum vor allem bei den Linken viel politische Agitation ...«

Malanowskis Fazit: »Fortschritt, aber ein noch keineswegs gemeistertes Experiment, erheblich gesteigertes politisches Engagement, bisweilen jedoch auf Kosten wissenschaftlicher Anstrengung.

Über vieles wird abgestimmt -- so auch darüber, ob in einem Seminar für den SPIEGEL photographiert werden durfte. Resultat: nein. Seminarleiter war der Lehrbeauftragte Dr. Dietrich Staritz, Redakteur beim SPIEGEL.

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