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Hausmitteilung Datum: 28. April 1969 Betr. Titelbild

aus DER SPIEGEL 18/1969

»Raserei« sieht Christi Statthalter, Papst Paul VI., unter den Gläubigen ausgebrochen, »eine Sucht nach Neuerung und Veränderung, ein Wahnsinn, der alles umstürzen will«. Und, gleichermassen bedrängt vom Kirchenvolk, das sich seine beruhigenden Pharmazeutika nicht verbieten lassen will, wie von Theologen, die gegen Zölibat und Tradition aufbegehren, verkündete er in der ersten Generalaudienz dieses Monats: »Der Herr stellt uns auf die Probe,« Auf die Probe gestellt, versucht worden aber ist, allen Hagiographien zufolge, auch der heilige Antonius, behelligt in der Libyschen Wüste von falschen Göttern und nackter Schönheit, die sich in mythisches Ungetüm verwandelt: »Das ist eine List des Teufels«, ruft Antonius (bei Flaubert). »Die Starken versucht er mit den Mitteln des Geistes, die Schwachen mit denen des Fleisches.«

Die kirchengeschichtliche Parallele brachte Hermann Degkwitz, den Zeichner des Titelbildes, darauf, für das Thema »Papst in Bedrängnis« eine Kostbarkeit europäischer Malkunst zu modifizieren, ein Tafelbild vom Isenheimer Altar, die »Versuchung des heiligen Antonius«, gemalt von einem Meister, der bestimmt Mathis hiess, zuweilen auch Gothart, zuweilen Neithart, einmal auch Gothart-Neithart, und den sein erster Biograph aus unauffindlichem Grund Grünewald genannt hat.

Natürlich, die Instrumente und die Physiognomien des bedrohlichen Sabbaths haben sich bei Degkwitz verändert, aus dem Schweinskopf ist eine Ku-Klux-Klan-Maske, aus dem Knüppel eine Sidewinder-Rakete, aus der bresthaften Person eine Schwangere geworden, die nach der Pillen-Packung tastet; und an den Haaren gerissen, wie der Anachoret bei Mathis, wird Papst Paul von den modern bestückten Ungeheuern auch nicht; die Tiara bietet vor dem Ärgsten noch Schutz genug. Wo heute der Fernseh-Apparat zu sehen ist, stand bei Mathis der Bittspruch der Kranken im Antoniter-Hospital, »Ubi eras, Jhesu bone, ubi eras ...« -- wo warst du, guter Jesus? Mathis war ein so genauer Maler, dass nach seinen Bildern noch präzise Diagnosen der dargestellten

Krankheit gestellt werden konnten (und wurden, von Charcot, dem Wiederentdecker der Hysterie, zum Beispiel). Gegen Tonband, Fernsehtürme und Gummiknüppel, gegen Handgranate und Soldatenstiefel und was Degkwitz sonst auf seiner Variation versteckt hat, wird Medizin kaum zu bemühen sein. Papst Paul VI., auf dem SPIEGEL-Titel, blickt skeptisch.

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