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Hausmitteilung Datum: 30. Oktober 1978 Bahro, Havemann

aus DER SPIEGEL 44/1978

Rudolf Bahro, 42, kenntnisreichster Systemkritiker der DDR, seit August 1977 in Haft, meldet sich aus dem Zuchthaus Bautzen II. In einer authentischen Antwort an

einen Mithäftling berichtet er über seine Lebensumstände und sein inkriminiertes Buch »Die Alternative«. Bahre: »Ich werde meinen Weg geradeaus fortsetzen«, Seite 30.

Florian Havemann, 26, Sohn des Regimekritikers Robert Havemann, 68, erzählt einen Traum. Er möchte nachts in das Haus schleichen, in dem sein Vater unter Hausarrest gehalten wird, dort auf den Tisch steigen und seinem Vater ins Gesicht treten.

Im wachen Zustand geht Florian Havemann mit seinem Vater weniger brutal, aber nicht weniger entschieden um: ein alter Mann mit Rentner-Mentalität, ein Trinker mit Meinungen eines Dilettanten ("Die Ignoranz nimmt hier monströse Ausmaße an"). Der Hausarrest in

Grünheide werfe »einen goldenen Schimmer auf seinen furchtbaren Lebensabend ... Die grosse Aufmerksamkeit, die er geniesst, er geniesst sie auch«. Florian erinnert sich nicht, seinen Vater »jemals am Schreibtisch arbeiten gesehen zu haben ... Mein

Vater schrieb nie. Nicht dass man ihm vorwerfen könnte,

er sei faul -- mein Vater ist erklärtermassen faul«.

Schliesslich: nichts Kommunistisches in seinen Gedanken. Dabei ist Florian selbst Republikflüchtling. Er wurde nach dem Einmarsch von DDR-Truppen in die CSSR für -- vier Monate eingesperrt und dann zur Fabrikarbeit herangezogen, wurde, wie er es nennt, »in die angeblich herrschende Klasse hinabgestossen«. Im ungeliebten Westen möchte er als Bühnenbildner arbeiten. »Väter und Söhne« nannte Iwan Turgenjew seinen Roman, der den Konflikt zwischen den fortschrittlichen Idealisten der vierziger und den Radikalen der sechziger Jahre behandelt -- vor hundert Jahren. Die Energie, die Florian Havemann dazu treibt, seinen Konflikt mit dem Vater öffentlich darzustellen, ist so alt wie die von Sigmund Freud zitierten Mythen. Strindberg ("Der Vater") und Hasenclever ("Der Sohn"), Hermann Hesse und Jakob Wassermann haben den Generationenstreit verarbeitet. Oskar Matzerath, der Blechtrommler von Grass, weigert sich gar aus Protest gegen die Väter, noch weiter zu wachsen. Generationskonflikte sind selten barmherzig. Florian Havemann: ?Alle machen aus meinem Vater einen Fall«, Seite 121.

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