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Hausmitteilung Datum: 5. Februar 1979 Auschwitz-Serie

aus DER SPIEGEL 6/1979

»Ein verschenkter Annäherungsversuch aber«, schreibt der Rhetorik-Professor und Präsident des bundesdeutschen Pen, Walter Jens, über die »Holocaust«-Serie, »ist immer noch besser als gar keiner. Und darum war es richtig, diesen Film zubringen, vorausgesetzt, man belässt es nicht dabei ...« Eindeutig ist, dass die Trivialisierung des Grauens, die Annäherung im Hollywood-Stil, unter den Deutschen ein bis dahin unerahntes Interesse an den Fragen der Judenvernichtung geweckt hat, wer was gewusst hat und wie sie wirklich war. Der SPIEGEL beginnt in diesem Heft mit der ersten Folge einer Auschwitz-Serie »Niemand kommt hier raus« (Seite 36). Dieser dokumentarische Bericht stammt von einem der ersten politischen Häftlinge in Auschwitz, der »Nummer 290« -- dem 1919 in Galizien geborenen polnischen Filmregisseur Wieslaw Kielar, der fünf Jahre in Auschwitz lebte und überlebte.

Schon Eugen Kogon, Häftling in Buchenwald, berichtet in seinem Buch »Der SS-Staat« von den absurden Glücksminuten im Leben eines Häftlings, die sich aus der momentanen Abwesenheit des Unglücks ergaben. Im Bericht von Kielar, der als Hilfssanitäter zur »Lager-Aristokratie« gehörte, wird dieses absurde Glück in den Kellerwinkeln der Hölle zum Thema: Man ist erleichtert, wenn ein neuer Transport von Opfern eintrifft, weil man dann für eine Stunde die Chance hat, in Ruhe gelassen zu werden.

»Holocaust« hatte nicht und konnte nicht haben die Realität von Solschenizyns Lagerbuch »Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch«. Kielar zeigt die andere, von »Holocaust« nicht genügend beleuchtete Seite des Mondes: den Häftlingsalltag in all seinen Schattierungen. Der gemeine Wille zum Überleben zermahlt alle unterschiedslos zu gemeinen Mitmachern.

Kielar hat für seine Dokumentation zwei polnische Literatur-Preise bekommen. Sein Text wird im März als Buch bei S. Fischer, Frankfurt, erscheinen, unter dem fast noch beschönigenden Titel »Anus Mundi«, auf deutsch: »Arsch der Welt«.

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