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Hausmitteilung Datum: 7. November 1977 Analyse

aus DER SPIEGEL 46/1977

»Die Verschlungenheit von scheinbarer Sprachbeherrschung, Sprachbeherrschtheit und den Legitimationsversuchen mit Hilfe der aus der Sprache gewonnenen Destillate als vorausgesetzte Gegebenheiten, welche nunmehr das Sprechen massregeln sollen, ist in der »Hausmitteilung« (S. 3) zu studieren.«

Ja, denn. Der Münsteraner Germanist Professor Helmut Arntzen hat zusammen mit fünf anderen Wissenschaftlern ein SPIEGEL-Heft -- 28/1972 -- analysiert und die Resultate, siehe Zitat oben, nun als Buch in der Reihe »Karl-Kraus-Studien« vorgelegt ("DER SPIEGEL 28/1972«. Wilhelm Fink Verlag, München; 224 Seiten; 36 Mark). Zwar wird konzediert: »Die Geschichte der Bundesrepublik ist ohne Rücksicht auf den SPIEGEL nicht zu schreiben, die Nachkriegsphase der deutschen Sprachgeschichte als Geschichte des Bewusstseins auch nicht, und was zwischen ironischem Feuilleton und kritischem Dokumentarismus als deutsche Literatur der Zeit seit 1945 gilt, das wird in vielem auf die Sätze und stories des SPIEGEL zurückzuführen sein« (Arntzen).

Aber natürlich überwiegt das Kritische. In den fünf Jahren, in denen sich die Wissenschaftler über ein einziges Heft gebeugt haben, fanden sie heraus, dass der SPIEGEL kein Spiegel sei, dass der SPIEGEL-Leser aus seinen Briefen an den SPIEGEL lernen müsse, er sei so lange eine »lächerliche Figur ... so lange er noch nach Tatsachen sucht«, dass -- mit Blick auf die Rubriken -- »panorama« ein »Titel für das Geringfügigere« sei, »szene« aus dem achtzehnten Jahrhundert stamme und: »Dass das in dem Fremdwort »Personalien« enthaltene Wort Person (persona) ursprünglich dem Bereich des Schauspielerischen angehört, wird erst wieder im SPIEGEL deutlich ...«. Und dergleichen mehr.

Der Österreicher Karl Kraus (1874 bis 1936), dessen Andenken diese Studienreihe gewidmet ist, war als Herausgeber der »Fackel« selber Journalist und daher einer der witzigsten Kritiker seines Berufsstandes. Er spottete: »Keinen Gedanken haben und ihn ausdrücken können -- das macht den Journalisten.« Er hat die Möglichkeit offengelassen, keinen Gedanken zu haben und auch das nicht ausdrücken zu können.

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