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LEHRLINGE Daumen drauf

aus DER SPIEGEL 21/1970

Lehrjahre sind keine Herrenjahre« -- nach dieser alten Volksweisheit werden heute noch Deutschlands Lehrlinge abgerichtet und ausgebeutet. Und dem Stift des dokumentarischen Fernsehfilms »Ich heiße Erwin und bin 17 Jahre« von Erika Runge (WDR, 19. Mai. 21.00 Uhr) ergeht es nicht besser.

»Da kannst du machen, was du willst«, erkennt der Erwin In der Kfz-Werkstatt, in der Berufsschule und im Elternhaus, »die haben ewig den Daumen drauf.«

Denn für die Gesellen im Betrieb muß er nach Feierabend umsonst schuften, damit die ihren Leistungslohn kassieren können; der Vater ("Mit dir zieh ich andere Saiten auf") verhängt Hausarrest, wenn er zu spät nach Hause kommt; mit der Freundin darf er nicht ins Bett, weil die Eltern wollen, »daß ich erst meine Lehre hab' und dann ein Mädchen. So'n Scheiß!« So sucht er fürs erste seine Freiheit unter einer Bande von Automatenknackern und schließlich bei politischen Demonstrationen.

Das Leben der Geprellten in der deutschen Gesellschaft hat die Autorin Erika Runge ("Bottroper Protokolle«, »Warum ist Frau B. glücklich?") schon lange studiert. Für ihr Lehrlingsthema recherchierte sie wochenlang im Ruhrgebiet -- in Werkstätten, Kneipen, Diskotheken, Kantinen -- und entwarf »eine Art Drehvorlage, die aber für jede Veränderung offenblieb«.

Nach dieser Skizze hat sie dann in Dortmund Laiendarsteller ausgesucht: einen autoritären Vater, einen unzufriedenen Sohn, eine begütigende Mutter, den Meister und die Freundin, die nur nach materieller Sicherheit strebt. Die einzelnen Szenen wurden kurz besprochen, ohne Proben abgedreht und dann am Schneidetisch montiert. So brachten alle, und das beabsichtigte Frau Runge, Ihre eigenen Lebenserfahrungen in den Film ein.

Die Filmmutter, im Hauptberuf Vorarbeiterin bei einer Gebäudereinigung, resümiert: »In etwa kommt der Film meinem Leben ähnlich.«

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