DDR-Bürger: Angst vor Strauß
Franz Josef Strauß »wurde Hausherr einer Alpenfestung des Industriezeitalters, einer Trutzburg aus Beton und Stahl«. Das neue CSU-Hauptquartier in Münchens Nymphenburger Straße degradiere »die gewiß nicht unkomfortablen Büros anderer BRD-Politiker zu armseligen, hoffnungslos antiquierten Bruchbuden«. Die Stuttgarter Strafanstalt Stammheim sei im Vergleich zur neuen Parteizentrale »beinahe eine offene Anstalt«.
Die architektonische Betrachtung am 1. Juni 1979 in der DDR-Wochenzeitung »Horizont« war der letzte ausführliche Bericht, den die Ostdeutschen zum Thema Franz Josef Strauß genießen konnten. Die SED, sonst stets in vorderster Front gegen den CSU-Chef, hielt sich -- erstaunlich genug -- in der Frage der Kanzlerkandidatur deutlich zurück.
Die Nachricht vom Ausgang der Wahl in der Unionsfraktion war dem SED-Zentralorgan »Neues Deutschland« gerade 21 nüchterne Nachrichtenzeilen wert -- Rücksicht auf einen möglichen Kanzler und Verhandlungspartner Strauß?
Weniger bedeckt äußerte sich dagegen das DDR-Volk. Bei Diskussionen mit Lehrern, Ärzten, Bauern, Arbeitern, Angestellten sowie unteren und mittleren Parteifunktionären lehnten rund 80 Prozent Strauß als Kanzlerkandidaten spontan ab. Fast alle benutzten dabei Klischees, wie sie sonst nur die SED-Propaganda gebraucht: »Kriegstreiber«, »Reaktionär«, »Revisionist«. Vor allem befürchten die DDR-Bürger, daß nach einer Wahl des CSU-Politikers zum Regierungschef die deutsch-deutschen Beziehungen sich verschlechtern. Eine Lehrerin: »Strauß würde die mit der DDR geschlossenen Verträge nicht einhalten.«
Die SED ihrerseits könnte ein Votum für Strauß zum Anlaß nehmen, einen noch härteren Anti-West-Kurs einzuschlagen. Ein Kanzler Strauß böte »der DDR Angriffsflächen, die Abgrenzungspolitik weiter zu verschärfen«, Erich Honecker hätte »noch mehr Gründe, auf dem Westen herumzuhacken«. Daran ändere auch Strauß? »neuerdings verfeinerte politische Taktik« nichts.
Freunde hat der CSU-Vorsitzende in der DDR unter den -- meist älteren -- Systemgegnern ("Er würde mehr für die deutsche Einheit tun«; »Endlich mal einer, der dem Honecker auf die Füße tritt").
Und noch eine andere Bevölkerungsgruppe kann der Kanzlerschaft des Bayern positive Aspekte abgewinnen: die SED-Ideologen. Ihre Hoffnung: In einem solchen Fall würde die DDR-Bevölkerung »konkreter das Wesen des Imperialismus erkennen«.