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FRANKREICH / STAATSKRISE De Gaulle vor den Toren

aus DER SPIEGEL 13/1956

Ein Gespenst geht um in Frankreich, das Gespenst Charles de Gaulle.

Dieser Tage veröffentlichte der zur Elite der Pariser Journalisten gehörende Redakteur Georges Altschuler das Ergebnis einer parlamentarischen Umfrage. Er berichtete, daß zahlreiche Abgeordnete der französischen Nationalversammlung in dem einstigen »Befreier« Frankreichs den einzigen Mann sehen, der die Einheit der Nation wiederherstellen, die Autorität des Staates erneuern und Algerien retten könnte.

Fünf ehemalige Ministerpräsidenten - die persönlich und politisch miteinander verfeindeten Pierre Mendès-France, Edgar Faure, René Pleven, Paul Reynaud und Georges Bidault - haben in den letzten Wochen mehrfach mit jüngeren Parlamentariern darüber debattiert, ob und wie der lange General dazu gebracht werden könnte, an die Spitze der Nation zurückzukehren.

Ursache dieser alarmierenden Überlegungen, deren faschistische Tendenzen unverkennbar sind, ist die überaus betrübliche Situation Frankreichs:

- In Französisch-Nordafrika geht die arabische Rebellion langsam in die Phase des Partisanenkrieges über.

- Die französischen Siedler Algeriens drohen ihrerseits mit Bürgerkrieg und Lynchjustiz, falls die Regierung den arabischen Aufstand nicht blutig niederschlägt.

- Im Mutterland selbst erheben antidemokratische Verbände - an der Spitze die Poujadisten - das Haupt.

- Unter den Wehrpflichtigen grassiert die Unlust, in Nordafrika für eine von der Regierung nur halbherzig verteidigte Sache zu sterben.

In privaten Gesprächen geben Frankreichs Parlamentarier zu, daß Frankreich dringend einen starken Mann braucht. Viele sind sich einig darüber, daß keiner aus ihrer Mitte - kein Parlamentarier also - über die dazu notwendige Autorität verfügt. Überdies könnten sich die verschiedenen Gruppen im Parlament auf keinen Regierungschef einigen, dem sie sich zu unterwerfen hätten, damit in Frankreich wieder regiert werden kann.

Der Ruf nach Mendès-France ist verhallt. Die Regierung der »Republikanischen Front«, deren stellvertretender Ministerpräsident er ist, hat selbst bei ihren Anhängern wegen ihres Mangels an Inspiration jeden Kredit verloren, und eine andere parlamentarische Regierungskombination ist zur Zeit nicht denkbar.

Man hat daran gedacht, unter dem ehemaligen Staatspräsidenten Vincent Auriol eine Regierung der nationalen Einheit zusammenzubringen. Aber Auriol hat weder die Autorität de Gaulles, noch würde er die Franzosen faszinieren, und eben Faszination ist die unabdingbare Voraussetzung für die Gewaltleistung, die Frankreich vollbringen muß, wenn es sich in Algerien behaupten will.

Um den Aufstand in Algerien wirklich niederzuschlagen, brauchen die Militärs nach ihren neuesten Schätzungen etwa 400 000 Mann, das heißt das Doppelte von dem, was sie vor vier Monaten verlangten und das Doppelte der jetzigen Truppenstärke. Für diese Anstrengung und für die gleichzeitige wirtschaftliche Entwicklung Algeriens wären überdies in den nächsten zwölf Monaten wenigstens vier Milliarden Mark notwendig. Beides kann nach dem Urteil von Kennern der französischen Finanzen und der französischen Volksstimmung zur Zeit keine parlamentarische Regierung durchsetzen.

In den Debatten der fünf ehemaligen Ministerpräsidenten mit jungen Parlamentariern hat der Plan, de Gaulle zurückzurufen, bereits feste Form angenommen. Man will die Regierung des Sozialisten Mollet durch eine interfraktionelle Initiative dazu bringen, zugunsten de Gaulles zurückzutreten. Der General soll dann - nach dem Muster der konsularischen Diktatoren des alten Roms - während eines Notstandes als »konstitutioneller Diktator« regieren.

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