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BAUDOUIN-BESUCH De Prinz kütt

aus DER SPIEGEL 19/1971

Im Neuen Palais zu Potsdam waren 55 Gedecke zu Ehren des Staatsgastes aufgelegt: Doch Albert I., König der Belgier, war bedrückt, wie der belgische Gesandte Baron Beyens später in seinen Notizen vermerkte. In Sanssouci hatte ihm Wilhelm II., deutscher Kaiser, preußisch klargemacht: »Der Krieg mit Frankreich Ist unvermeidlich und nahe bevorstehend. Man muß ein Ende machen.« Es war der 6. November 1913. Das Ende kam alsbald.

58 Jahre lang mieden es danach die belgischen Herrscher, über Schelde und Maas offiziell nach Deutschland hineinzukommen. Als sie vergangene Woche endlich doch erschienen und im Schloß Augustusburg zu Brühl (98 Gedecke) die neue deutsche Prominenz besichtigten, war von den alten Bedrückungen keine Rede mehr und »Willern II.« nur noch Requisit: Im berühmten Treppenhaus des Balthasar Neumann wurden Baudouin I., dem mittlerweile fünften König der Belgier, und seiner Fabiola Fernanda de Mora y Aragón lediglich dunkle Zigarren mit diesem Namen hinterhergetragen.

Weder um Krieg noch Frieden ging es, der Staatsbesuch rührte in erster Linie an die deutsche Volksseele und trieb fast ausschließlich reifere Frauen überall dorthin, wo die von gynäkologischem Mißgeschick nun schon dreimal betroffene »Frau Königin« dem Leib-Mercedes 600 entstieg -- so in Bonns Bonngasse, wo vor dem Beethovenhaus eine zu Tränen gerührte Bürgerin wußte: »Arme Leut' dat, bei denen is' immer wat loss.«

Tatsächlich hatte »7 Tage« pünktlich zum Staatsempfang zu berichten vermocht, daß die kinderlose Fabiola daheim so gut wie abgemeldet und Schwägerin Paola (drei Kinder) schon die heimliche Königin sei, was ein neuer Schicksalsschlag auf Belgiens Thron wäre, der durch derlei Ungemach populär geblieben ist: Dem ersten König, Leopold 1., starb die Frau achtzehn Monate nach der Hochzeit, der zweite Leopold brachte seinem Land den Kongo ein, Albert 1. fiel an der Maas von einem Felsen, Leopold 111. verlor seine Frau Astrid bei einem Verkehrsunfall.

Und auch manche der Staatsbesuche von Baudouin, ehemals Graf von Hennegau sowie Herzog von Brabant, und Fabiola, sechstes von sieben Kindern eines spanischen Junkers, waren mit Schreck verbunden: In Paris mußte sich die Königin im Mai 1961 mit entzündeten Mandeln zurückziehen, zwei Wochen später in Rom konnte sie Empfängen nur sitzend beiwohnen. In Mexiko 1965 traf es Baudouin -- wegen Ischias bewegte er sich an Krücken durch das Land der Azteken.

Bis Donnerstagabend, kurz vor Abflug des Paars nach Belgien, verlief der Besuch in Deutschland freilich ohne besondere Vorkommnisse, und über Fabiolens Haupt zerbarst lediglich eine Seifenblase, die ein Teddybär am Schaufenster eines Bonner Spielwarengeschäfts mittels »Pustefix« abgesandt hatte.

So erfreuten sich die Profis vom Protokoll der »puren Routine«, mit der das Programm bewältigt werden konnte, anders als etwa bei der Pomp-Show mit der Queen, anders wohl auch als beim anstehenden Besuch des fernöstlichen Wrohito im Herbst. Zwar hatte das Bonner Textilhaus Blömer Bilder der Brüsseler Spitzen neben Strumpfhosen ins Schaufenster gelegt, zwar riefen Rheinländer am Straßenrand »de Prinz kütt«, wenn der Limousinenzug mal wieder um eine Bonner Baustelle kurvte. Auch war der Kanzler-Bungalow für 45 000 Mark zur königlichen Residenz hergerichtet worden, mit Braques »Grauer Teekanne« in ihrem und Picassos »Todesstoß« in seinem Schlafgemach.

Märchenhafter Glanz aber mochte sich nicht einstellen. Die deutschen Damen in Brühl, von denen viele den Eindruck hinterließen, als hätten auch sie sich von Balthasar Neumann herausschmücken lassen, mußten bemängeln, daß der König, ohnehin zwei Jahre jünger als Madame, offenbar seinem Friseur zum Opfer gefallen war, der ihn mit einem Rekrutenschnitt entlassen hatte, und daß er überdies früher mit Hornbrille majestätenhafter ausgesehen habe als jetzt mit diesen Haftschalen.

Obendrein standen die Herrschaften etwas gelangweilt unter dem Ölbild des Kurfürsten Clemens August, als ihnen beim Defilee als erstes ein deutsches Paar namens Müller und als zweites eine Familie Fischer vorgezeigt wurde. Eine halbe Stunde lang nickte Doña Fabiola den knicksenden und rumpfbeugenden Leuten derart automatisch zu, daß sich am Ende eines ihrer Ohrgehänge gelöst hatte und Baudouin sich an dem Klipp zu schaffen machen mußte. Nur Walter Scheel, am rechten Flügel der Herrscher beider Länder, fand viel Freude, wedelte grüßend mit seinen Armen und lachte ungeniert liberal und rheinisch.

Ein Berliner Gast kam sich beim Brühler Empfang kaum anders vor als beim Stiftungsfest seines Rudervereins am Wannsee« und ein befrackter Herr des Protokolls, der an einer Salontür wachte, hinter der die Majestäten bei »Johannisberger« Sekt das Ende der Fete abwarteten, empfand ähnliches. Auf die Frage, wer die Auserwählten seien, die dem Königspaar drinnen nach und nach attachiert wurden, aber gab er die mürrische Auskunft: »Der Vorsitzende des Wandervereins Eifel-Ardennen und so Was.«

Die Delegierte einer rheinischen Jugendgruppe, die den repräsentativen Querschnitt des deutschen Volkes vervollkommnen sollte, war nicht mehr auffindbar und wurde an einem der kalten Blatzheim-Buffets vermutet, an denen eine ebenso tiefschwarze wie tief dekolletierte Diplomatenfrau dem meisten Zuspruch ausgesetzt war. Meinte ein Teilnehmer: »Die sollte man hier mal einen Staatsempfang machen.«

Die Sensation, irgendeine, auf die man bei fremden Potentaten gefaßt sein darf, blieb aus. Fabiola schrieb zu Köln zwar fünfzig Sekunden lang etwas ins Goldene Buch der Stadt, aber als alle dachten, sie brächte wie in ihrem Kinderbuch, das sie einst für 32 Neffen und Nichten verfaßt hatte, ein neues Märchen zu Papier, da hatte sie die ganze Zeit nur »Fabiola de Belgigue« geschrieben -- vielleicht auch nur um nachzusinnen, was ihr der Kardinal Frings, 84, auf französisch eigentlich sagen wollte. Sie hatte immer nur »Marriage« verstanden, was der nahezu blinde Kirchenfürst, dem ein Vikar von hinten die Begrüßungshand in Position bringen mußte, ihr anvertraute.

Nur im Kölner Belgischen Haus verriet die Königin angestammtes Olé, als spanische Küchenhilfen ihr wild »Viva la Reina« zuriefen und sie sich ihnen in Landessprache zuwandte: Wenn sie spanisch sprechen darf, wird aus Fabiola wieder eine Doña, die das »r« und sogar das Auge rollt.

Auch beim Fest in Brühl zeigte sich, so eine zuvor verteilte belgische Darstellung, »Belgien unter dem schönsten Licht ... angesichts der Anmut dieses Ehepaares, das immer zusammen ist«. Aber das Licht erwärmte nicht recht, wie wohl auch Helmut Schmidt empfand, der von Brühl mit Smoking und Frau schleunigst nach Bonn fuhr, um standesgemäß in der »Rheinlust« mit Egon Franke noch sein Bier zu trinken,

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