Cartoon-Debatte Maulhelden der Meinungsfreiheit

Der Cartoon-Streit berühre die wichtigste Frage unserer Zeit - die Meinungsfreiheit, schrieb Ibn Warraq gestern auf SPIEGEL ONLINE. Der in Istanbul lebende Journalist Jürgen Gottschlich widerspricht: Viele Muslime hätten es einfach satt, sich ständig als Terror-Sympathisanten beschimpfen zu lassen.
Von Jürgen Gottschlich

Istanbul - Am Anfang schien alles ganz einfach. Ein Buchautor hatte Schwierigkeiten, Künstler zu finden, die sein Werk mit ein paar lustigen Zeichnungen über den Propheten Mohammed bereichern könnten. Nach dem Motto "Bild kämpft für Sie" nahm sich die auflagenstärkste Zeitung des Landes des Problems an und forderte die einheimischen Karikaturisten auf, Mut zu fassen und endlich mal, ohne Schere im Kopf, den dämlichen Mullahs, potentiellen Ehrenmördern und Ziegenfickern richtig die Meinung zu sagen.

Per Bild, damit diese Analphabeten es auch verstehen. Schließlich sind wir hier im schönen Dänemark, wo wir glücklicherweise seit ein paar Jahren angefangen haben, uns von denen nicht mehr unseren Sozialstaat ausnehmen zu lassen. Die Aktion war ein voller Erfolg. Die Angesprochenen reagierten wie erwartet und jaulten auf. Sie rannten zur Regierung und zu den Gerichten, nur um sich noch einmal offiziell sagen zu lassen, so sei das jetzt im Staate Dänemark. Premier Rasmussen war begeistert und sah überhaupt keinen Anlass, die Helden der Meinungsfreiheit von der "Jyllands-Posten" zu rügen und auch die Gerichte fanden: soviel Meinungsfreiheit muss sein, damit die Islamis endlich mal kapieren, wo hier der Hammer hängt.

Schließlich lautet das Motto der dänischen rechtsliberalen Regierung seit ihrem Amtsantritt: Wenn es euch bei uns nicht passt, geht doch nach Hause. Keine andere europäische Regierung agiert so offen fremdenfeindlich wie die dänische. Ihren Wählern gefällts, schließlich handelt es sich bei den Einwanderern sowieso nur um Schmarotzer, die "unsere Werte" nicht teilen. Nun haben die Angesprochenen, nachdem man es ihnen lange genug eingehämmert hatte, die Botschaft endlich verstanden und sie sind "nach Hause" gegangen. Wo sie in Dänemark kein Verständnis mehr finden konnten, suchten sie Unterstützung bei der Al-Aksa Moschee in Kairo, deren Gelehrte so etwas wie die muslimische Glaubenskongregation darstellen. Seitdem schlottert den Helden der Meinungsfreiheit plötzlich die Hose. Seit es nicht mehr nur darum geht, einer Minderheit zu zeigen, was sie gefälligst zu akzeptieren hat, wird Entschuldigung geheuchelt.

Während auch andere Helden der Meinungsfreiheit in Europa glaubten, sie könnten sich billig auch noch schnell als Leuchttürme der Freiheit aufbauen, wissen "Jyllands-Posten" und Rasmussen mittlerweile nicht mehr, wie sie möglichst unbeschadet von diesem Sockel wieder herunterkommen können. Wer hätte das denn auch ahnen können, dass diese Muslime sich plötzlich weltweit aufregen, dänische Produkte boykottieren und mit Gewalt gegen dänische - und dank der anderen Helden der Meinungsfreiheit - mittlerweile auch anderer europäischer Einrichtungen vorgehen. Nein das hätte man nicht unbedingt erwarten müssen, es ist ja auch völlig irreal. Wegen ein paar Karikaturen, das kann doch wohl nicht wahr sein!!! Das muss doch wohl erlaubt sein! Sicher, mit genügend Dummheit im Gepäck ist alles erlaubt. In einem kurzen Interview im ZDF erklärte der Deutschland Korrespondent von al Dschasira am Freitagabend dem deutschen Publikum worum es eigentlich geht: Seit etlichen Jahren haben die muslimischen Einwanderer in Europa das Gefühl, ständig an den Pranger gestellt zu werden und keinerlei Respekt mehr zu genießen. Irgendwann genügt eine letzte Aktion, um ein Fass überlaufen zu lassen, dass seit langem mit Frust und Wut gefüllt wurde. Was für die Migranten in Europa gilt, gilt erst Recht für viele Menschen in den mehrheitlich islamischen Ländern, die sich seit dem 11. September 2001 allesamt dem Verdacht ausgesetzt sehen, mehr oder weniger heimliche Sympathisanten bin Ladens zu sein.

Armut gegen Arroganz?

Selbst in einem säkularen Land wie der Türkei, im dem übrigens lediglich eine Handvoll Anhänger einer religiösen Hardcore Partei vor dem dänischen Konsulat in Istanbul demonstrierten, ist der Frust auf "den Westen" in den letzten Jahren gewachsen. Das hat damit zu tun, wie ein großer Teil Europas auf den türkischen Wunsch, Mitglied dieser europäischen Gemeinschaft zu werden, reagiert und es hat damit zu tun, wie die Vormacht des Westens sich im Irak gebärdet. Während am Bosporus jedoch die Gelassenheit überwiegt, hat der dänische Funke in vielen anderen, islamischen Ländern, gezündet. So, wie es die großen Helden der Meinungsfreiheit in Dänemark gibt, gibt es auf der arabischen Halbinsel aber auch in Nordafrika oder Indonesien genügend Helden, die gerne bereit sind, für die Würde des Propheten auf die Barrikaden zu gehen. Das funktioniert wie kommunizierende Röhren und plötzlich kommt es zum Knall. Haben wir jetzt den lange herbei geredeten Kampf der Kulturen? Wenn man lange genug daran arbeitet, ist es vielleicht bald soweit. Religiöser Fanatismus und Armut auf der einen Seite, Arroganz und die Angst um den eigenen Reichtum auf der anderen Seite, bilden derzeit eine Mischung, die hochexplosiv ist. Statt einen falsch verstandenen Kampf für die Meinungsfreiheit zu führen, wird es dringend Zeit, zu den Tugenden der Aufklärung zurückzukehren und der Vernunft zu ihrem Recht zu verhelfen. Die Situation ist schwierig genug, Dumme finden sich überall und keine Seite ist frei von Schuld.

Es bleibt zu hoffen, dass die Stimme der Vernunft aus dem UNO Hauptquartier in New York durchdringt, wo Kofi Annan gestern sagte: Ich teile die Pein der muslimischen Freunde, die die Karikaturen als Beleidigung ihrer Religion empfinden, aber ich bitte sie, die Entschuldigung von Jyllands-Posten anzunehmen. Ich respektiere genauso die Redefreiheit, aber selbstverständlich ist diese niemals absolut sondern zu ihr gehören Verantwortung und Urteilsvermögen". An beidem hat es in der letzten Zeit erheblich gemangelt.

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