Hisbollah-Urteil Ruhm und Ehre dem Verwaltungsgericht
Ende Juli 2005 schreckte die halbe Bundesrepublik auf, nachdem der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs drei Rechtsradikale freigesprochen hatte. Ein knappes Jahr zuvor waren sie vom Landgericht Karlsruhe wegen der Verwendung nationalsozialistischer Kennzeichen zu einem halben Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung beziehungsweise geringfügigen Geldstrafen verurteilt worden. Die drei Angehörigen der "Kameradschaft Karlsruhe" hatten das "Nationale Infotelefon" mit einem Text besprochen, der mit der Grußformel endete: "Ruhm und Ehre der Waffen-SS!"
Während die Landrichter der Meinung waren, es handle sich dabei um eine NS-Parole im Sinne des Paragrafen 86a des StGB, werteten die Bundesrichter die Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS!" als eine "abgewandelte Wortschöpfung", die den nationalsozialistischen Grußformen "nicht zum Verwechseln ähnlich" sei. Der Leitspruch der Waffen-SS war "Unsere Ehre heißt Treue", das Motto der Hitler-Jugend "Blut und Ehre".
Zu denjenigen, die "Erstaunen und Befremden" über das Urteil äußerten, gehörte auch der damalige Präsident des Bundestages, Wolfgang Thierse. Er meinte, durch den Richterspruch könne der Eindruck entstehen, dass "neonazistische Parolen und Propaganda nicht mehr strafbar" seien, und fand es "beunruhigend", dass der Paragraf 130, Absatz 4 des StGB, der die Verherrlichung der NS-Gewaltherrschaft unter Strafe stellt, nicht zur Anwendung gekommen war. "Was ist es anderes als Verherrlichung, wenn einer der schlimmsten Organisationen des NS-Terrors öffentlich 'Ruhm und Ehre' ausgesprochen werden kann?", fragte Thierse.
Die Frage schwebt bis heute unbeantwortet im Raum.
Und nun dürfen weitere Fragen gestellt werden. Handelt es sich bei der Hisbollah um eine rein karitative Einrichtung, die sich der Sozialarbeit und der Fürsorge um die Armen und Notleidenden verschrieben hat? Stellt sie eine islamische Version der Heilsarmee dar, die sich vom Original nur dadurch unterscheidet, dass in den Suppenküchen der Hisbollah halal gekocht wird? Oder war da noch etwas?
Richter widersprechen dem Polizeipräsidenten
Am Mittwoch hat die 1. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts ein Urteil gefällt, das ähnlich wegweisend sein dürfte wie die BHG-Entscheidung zu Ruhm und Ehre der Waffen-SS. In dem Berliner Fall ging es um eine Klage des Deutschen Friedensrates, der zusammen mit zwei palästinensischen Organisationen für den 12. August 2006 eine Demonstration in der Hauptstadt angemeldet hatte: "Stoppt den Krieg gegen Libanon und Palästina!" Mit Bescheid vom 10. August 2006 hatte der Berliner Polizeipräsident jedes Werben für die Hisbollah während der Demonstration verboten. Im Einzelnen wurde untersagt, Kennzeichen, Symbole oder Embleme dieser Organisation oder Bildnisse des Generalsekretärs der Hisbollah, Nasrallah, zu zeigen.
Mit diesen Auflagen waren die Veranstalter der Demo nicht einverstanden und riefen das Verwaltungsgericht an.
Die Pressestelle der Verwaltungsgerichts gibt das gestrige Urteil mit folgenden Sätzen wieder: "Entgegen der Auffassung des Polizeipräsidenten ist das Zeigen der von ihm untersagten Symbole beziehungsweise Bilder auf einer Demonstration während des Libanonkriegs als Parteinahme für einen der Beteiligten der kriegerischen Auseinandersetzung zu verstehen, die unter den durch Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes garantierten Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit fällt. Der Polizeipräsident hätte das Zeigen der Bilder und Symbole daher nur dann untersagen dürfen, wenn dies strafbar gewesen wäre. Das kann das Gericht aber nicht feststellen."
Die Hisbollah ist keine Suppenküche! Sie ist eine Kriegspartei, die Israel zerstören will!
Soll heißen: Es ist nur erlaubt, etwas zu verbieten, das bereits verboten ist. Die Demonstranten machten nur von ihrem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch, indem sie Partei für einen der Kriegsteilnehmer ergriffen, so wie Fußballfans bei einem Spiel Partei für ihre Mannschaft ergreifen.
Weiter heißt es in der Zusammenfassung des Urteils, die "Parteinahme" für die Hisbollah "könne nicht dahingehend verstanden werden, dass mit ihr jede Äußerung oder Handlung der Hizbollah oder ihres Generalsekretärs gut geheißen oder unterstützt wird". Es sei zudem "nicht strafbar", sich für die Hisbollah einzusetzen, weil die Hisbollah "nicht als ausländische terroristische Vereinigung eingestuft" sei. Was für eine Rechtfertigung! Die Richter urteilten, ohne die Umstände zu bedenken und ohne ihren gesetzlich vorgegebenen Spielraum auszunutzen.
Wer die Hisbollah ist und was sie will, kann jeder, auch jeder Verwaltungsrichter, feststellen, der sich die Mühe macht, die Website der Organisation zu besuchen oder die Auftritte und Reden ihres Generalsekretärs zu studieren. Das erste und wichtigste Anliegen der Hisbollah ist die Zerstörung Israels, das nicht einmal beim Namen, sondern nur "the Zionist entity", das zionistische Gebilde, genannt wird. Wenn die Hisbollah von der Befreiung Palästinas spricht, dann meint sie nicht die besetzte Westbank, sondern das ganze "zionistische Gebilde", einschließlich Haifa, Tel Aviv, West-Jerusalem, Beer Scheva und Aschkelon. Und würde sich Israel auf die Strandpromenade von Tel Aviv zurückziehen, würde die Hisbollah noch immer Palästina von der zionistischen Besatzung befreien wollen.
Der Krieg als Länderspiel
Freilich - all das spielt für die Berliner Verwaltungsrichter keine Rolle, sie betrachten die Auseinandersetzung zwischen der Hisbollah und dem "zionistischen Gebilde" als eine Art Länderspiel, bei dem es erlaubt und legitim ist, sowohl für die eine wie für die andere Seite Partei zu ergreifen.
Das Urteil ist Ausdruck der "Äquidistanz", wie sie im Kulturbetrieb längst an der Tagesordnung ist und auch im Witz zu Wort kommt: "Mein Opa ist im KZ gestorben - er ist besoffen vom Wachturm gefallen." Noch makaberer ist nur noch, dass es in der Bundesrepublik offenbar eine Art gut funktionierender Arbeitsteilung gibt. Während die politische Klasse, die Kanzlerin vornweg, nicht müde wird, immer wieder "Israels Existenzrecht" zu garantieren, sind andere Teile der Gesellschaft längst dabei, es in Frage zu stellen oder zu verneinen.
Was früher das Markenzeichen der extremen Linken oder Rechten war, ist heute kultureller Mainstream, der sich im Feuilleton der "FAZ" und der "SZ" artikuliert. Und während "der Widerstand gegen Hitler und die Seinen umso stärker wird, je länger das Dritte Reich zurück liegt" (Johannes Gross), während die Stadt Braunschweig Hitler die deutsche Staatsbürgerschaft aberkennen möchte, um sich symbolisch und zum Nulltarif aus der Geschichte zu verabschieden, darf mit richterlichem Segen für eine Organisation demonstriert und Partei ergriffen werden, die keinen Hehl daraus macht, dass sie die Endlösung der Judenfrage, die in Europa abgebrochen werden musste, im Nahen Osten vollenden möchte.
Wie es der Genosse Zufall will, berichtete "kulturzeit" auf 3sat gestern über Konzerte im Nazi-Milieu, deren Teilnehmer vermutlich nicht einmal wissen, wer Nasrallah ist, sich aber dennoch mit ihm solidarisieren. Ein in der Szene beliebtes Lied endet mit dem Ruf: "Kamerad, Kamerad, es lautet der Befehl, ran an den Feind, ran an den Feind, Bomben auf Israel."
Ein klarer Fall von Parteinahme, die nicht verfolgt werden kann, weil sie Ausdruck der Meinungsfreiheit ist.