Irak-Debatte Der Triumphzug der Anti-Europäer

Die Mainstream-Medien der USA dulden keine kritischen Töne gegen den Kriegskurs von Präsident Georg W. Bush. Plattes Anti-Europa-Denken macht sich breit. Den Kritikern bleibt nur das Internet oder der Tresen New Yorker Intellektuellen-Bars als Forum. Jetzt hat der Linksintellektuelle Norman Birnbaum die Deutschen um Entwicklungshilfe gebeten.
Von Matthias Matussek

Die jüngste Vereinfachung der Welt auf Freunde und Feinde der USA fordert Opfer, ganz besonders im Meinungsgeschäft. Jüngster Abgang: Christopher Hitchens.

Christopher Hitchens, Engländer, lebt seit rund zwei Jahrzehnten in den USA. Der Mann ist eine Institution. Ein Kolumnist mit Wasserverdrängung. Ein Löwe der Feder. Sein Beruf: Contrarian. Neinsagen, und zwar laut.

In seinen Enthüllungsbüchern und Kolumnen hat Hitchens unter anderem die dunklen Seiten von Mutter Theresa ausgeleuchtet. Mit einem Wort: er ist furchtlos. Für Hitchens sind amerikanische Präsidenten entweder moralisch versaut (Clinton) oder verbrecherisch (Nixon/Kennedy).

Vor anderthalb Jahren machte Hitchens Furore mit einem Anti-Kissinger-Pamphlet, das den ehemaligen Außenminister der USA als Kriegverbrecher vor einen Internationalen Gerichtshof bringen wollte. Hitchens argumentierte mit der Empörung des Bürgerrechtlers. Sein Buch war ein wüstes Post-68er-Spektakel, mit "Völkermord" und "Kambodscha" und "Pinochet" und anderen Reizvokabeln der mittlerweile in Ämter und zu Professuren gekommenen Linken.

In seinem Pamphlet hatte Hitchens eine US-Regierung aufs Korn genommen, die nur behauptete, sie wolle das Böse bekämpfen - damals den Kommunismus - in Wahrheit aber, so Hitchens, nur an der Ausdehnung der eigene Einfluss-Sphäre interessiert war und zivile Opfer durchaus in Kauf nahm.

Kampf gegen die letzten Kriegs-Gegner

Und nun? Kämpft Hitchens erneut, doch diesmal im Schulterschluss mit der Regierung. Der 11.September war sein Erweckungs-Erlebnis. Nun kämpft Hitchens gegen den Irak und den Islam und mit Ausnahme von Israel wahrscheinlich gegen alles andere, was mit "I" anfängt. Ganz bestimmt gegen Intellektuelle, genauer: gegen jene drei bis vier amerikanischen Links-Intellektuellen, die noch geblieben sind.

Aus dem Neinsager ist ein rasender Jasager geworden, und, das ist das Erstaunliche, ein so schäumender, dass er es nicht mehr erträgt, mit seinem Ja auf ein Nein zu stoßen: Hitchens hat seinen Kolumnisten-Job bei der linksliberalen "Nation" mit Karacho hingeschmissen. Zwanzig Jahre lang hatte er das Blatt mit seinen Kolumnen beliefert. Nun könne er nicht mehr in einem Milieu publizieren, das "John Ashcroft für eine größere Bedrohung hält als Osama Bin Laden".

Natürlich ist Hitchens, der Publizist, nicht blöde. Er hat es noch einmal kräftig rappeln lassen im Karton, und wurde dafür prompt im "New York Observer" wie ein Freiheitsheld gefeiert, von Ron Rosenbaum, der die "Linken und ihre Jargondurchsetzten Sophistereien" sowieso noch nie ausstehen konnte. Hitchens ließ es krachen mit einer selbst für seine Verhältnisse beträchtlichen Pirouette: Er und Kissinger sind schon wieder in verschiedenen Lagern, und diesmal ist es Kissinger, der gegen den Krieg ist!

Vielleicht sollte man die eine oder andere frühere Hitchens-Kolumne noch einmal lesen. Wer heute so platt ja sagt, könnte ja früher ebenso platt nein gesagt haben. Auf jeden Fall schreibt Hitchens, der Berufs-Neinsager, genau schräg genug, um weiterhin von "Vanity Fair" und anderen Mainstream-Blättern gedruckt zu werden,. Er macht das, was man eben macht für ein anständiges Honorar: alle 14 Tage ein Wutausbruch. Nicht Großartiges. Meinungsgeschäft eben.

Demonstration der Aliens

Mit seiner albernen Abgangs-Inszenierung allerdings hat Hitchens lautstark verkündet, dass seine Kraft, Differenzen auszuhalten, verbraucht ist Pech für ihn als Intellektuellen, aber gut, es genau in dieser Deutlichkeit mal gesagt zu haben.

Hitchens ist mit seiner Unduldsamkeit der abweichenden Meinung gegenüber längst nicht mehr alleine: Eine Demonstration von Kriegsgegnern im Central Park etwa wurde im "New York Observer" wie eine Ansammlung bedrohlicher, zumindest aber antiamerikanischer Aliens beschrieben.

Was da gerade im Gange ist, hat Jens Jessen in einem scharfsinnigen Aufsatz für die "Zeit" beschrieben: Das doch so siegreiche System des amerikanischen Konsumismus stellt seinen wichtigsten und attraktivsten Artikel - die abweichende Meinung - zunehmend unter Verdacht. Die Petzen? Meist in die Jahre gekommenen Neinsager-Diven wie Hitchens.

Es scheint so, als hätten amerikanische Intellektuelle in dem früher belächelten Talent Hollywoods, jeden Konflikt zu vulgarisieren, nun eine höhere Wahrheit entdeckt. Die geht im Wesentlichen so: der echte Amerikaner, ob als Präsident oder als GI, besteht jede Machtprobe mit Kommunisten/unrasierten Terroristen/außerirdischem Glibberzeug, weil er für das Gute und gegen das Böse kämpft. Und das tut er, weil seine Instinkte für Gut und Böse noch wach sind. Im Gegensatz zu denen dieser verkorksten Europäer, gar der Krauts.

Lesen Sie im zweiten Teil: Wie sich in den US-Medien dumpfe anti-europäische Klischees breit machen

Der "New Yorker" zieht in den Krieg

Bisweilen ist es nur ein Ton, der einem etwa im New Yorker auffällt, der früher eine Bastion liberaler Aufgeschlossenheit war. Womöglich hat das mannhafte "Ja" des New Yorker - Chefredakteur David Remnik zum Irak-Krieg eine Rolle gespielt, aber die Truppe ist auf zack. Was waren das noch für Zeiten, als Harold Brodkey dort schrieb, dieses Glück eines neurotischen, komplizierten, europasüchtigen Intellektuellen. Anfang der neunziger, da waren blitzgescheite amerikanische Nachdenklichkeiten zu hören.

Heute beugt sich da Anthony Lane über einen Film von Godard, zerhackt ihn in kleinste Teile, und tut das mit diesem breiten Grinsen über den "düsteren Europäer", der "mit lächerlicher Besessenheit in der Vergangenheit wühlt", statt auf "der Welle der Zeit zu reiten, die ihn in die Zukunft trägt". Juchheißa.

Dieses Zeug wäre unter dem früheren, legendären Chefredakteur Shawn nie gedruckt worden. Doch heute ist es offenbar genau dieses unkomplizierte Freiluft-Gequatsche, was ankommt - der New Yorker als Filiale von "Banana Republic".

Surfen auf der Sieges-Welle

Sinn der Kino-Kritik ist nicht die Beschäftigung mit einem Film, sondern die Selbstdarstellung des Kritikers Anthony Lane als zukunftsgewandter Surfer auf dem Wellenkamm der amerikanischen Nummer-Eins-Triumphalkultur. Als einer, dessen Besessenheit mit der Vergangenheit sich höchstens in depressiven Anfällen über das im kapitalistischen Casino-Betrieb zu Asche verbrannte Aktien-Portfolio auslebt.

Oder Lilian Ross, früher eine der Gescheiteren. Heute amüsiert sie sich in einer Glosse über das gebrochene Englisch der russischen Tennismädchen bei den US-Open. Sie zitiert ausgiebigst Sentenzen falsches Englisch. Sie sind neureich, diese Russengören, sie wollen den "American Way of Life?, und sie kommen nicht über den ersten Satz von Anna Karenina hinaus. Kicher.

Immerhin, Lilian Ross, können diese Teenager lesen, wenn sie auch aus einem Land stammen, wo sich die Mädchen nicht jeden Tag unter den Achseln rasieren. In Detroit, Lilian Ross, ist Newsweek zu Folge jeder Zweite Analphabet. Wie wär?s mal mit einer Dienstreise dorthin, Anna Karenina unterm Arm, wie immer auf der Welle der Zeit?

Differenz stört nur noch

Was früher leicht und ironisch und - ja! - selbstkritisch war im New Yorker, ist zunehmend pomadig und selbstgefällig, als habe sich der politische Hegemonialkurs der Nation in einen kulturellen verwandelt. Kritiker der US-Politik wie Gore Vidal, Noam Chomsky oder Baudrillard werden entweder als notorische Wichtigtuer (Vidal!) oder inkonsistente Eurotrasher (die letzten beiden) beiseite geschoben.

Die Differenz stört nur noch. Es scheint sich eine neue (Selbst-)Wahrnehmungsdoktrin durchgesetzt zu haben, in der das Amerikanische das reflexhaft "Gute" ist und das Europäische, na ja, das moralisch zumindest Zweifelhafte - vom arabischen Typ soll hier gar nicht erst geredet werden.

Im Dialog mit den Deutschen ist es immer auch eine moralische Überlegenheit, die sich da ausspricht, und die hat mit dem zweiten Weltkrieg zu tun.

Bereits vor ein paar Monaten hatte eine recht bunt gemischte Haudegentruppe amerikanischer Rechts-Intellektueller - Fukujama, Huntington und andere - in einem Manifest "zum gerechten Krieg" insbesondere die deutschen Bedenklichkeiten aufs Korn genommen.

Sie erklärten in einer recht simplen moralischen Dreisatz-Rechnung, dass die zögerliche Position der Deutschen nicht haltbar sei. Schließlich seien sie ja durch einen gerechten Krieg - den der US-Army- vom Faschismus befreit worden. Dieser Thesentinnef zur US-Ethik blieb im Wesentlichen unbeachtet, führte jedoch vor, wie lässig und routiniert die deutsche Geschichtswunde gereizt werden kann. Denn die Erregung fand gänzlich auf deutscher Seite statt.

Die Hintergrundmelodie zum Argument der US-Historiker ist die der historischen deutschen Dankesschuld, die nachhaltig den Gleichschritt mit den amerikanischen Interessen einfordert. Es ist eine Schuld, die wahrscheinlich nie abzutragen sein wird, und deshalb in jeder zweiten Debatte benutzt wird wie ein Konto, von dem für jedes antideutsche Pamphlet reichlich abgehoben werden darf.

Deutschland ist irgendwie eklig

Eines ist offensichtlich geworden in den letzten Wochen: ein kriegsscheues Deutschland ist für gewisse amerikanische Kommentatoren ein irgendwie ekliger Anblick. Man hört sie fast rufen: Mensch, Jungs, ihr habt doch zwei Weltkriege unter dem Gürtel, reißt euch zusammen!

Der überraschende deutsche Seitenwechsel kann aber auch den abgebrühtesten Schwadroneur verwirren. In der "New York Times" erinnert William Safire in einem empörten Kommentar über die deutsche Kriegsdienstverweigerung an den Marshall-Plan, mit dem die USA den Krauts damals wieder auf die Beine halfen - ist das nun der Dank!?

Gleichzeitig warnt Safire vor der deutschen Weltherrschaft in Form ihrer Verlagshäuser Bertelsmann und Holtzbrinck. Irgendwie muss ja die Spukgeschichte von "The Reich" fürs interessierte Publikum weitergeschrieben werden, und "Fatherland" und andere U-Boote in Safires Text halten die Erinnerung daran wach.

Die Wut auf die deutsche Differenz, die sich in primitiven antideutschen Ressentiments äußert, wird dann in Provinzblättern heruntergschüttelt auf das Niveau, das jeder zweite Detroiter versteht. Oder Pitttsburger.

"Die Beziehungen waren seit dem Mai 1945 nicht mehr so schlecht", schreibt der Kolumnist der "Pittsburgh Post-Gazette". "Wir sollten wahrscheinlich dankbar dafür sein, dass das heutige Deutschland Masssennmörder nur noch anfeuert, statt selber welche zu sein." Das steht da tatsächlich. Und auch das: "Aber es ist unklar, ob das mit gewachsener Moralität oder nur mit einem Mangel an Mut zu tun hat." Der Deutsche als ewiger Nazifreak, der noch nicht einmal mehr den Mumm zum Massenmord hat - soviel zur amerikanischen Kunst der Debatte in diesen aufgeregten Zeiten.

Soll man sich diesen ganzen Blödsinn anziehen?

Lesen Sie im dritten Teil: Wie die Kriegsdienstverweigerung des Bundeskanzlers den letzten amerikanischen Krieg-Kritikern den Rücken stärkt

Man muss, offenbar. Peter Schneider beispielsweise adelt die vorstehend erwähnte Ungeheuerlichkeit, die als Grundfigur bereits im Manifest der amerikanischen Intellektuellen auftaucht, mit ergänzenden Hinweisen zu historischen deutschen Verpflichtungen.

Gerhard Schröders Asynchronität mit den USA war für ihn so unfassbar, dass er sie in der "New York Times" fast verlegen und schmunzelnd als Wahlmanöver entschuldigte, für das ja doch gerade US-Politiker Verständnis haben sollten. Der Gedanke an Schröders Aufrichtigkeit kam ihm gar nicht! Und dabei spielen sie Tennis, die beiden!

Für den "Zeit?-Leitartikler Joffe war die weltpolitische Lage durch Schröders Differenz zu Washington so brenzlig, dass er sich in Kasino-Stoßseufzern Luft machen musste; da war dann die Rede vom "sel.Wilhelm" und noch viel von diplomatischer Isolation, die Achse, Rom-Paris-London, mein Gott, handwerkliche Fehler, nie wieder gutzumachen!

Misstrauen in der Peripherie

Und nun? Plötzlich hat der "deutsche Weg", der ja der des Zweifels am präemptiven amerikanischen Interventionismus ist, Breitenwirkung. Ja, das ist das Erstaunliche: Neben dem dröhnenden Triumphalismus von Rumsfeld wirkt Peter Strucks ausdrucksloses Kommodengesicht wie die achtenswerte Haltung des Widerstandes. Des Behauptens einer Differenz.

Besonders in der Peripherie, etwa in den Ländern Lateinamerikas, kommt das gut an. Dort verbinden schließlich viele mit dem 11. September den Tag, an dem Allende weggeputscht wurde. Bekanntermaßen half der CIA damals, weil er, wie die ganze US-Regierung, wieder mal im Kampf gegen das Böse mobil machen musste. Doch mittlerweile ist das Misstrauen der Peripherie sogar fürs Zentrum plausibel. Man muss nicht so weit gehen wie die indische Schriftstellerin Roy, die in der rhetorischen Aufrüstung nach dem 11. September ein bereits kalkuliertes Sprach-Spiel zur Ölkrieg-Aufrüstung gegen den Irak vermutete.

Doch mittlerweile - ist das nicht erstaunlich - glaubt die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung, dass der Irak-Krieg der Regierung zur Ablenkung von den wirtschaftlichen Problemen im eigenen Land dient.

Zu nervös für Kritik

Das sollte den Journalisten des Landes zu denken geben. Sie könnten, wieder mal, völlig daneben liegen. Sie könnten entdecken, was kluge Kommentatorinnen wie Maureen Dowd längst beschreiben: Dass die Stimmung im Lande ja gar nicht so kriegerisch patriotisch ist. Dass in Wahrheit eine nervöse, unglückliche Halbaufgeklärtheit herrscht, in der die die Zustimmung zum nächsten amerikanischen Militärgang eher verdrossen gegeben wird, weil man spürt: Die Differenz lässt sich nicht plattmachen. Die Welt wird nie eine amerikanische sein.

Und vielleicht ist das System auch nicht ganz so siegreich, wie es von sich selber denkt? Es ist zumindest so nervös, dass es die Differenz zurzeit noch nicht erträgt. Als sich am vorletzten Sonntag immerhin 15.000 Menschen im Central Park sammelten, um gegen den Irak-Krieg zu protestieren, gab es außer dem oben genannten gehässigen "Observer"-Artikel kaum Erwähnung in Zeitungen oder TV-Anstalten, deren Weltoffenheit sich zunehmend auf die Auswahl multiethnischer Moderatorinnen beschränkt.

Die amerikanische Gegenöffentlichkeit - immerhin das ein bleibender Sieg der Dotcom-Revolution - organsisiert sich derweil mit Kettenbriefen im Internet, in denen viel von Exxon, Enron und Cheney die Rede ist.

Warten aufs Aufwachen

Dennoch ist damit zu rechnen, dass irgendwann auch das Kern-Corps der amerikanischen Journalisten aus seiner Selbsthypnose erwacht. Vielleicht findet ja selbst Christopher Hitchens zur europäischen "Kompliziertheit" zurück.

Übrigens ist Hitchens der einzige, der in der "Nation" über Bord gegangen ist. Einer ihrer Gründer, der linksliberale jüdische Intellektuelle Norman Birnbaum hat jetzt in der "Süddeutschen" die deutsche Politik zu ihrer Position beglückwünscht, und die deutschen Intellektuellen um Beistand gebeten. "Es gibt eine Welt außerhalb der USA".

Der deutsche Kanzler, man sollte es nicht glauben, ist mittlerweile eine Widerstands-Ikone. Selbst in der Demonstration im Central Park wurde Schröder auf einem Transparent gefeiert.

Was die amerikanische Vereinfachung der Welt auf Freund oder Feind doch für Kapriolen schlagen kann.

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