Lohn-Gerechtigkeit "Managergehälter dürfen nicht jedes Maß übersteigen"

Mindestlöhne für Arbeitnehmer - Maximallöhne für Manager: Konzernchefs sollen auf angemessene Entlohnung verpflichtet werden, fordert Heiner Geißler. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview erklärt er, wieso der Staat jetzt in der Pflicht ist.

SPIEGEL ONLINE: Herr Geißler, der Mindestlohn in der Postbranche ist zwischen den Tarifpartnern beschlossene Sache. Kommende Woche soll er im Bundestag in das Entsendegesetz aufgenommen werden. Befürworten Sie die Einigung der Großen Koalition?

Geißler: Ja. Es gibt immer mehr Dumpinglöhne, und immer mehr Menschen können davon nicht leben. Es widerspricht der sozialen Marktwirtschaft, dass sich Betriebe mit Hungerlöhnen Wettbewerbsvorteile verschaffen und sie durch den Steuerzahler aufstocken lassen.

SPIEGEL ONLINE: Gerade junge Unternehmen, die sich neu am Markt beweisen müssen, sind häufig darauf angewiesen, niedrigere Gehälter zu zahlen.

Geißler: Irrtum! Niedriglöhne dürfen kein Wettbewerbskriterium sein. Lohndumping verschafft demjenigen Vorteile, der kleines Geld bezahlt und dabei zwangsläufig bei Qualität und Service spart. Firmen, die angemessen bezahlen, sollen so aus dem Markt gedrängt werden. Dabei ist das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft: Der Bessere gewinnt. Das ist nicht immer der Billigste.

SPIEGEL ONLINE: Gegner des Mindestlohns argumentieren, er vernichte neu geschaffene Arbeitsplätze.

Geißler: Wenn alle Wettbewerber einer Branche den gleichen Lohn bezahlen, dann können keine Arbeitsplätze vernichtet werden. Es sei denn, es war schon vorher keine Nachfrage da.

SPIEGEL ONLINE: Heißt das, der Post-Konkurrent Pin war schon vor dem Mindestlohnbeschluss nicht wettbewerbsfähig?

Geißler: Offensichtlich. Warum soll eine Firma, die den gleichen Service anbieten will, nicht den gleichen Lohn zahlen? Ich darf mir nicht durch Hungerlöhne Marktanteile erschleichen und die Arbeitnehmer um ihren gerechten Anteil am Profit betrügen.

SPIEGEL ONLINE: Sollte sich der Staat überhaupt in Lohnregelungen einmischen? Hat staatliche Regulierung nicht auch ihre Grenzen?

Geißler: Grundsätzlich hat die Politik bei der Lohngestaltung nichts verloren, das ist Sache der Tarifpartner. Nur dort, wo es keine Tarifverträge gibt, kommt der gesetzliche Mindestlohn in Frage. Nehmen wir das Beispiel Baugewerbe in Ostdeutschlands: Dort haben sich achtzig Prozent der Arbeitgeber vom Tarifvertrag verabschiedet. Deshalb mussten schon vor sieben Jahren Mindestlöhne eingeführt werden, um unlauteren, ruinösen Wettbewerb zu verhindern. In einer sozialen Marktwirtschaft kann nicht jeder grenzenlos machen, was er will.

SPIEGEL ONLINE: Der ein oder andere Arbeitnehmer wird sich fragen: Wenn man meinen Lohn steuern kann, warum dann nicht auch den meines Chefs? Sollte man die Höhe von Manager-Gehältern nach oben begrenzen?

Geißler: Von Dumpinglöhnen sind Hunderttausende Menschen betroffen, während Exzesse bei Managergehältern im Verhältnis dazu selten sind. Eine ganz andere Frage ist, welche psychologischen Auswirkungen diese Exzesse für die Gemeinschaft haben. Die Glaubwürdigkeit von Politik und Wirtschaft wird gefährdet, wenn Löhne von Angestellten und Managern so exorbitant auseinandergehen, wie es in diesen Zeiten der Fall ist.

SPIEGEL ONLINE: Regt Sie die Höhe einiger Manager-Bezüge auf?

Geißler: Wir haben auf der Welt 300 Leute, die laut Weltbank ein Vermögen von 1,2 Billionen Dollar haben. Von mir aus können die noch das Doppelte verdienen. Was allerdings jeden aufregen müsste, ist, dass das mehr Geld ist, als die Hälfte der Weltbevölkerung an jährlichem Einkommen zur Verfügung hat.

SPIEGEL ONLINE: Und die Politik kann nichts dagegen tun?

Geißler: Natürlich kann sie etwas tun, es wird nur nicht gemacht. Global ist das schwierig, aber bei den Managergehältern in Deutschland müssten die Zusatzbezüge zu den Fixgehältern transparent gemacht und zum Teil abgeschafft werden. Dazu gehören zum Beispiel Aktienoptionen.

SPIEGEL ONLINE: Sie spielen auf den Chef der Deutschen Post Klaus Zumwinkel an, welcher in dieser Woche mit dem Millionen-Verkauf von Post-Aktien in die Kritik geraten ist.

Geißler: Diesen einzelnen Fall möchte ich nicht beurteilen. Aber bei Aktienoptionen sind Managergehälter gekoppelt an das kurzfristigste Kriterium, nämlich dem Aktienkurs. So dass das betreffende Vorstandsmitglied möglicherweise das eigentliche Ziel aus den Augen verliert - nämlich das langfristige Wohl der Firma. Die Höhe der Gehälter sollte sich prozentual an den durchschnittlichen Gewinnen der vergangenen Jahre oder am Marktanteil orientieren. Also an Kriterien, die die Qualität des Managers widerspiegeln.

SPIEGEL ONLINE: Kann man Manager überhaupt gesetzlich dazu verpflichten, sich moralisch richtig zu verhalten?

Geißler: Solche Regelungen haben wir ja. Insidergeschäfte zum Beispiel sind verboten. Darüber hinaus wäre es wichtig, dass Pensionsregelungen zunächst einmal nur für fünf Jahre ausgehandelt werden. Und dass es keine Gehaltserhöhung für Vorstände geben darf, wenn gleichzeitig die Einkommen der Belegschaft stagnieren. Das gleiche gilt auch für Abfindungen von Managern, die versagt haben.

SPIEGEL ONLINE: Sind deutsche Manager zu gierig?

Geißler: Man darf das nicht verallgemeinern. Vor allem gilt das nicht für Unternehmen, die nicht an der Börse notiert sind, wo die Eigentümer das volle Risiko tragen. Aber die Vorstandsvergütung von Aktienunternehmen muss anders geregelt werden.

SPIEGEL ONLINE: Trauen sich Politiker nicht an eine vernünftige Regelung ran?

Geißler: Natürlich gibt es Stimmen, die sagen: Man darf nicht wegen zwanzig Leuten, die jedes Maß verloren haben, die gesamte Unternehmerschaft gesetzlich in Haftung nehmen. Ich sehe den Staat aber klar in der Pflicht. Wenn solche exzessiven Entwicklungen nicht in Ordnung gebracht werden, kann das gefährlich sein. Zu einem geordneten Wettbewerb gehört, dass man leistungsgerecht vergütet wird. Von mir aus kann das bei einem Vorstand sehr hoch sein - aber darf nicht jedes Maß übersteigen.

Das Interview führte Annett Meiritz

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