Rentengarantie-Debatte Steinbrück provoziert sich ins Aus

Minister Steinbrück: "Ist doch klar, dass so einer mal ein Ventil braucht"
Foto: DDPBerlin - Man kann es auch so herum sehen: Der Streit um die Rentengarantie ist nicht einer dieser herkömmlichen Streitereien in der SPD. Bei den Sozialdemokraten muss man lange suchen, um jemanden aufzutreiben, der sich offen auf die Seite von Finanzminister Peer Steinbrück stellt, der die Rentenpolitik seiner Bundesregierung Ende vergangener Woche urplötzlich als ungerecht in Frage gestellt hatte.
Walter Riester, der ehemalige Sozialminister hat ihn unterstützt. Aber Riesters Bedeutung ist, auch weil er im Herbst aus dem Bundestag ausscheidet, in tagesaktuellen Polit-Debatten in etwa so groß wie die von Michael Stich für den Tennis-Zirkus. Kurz: Das Lager von Peer Steinbrück besteht weitgehend aus Peer Steinbrück. Ihm fehlen schlicht die Truppen, als dass sich im derzeitigen "Rentenstreit" bei der SPD von einer Auseinandersetzung zweier Blöcke sprechen ließe.
Doch deswegen ist noch lange nicht alles gut. Im Gegenteil. Niemand in der Partei versteht, was den Finanzminister geritten hat, sich zweieinhalb Monate vor der Bundestagswahl mit den Rentnern anzulegen - und das sagt auch noch jeder. Diese Debatte ist jetzt schon ein paar Tage alt, und sie wird aufgrund akuten Mangels sonstiger Themen wohl noch ein Weilchen andauern, auch wenn das SPD-Präsidium Steinbrück an diesem Montag noch einmal zurückpfiff. Opposition und Koalitionspartner haben längst begonnen, sich auf die "Unordnung" bei den Genossen einzuschießen. Für eine Partei, die langsam mal raus muss aus dem Umfragekeller, wenn sie bei der Wahl im September gesichtswahrend abschneiden will, ist das keine gute Nachricht.
Parteifreunde suchen Erklärungen für Steinbrücks Verhalten
Was hat Steinbrück dazu bewogen, die Renten-Rakete abzuschießen? Spricht man darüber dieser Tage mit Sozialdemokraten, gibt es mehrere Erklärungsversuche. Einer, der abwegigste und ausgerechnet von den professionellen Kommunikatoren von Partei und Ministerien verbreitete, geht so: Steinbrück und Arbeitsminister Olaf Scholz, Vater der Rentengarantie, hätten eine Aufgabenteilung vorgenommen. Der eine, Scholz, kümmere sich darum, dass die Menschen in Zeiten der Finanzkrise nicht zusätzlich verunsichert würden - auch wenn das ein bisschen was koste. Der andere, Steinbrück, sorge dafür, dass die Partei nicht nur mit dem Verteilen von Geschenken verbunden werde. "In der Gesamtschau haben wir eine generationengerechte Politik", heißt es dann.
Um den Eindruck eines abgestimmten Verhaltens zu verstärken, wird gerne darauf verwiesen, dass beide Minister ihre Sicht der Dinge schließlich am gleichen Tag, am vergangenen Freitag, in Interviews kundgetan hätten. Doch fest steht: Falls es sich wirklich um eine Art Absprache handeln sollte, um verschiedene Wählerschichten anzusprechen, ist dieser Plan ganz und gar in die Hose gegangen. Hängen geblieben ist der Eindruck, dass sich da zwei Minister beharken, die in der gleichen Partei sind. Die nächsten Meinungsumfragen dürften die Folgen zeigen.
Es gibt eine andere Erklärung. Das ist halt Steinbrück. Tatsächlich gehört es seit jeher zu einem der Charakteristika Steinbrücks, sich gegen seine eigene Partei zu profilieren. In der laufenden Legislatur war das nicht anders. Lange sträubte er sich dagegen, mit milliardenschweren Konjunkturpaketen die Krise abzufedern, wie es weite Teile der SPD frühzeitig forderten. Im Fall der maroden Karstadt-Mutter Arcandor war Steinbrück der Einzige aus der Parteispitze, der "Arcandor" und "Insolvenz" in einem Atemzug nannte. Der Rettungsfanatismus bei Opel und Arcandor schien ihm derart zu missfallen, dass er seiner Partei schließlich vorwarf, "die Tonlage eines kleinen Hundes" anzuschlagen, "der einem an die Beinkleider geht".
Insofern ist das Bild, mit dem einige Zeitungen am Wochenende Steinbrücks Verhalten deuteten, so verkehrt nicht: Das einer losgerissenen Kanone nämlich, die übers Schiffsdeck rumpelt.
Alleingänge wurden für die SPD immer ungemütlicher
Für ihn selbst zahlte sich das mitunter aus. Denn nur weil er auch mal gegen den Strich bürstete, verfestigte sich der Ruf, so einer wie Steinbrück müsse doch finanzpolitisch verantwortungsvoll, nachhaltig und ein Stück weit ehrlich sein. Doch je näher die Alleingänge des Ministers an den Wahltermin rückten, desto ungemütlicher wurden sie für seine Partei. "Jetzt hat Steinbrück vollends das Gefühl für Zeitpunkt und Wirkung seiner Worte verloren", bemängelt ein SPD-Landeschef mit Blick auf dessen Rentengarantie-Kritik.
Andere Parteifreunde halten eine dritte Erklärung bereit: Frust. Es ist eine naheliegende Erklärung. Steinbrück hatte einen Traum. Er wollte als derjenige in die Geschichte eingehen, der nach 40 Jahren endlich mal wieder einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen konnte. Das ist nicht irgendein Traum: Für einen Finanzminister ist ein ausgeglichener Haushalt ungefähr das, was für den Außenminister die Lösung des Nahostkonflikts ist. 2011 sollte es so weit sein.
Doch dann kam die Krise und zerschmetterte ihm jegliche Planungen. Seit kurzem ist klar, dass er 86 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen muss - allein für das Haushaltsjahr 2010. Als "Schuldenmeister" muss er sich jetzt bezeichnen lassen. "Da ist doch klar, dass so einer mal ein Ventil braucht", meint einer, der ihn noch aus Nordrhein-Westfalen gut kennt, wo Steinbrück mal Ministerpräsident war.
Es sagt einiges aus, dass man wenige Sozialdemokraten findet, die eine vierte Erklärungsmöglichkeit erwähnen: dass Steinbrück von der Rentengarantie inhaltlich tatsächlich nichts hält. Dabei ist das ja alles andere als abwegig. Mehrmals schon hat er kritisiert, dass jährlich jeder vierte Euro des Staates in die Rente fließt. Tendenz: steigend. Viel Gestaltungsspielraum bleibt da für einen Finanzminister nicht. Irgendwann, das ist absehbar, wird die Politik auch den Rentnern Zugeständnisse abverlangen müssen, wenn es darum geht, den riesigen Schuldenberg zu reduzieren. Die Große Koalition hätte so leicht wie keine andere Konstellation die Weichen dafür stellen können - es ist wohl vor allem diese verpasste Chance, die Steinbrück schmerzt.
Doch auf Mitleid braucht Steinbrück nach seinem Alleingang nicht zählen. Er ist gerade in den Urlaub gefahren, doch selbst das nimmt manch ein Parteikollege ihm krumm. "Fahrerflucht", meckert einer aus der Bundestagsfraktion.
Die Rente in den Parteiprogrammen
Die Union bekennt sich ausdrücklich zur gesetzlichen Rente, weist aber auch auf "die Gefahr einer ansteigenden Altersarmut" hin. Die Rentner sollten "verlässlich und gerecht" an der allgemeinen Einkommensentwicklung beteiligt werden, "ohne der jüngeren Generation Chancen auf Entfaltung und Wohlstand zu nehmen". Ähnlich wie andere Parteien wollen CDU und CSU, dass die Kindererziehung bei der Rente besser berücksichtigt wird. Die staatlich geförderte private Altersvorsorge solle weiteren Personengruppen zugänglich gemacht, zugleich aber vereinfacht und entbürokratisiert werden.
Nach dem Willen der FDP sollen die älteren Menschen den Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand "flexibel und selbständig" gestalten können. Deswegen sollten die Menschen ab dem 60. Lebensjahr den Zeitpunkt ihres Eintritts ins Rentenalter frei wählen können, mit entsprechen Zu- und Abschlägen. Voraussetzung ist aber, dass ihre Ansprüche aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Vorsorge das Grundsicherungsniveau erreichen. Die private und betriebliche kapitalgedeckte Vorsorge müsse gestärkt, die Riester-Rente für Selbständige geöffnet werden.
Die SPD verteidigt das bestehende System aus gesetzlicher Rente sowie betrieblicher und privater Altersvorsorge, außerdem bekennen sich die Sozialdemokraten ausdrücklich zur Rente mit 67. Die Arbeitswelt müsse so gestaltet werden, "dass alle Beschäftigten möglichst lange gesund am Arbeitsleben teilhaben können". Um zu verhindern, dass Geringverdiener wegen niedriger Beitragszahlungen im Alter auf Grundsicherung angewiesen sind, will die SPD das Instrument der Rente nach Mindesteinkommen bei langjährig Versicherten für Beitragszeiten bis Ende 2010 verlängern. Langfristig will die SPD die Rente zu einer Erwerbstätigenversicherung weiterentwickeln, die Selbständige mit einbezieht.
Die Grünen treten für eine Weiterentwicklung der gesetzlichen Rente ein. Damit Geringverdiener nicht auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen sind, sollten unzureichende Rentenansprüche auf ein Mindestniveau aufgestockt werden. Die Partei verweist zudem darauf, dass Kapitalmarkt-Produkte nach der Finanzkrise kaum eine stärkere Rolle bei der Altersvorsorge spielen würden. Frauen und Männer sollten eigene Rentenansprüche aufbauen, ein "Splitting" schon in der Ehe solle obligatorisch werden. Auch die Grünen wollen die Rentenversicherung zu einer Bürgerversicherung für alle weiterentwickeln.
Die Linke wirft den anderen Parteien vor, mit den Rentenreformen der Vergangenheit eine "Teilprivatisierung der Alterssicherung" verursacht zu haben, und fordert einen Kurswechsel. Das öffentliche Solidarsystem solle gestärkt, sämtliche Kürzungsfaktoren sollten aus der Rentenformel gestrichen werden. Die gesetzliche Rentenversicherung solle zu einer "solidarischen Erwerbstätigenversicherung" umgebaut werden, die auch Selbständige miteinbezieht. Die Rente mit 67 solle wieder abgeschafft werden, vielmehr müssten flexible Ausstiegsmöglichkeiten vor dem 65. Lebensjahr ohne Abschläge geschaffen werden. Kein Mensch solle im Alter von weniger als 800 Euro im Monat leben müssen. (Quelle AFP)