Tornado-Bilder in Heiligendamm Big Brother im Tiefflug

Wie produziere ich eine neue Generation von linken Terroristen? Ich ordne wegen eines gefälschten Schülerausweises Hausdurchsuchungen an, sperre Weltverbesserer in Käfige und lasse Zeltbewohner von Kampfjets ablichten. Der Rest kommt schon von selbst.
Von Claus Christian Malzahn

Berlin - Eigentlich wollten wir über die Ereignisse rund um den Gipfel von Heiligendamm nicht mehr viele Worte machen. Das politische Ergebnis des Treffens war - zumindest was den Klimaschutz angeht - kaum den CO2-Ausstoß wert, den die Anreise von Demonstranten, Politikern und Diplomaten gekostet hatte. So staunte die Republik lieber über schnittige Fernsehbilder von Motorbootjagden auf der Ostsee und gruselte sich ob des Straßenkampfs in Rostock.

Doch neben der politischen Symbolik, die da vor und hinter dem Zaun zelebriert wurde, scheint es während des G-8-Gipfels von Heiligendamm noch eine heimliche Agenda gegeben zu haben. Wenige Wochen nach der heftigen Diskussion um die Begnadigung des RAF-Terroristen Christian Klar haben sich manche Strategen in Staat und Apparat offenbar die Frage vorgelegt, wie man möglichst fix und ohne Vertun eine neue Generation von linken Terroristen in der Bundesrepublik produzieren kann.

Ganz einfach: Man knöpfe sich eine politische Bewegung von jungen Männern und Frauen vor, die irgendwo zwischen Flower-Power, schwarzem Block und übrigens ausgesprochen amerikanischer Protestkultur durch Mecklenburgs Wiesen hoppelt, dort Zeltlager errichtet, mal gegen, mal für eine Weltregierung demonstriert und mal am Zaun rüttelt. Eine politische Protestbewegung, die an den G-8-Gipfel einerseits radikale Forderungen richtet und ihn andererseits verhindern will - eine Bewegung also, die nicht ganz frei ist von Widersprüchen - aber geprägt von dem Wunsch, dass die Welt besser werden möge. Das ist vielleicht naiv, aber keineswegs strafbar und schon gar nicht lächerlich.

Diese Szene nimmt man in Phase 1 schon Wochen vor dem Gipfel ins Visier und schickt ihnen erst mal ein paar Hundertschaften auf die Bude. Vorwurf: Verdacht auf Bildung einer terroristischen Vereinigung. Angeblich wurden Personaldokumente gefälscht. Das ganze auf den bewährten Paragrafen 129a gegründete Anklagegebäude bröckelt dann zwar zusammen wie ein alter Keks. Denn das gefälschte Personaldokument entpuppt sich als gefälschter Schülerausweis. Da war offenbar Gefahr im Verzug! Möglicherweise wollte ein 15-Jähriger die Tante an der Kinokasse hinters Licht führen?

Folgt Phase 2. Gegen die Anti-G-8-Marschierer vor dem Zaun, deren Auftritte in der mecklenburgischen Pampa eher an Jugendzeltlager und Wandervögel erinnerten als an revolutionäre Stoßtrupps, bringt man Sondereinsatzkommandos in Stellung. Dieser schwarze Block der Polizei wird eigentlich eher bei Geiselnahmen oder Schießereien angefordert. Dann knebelt man die Blockadeure mit Plastikhandschellen und steckt sie in Drahtkäfige. Ein Wunder, dass niemand auf die Idee gekommen ist, ihnen auch noch orange Häftlingskleidung zu besorgen, damit die Demonstranten sich kurz vor dem Abtransport nach Guantanamo wähnen konnten.

Eines der beliebtesten Bücher in den Protestcamps ist offenbar George Orwells 1984 gewesen. Und damit die Demonstranten gar keinen Zweifel daran haben, wo Big Brother heute wohnt, lässt man sie in Phase 3 bei der Lektüre am besten von Bundeswehr-Tornados im Tiefflug fotografieren. WWrrrummmm! Good bye Guantanamo, hello Afghanistan! Wer denkt sich so was aus? Wenn das Merkels Gegen-Maßnahme war, dann wird sie voll nach hinten losgehen.

Offenbar waren die von der Polizei gemeldeten Waffenlager in den Camps längst nicht so groß wie behauptet. Dafür war der Vorrat an Verschwörungstheorien innerhalb der Anti-G-8-Szene umso größer. Super, dass die Polizei im Verein mit der Bundeswehr die Gerüchteküche ständig mit Brennholz versorgt hat. Ein Tornado über dem Campingplatz - so ein Szenario hätte sich nicht mal der schwarze Block in seinen dunkelsten Träumen ausgemalt. Stattdessen steht nun der Vorwurf im Raum, dass ein Bremer Zivilpolizist im Autonomen-Outfit G-8-Kritiker zu strafbaren Handlungen aufgefordert hat. Der Klärung dieses Sachverhalts sehen wir mit Interesse entgegen.

Über die Krawall-Exzesse von Rostock waren Tausende friedliche Demonstranten erstaunter als die Polizei. Die Debatte über Gewalt in der Szene hat gerade erst begonnen. Sie hätte früher einsetzen müssen - aber immerhin.

Die Pointe zum Schluss - Phase 4 - ist nun die Forderung nach einer europaweiten Autonomendatei. Die brauchen wir freilich so wenig wie Kampfjets über Zeltlagern oder Drahtgefängnisse. Stattdessen brauchen wir schnell eine Datei von Beamten und Politikern, die eine politische Protestbewegung - über deren Forderungen man trefflich streiten kann - in die Terrorecke drängen wollen. Demonstranten haben ein Recht auf Hysterie - der Staat niemals.

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